Donnerstag, 20. September 2012

Kirchengeschichte


Folgt man der amerikanischen Anthropologin Tanya Luhrmann, so hat die Zeit der Aufklärung zu einer Aufspaltung der protestantischen Kirchen in zwei Lager geführt. Das eine Lager, das liberale, hat in vielen Punkten Kompromisse mit den Gedanken der Aufklärung gemacht, dabei aber auf breiter Front an Attraktivität und in der Folge an Mitgliedern verloren. Dem liberalen Lager war zwar zunächst ein Sieg auf der ganzen Linie vorhergesagt worden, nachdem die Überlegenheit der Wissenschaft angesichts von Eisenbahnen und Telefonen als erwiesen galt und die grausamen und unmenschlichen Seiten des Darwinismus vergessen machte. Die Gegenbewegung, die fundamentalistische, hat sich auf konservative Punkte versteift, den Darwinismus abgestritten, und hat dabei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtbar den Kontakt zum gesellschaftlichen Mainstream verloren.


Nach dem Zweiten Weltkrieg haben dann aber konservative, nicht fundamentalistische Theologen versucht, diesen Kontakt wiederzugewinnen, indem sie ihren Glauben so predigten und lehrten, dass er auch von weiten Teilen der säkularen Gesellschaft verstanden und akzeptiert wurde.
Viele dieser Theologen sind aus dem Fuller-Seminar in Kalifornien hervorgegangen. Luhrmann nennt hier vor allen Dingen Billy Graham, Rick Warren und den Gründer der charismatischen Vineyard-Bewegung (dem Untersuchungsgegenstand von Luhrmanns Buch) John Wimber. Diese neuen Theologen haben zunehmend auf Veränderungen innerhalb der Gesellschaft reagiert, die Luhrmann alle im Zusammenhang mit der Jugend- und Studentenbewegung der sechziger Jahre sieht. Damals hat sich ihrer Meinung nach die gesellschaftliche Anschauung vom Grundrecht auf pursuit of happiness dahingehend gewandelt, dass Staat und Gesellschaft sehr viel stärker für das Ergebnis dieser individuellen Verfolgung des Glücks verantwortlich gemacht wurden und sich nicht mehr nur auf die Schaffung von freiheitlichen Rahmenbedingungen beschränken konnten.
Frau Luhrmann sieht die Bewegung - in den USA mit der Erinnerung an die Hippies verbunden, bei uns in Deutschland an die 68er - als tief von den neuzeitlichen Möglichkeiten der Psychologie durchdrungen. Der damals entstandene Wille, sich durch Therapie einen Weg zum Glück zu bahnen, hat sich - so ihre These - mit den Angeboten der von Haus aus konservativen evangelikalen und charismatischen Gemeinden verbunden. Auch die wollten einen Weg zum Glück anbieten - über den Glauben an einen unendlich liebevollen Gott.
Deshalb haben diese Gemeinden sich nicht mehr darum bemüht, ähnlich wie ihre konservativen Vorgänger die Welt erklären zu wollen, haben den Widerspruch zur Wissenschaft vermieden und sich entsprechend weniger in fruchtlosen Diskussionen um die Schöpfungsgeschichte profiliert. Für die neuen Evangelikalen ist Religion not about explaining reality but about transforming it (handelt nicht von der Erklärung der Realität sondern von ihrer Transformation). Diese Transformation bedeutet nun aber keine Veränderungen der Welt, es ist wichtiger, dass die Welt mit anderen Augen gesehen wird, dass unsr individuelles Schicksal anders gedeutet wird. Das wird durch die Gewissheit vermittelt, dass man sein Leben in die Hände eines unendlich liebenden Gottes geben kann.
Auf diese Weise wird die Religion zu einem Ort, an welchem neue menschliche Fähigkeiten aufgezeigt und eingeübt werden. Religion is the ability to imagine and to trust, Religion ist die Fähigkeit, sich etwas vorzustellen und zu vertrauen. Das wiederum deckt sich vielfach, sagt Frau Luhrmann, mit dem Programm moderner Psychologen.
Frau Luhrmann, die sich am Ende dazu bekennt, in den zwei Jahren bei Vineyard selbst von Gotteserlebnissen überwältigt worden zu sein, betont trotz ihrer offenkundigen Zuneigung zu den modernen Frommen immer wieder die brüchige Grenze zwischen Glauben und Zweifel. I am a fool for Christ, ich bin ein Narr für Christus, bekennt der prominente Charismatiker John Wimber und spricht damit nicht nur seine Leidenschaft für Christus, sondern auch seine Zweifel an.
Stories of doubt and the fear of being foolish are an integral part of what it means to be an evangelical Christian (Geschichten vom Zweifel und von der Angst, närrisch zu sein, sind ein integraler Teil dessen, was es bedeutet ein evangelikaler Christ zu sein). Frau Luhrmann vergleicht die Wirkung der Liebe des lebendigen Gottes an mehreren Stellen des Buches mit der kindlichen Liebe zu einem Stofftier, das ebenso wie Gott in allen Lagen des Lebens zu seinem Freund hält. Die Mitglieder von Vineyard haben keine Einwände dagegen, solche Vergleiche zu ziehen. Es ist gerade so, als ob sie sagen wollten: niemand kann die Existenz eines liebenden Gottes beweisen, aber es ist auf jeden Fall wunderbar, sich an diesem Gedanken festhalten zu können.
Am Ende stellt Frau Luhmann den von ihr untersuchten Christen ein sehr gutes Zeugnis aus: sie kann zwar über Gott als Gegenstand ihres Glaubens nichts sagen, betrachtet aber mit Sympathie das Leben dieser Menschen und findet Zeitgenossen, die vernünftig und verantwortlich handeln und freundliche Nachbarn sind. In den schnell wachsenden Kirchen Lateinamerikas, Afrikas und Teilen Asiens bilden die Gemeinden des evangelikal-charismatischen Weges die Mehrheit, ebenso wie unter den Latinos der USA. Sie stellen dort - das legen andere Untersuchungen nahe - ein durchaus konstruktives Element für die Gesellschaften dar, in denen sie leben.
Wenn das ein vorläufiges Ende der neuzeitlichen Kirchengeschichte ist, kann man sich daran freuen, finde ich.

