Freitag, 25. Januar 2008

Ein Stück poetische Bibel: Hiob


Ganz zum Schluß seiner Geschichte erscheint dem Hiob die Schönheit. Ihm werden, wiedererstarkt, als kostbarstes Geschenk drei Töchter geboren, deren Namen auch ehrfurchtsvoll im Buch aufgeschrieben sind, Jemimah, Qeziah und Qeren Happuch, die schönsten Mädchen im ganzen Land. Ihr Bild versöhnt den Ausgang der Geschichte, aber für die Schönheit ist nicht nur am Ende des Buches Platz, sie zieht sich in gewisser Weise durch alle seine Kapitel. Ein Glanz schöner Worte ist über dem Reden Hiobs, den Antworten seiner Freunde und schließlich über Gottes bildmächtiger Schlußrede aus dem Sturm. Es ist ein poetischer Reiz, der an manchen Stellen fast das finstere Grundthema vergessen läßt, daß hier ein Mensch im Elend ist.

Vielleicht ist es die Absicht dieses Buches, daß Menschen, die es ihrerseits im Elend sitzend lesen, von der Schönheit der Worte mitgenommen und getröstet werden. Vielleicht tröstet sie mehr als die eher theoretisch-theologischen Erkenntnis, daß es nicht Gottes Sache ist, Gerechte immer und allezeit zu belohnen und Ungerechte entsprechend konsequent zu bestrafen.

Sicherlich ist Gottes zweiteilige Schlußrede min ha-sarah, aus dem Sturmwind, ein Schlüssel zum Verständnis des ganzen Buches, und ich wage zu behaupten, daß dieser Schlüssel im Reichtum ihrer schönen Bilder besteht. Gott gibt in seiner Rede zwar kaum eines seiner Motive preis, aber er läßt in lebendigen Schilderungen seine Schöpfung Revue passieren, endend mit einer prachtvollen Vorstellung der beiden größten Tiere der Welt.

Danach bricht die Rede Gottes im vorletzten Kapitel abrupt ab. Als letztes vor unsere Augen gestellt hat er die erhabene Architektur eines edlen Großwildkörpers, sehr anmutig (das Wort "chen" für eine graziöse Art von Gnade wird hier gebraucht) und so stark, daß Schwerter und Pfeile an seinem Körper wie Stroh abprallen.

Eigentlich hätte man an dieser Stelle erwartet, daß Gott jetzt sagt: und Hiob, was Dein Elend betrifft, so höre auf folgendes. Aber nichts davon. Gott verschwindet sozusagen wieder in seinem Sturm und ein ernüchterter und wortkarg gewordener Hiob faßt in wenigen Sätzen bedauernd das falsche zusammen, was er gesagt hat und bereut apar ve eper, in Staub und Asche. Es folgt dann noch eine kurze Schilderung seiner glanzvollen Wiederherstellung und schließlich, wenige Sätze vor dem Ende, in ungewöhnlicher Ausführlichkeit, der Auftritt der drei schönen Mädchen.

* * *

Schönheit ist der Schlüssel zu diesem Buch. Man darf Gottes letzte Worte, seine Beschreibung der beiden großen Tiere, als etwas genießen, das uns in seiner wohlüberlegten Bauweise und ästhetischen Zweckmäßigkeit einen ergriffenen Schauer über den Rücken jagen will. Wie klug das alles doch ist - und wie schön!

Aber nicht nur Gottes Schöpfung ist schön. Poetisch und wunderbar klangvoll ist auch das, was Hiob in seinen eigenen Reden aus dem Elend hervorgebracht hat. An einer Stelle rezitiert er eine Art von Ballade, in der es um die Suche nach Weisheit geht und die mit den Worten beginnt:

Für das Silber gibt es einen Fundort
und eine Stelle für das Gold,
wo man es auswäscht.
Eisen wird aus dem Erdreich hervorgeholt,
und Gestein schmilzt man zu Kupfer.
Ein Ende setzt man dem Dunkel
und erforscht bis zur äußersten Grenze
den Stein der Finsternis
und des Todesschattens.


Man bricht einen Schacht
fern von dem droben Wohnenden.
Vergessen vom Fuß dessen, der oben geht,
baumeln sie, fern von den Menschen schweben sie.


Die Erde, aus der das Brot hervorgeht -
ihr Unterstes wird umgewühlt
wie von Feuer.
Der Fundort des Saphirs ist in ihrem Gestein,
und Gold ist darin.


