Sonntag, 16. September 2012

Eine Predigt


Remscheid, 16. September 2012
(in der Friedenskirche der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Schützenstr. 32)

Heute habe ich ein Bibelwort vom Erzählen mitgebracht und möchte es in den Mittelpunkt des Gottesdienstes stellen. Es ist von einer Handlung Gottes in diesem kurzen Bibelwort die Rede, aber es beginnt mit dem Erzählen.
Es ist ja unsere Lieblingsbeschäftigung, dass wir uns etwas erzählen lassen. Das reicht vom kleinen Schwätzchen über den Gartenzaun über kleine Bücher und die Fernsehfilme vor 19 Uhr bis hin zu den großen Romanen und Dramen der Weltliteratur. Ganz oben stehen für viele die Kriminalgeschichten. In denen kommt alles zusammen, was eine gute Erzählung ausmacht. Es entwickelt sich etwas, man kann es nicht sogleich verstehen, aber am Ende kommt immer die Auflösung, und man erfährt, warum alles so gekommen ist, wie es kam.

Ich bin ein recht begeisterter Leser, das hat bei mir angefangen mit dem Buch "Heidi" von Johanna Spyri (übrigens ein heute noch recht lesenswertes Buch, das ich als erwachsener Mann in den Schweizer Bergen, da wo die Handlung spielt, ein zweites Mal sehr gerne gelesen habe), es ging weiter über Robinson Crusoe, das war mein zweites Buch, und dann kamen endlose Berge von Karl May (den ich heute nicht mehr sehr liebe, weil seine Helden immer allzu übertrieben dargestellt werden). Später kamen die großen Romanen der Weltliteratur, die Buddenbrooks, Krieg und Frieden und Ähnliches. 


Erzählen
Mich hat es deshalb persönlich angesprochen, als vor einigen Wochen das Losungswort für den 10. August 2012 sagte

Meine Wege erzähle ich, und du antwortest.
(Psalm 119,26)

Über diese wenigen Worte habe mich mir Gedanken gemacht und möchte davon also etwas erzählen.
Mich hat dieses Wort überrascht, weil es ein Wort ist, das ich nicht in der Bibel erwartet hätte. Gott etwas erzählen! Das ist nicht unsere normale Vorstellung einer Rede in Gottes Richtung, eines Gebetes.
Sicherlich kennt ihr das auch, dass uns ein Bibelwort beim morgendlichen Bibellesen überrascht. Manchmal geht es mir so, dass ich eine Stelle viele Male gelesen aber das spezielle Wort heute erstmals bemerkt habe. Ein anderes Mal geht es mir so wie bei diesem Wort vom Erzählen, dass ich nämlich vorher sicher angenommen hätte, ein solches Wort stünde gar nicht in der Bibel.
In diesem Wort geht es also um das Erzählen als einem Reden mit Gott. Da passt eigentlich die entspannte Haltung, die wir beim Erzählen einnehmen, so gar nicht zu der Haltung, die wir beim Beten einnehmen sollten.
Ist „Erzählen“ überhaupt etwas, das mit dem Glauben an Gott zu tun hat, ist es nicht eher etwas irgendwie „Weltliches“ und deshalb eher hinderlich auf dem Weg des Redens mit Gott?
Erzählen, sich erzählen lassen und Glauben – wie geht das zusammen? Für mich gab es von Anfang an ein persönliches Problem mit meinem Romane-Lesen, und das will ich kurz erzählen. In meiner Familie geht die Leidenschaft für das Lesen auf eine Urgroßmutter zurück. Sie war die Schwiegermutter meines frommen Großvaters Erwin Bohle, der um die Zeit des II. Weltkrieges Pastor in dieser Gemeinde war. Sie war die Ehefrau meines ebenfalls frommen Urgroßvaters August Lehmpfuhl in Berlin und war wohl eine leidenschaftliche Leserin. Das wurde in der Familie immer wieder einmal mit ein wenig Kopfschütteln registriert. Christen lasen damals keine Romane.
Ich habe von diesem Kopfschütteln als Kind gehört und habe innerlich gerungen, ob mein eigenes Bücherlesen denn überhaupt Gottes Wohlgefallen finden könnte. Im Ergebnis habe ich gemeint, von Gott die Antwort bekommen zu haben, dass es erlaubt ist. Zumindest sollte es einzelnen Gläubigen gestattet sein, Teile der nicht von Gottes Geist und seiner Liebe erfüllten Welt zu erkunden. Sonst weiß man in der Christenheit ja gar nicht, was die Nichtchristen denken und erleben.
Ich habe also gelesen, und ich habe durch die lebenslange Beschäftigung mit Erzählungen ein Grundproblem des Erzählens kennengelernt, über das ich hier ebenfalls etwas ausführlicher berichten will, weil es auch für dieses Psalmwort gilt.
Das Problem besteht darin, dass das Erzählen eine schwierige Aufgabe ist, ich meine das Erzählen, das mehr ist als das Schwätzchen über den Gartenzaun. Von dieser Schwierigkeit habe ich immer wieder bei den guten Erzählern gelesen, etwa bei dem tschechischen Autor Milan Kundera, der hat einmal gesagt:

