Während unserer Israel-Reise haben wir an einem Abend einen
alten Gelehrten getroffen, der als evangelischer Theologe seit vielen Jahre in
Jerusalem lebt und sich umfangreiche Kenntnisse in jüdischer Gelehrsamkeit und
Frömmigkeit erworben hat. Der Kontakt kam durch die Vermittlung eines Bruders unseres
Reisegefährten Martin zustande und wurde zu einem Höhepunkt unserer Reise.
Der alte Mann war als junger Student zu Fuß nach Israel
gereist und hatte als einer der ersten deutschen Besucher nach dem Krieg das
Land betreten. Durch die Hochzeit mit einer französischen Jüdin hatte er sich
später tief mit dem Land verbunden – sich dabei aber auch seiner eigenen rheinischen
Landeskirche entfremdet, die nur eine evangelische Pfarrersfrau akzeptieren
wollte und seine Ordination deshalb ablehnte.
Glücklicherweise fand die Kirche von West-Berlin aber eine Lösung, ordinierte ihn trotz aller Bedenken zum Pastor und schickte ihn nach Jerusalem, mit dem Auftrag, dort ein evangelisches Begegnungszentrum aufzubauen.
Viele Generationen von deutschen Studenten an der Hebräischen Universität hat er betreut. Was mich an ihm am meisten interessierte, war sein Engagement für die Israel Interfaith Association, eine Organisation des Dialoges, über die er in regen Kontakt zu hohen jüdischen und muslimischen Geistlichen geraten war.
Unsere beiden muslimischen Mitreisenden, Nureddin und Erkan
mit ihren türkischen Wurzeln und deutschen Pässen, hörten interessiert und am
Ende immer wohlgemuter den Worten des gelehrten Mannes zu. Er hatte durch die jahrelangen
Erfahrungen seines Dialoges ganz offenbar alle diejenigen Dogmen des
christlichen Glaubens sozusagen aus dem Schaufenster genommen, die seine nichtchristlichen
Gesprächspartner stören konnten. Nach seiner Meinung solle man in solchen
Dialogen beispielsweise nicht vorrangig von der Trinität reden, von der er in einem
Nebensatz sagte, dass sie von den meisten Christen ohnehin nicht verstanden
werde.
Gemeinsam sei dagegen allen drei Religionen die große Hochachtung,
die sie Jesus von Nazareth entgegen brächten. Darauf könne jeder Dialog aufbauen.
Das Eintreten des alten Mannes für Jesus war beeindruckend. Er sei für ihn der
bedeutendste Mensch gewesen, der je gelebt habe, sagte er, ein bewunderter
Stern am Himmel der großen Menschheitslehrer.
Ob es allerdings wirklich notwendig sei, ihn als Sohn Gottes
zu verehren, das stellte der gelehrte Mann am Ende doch in Frage. Alles das,
was Jesus getan habe, einschließlich des großen Liebeserweises durch seinen
Tod, könne auch einem Menschen zugeschrieben werden, wenn auch nur einem alle überragenden.
Hier waren nun meine christlichen Mitreisenden irritiert und
fragten auf der Rückfahrt im Taxi ganz offen, ob der gelehrte Mann denn überhaupt noch
ein Christ sei. Später erfuhren wir aus dem Internet, dass er gelegentlich in
der evangelischen Erlöserkirche in der Jerusalemer Altstadt predigt und offenbar
weiterhin als evangelischer Pfarrer ordiniert ist.
Mir gefielen seine Worte. In ihnen ist für mich vieles von
dem zusammengekommen, was ich in den letzten Jahren über den Dialog der
Religionen gelesen und auch in persönlichen Gesprächen mit Muslimen erfahren habe.
Gelesen habe ich den türkischen Schriftsteller Mustafa Akyol, der in seinem Buch "The Islamic Jesus" erzählt, wie er als junger Mann das Neue Testament studiert und alle ihm angenehmen Stellen blau und die eher unangenehmen Stellen rot markiert habe. Auf diesem Wege fand er heraus, dass die größte Übereinstimmung mit dem Jakobusbrief herzustellen war – einem Buch, in dem Jesus als der Herr angesprochen und der Geist als innere Einstellung (gegen den Neid) angesehen wird. Eine ausformulierte Trinität gibt es hier nicht.
Die Jakobus-Begeisterung vieler Muslime macht sich an dem „So Gott will“ aus Kapitel 4 fest – es ist genau die Denkweise, die auch den frommen Moslem sein „inschallah!“ sagen lässt.
Gelesen habe ich den türkischen Schriftsteller Mustafa Akyol, der in seinem Buch "The Islamic Jesus" erzählt, wie er als junger Mann das Neue Testament studiert und alle ihm angenehmen Stellen blau und die eher unangenehmen Stellen rot markiert habe. Auf diesem Wege fand er heraus, dass die größte Übereinstimmung mit dem Jakobusbrief herzustellen war – einem Buch, in dem Jesus als der Herr angesprochen und der Geist als innere Einstellung (gegen den Neid) angesehen wird. Eine ausformulierte Trinität gibt es hier nicht.
Die Jakobus-Begeisterung vieler Muslime macht sich an dem „So Gott will“ aus Kapitel 4 fest – es ist genau die Denkweise, die auch den frommen Moslem sein „inschallah!“ sagen lässt.