5 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Lieber Christian,
vielen Dank für die Mühe, Deine Lesefrüchte einzusammeln und für uns aufzubereiten!
Den Einstieg bei der AUFKLÄRUNG halte ich für eine kluge und sachgemäße Entscheidung von Tanya Luhrmann. Die Art der Beschreibung zielt aber auf die gegenwärtige US- Gesellschaft:
"liberal" und "konservativ" sind dort die Schlagworte auch in der gesellschaftlich-politischen Debatte. Die deutschen Begriffe wären m.E. "aufgeklärt" und (im Luthertum) "orthodox".

Nun gab es aber schon im Europa der Aufklärung Gegenbewegungen: Den PIETISMUS im protestantischen, den JANSENISMUS im katholischen und den CHASSISISMUS im jüdischen Bereich.
Der Pietismus etwa nahm die aufgeklärte Forderung nach der eigenen ERFAHRUNG auf und ernst, bezog aber dadurch auch Gefühl und Gemüt in den neu erfahrenen Glauben mit ein.
Gesamtgesellschaftlich bewegte und beantwortete die ROMANTIK die neue Sehnsucht nicht nur nach Gemüt, sondern auch nach bürgerlicher und gesellschaftlicher Freiheit; der FUNDAMENTALISMUS hingegen ist ein Gewächs der US-Gesellschaft - im Umbruch vom 19. zum 20. Jahrhundert - und hat seither weltweit Schule gemacht: als Ausdruck jener "verweigerten Moderne", die in Europa gerade mit der Wende vom 18. zum 19. Jahrh. begann.

In Deutschland war es tatsächlich die LIBERALE THEOLOGIE, die einerseits intellektuell den Schulterschluß mit der Aufklärung versuchte - und andererseits den Anschluß an die Sehnsüchte des Gemüts. Das prägte nicht nur die Theologie vor dem 1. Weltkrieg, das spiegelte sich auch in den neogotischen Kirchenbauten - mit Bildern, die der Schule der NAZARENER verpflichtet waren.
Anzufügen wäre, daß sich zu Beginn des 20. Jahrh. nicht nur der Fundamentalismus zu formieren begann, in diese Zeit fällt auch der Beginn der weltweiten PFINGST-, später der CHARISMATISCHEN BEWEGUNG.