Niemand kann die Geschichte des gestrigen Tages erzählen.

Das hört sich sehr radikal an. Aber jeder kann selbst die Probe machen, ob er es schafft, die vielfältigen Eindrücke eines einzigen Tages tatsächlich zu einer wirklichen Erzählung zusammenzufügen, zu einem Handlungsstrang, der das Ganze logisch erklärt.
Ich habe einmal gehört, dass es uns mit unserem Leben so geht wie mit einem Webstuhl, auf dem ein Teppich mit einem komplizierten Muster hergestellt wird. Ich bin einmal in einer Teppichknüpferei gewesen und habe gesehen: wenn man seinen Blick auf die Kante richtet, in der gerade die neuen Fäden eingezogen und verwoben oder verknüpft werden, dann erkennt man nur ein wildes Durcheinander von noch nicht erkennbar in den Gesamtzusammenhang eingefügten Fäden. Und auch der Streifen eine Handbreit unter dieser Webkante ist immer noch ein ziemliches Chaos von Formen und Farben, aus dem man kein vernünftiges Muster herauslesen kann.
Erst wenn man weiter unten ein breiteres Stück fertigen Teppichs ansieht, weiß man, nach welchem System der Handwerker oben an der Webkante arbeitet.
Vielleicht ist es euch auch schon einmal so ergangen, dass Ihr die letzten Tage oder Wochen oder auch Jahre eures Lebens wie solch einen geknüpften Teppich betrachtet und versucht habt, eine Ordnung darin zu sehen. Es ist eine schwere Aufgabe!
Nach welchen Mustern verläuft unser Leben? Wie ist es gekommen, dass wir das geworden sind, was wir sind? Und wenn wir Muster erkennen, dann wissen wir immer noch nicht, welche Muster festgelegt sind und welche sich noch ändern lassen.
Ältere Menschen fragen sich: sähe das Muster meines Lebens heute anders aus, wenn ich zum Beispiel fleißiger in der Schule gewesen wäre, wenn ich mich auf eine andere Arbeitsstelle beworben hätte als auf die, die ich gerade habe, wenn ich jemand anders geheiratet hätte, wenn ich mich mehr um die Freundschaft von Menschen bemüht hätte, die ich vielleicht verloren habe. Was wäre, wenn ich auf vielen Wegen Gott treuer gefolgt und besser auf ihn gehört hätte?
Alles das sind Fragen nach dem Muster, nach den Wegen unseres Lebens, nach ihrem Warum - und ich muss die jüngeren Leute, die sich solche Fragen stellen ein wenig entmutigen: auch in einem Alter von 63 Jahren, meinem Alter, sind sie noch da.
Und in alle diese Fragen hinein hörte also am 10. August dieses Psalmwort:

Meine Wege erzähle ich, und du antwortest.


Gott sagt mir: erzähle! Streng dich an! Aber ich kann nur antworten: ich kann es gar nicht. 

