Mavi Marmara |
Die folgenden Gedanken habe ich vor einigen Monaten in der
türkischen Zeitung "Zaman" gelesen, als diese noch nicht verboten
war. Ich glaube, dass sie richtig sind. Sie haben mich an viele Einzelheiten einer
Zeit erinnert, die ich sehr intensiv durchlebt habe, die Zeit der beiden
Gazakriege 2008 und 2014 und die Veränderungen in der Türkei im gleichen
Zeitraum.
Eine bedeutende Veränderung begann, nachdem am 22. Mai 2010 eine Gruppe von sechs Schiffen, darunter
die „Mavi Marmara“ von Istanbul aus in Richtung Gaza aufgebrochen war, um
Hilfsgüter dorthin zu bringen. Ziel war es, die von Erdoğan als Blockade
bezeichnete Grenzkontrolle Gazas zu durchbrechen und die Hilfsgüter gegen den
Willen der die Kontrolle ausübenden Israelis und Ägypter an Land zu bringen.
Bekanntlich endete die Aktion in einer israelischen Erstürmung der Schiffe am
31. Mai 2010, ein militärischer Einsatz, bei dem es Tote und Verletzte gab und
für den sich Israel später entschuldigen musste. Die israelische
Militäraktion war offenkundig schlecht vorbereitet. Man hatte nicht mit gewaltsamem
Widerstand gerechnet.
Was ich damals bemerkenswert fand, was in den deutschen
Zeitungen aber kaum wahrgenommen wurde, war ein Interview mit Fethullah Gülen zwei
Tage nach den Ereignissen. Er hatte zuvor in den USA keine Interviews gegeben,
und es war von daher sehr bemerkenswert, dass das "Wall Street
Journal" am 2. Juni 2010 zu ihm durchgelassen wurde und mit ihm reden
durfte.
Dieses Datun wude laut "Zaman" zum Tag der Trennung zwischen den bis dahin politisch einander nahen Männern Gülen und Erdoğan. Gülen sagt in dem Interview - zum Staunen der Türken, ja teilweise sogar zum Entsetzen
seiner eigenen Anhänger - man hätte Israel um Erlaubnis fragen müssen.
Das hat kaum jemand in der Türkei richtig verstanden, auch seine
Anhänger nicht. Vielleicht ist es ihnen als eine Form von übersteigertem
Pazifismus erschienen. Die Kommentare selbst in der Gülen-nahen „Zaman“ klangen
jedenfalls alle so, als ob die Redakteure sie mit zusammengebissenen Zähnen
geschrieben hätten. Damals waren selbst die Gülen-nahen Türken noch auf eine
mächtige, außenpolitisch bedeutsame Türkei eingeschworen. Die Aktion "Mavi Marmara" erschien vielen als nationale Heldentat. Gülen dagegen hatte
mit wenigen Worten solcherlei aggressives Türkentum in die Schranken gewiesen.
Bei näherem Hinsehen war damals schon klar, dass Gülen in der Sache Recht hatte. Man hätte die
Hilfsgüter tatsächlich allesamt auf dem Landweg nach Gaza bringen können.
Es gab und gibt einen regen Güteraustausch zwischen Israel und Gaza, man muss
allerdings Listen beachten, auf denen Güter stehen, die für Gaza verboten sind
– etwa Beton, mit dem man Abschussrampen für Kassam-Raketen bauen könnte.
Es war damals ebenfalls klar, dass die lautstarke Erdoğan-Propaganda,
man wolle Gaza „von der Blockade befreien“, in zweifacher Hinsicht falsch war.
Erstens war das Wort von der Blockade falsch, da viele Güter wie gesagt tatsächlich
eingeführt werden konnten, Elektrizität und Wasser etwa bezieht Gaza auch heute
noch aus Israel.
Zweitens war der Wille Erdoğans, etwas Entscheidendes in diesem Gebiet der Welt zu tun, offenbar nur vorgespielt. Er ließ sich in der arabischen Welt für die Gaza Flotilla feiern, es kursierten sogar eine Zeit lang Gerüchte, er würde höchstpersönlich an Bord einer zweiten Flotte gehen und sie begleiten. Im Ergebnis verschaffte ihm das eine gute Presse im arabischen Raum, seine Anstrengungen für Gaza und Palästina wirkten aber eher halbherzig.
Zweitens war der Wille Erdoğans, etwas Entscheidendes in diesem Gebiet der Welt zu tun, offenbar nur vorgespielt. Er ließ sich in der arabischen Welt für die Gaza Flotilla feiern, es kursierten sogar eine Zeit lang Gerüchte, er würde höchstpersönlich an Bord einer zweiten Flotte gehen und sie begleiten. Im Ergebnis verschaffte ihm das eine gute Presse im arabischen Raum, seine Anstrengungen für Gaza und Palästina wirkten aber eher halbherzig.
Der Artikel in Zaman, den ich leider nicht finden kann, weil
Zaman nicht mehr im Internet ist, hat den weiteren Weg des Zerwürfnisses
zwischen Erdoğan und Gülen dann so beschrieben, dass Erdoğan zunächst den Krieg mit Gülen begonnen habe, indem er die Nachhilfeschulen der Hizmet (Dienst)-Bewegung
Gülens, die Dershanes schließen ließ.
Das wiederum hat dann - so meine Theorie - eine
Reaktion von verschiedenen Hizmet-Leuten provoziert, die im Bereich der
Staatsanwaltschaft tätig waren und die eine Vielzahl von Korruptionsfällen im engeren
Kreis um Erdoğan aufgedeckt hatten. Sie haben am 17. Dezember 2013 mit einer
großen Verhaftungsaktion zugeschlagen, die Erdoğan aber sogleich konterkariert
hat, indem er mehr als 5.000 Staatsanwälte und Polizisten ihres Postens enthob
oder versetzte. Die Verdachtsfälle wurden nicht weiter verfolgt und nie
aufgeklärt.
In den Monaten danach hat Erdoğan immer mehr Unternehmen,
die Gülens Hizmet-Bewegung nahe standen in Bedrängnis gebracht und teilweise dazu gezwungen, ihre Operationen einzustellen. Prominentestes Opfer war die Bank Asya, die zur Aufgabe ihrer Geschäfte gezwungen wurde. Schon vor dem Putsch saßen große, bekannte Unternehmer, die der Hizmet-Bewegung
zugerechnet wurden, im Gefängnis. Nach dem Putsch ist die Zahl dann
weiter gestiegen.
Aus einer zunächst guten strategischen Partnerschaft zwischen Erdoğan und Gülen wurde Gegnerschaft und jetzt, nach dem Putsch, für den Erdoğan alleine Gülen verantwortlich macht, eine für die Menschen der Hizmet-Bewegung lebensbedrohliche Feindschaft Erdoğans.
Es ist bemerkenswert, dass die Trennung der beiden Männer am 2. Juni 2010 mit wenigen Worten markiert wurde. Aber es sollte nicht vergessen werden, dass damals Gülen die Wahrheit gesagt und Erdoğan gelogen hat.
Es ist bemerkenswert, dass die Trennung der beiden Männer am 2. Juni 2010 mit wenigen Worten markiert wurde. Aber es sollte nicht vergessen werden, dass damals Gülen die Wahrheit gesagt und Erdoğan gelogen hat.
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