Auch die weitere Beschreibung Luhrmanns kann ich gut nachvollziehen; halte allerdings die In-Eins-Setzung von Hippie- und 68er-Bewegung für unzutreffend - selbst für die USA, wo die STUDENTEN- und BÜRGERRECHTS- BEWEGUNG die Gesellschaft nachhaltig verändert hat. Erst als diese abebbte, kam es in den 70er Jahren zur FLOWER POWER - und in deren Gefolge zur JESUS-BEWEGUNG - auch in Deutschland.
M.E. verhalten sich die Bewegungen der 70er Jahre zu denen der 68er - wie die Romantik zur Aufklärung: Die eine setzt die andere nicht nur voraus, es bewegt beide auch der gleiche, den Einzelnen betonende Impuls, das sehe ich auch so. Dabei gibt es aber einen ebenso kleinen wie gewichtigen UNTERSCHIED: Romantik wie Flower Power setzen eine gewisse Enttäuschung und Ernüchterung von Hoffnungen voraus, die mit den vorherigen Aufbrüchen von Aufklärung und 68er-Revolte verbunden waren; einerseits endete die "Brüderlichkeit" vielfach an der (neu erfundenen!) Guillotine, andererseits die "Revolution" im verbissenen Kampf des Terrorismus.

Daraus folgte - in beiden Fällen - tatsächlich auch eine Ernüchterung im Blick auf gesellschaftliche Utopien, manche zogen sich in die engsten Kreise zurück, andere begannen damit, in vielen kleinen Schritten für gesellschaftlichen FORTSCHRITT zu arbeiten. Mit dem Scheitern naiver Erwartungen begann aber ebenfalls eine gewisse Vernachlässigung gesellschaftlicher Diskurse - und in deren Folge auch eine gewisse Verwilderung gesellschaftlicher Sitten.
Sowohl das 19. Jahrh. als auch die 80er Jahre haben - im Windschatten individueller und Persönlichkeits-Thematik - neue, totalitäre Ideologien ausgebrütet, denen die nur-individuellen Frömmigkeiten sowohl des 19./20. Jahrh. als auch die Wohlfühl-Frömmigkeit der 80er Jahre nicht gewachsen waren. Die Folge war jeweils das Anwachsen totalitärer, faschistoider Bewegungen - zuletzt die des ÖKONOMISCHEN FASCHISMUS, wie der "neoliberal" entfesselte "Raubtier-Kapitalismus" (Jean Ziegler) m.E. zutreffenderweise genannt zu werden verdient.

Christian Runkel hat gesagt…

Lieber Adolf, Deine Analyse ist differenzierter als das, was ich aus Luhrmanns Buch stark vereinfachend herausgefiltert habe. Dank und Kompliment dafür! Was mich interessieren würde, ist, ob Du den Misserfolg der mit der Aufklärung versöhnten Kirchen – egal ob man sie liberal oder staatskirchlich nennt – ebenso siehst wie Luhrmann. Sind sie auf verlorenem Posten, oder kann die Erneuerung und Rückgewinnung von großen Bevölkerungsteilen auch von ihnen ausgehen? Derzeit geht die Erneuerung ja ohne Zweifel fast ausschließlich von den Kirchen aus, die Luhrmann untersucht, besonders was die Dritte Welt betrifft. Was Deine politischen Schlussfolgerungen für die Gegenwart betrifft, so lasse ich sie zunächst einmal so stehen, wie Du sie ziehst. Das ist ein anderes Kapitel.

Unknown hat gesagt…

Lieber Christian,
Du bist mir zuvorgekommen, Ich habe heute morgen noch fortsetzen wollen! Deine politische Toleranz freut mich; erlaube, daß ich oben anknüpfe!

Was folgt nun aus der obigen Analyse als AUFGABENSTELLUNG für den Beginn des 21. Jahrhunderts?
Die ERSTE Aufgabe wäre die AUFGABE VON IDEOLOGIEN, wie sie auch von Luhrmann bei "erfolgreichen" evangelikalen Gemeinden beobachtet wurde; in diesem Fall: die Aufgabe des müßigen "Gezänks" (1 Tim. 6,20) um den "Darwinismus", wobei die Ideologie m.E. in den USA auf beiden Seiten liegt: Darwinismus hat mit dem historischen Darwin so wenig zu tun wie Anti-Darwinismus mit dem historischen Jesus. Für uns im deutschsprachigen Raum ist die ernsthafte Auseinandersetzung um Darwin und den Darwinismus mit ERNST HAECKEL verknüpft.