Urtext
Was können wir tun? Um eine Antwort zu finden, habe ich mich auf den Weg gemacht und versucht, das Wort aus dem 119. Psalm einmal genauer zu untersuchen. Meint es überhaupt dasselbe wie das moderne Wort vom Erzählen, so wie ich es heute verstehe?
Viele von euch kennen meine Liebe zum Urtext, und ich möchte ihn doch zumindest kurz über Powerpoint zeigen, zum Beleg, dass ich daran gearbeitet habe.
דרכי ספרתי ותענני 
Mit dem hebräischen Wort für erzählen, "safar" (dem mittleren Wort) geht es glücklicherweise einmal so, dass es sich recht gut ins Deutsche übertragen lässt. Es heißt nicht nur "erzählen" sondern auch "zählen". Und das steckt ja in gleicher Weise auch in unserem Wort vom er-zählen. Der „rote Faden“ einer Erzählung entsteht durch eine Zählung, ein erstens / zweitens / drittens. Irgend etwas passiert – erstens – aus dem sich dann eine Konsequenz ergibt – zweitens – die dann drittens zu dem Ergebnis X führt.
Alles das steckt auch im hebräischen Wort "safar". Es heißt außerdem auch "schreiben", bezeichnet also eine Urform der menschlichen Bemühung, das äußere Geschehen sozusagen auf eine zweite Ebene zu bringen, wo eine schriftliche Ordnung herrscht.
Von diesen Urworten her denke ich, dass schon zu den Zeiten, als der Psalm erstmals aufgeschrieben worden ist, das Problem des Erzählens bekannt war, so wie es sich uns heute darstellt. Der Psalmist sagt: ich bringe eine gewisse Ordnung in mein Leben, Vater im Himmel, ich zähle dir meine Probleme auf, meine Sorgen aber auch meine Segnungen, ich zeige dir die Linien meines Lebens auf – und dann erzähle ich dir. Ich versuche es zumindest. Du weißt, Vater, dass das nicht immer leicht ist, du weißt ja alles. Aber ich will es versuchen, ich will mich im Gespräch mit dir anstrengen, will ein bisschen vorsortieren und dann zu dir kommen und dir mein Leben – erzählen.
Das ist vielleicht ein ungewohntes Bild, das sich aus diesen Gedanken entwickelt.  Es ist sicherlich ein ganz anderes Bild als das, was ich in meinem Leben leider viel zu oft abgegeben habe: jemand, der Gott das Durcheinander seines Lebens einfach hinhält und sagt: hilf mir jetzt! „Herr segne dies Chaos“.

 

Dies ist ein Buch, von dem ich immer wieder einmal gehört habe und dessen Grundgedanken jeder kennt. Ich sage nicht, dass solche Gebete nicht auch ihre Zeit haben. Aber der besondere Segen, von dem in unserem Psalm die Rede ist, hängt offenbar daran, dass ich mich tatsächlich um eine Erzählung meines Lebens bemühe, dass ich sortiere und strukturiere und Gott etwas Vorbereitetes hinlege. Dann segnet Gott. 

Gott antwortet
Worin besteht dieser Segen? Ich komme jetzt zum zweiten Teil und zeige (im Gottesdienst über Powerpoint),

Luther:
Ich erzähle dir meine Wege und du erhörst mich.

Elberfeld:
Meine Wege habe ich erzählt, und du hast mich erhört.

Schlachter:
Ich habe meine Wege erzählt, und du hast mir geantwortet.

Neue Genfer:
Ich habe dir erzählt, welchen Weg ich wähle, und du hast mir geantwortet.

Einheitsübersetzung:
Ich habe dir mein Geschick erzählt und du erhörtest mich
 
wie die fünf deutschen Übersetzungen, die ich hier zu Rate gezogen habe, das Psalmwort ins Deutsche übertragen haben. Bei den ersten beiden Worten waren sie sich einig, „erzählen“ und „Wege“, das haben alle. Aber bei der Antwort Gottes, gibt es einen feinen Unterschied. Drei Übersetzungen sagen "Du erhörst mich", zwei dagegen "du antwortest mir".

