Dienstag, 17. Januar 2012

Jesus in Jaffa


Tagebuch von vor 13 Jahren:
Tel Aviv, 5.Januar 1999
(unser allererster Abend in Israel)

Vor unserem Hotel liegt die Uferpromenade. Blickt man von dort nach Süden, dann sieht man in einiger Entfernung einen ins Meer ragenden Felssporn - Jaffa, den älteren Teil von Tel Aviv. Der Weg dahin ist nicht allzu weit, er führt immer am Meer entlang, durch Parks, in denen auch an diesem dunklen Januar-Abend die Zikaden zirpen, oder auch direkt über den Sandstrand. Man hat nach wenigen Schritten und Atemzügen den vertrauten Mittelmeer-Geruch in der Nase, der hier ganz ähnlich angeweht wird wie in Marseille, Venedig oder Istanbul.


Jaffa hat eine verwinkelte Altstadt mit Geschäften und Restaurants. Wir wählen das "Aladin" aus, mit einer Terrasse hoch über dem Meer und fassen bei immer noch gut 20º C Außentemperatur den Entschluß, draußen zu essen. Zum Fladenbrot mit türkisch anmutenden Pürrées aus Auberginen und Kichererbsen gibt es eine bittere Kräuterpaste, die so schmeckt, als habe man im Sommer alle wundersamen Gerüche der Bäume und Büsche des Mittelmmers darin eingefangen. Zusammen mit dem kalten Wein und der Aussicht auf die hell erleuchtete Uferstraße nach Norden belebt sie das Blut von uns zwei alten Silberhochzeits-Leutchen auf ganz ungewohnte Weise und stimmt uns auf einen angenehmen Aufenthalt in diesem Lande ein.

Und es wartet noch eine Überraschung auf uns. Heraus auf unsere Terrasse tritt eine Gruppe junger Juden, deren Anführer das volle lange Haar, die scharfen, gleichzeitig klugen und milden Züge und die sensiblen Augen hat, die ihn in Hollywood unweigerlich für die Rolle aller Rollen qualifizieren würde: den Mann aus Galiläa.

Ich flüstere Christiane zu: "da trat Jesus mitten unter sie.“ Er war nicht allein, auch zwei seiner Jünger, die wir im Verlauf des Abends als Andreas und Thomas identifizierten, hatten zusammen mit ihm die Terrasse betreten.

Diese Drei wurden außerdem von drei Weibern begleitet, von denen eine Rothaarige wohl die Maria Magdalena war und eine andere, die (vermutlich tagsüber an einer PH studierte und) von uns als "die andere Maria" aus dem Matthäus-Evangelium  identifiziert wurde. Sie hing mit feinem Lächeln beständig an den Lippen Jesu. Die dritte Frau war zart und hatte dunkles, zu Rasta-Locken gedrehtes Haar, das dort, wo es zu Locken gerieben worden war, eine blonde Einfärbung zeigte. Im Profil sahen wir später , daß letztere Frau einen schütteren Kinnbart trug, mithin also ein Mann war.
Die Gruppe um Jesus bestellte mehrere Capuccinos (Jesus fröstelte im auffrischenden Meereswind und ließ sich von Maria Magdalena eine dunkelblaue Wolldecke auf seinen Schultern zurechtrücken), während wir im zweiten Hauptgang Gambas und einen Fisch namens "Denis" bekamen, beides sehr wohlschmeckend und von weiteren kalten Weinbeigaben angenehm begleitet.

Zu unserer Irritation mußten wir beobachten, daß Thomas und Andreas innig Händchen hielten, bzw. beim genaueren Hinsehen: daß Thomas seine Hand lange Zeit in des Andreas Schoß legte. Ich dachte kurz an die Synode der Rheinischen Landeskirche, die in diesen Tagen die Segnung homosexueller Paare berät, und an ihren leidvollen Weg.

Später stellte sich aber heraus, daß sich im Schoß des Andreas ebenfalls die Hand der rothaarigen Maria Magdalena befand, die wir nach längerer Beobachtung altersmäßig zur Mutter der beiden Jünger erklärten, und die sich wohl über den Andreas hinweg dem Thomas zugewandt hatte. Ganz konnten wir das Knäuel an Händen und Beziehungen aber nicht klären.

Nach einiger Zeit zahlte die Jüngergruppe und verließ die Terrasse. Übrig blieben noch für eine ganze Zeit eine heitere Aura von Freundlichkeit und die Erinnerung an das Lächeln der anderen Maria aus Matthäus 27,61. Ab morgen wird es wohl wieder der PH gehören.

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