Nun haben wir zwar gelernt, dem Anspruch auf Fortschritt und Weltverbesserung mit gesundem Mißtrauen zu begegnen, doch liegt hier auch die ZWEITE Aufgabe: Die AUFGABE DER VERENGUNG AUFS NUR-INDIVIDUELLE. Zwar geschieht gerade sie in einer Gemeinde auch natürlicherweise, es bedarf aber dann auch noch einmal der "Bekehrung" zu den tatsächlichen gesellschaftlichen Fragen und Problemen, vor denen wir ohne Christus die Augen lieber verschlössen. Natürlicherweise beginnt auch das "neue Sehen" innerhalb der Gemeinde: Arm und Reich gibt es nicht nur "draußen", jung und alt, Mann und Frau, krank und gesund sind Polaritäten, innerhalb derer wir uns alle bewegen.
Tatsächlich ist fast alles zu sehen, wenn wir die Augen offen haben. So berichtete BILL HYBELS, daß ihm in den letzten Jahren die Dringlichkeit der RASSENPROBLEMATIK aufgegangen ist - durch einen jungen "Schwarzen" in der Gemeinde.

Die DRITTE Aufgabe liegt in der AUFGABE JENER IDEOLOGIE, WELCHE DIE GESELLSCHAFT GERADE (UNEINGESEHENERMASSEN) IM GRIFF HAT. - Es gibt immer kollektive Ideen, welche von einer ganzen Generation und/ oder Gesellschaft Besitz ergreifen - und bei denen sich die selben Leute, die zuvor davon ergriffen waren, hernach an den Kopf fassen... Ich selbst hatte einige Male das Gefühl, von einer kollektiven Idee ergriffen zu werden:
Das erste Mal war es die 68er Revolte: Zu jung, um an ihr beteiligt zu sein, zu brav und wohlerzogen, um auf Anhieb daran Gefallen zu finden, machten mich doch die Reaktionen der "Alten" stutzig; ihr Beleidigtsein und ihre Beleidigungen, ihre teils unverhohlene teils versteckte Feindseligkeit gaben mir zu denken - und bestätigten gerade jene Behauptungen der "jungen Wilden", denen sie zu widersprechen suchten. Besonders bewegte mich das Gefühl eines weltweiten Jugendprotestes (obwohl gerade die "Revolutionäre" das nicht so sehen wollten): Von den Studenten in den USA, in Paris und Berlin - über die Demonstranten in Prag bis zu Maos Roten Garden. - Was war "das"?
Beim zweiten Mal war es das Fasziniertsein von der unerwarteten - aber im Stillen schon ersehnten - Jesusbewegung. Auch dafür war ich "eigentlich" zu bürgerlich geprägt, schaffte es aber, mich - als bewegter Jünger des damaligen Landesjugendpastors HERBERT KRAUSE - dieser Bewegung zu öffnen. Besonders faszinierte mich, daß viele der erlebten Szenen - schon rein äußerlich, durch die Hippie-Kluft vieler Neubekehrter, - aussahen wie die Verlebendigung von Flanellbildern aus der seligen Sonntagsschulzeit...
Die nächste, nach den Seelen greifende "Idee", war eher ein IDEENSTREIT: Dem Abdriften von Teilen der linken Szene in Terrorismus und sein Umfeld - stand die allmähliche Hysterisierung bzw. Versteifung der Gesellschaft auf eine Terrrorismus- BEKÄMPFUNG gegenüber, die ich für ebenso problematisch hielt. Wurden jetzt alle verrückt? - Vor dem Seminar in Hamburg hatte die Polizei Straßensperren errichtet, wo - unter Flutlicht - die Autofahrer kontrolliert wurden. Es war wie im Film (und einige sahen lieber "Fahndung" als "fern"), ich aber fand´s gespenstisch...