Ich glaube nach Hinzuziehung eines sehr genauen Lexikons, dass „du antwortest mir“ präziser ist. Der Unterschied zu „du erhörst mich“, ist ja, dass Gott nicht durch eine Tat antwortet, also ein Gebet konkret erhört. Nein, er antwortet so, dass man sicher ist, dass er zu uns geredet hat. Antworten geben heißt: Worte sagen, etwas Konkretes aussprechen.
Mich hat dieses Thema der Antwort Gottes besonders interessiert – das war die zweite Überraschung beim Lesen des Psalms – weil ich in dieser Zeit ein Buch gelesen habe, in dem es um genau das ging, um das Antworten Gottes. Dieses Buch ist aber nicht von einem frommen Menschen, sondern von einer Wissenschaftlerin geschrieben worden, einer amerikanischen Anthropologin, Tanja Luhrmann. WhenGod Talks Back heißt das Buch und beschreibt das Ergebnis von zwei Jahren Forschung unter mehreren Gemeinden der charismatischen Vineyard-Bewegung in den USA.

 
Diese Forscherin ist nach vielen sehr eingehenden Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Leute, die von sich behaupten, Gott habe zu ihnen persönlich geredet, dies zwar nicht beweisen können, dass sie aber ein außergewöhnlich vernünftiges und verantwortlich gelebtes Handeln an den Tag legen – und dass es glückliche Menschen, freundliche Zeitgenossen und gute Nachbarn sind.

Die Leute von Vineyard erleben das Reden Gottes nicht nur oder nicht vornehmlich als das Hören auf Bibelworte. Auch in denen redet ja Gott, und man sollte ein Leben lang auf die Bibel hören, um alles andere, was man sozusagen „frei“ von Gott gesagt bekommt, einer genauen Prüfung zu unterziehen. Das wissen auch die Christen bei Vineyard, aber den Leuten dort geht es eben auch um dieses freie, dieses persönliche Reden Gottes im Inneren, im Herzen und im Verstand eines jeden einzelnen Gläubigen. 
 
 Mich hat die Schilderung dieser Wissenschaftlerin, diese Beobachtung aus einer so ganz anderen Perspektive sehr angerührt. Sie hat etwas von fremder Seite angesprochen, das eigentlich selbstverständlich ist, das sozusagen zu unserem Eingemachten gehört. Aber wir vergessen es viel zu oft. Und nun kommt eine Fremde und hilft uns und hält uns einen Spiegel vor.
 
Unsere Situation
Aber haben sie auch Recht? Redet Gott bei uns?
Zunächst: das Reden Gottes ist unser Programm. Unsere Schrift vorne vor dem Eingang lautet ja „Jesus lebt“, aber sie könnte genauso gut heißen „Jesus redet“, denn das ist ja der Sinn einer lebendigen Beziehung zu Jesus und zu Gott, dass wir auf sein Reden hören können.
Andererseits ist das Reden Gottes in manchen Zeiten ein eher schwieriges Thema unter uns. Wenn ich mich jetzt mit jedem von euch unter vier Augen unterhalten könnte und würde euch fragen, wer in der letzten Zeit das Reden Gottes klar gehört hat, wer eine Antwort auf seine persönlichen Fragen von Gott bekommen hat oder aber wer noch auf eine solche Antwort wartet, so würde ich sicherlich von einer Reihe von Problemen erfahren.
Vielleicht haben wir uns daran gewöhnt, Gott allein über die Worte der Bibel reden zu hören, über gute Lehre, eine gute biblische Ausbildung. Und trotzdem sehnen wir uns danach, ihn einmal ganz persönlich, ganz direkt, mit eigenen, auf uns bezogenen Worten zu hören.
Gott redet ja nur ausnahmsweise einmal so laut und deutlich, wie es in der berühmten Geschichte des Propheten Samuel geschieht. Als der von  Gott zum Propheten berufen wird, hört er des Nachts dreimal vernehmlich, wie sein Name gerufen wird – „Samuel!“ – und er geht zu dem schlafenden Priester Eli, seinem Vorgesetzten, und glaubt, der habe ihn gerufen, bis der ihm sagt, das kann nur Gott sein, der da ruft.
Ich habe die Geschichte als Kind gehört und mir gewünscht, auch einmal so gerufen zu werden. Fast möchte ich sagen: ich wünsche es mir heute noch. Aber es ist mir natürlich klar, dass solche Rufe auch in der Bibel die große Ausnahme sind.
Und trotzdem redet die Bibel in vielfältiger Weise von einer inneren Stimme, einer inneren Gewissheit der Menschen, die eine deutliche Botschaft von Gott bekommen haben. Vielleicht haben sie ihre Pläne Gott dargelegt und wissen jetzt ganz sicher, dass diese Stimme, die sie gehört haben und die „Ja“ oder „Nein“ gesagt hat, Gottes Stimme war. 
 