Auch der amerikanische Missionar Carl Medearis schreibt in "Muslims, Christians, and Jesus" von ähnlichen Erfahrungen. Ihn haben seine muslimischen Freunde im Libanon gerne
ermutigt, seine Seminare über Jesus zu besuchen, aber das erst, nachdem man
sich über verschiedene Freizeitvergnügungen miteinander angefreundet hatte.
Auch für Medearis konzentriert sich die Botschaft von Jesus auf dessen
überwältigende Faszination als Mensch.
Mein Eindruck nach diesem Abend war, dass man aus Liebe zu
seinen jüdischen und muslimischen Mitmenschen durchaus eine Art von Arianer werden kann, der Gruppe, die
bekanntlich im Konzil von Nicäa im Jahre 325 von der Kirche an den Rand
gedrängt wurde, weil sie einen konsequenten Monotheismus predigte. Die Liebe kann uns nicht fehlleiten.
Der gelehrte Mann sagte an einer Stelle, den Juden sei
dieser innerchristliche Streit relativ gleichgültig, sie freuten sich
allerdings darüber, dass sowohl die Christen als auch die Muslime etwas für den
JHWH-Monotheismus getan hätten, indem sie die Tora in die Welt hinaus brachten.
Ich werde für meinen Teil weiter an der Lehre von der
Trinität festhalten. Aber ich merke: mein Herz macht sich viel stärker an anderen
Dingen fest, die in der Person Jesu begründet sind, Dinge, die er gelehrt und
gelebt hat, Dinge, an denen sich auch Juden und Muslime freuen können.
English translation (raw)
English translation (raw)
One evening
during our trip to Israel, we met an old scholar who has lived in Jerusalem for
many years as a prozeszant theologian and has acquired extensive knowledge of
Jewish scholarship and piety. The contact came about through the mediation of a
brother of our travel companion Martin (Michael Quaas) and became a highlight
of our trip.
The old man
had traveled to Israel on foot as a young student and was one of the first
German visitors to enter the country after the war. He had later become deeply
attached to the country by marrying a French Jewess, alienating himself from
his own Rhineland regional church, which only wanted to accept a Protestant as pastor's
wife and therefore rejected his ordination.
Fortunately,
however, the Church of West Berlin found a solution, ordained him in spite of
all concerns as a pastor and sent him to Jerusalem, with the mission to build a
Protestant meeting center there.
He has
looked after many generations of German students at the Hebrew University. What
interested me most about him was his commitment to the “Israel Interfaith
Association”, an organization of dialogue through which he had come into close
contact with high Jewish and Muslim clerics.
Our two
Muslim fellow travelers, Nureddin and Erkan (Necattin and Murat), with their
Turkish roots and German passports, listened with interest and were in the end
more and more glad about the words of the learned man. He had apparently,
through years of experience of his dialogue, taken all the dogmas of the
Christian faith, so to speak, out of the shop-window, if they could disturb his
non-Christian interlocutors. In his opinion, in such dialogues, for example,
one should not speak primarily of the Trinity, of whom he said that most
Christians would not understand it anyway.
On the other
hand, all three religions have the great respect in common that they bring to
Jesus of Nazareth. Anyone can build on that. The high esteem of the old man for
Jesus was impressive. Jesus was for him the most important person who ever
lived, he said, an admired star in the sky of the great teachers of humanity.
Whether it
really was necessary, however, to worship him as the son of God, that was
finally put into question by the learned man. Everything that Jesus did,
including the great demonstration of love through his death, can also be
attributed to a man, person, an outstanding person.
Here were
my Christian fellow travelers confused and asked on the way back in the taxi
quite openly, whether the learned man was still a Christian at all. Later we
learned from the internet that he occasionally preaches in the Protestant Church
of the Redeemer in the Old City of Jerusalem and apparently continues to be
ordained as a Protestant pastor.
I liked his
words. Much of what I have read in recent years came to my mind, about the
dialogue between religions and also in personal conversations with Muslims.
I read the
Turkish writer Mustafa Akyol, who tells in his book "The Islamic
Jesus" how he studied the New Testament as a young man and marked all
pleasant passages blue and the rather unpleasant passages red. In this way, he
found that the greatest consonance was to be found in the Epistle of James - a
book in which Jesus is addressed as the Lord, and the Spirit is viewed as an
attitude (against envy). A formulated Trinity does not exist here.
The
enthusiasm of many Muslims for James is expressed in the "God
willing" from chapter 4 - it is exactly the way of thinking that also
makes the devout Muslim say "inschallah!".
The
American missionary Carl Medearis also writes about similar experiences in
"Muslims, Christians, and Jesus". His Muslim friends in Lebanon
gladly encouraged him to attend his seminars on Jesus, but only after having
made friends with each other through various leisure activities. For Medearis
too, the message of Jesus focuses on his overwhelming fascination as a human
being.
My
impression after that evening was that, out of love for his fellow Jews and
Muslims, it would be possible to become a sort of Arian, the group known to
have been marginalized by the Church at the Council of Nicea in 325 because it preaches
a consistently Monotheism. Love can not mislead us.
The learned
man said at one point that the Jews were relatively indifferent to this inner
Christian dispute, but they were pleased that both Christians and Muslims had
done something for YHWH monotheism by bringing the Torah out into the world.
1 Kommentar:
Lieber Christian,
das ist ein Text , der mir das Herz erwärmt und dem ich fast vollständig zustimme. Ich werde mich demnächst mal nicht öffentlich dir gegenüber etwas länger dazu äußern.
LG
Bernd
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