Ein Pfad, den der Geier nicht kennt
und den das Auge des Habichts nicht erspäht.
Nie gingen die Söhne des stolzen Wildes auf ihm,
nie beschritt ihn der Löwe.

Diesen eindrucksvollen Bildern folgen weitere 20 Verse des Kapitels 28, die zusammen einen der poetischsten Abschnitte der Bibel bilden. Der Gang des Liedes steigert sich am Ende zu der scheinbar unlösbaren Frage: wo ist Weisheit zu finden? Und es schließt wie mit eine gewaltigen Schlußakkord in der Erkenntnis, daß die Weisheit in der Furcht Adonais besteht.

Das alles ist von hohem ästhetischem Reiz, und man könnte aus dem Buch Hiob fast schließen, daß Gott am liebsten in Bildern redet, in schönen Bildern. Nun ist allerdings zunächst einmal die drängendste Frage des Hiob, warum Gott nach Hiobs Eindruck schweigt und überhaupt gar nichts redet zu all den Dingen, die Hiobs Leben unerträglich machen. Hiob leidet unter Gottes Schweigen und wirft es ihm vor.

Die Stellungnahme seiner Freunde (die hier in einer Skizze von Rembrandt abgebildet sind) zu diesem Angriff auf Gott ist bemerkenswert: nein, er redet doch, sagen sie, es mag selten sein, aber er redet trotzdem. Wie redet er?
In Träumen und Nachtgesichtern, wenn tiefer Schlaf auf den Menschen fällt (Kapitel 33,15).

Eine solche Rede im Traum stellt ebenfalls eine bildhafte Sprechweise dar, und auf sie ist der Mensch vielleicht also immer dann angewiesen, wenn ihm beim Hören auf die Worte Gottes und beim Bedenken seiner Handlungen kein rechter Sinn aufgehen will. Eine solche Sinnkrise wäre also der Zeitpunkt, wo Gott Bilder einsetzt, schöne Bilder, wo er den Sinneseindruck nutzt – und hier einmal ausnahmsweise nicht in der Klarheit von Wort und Gedanken erscheint.

Ich möchte hier nichts sagen, was sich gegen die Tradition des Wortes, also des offenbarten Gotteswortes richten könnte. Juden und Christen stehen in der Treue zum hellen und logischen Reden Gottes, zur Wortrede, nicht zur Bilderrede. Aber es ist nicht zu bestreiten, daß die Stelle des tiefsten Elends im Alten Testament gleichzeitig die Stelle vieler seiner schönsten Bilder ist.

Selbst die Not erscheint in einem poetisch verklärtem Licht: die Pfeile Schaddais des Allmächtigen sind in mir, daß ihr Gift zu trinken bekommt mein Geist, sagt Hiob in Kapitel 6,4. Eine andere Stelle ist in der Vertonung von Johannes Brahms weltberühmt geworden: Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen, und das Leben den betrübten Herzen? (Kapitel 3,20). Es sind allesamt starke, bildhafte Worte, die sich hier finden, und die in ihrem ästhetischen Reiz vielleicht schon einen leisen Trost bewirkt haben, lange bevor ihr wörtlicher Sinn dann später auch unser waches Bewußtsein erreicht.

Der Inhalt tritt dagegen oft zurück. Das mag an manchen Stellen für uns Heutige auch an der Unübersetzbarkeit vieler Worte liegen, der Fußnotenapparat der Elberfelder Bibel mit seinen vielen alternativen Übersetzungen gibt Zeugnis davon. Das Reden der Freunde und die Gegenreden Hiobs kann man sich als Gedanken eines einzigen, uns nicht immer zugänglichen Geistes vorstellen, der seine unterschiedlichen Theorien von Gott in seinem Kopf hin und her wälzt, ohne zu einem schlüssigen Ergebnis zu kommen. Die Freunde irren dabei nicht immer und auf der ganzen Linie, sie sagen im Gegenteil etwa in Kapitel 22 und 36 richtig voraus, daß das Elend ein Ende haben wird und daß Hiob seinen Besitz zurückerstattet bekommen wird.
Wenn sie trotzdem am Ende Gottes Zorn trifft (den Hiob aber durch ein Opfer abwenden kann), dann möglicherweise nur deshalb, weil sie nicht die ganze Tiefe des Leidens und Fragens durchschritten haben wie Hiob.