Skeptiker
Ich möchte heute gerne euch allen Mut machen, dieser inneren Stimme zu vertrauen, vielleicht zum ersten Mal oder seit längerer Zeit zum ersten Mal. Ich beginne einmal bei denen, die sich daran gewöhnt haben, das Reden Gottes in ihr Leben hinein als etwas Unmögliches und auch gar nicht Notwendiges anzusehen. Lasst Euch einladen, diese Haltung zu ändern. Die Stimme Gottes ist freundlich. Sie weiß etwas von meinem Leben, sie kennt mich. Sie will mich gute Wege leiten, will die Knoten auflösen, in denen sich mein Leben verheddert hat, will das Kaputte in mir heilen. Also, ihr Skeptiker und Realisten: fragt Gott etwas! Fragt konkret – und wartet auf eine Antwort.
Zu Eurer Ermutigung sei gesagt, dass die Anthropologin in den Vineyard-Gemeinden immer eine große Gruppe von Menschen angetroffen hat, die von sich behaupteten, das Reden Gottes nicht zu hören. Aber sie hielten sich trotzdem zur Gemeinde, sie erwarteten, dass Gott eines Tages auch zu ihnen reden würde, oder sie freuten sich an der Gewissheit der Gegenwart Gottes in der Gemeinschaft mit anderen Christen. 

Wartende
Zweitens möchte ich etwas zu denen sagen, die das Reden Gottes erwarten und auch aus früheren Zeiten kennen, es aber lange nicht mehr gehört haben oder es im Gewirr der vielen anderen Stimmen nicht mehr deutlich hören. Zu denen zähle ich mich selbst. Ihnen, uns, mache ich Mut, weiter Geduld zu haben und nicht aufzuhören, auf eine Antwort zu warten. Aus der Geschichte der gläubigen Juden und Christen wissen wir, dass manche Fragen – auch Fragen des Zweifels und der Anfechtung – oft über Generationen offen geblieben sind. Fromme Menschen sind häufig mit ihren Fragen gestorben. Was aber niemals gestorben ist, das ist die Ausrichtung auf Gott hin, die feste Hoffnung, von ihm eine Antwort zu bekommen, mit seiner grenzenlosen Liebe zu rechnen.
Und dann haben Menschen es erlebt, dass selbst die tiefste Gottverlassenheit umschlagen kann in eine große Gottesnähe. „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“ sagt Psalm 22, und Jesus betet es am Kreuz. Geschieht nicht immer dann in besonderer Weise Gottes Wille, wenn wir die größte Verlassenheit sehen? Habt Mut!
 