Unknown hat gesagt…

Wenn ich, lieber Christian, Deinen Platz noch weiter beanspruchen darf:

Zum Dienstbeginn stand in Hessen (vor dem Bund!) schon die "Wende" vor der Tür: Die Ablösung der ersten rot-grünen durch eine schwarz-gelbe Regierung. Zugelich damit verwandelte sich nicht nur das gesellschaftliche Klima, es wandelte sich darüber hinaus sowohl der gesellschaftliche als auch der internationale ökonomische Diskurs - und mit ihm wandelte sich die Politik von WHO und Weltbank. Die "Chicago Boys" - unter "wissenschaftlicher" Führung des frischgebackenen Nobellpreisträgers MILTON FRIEDMAN hatten Konjunktur - und begannen, die Politik in den USA und GB zu bestimmen - bald auch in der BRD.
Das aber wußte ich damals nicht so, wie ich es heute weiß, fühlte aber, daß etwas gerade Ungeheuerliches nach uns allen griff: ein Medusenhaupt, dessen Schlangen in jeden Lebensbereich krochen - und ihn ökonomisierten, mit einem Blick, der erstarren ließ - von den "Märkten" und der "Standortfrage"... - Waren, so dämmerte mir, nicht auch unsere Vorfahren an der "Rassenfrage" zu Fall gekommen und vom Pfad der Mit-Menschlichkeit abgeirrt?
Daß dies keine reinen Parteiinteressen waren, zeigte sich vor allem in der zweiten Amtszeit GERHARD SCHRÖDERs; daß dies geradezu flächendeckend mit propagandistischer Infiltration und Indokrtination verbunden war, zeigte sich an Sendungen wie SABINE CHRISTIANSEN, wo - wie findige Journalisten entdeckten, zwar Vertreter verschiedener Parteien, von "Wissenschaft" und "Wirtschaft" saßen, aber - oft etwa drei oder vier von fünf Gästen stets dem selben Netzwerk angehörten (der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft")...

Es war ein Künstler, der nach dem ersten Börsenkrach von 2008 sagte, daß sich nun vieles, was wir - bis hinauf zur Nobellpreisträgerebene - in den letzten Jahren über "Wirtschaft" gehört hätten, als Humbug und Blödsinn erwiesen habe, denn sonst hätten diese "Experten" den Crash ja kommen sehen!
Das zu Hören empfand ich wie eine Befreiung, denn je länger desto mehr hatte sich mir die Einsicht aufgedrängt, daß wir es hier mit einer neuartigen und ungewohnt subtilen Ideologie zu tun haben, die aber weder weniger autoritär, noch weniger entmündigend und undemokratisch wirkt als der "klassische", politisch-militärische FASCHISMUS, nur subtiler, doch genau so totalitär.
Da ich vermuten kann, daß solche Aussagen nicht nur Dich, sondern auch einen Teil Deiner Freunde befremden, hier nur EINE Nagelprobe: Angeblich vertritt diese Richtung das Interesse der MÄRKTE; schon das ist gelogen. Märkte waren und werden seit Menschengedenken gesellschaftlich-staatlich privilegiert und kontrolliert, uns aber wurde die "Deregulierung" der Märkte gepredigt. Was aber ist das anderes als die tatsächliche VERSCHWARZMARKTUNG DER ÖKONOMIE? Ein "ungeregelter" Markt ist so wünschenswert wie ein "deregulierter" Straßenverkehr; wollen wir das wirklich? - Aber offenbar ist es schwer, sich des gebannten Blickes wieder zu entledigen...
Der Mut, DIESE IDEE dann tatsächlich auch als ökonomischen Faschismus zu bezeichnen, erwuchs mir aus der Beobachtung, daß ihr Verhältnis zum Markt ähnlich ambivalent ist wie das der Nazis zum "Staat": Während sie dem Volke das Bild eines erstakten Staates zu suggerieren vermochten, wurde der Staat in Wahrheit ausgehöhlt - und zum Erfüllungsgehilfen EINER "Partei" herabgewürdigt. Ähnlich machen die Propagandisten der neuen Ökonomie den "Markt" - unter dem Popanz seiner "Befreiung" - zum Erfüllungsgehilfen MONOpolisierter Interessen - mit dem Konstrukt von "Vertragsfreiheit". Aber es versuche einmal jemand, etwa mit einer Bank einen Vertrag "frei" auszuhandeln, wenn er nur ein "kleiner Kunde" ist...

(Forts. folgt - wenn ich darf..)

