Ramallah,
27. Januar 2013
Diese
Reise wäre ohne meinen Gefährten Gerd Rieso, Freund aus lange
zurückliegenden Krefelder Tagen, niemals möglich gewesen. Er war der ruhende
Pol in den Planungen und der geduldige, nie klagende Begleiter auf allen Wegen,
Nachbar auf den nicht immer luxuriösen Schlaflagern, Miteigentümer von manchmal nur sparsam vorhandenen
Handtüchern, Testingenieur für den Gebrauch der bisweilen unkonventionellen Duschen, Vorkoster an vielen Tischen,
an denen wir zu Gast waren.
Dabei gab es
in seiner Person, oder besser gesagt: in einem seiner Einträge im Pass, ein
Risiko, das ich nur wenigen Eingeweihten vorher mitgeteilt hatte: sein
Geburtsjahr ist dort mit 1934 verzeichnet. Ja, ich bin mit einem Mann durch das Land gezogen, der in wenigen
Monaten 79 Jahre alt wird! Dabei erschien mir mein eigens Alter, 64, schon nahe
an einer Grenze zu sein, hinter der man Wanderungen wie diese, mit einer Woche Leben
aus dem Rucksack, mit Übernachtungen auf dünnen Matratzen und anderen
Beschwerlichkeiten eigentlich nicht mehr macht.
Am ersten
Tag sah es auch für einige Stunden so aus, als ob das Alter meinen Gerd unsanft
vom Glauben an seine unbegrenzte Wanderfähigkeit (die er das Jahr über wöchentlich in den Wäldern des Rheinlandes erprobt, zusammen mit anderen sportlichen 70ern)
abbringen würde. Etwa nach der Hälfte
der ersten 20-km-Etappe war er gestolpert und hatte offenkundig einen Wirbel in
seinem Rückgrat verrenkt. Krumm gehend und unter dem Rucksack ächzend musste er
die Etappe um ein Drittel verkürzen und ein Taxi zum Zielort nehmen. Ich ging mit unserem Führer
Nedal weiter, ein wenig bedrückt, und sah mich im Geist schon unseren Plan B ausführen: sieben Tage
Vollpension am Toten Meer, Salzwasser- und Mooranwendungen, in der Sonne dösen.
Aber am
nächsten Tag war alles wieder gut, und außer den üblichen Fußproblemen, die wir beide gemeinsam hatten, war unsere Wanderfähigkeit ab dann nie mehr in
Frage gestellt.
Wir sind
nicht nur gewandert, wir haben natürlich auch miteinander geredet, lange
Stunden, ohne müde zu werden. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber das hat
die Sache eher interessant gemacht. Morgens haben wir, wenn Zeit und
Gelegenheit war, einen Vers aus der Bibel gelesen und zusammen gebetet. Unser
Glaube hat uns immer schon verbunden.
Gemeinsam
geübt haben wir das Arabische. Am Ende konnten wir uns artig bedanken („schukran“), nach Wasser fragen (das hebräische "majim" wird überall verstanden und klingt im Arabischen ähnlich), auf unseren Charakter als Wanderer hinweisen (auch hier kann man das hebräische "regäll!" - "Bein!" wie das ähnliche arabische Wort einsetzen, wenn man gleichzeitig beim Sprechen deutlich hinweisend auf den Oberschenkel klopft) und bei der häufigen Begegnung mit Einheimischen die abgekürzte, leicht genuschelte Grußformel „S-am-al-kum“
fließend hervorbringen. Den Kindern, die wissen wollten, wie wir hießen, haben
wir nach einer gewissen Zeit immer Gerds vollen Namen gesagt: Gerhard. „Gerd“
kann hier keiner aussprechen.
Auf einsamen
Strecken trainierte Gerd gerne das kehlige arabische Doppel-L, indem er
unvermittelt das Wort „Ramallah“ in den blauen Himmel rief. Das hat
mich manchmal erschrocken, aber so werde ich ihn in Erinnerung halten, meinen
Ramallah-Gerd.
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