* * *


Ich behaupte: das Buch Hiob ist ein schönes, ein poetisches Buch. Ich habe es in den letzten Wochen meiner Frau am Tisch vorgelesen, Kapitel für Kapitel, und war immer neu davon überrascht, wie stark und bildhaft seine Worte sind. Am Ende erhielten wir das Geschenk der Begegnung mit Jemimah, Qeziah und Qeren Happuch, den drei Schönheiten. Im Nachhinein betrachtet waren sie aber wohl schon von Anfang an ein Teil der Geschichte.

P.S. Die Bilder drei oberen Bilder sind von William Blake, Rembrandt und Georg de la Tour, das letzte Bild war im Internet nicht bezeichnet, es gibt aber ein ähnliches, farbiges Bild, das ebenfalls von Blake ist.

William Blake (1757 - 1827) hat sich intensiv mit der Illustration von Hiob beschäftigt. Er war ein vielseitiges Genie. Schüler lernen sein Tiger, Tiger, burning bright im Englischunterricht, auch der Text des berühmten Jerusalem, das in der Last night of the proms gesungen wird, ist von ihm.

Mittwoch, 9. Januar 2008

Change


Gedanken am Morgen meines 59. Geburtstages.

Was in diesen Tagen die Welt bewegt, ist für viele Leute in dem Wort "Change" zusammengefaßt. In den USA, wo Hillary Clinton gerade gestern die zweite Runde der Vorwahlen gewonnen hat, streiten sich die Präsidentschaftskandidaten darum, wer am glaubwürdigsten den als notwendig empfundenen Wechsel verkörpert. Der schwarze Kandidat Barak Obama wird als einer angesehen, der das am besten von sich behaupten kann, aber auch die anderen tun alles, um sich als agents of change zu präsentieren.

Da will ich dann auch einmal einen Wechsel melden. Er wird aufgrund des schönen Geburtstagsgeschenkes, das Christiane mir heute morgen machte, notwendig. Ich bekam nämlich eine Wanduhr, siehe das untenstehende Foto. Sie soll die alte, nicht mehr reparable Uhr im Eßzimmer ersetzen, die Christiane mit in die Ehe gebracht hatte.

Die neue ist eine echte Uhr, also mechanisch, mit einem Pendel und einem recht schweren Gewicht an der Kette. Sie ist zierlicher als die alte Uhr und hat deshalb nicht deren Platz an der breiten Wand neben der Küche bekommen, sondern einen Platz gegenüber, an der Wand zum Eßzimmer.

Und nun also der Wechsel, ein großer Schritt für mich, ein kleiner für die Menschheit. Er besteht darin, daß ich, der die Uhr als alter Antreiber der Familie im Auge haben soll, nun so sitzen muß, daß ich die Uhr auch wirklich sehen kann. Also tausche ich meinen Platz mit Christiane und gebe nach fast dreißig Jahren den Blick in die Küche zu Gunsten des Blickes in den Garten auf, was nebenbei der schönere Blick ist. Von hier aus kann ich unseren kleinen Sprudelstein-Brunnen sehen, es ist idyllisch!

Erneut werde ich an das kleine Glück erinnert, das ein alter Römer* so definierte "Wenn du zu einer Bibliothek noch ein Gärtchen hast, fehlt nichts".



Dankbar erinnere ich mich auch an den Architekten unseres Anbaus, Herrn Axel Buchen, der uns die Fußbodenheizung empfahl und damit die Möglichkeit eröffnete, die Fenster ohne Brüstungen bis zum Boden zu führen. So haben wir den Garten ein wenig ins Haus hineinholen können.

Übrigens schlägt an der Uhr ein kleines silberhelles Glöckchen zu jeder vollen Stunden einmal kurz an. Das soll uns jetzt wohl daran erinnern, die Zeit besser zu nutzen.


Ein weiterer Wechsel droht zunächst nur, wäre aber schmerzlich: die große Kastanie vor dem Haus zeigt in den letzten Wochen starken Pilzbefall. Ich fürchte, daß es Zeichen für das nahe Ende dieses wunderbaren Schattenspenders ist. Er würde beim Umfallen im Sturm großen Schaden anrichten. Ich werde in diesen Tagen einen Baumspezialisten befragen, ob die Standsicherheit noch gegeben ist. Die Antwort wird vermutlich wenig erfreulich ausfallen.


* Cicero: „Si apud bibliothecam hortulum habes, nihil deerit.“