Unknown hat gesagt…

Da es aber der AUFGEKLÄRTHEIT bedarf, um diese und ähnliche Zusammenhänge zu durchschauen, geht es m.E. nicht "ohne". DAS war auch schon die Lehre, die etwa unser Lehrer RUDOLF THAUT uns am Seminar vermittelte: Es waren die Vertreter der "modernen", dialektischen Theologie, die den Theologen die Werkszeuge in die Hand gaben, um die Verführung durch das III. Reich zu durchschauen. Daß es daneben auch viele einfache, "unaufgeklärte" Gemüter gab, die in all ihrer Einfalt und ihrem Biblizismus den Nazis widerstanden, ist in diesem Zusammenhang auch von Bedeutung: Offenbar können BEIDE WEGE zur Erkenntnis der Wahrheit führen. Das gilt es nun ernst zu nehmen.

Die VIERTE Aufgabe wäre also DIE ZUSAMMENFASSUNG DER (BISHER GETRENNTEN) ANLIEGEN, was nicht von ungefähr an die Beschreibung erinnert, die der Epheserbrief vom WERK CHRISTI bietet: "Denn er ist unser Friede, der beide Teile zu einem Ganzen gemacht und die Scheidewand des Zaunes, die Feindschaft abegbrochen hat in seinem Fleisch, ... um die beiden in EINEM Leibe mit Gott zu versöhnen.." (2,14.16).
Von einer einmal erworbenen AUFGEKLÄRTHEIT können und sollen wir nicht mehr zurück - oder wenn, dann doch nur zu unseren Schaden, - als liefen wir in die Flamme des zuckenden Schwertes der Cherube, die den Weg zum Baum des Lebens bewachen (Gen 4,24). Wir sollen es auch nicht: "Ihr Brüder, werdet nicht Kinder im Denken, sondern in der Bosheit seid unmündig, im Denken aber werdet vollkommen!" (1 Kor 14,20)
Andererseits gilt es, DAS BEWÄHRTE ZU BEWAHREN, was im schönsten Sinne des Wortes "konservativ" ist: "Selig sind ... die, welche das Wort Gottes hören und bewahren" (Luk 11,28), wobei ein aufgeklärtes Verständnis des "Wortes Gottes" weiß, daß dieses - woher auch immer - als "Einfall" erlebt wird - und sich in verschiedenen "Erfahrungen" bewährt: "Die Reden des Herrn sind lautere Reden, sind Silber, im Tiegel zu Boden geschmolzen, siebenfach geläutert [= bewährt]" (Ps 12,7).

Die ZUSAMMENFASSUNG ist vorderhand nichts, was wir allein zu leisten vermöchten oder leisten müssten; sie ist uns "in Christus" bereits vorgegeben; "in Christus" meint: "als Christ" und "als Gemeinde-/ Kirchen-Mitglied", denn diese ist der "EINE Leib", in dem beide Teile versöhnt sind.
Dabei gilt es zu verstehen, was in (fast allen) "Kirchen" und Gemeinden erfolgreich verdrängt wird: Daß wir alle noch nicht "der" Leib Christi sind; der EINE Leib ist eine "mystische" Größe, bzw. ein Archetypus, den wir meist zwar im Bild "unserer" Gemeinde und Kirche erfahren, aber dabei nicht dem Wahn verfallen sollten, diese sei schon DER Leib Christi. Das sind wir erst ALLE GEMEINSAM, - insoweit wir uns in den EINEN Leib haben hinein-versöhnen lassen (s.o.).

Der Erfolg der US-Evanglikalen ist nur die eine Seite der Medaille: Ihre geringere Aufgeklärtheit entspricht der ihrer eigenen Gesellschaft. Das aber wäre bei uns m.E. nur mit intellektuellem Niveauverlust möglich, was angeht, wenn man nicht viel zu verlieren hat - oder wenn man sein eigenes Niveau unterschreitet, um dabei emotional etwas zu gewinnen; ansonsten wäre es womöglich ein "VERRAT AM SELBST".
Aufgeklärt zu sein ist also ein schweres Erbe, zu dem Mut gehört; wir können es uns aber nicht aussuchen, sondern sind als Deutsche diesem Erbe ähnlich verpflichtet, wie unserem schweren geschichtlichen Erbe. Unsere AUFGABE sehe ich darin, unser Erbe zu bewahren - und uns zu bewähren in der Wahrnehmung und Wahrung dessen, was in Christus schon zusammengehört und zusammengefasst wird.