Neben den vielen Theorien und Philosophien über das Wesen und den Zusammenhalt moderner Gesellschaften interessiert sich Charles Taylor in "A Secular Age" besonders für das, was die Menschen unausgesprochen über ihr Zusammenleben mit ihren Mitmenschen wissen. Es ist ein eher intuitives Wissen, eine Vorstellung, Imagination, über die man nicht reden muss, weil sie jedem klar ist.
So wie ein Mensch sich in einem ihm vertrauten Gebiet ohne Landkarte bewegt, so lebt er in seiner gesellschaftlichen Umgebung ohne eine alles umfassende Theorie und hat statt dessen seine "Social Imaginaries", seine sozialen Vorstellungsschemata, wie es in der deutschen Übersetzung heißt.
Taylors Buch beschreibt den langen Weg von der hierarchischen "Imagination" des Mittelalters hin zur demokratischen Vorstellung eines modernen Staates, der vor allen Dingen durch seine Nutzen stiftenden Funktionen herausragt.
Faszinierend sind die Zwischenstationen wie etwa die Zeit des Barock. Hier ist die Welt der absoluten Monarchen zwar noch wie im Mittelalter geordnet, die Herrscher denken aber bereits darüber nach, wie sie sich den Respekt ihrer Untertanen durch den Nutzen verdienen können, den sie durch eine Regierung erzielen können, die gerecht ist und die Sicherheit des Volkes garantiert.
Auch die "invisible hand" des Adam Smith, mit welcher die Anstrengung einzelner Individuen zu einem großen Gesamtnutzen zusammengefügt wird, ist eine "Imagination" zwischen der alten Vorstellung, dass Gott lenkt, und der neuen Idee, dass es auf den Fleiß einzelner freier Individuen ankommt.
Nach und nach entsteht ein Bild, das die Veränderungen nicht nur aus den großen ideologischen Entwürfen einzelner Vordenker herleitet, sondern aus dem Zusammenspiel dessen, was diese Entwürfe - sozusagen als Landkarten - mit den alltäglichen "Imaginations" der Menschen bewirken. Es ist ein sympathisches Bild, weil es lebensnah ist und weil es die Übermacht der Chefideologen bestreitet.
1 Kommentar:
Imaginations: Ich weiß nicht, was dem bei Hegel entspricht, bei Luhmann heißt es Semantik und wird vom Chefdenker als in jedem Fall irriger Abglanz eines Wahren beschrieben, das es nicht gibt.
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