Beschenkte
Und als Drittes: denen, die Gottes Reden wie eine lebendige Quelle in sich spüren, Tag für Tag, denen sage ich: freut euch daran und erfreut andere daran! Vergesst nicht, das euch geschenkte persönliche Wort Gottes mit anderen zu teilen, andere zu erfreuen, die es nicht hören oder nicht so wie ihr. Redet zu ihrer wirklichen Erbauung, redet sanft mit ihnen, redet demütig.
Und lernt – das ist eine praktische Konsequenz, die mein amerikanisches Buch sehr lebendig beschreibt – dieses Reden einer gewissenhaften Prüfung zu unterziehen. Wir alle hören ja innere Stimmen, die sich aus dem bilden, was wir in Erinnerung haben, was uns beschäftigt, was uns durch die prägende Kraft unserer Eltern, unserer Lehrer und anderer Vorbilder eingepflanzt ist. Die plötzliche Eingebung „ich muss meinen Freund Paul anrufen, mit dem ich lange nicht geredet habe“, die kommt ja nicht nur frommen Menschen. Innere Stimmen kennt jeder, aber sie wollen unterschieden werden, nicht alles ist von Gott.
Gut ist es, einen geistlichen Ansprechpartner zu haben, einen Pastor, einen Ältesten, dem man sich anvertrauen kann. Gut ist es auch, einen Kreis von Mitchristen zu haben, mit dem man sich über Dinge austauschen kann, die jeder einzelne von Gott zugesprochen bekommen hat. Ich habe einen englischen Freund David, den ich alle paar Jahre einmal sehe und der mich bei jeder Begegnung fragt, „what did the Lord put on your mind?“ was hat Gott dir an neuen Gedanken gegeben? Ich bin immer froh, wenn ich ihm einen kleinen oder großen Gedanken sagen kann. Vielleicht hätte ich diesen Gedanken vergessen, wenn David mich nicht gefragt hätte.
Vielleicht sollte ich auch einen Remscheider David haben, der mich öfter sieht und mich öfter fragen kann. Vielleicht fangen wir gleich heute damit an, und ihr sagt mir, wenn ich im Ausgang stehe, was Gott euch in den letzten Tagen und Wochen in euer Herz gesagt hat. Und nächste Woche sagt ihr mir es nochmal, etwas Neues vielleicht. 

Alle
Allen zusammen aber sage ich: erwartet das persönliche Reden Gottes! Werdet nicht zu Verwaltern einer religiösen Routine, zu Managern einer äußerlich gepflegten Kirche, in der Gottes Reden aber nicht mehr erwartet am Ende vielleicht gar nicht gewünscht wird.
Glaubt daran, dass Jesus lebt und dass Gott redet!
Ich hörte jetzt von einer lieben Schwester, die im Gottesdienst einer ähnlich charismatischen Gemeinde war wie Vineyard. Sie sah einige Äußerlichkeiten eher kritisch, aber sie war angetan von der Atmosphäre des Fragens. Sie spürte deutlich: die Gottesdienstbesucher kamen mit Erwartungen, sie erwarteten Antworten, sie erwarteten, dass „God talks back“, dass Gott zurück redet.
Lasst uns Menschen sein, die in dieser Erwartung leben. Laßt uns eine Gemeinde sein, die das als lebendige Erfahrung bezeugen kann: Gott redet, Gott antwortet. 

Schluss
Ich fasse zusammen: wir haben über zwei kurze Sätze nachgedacht –

Ich erzähle, Gott antwortet.

Es stecken zwei nicht ganz leichte Aufgaben für uns darin, einmal das Erzählen unseres Lebens und dann das Warten und genaue Hören auf Gottes Antwort.
Gott segnet unser Erzählen. Er liebt uns und was wünscht sich ein Liebender mehr, als dass er mit der Person seiner Liebe reden kann? Und deshalb antwortet er.
Gott segne uns alle, er segne uns als Gemeinde beim Erzählen und beim Hören!
Amen.

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

[Irgendwie ist mein vorheriger Kommentar verschwunden..; ich probier´s noch einmal:]
Lieber Christian, vielen Dank für Deine liebevolle Mühe, so hatte ich es auch noch nicht gesehen!
Was aber das Reden Gottes angeht, so gibt es einen wenig beachteten Text in Hiob 33,14-28, wo Gott im Traum und in Krankheit reden kann, was jedoch beides der Deutung (durch einen "Engel") bedarf, damit es für Träumer/ Patienten auch "fruchtet". Das entspricht auch "modernen", psychosomatischen Einsichten.