Dienstag, 29. Juli 2008

Eintausend Besucher


Heute wird der tausendste Besucher erwartet, der Zähler steht am Morgen auf 997. Wer immer Du bist, Mr. oder Mrs. Thousand: sei willkommen und meiner tiefen Liebe versichert!

Samstag, 26. Juli 2008

Blogs (II) – Wege zu meinen fernen Nächsten


Vielleicht würde ich als amerikanischer Bürger Barack Obama nicht einmal wählen, aber ich verehre ihn trotzdem als einen, der die Veränderungen dieser Welt besser versteht als manche andere. Daß man herumreist und sich von unterwegs mit der Botschaft an seine Leute wendet „seht her, auch bei den anderen finden meine Worte Gehör“, das werden ihm noch viele nachmachen. Es ist eine zutiefst sinnvolle und sinnstiftende Aktion.

Obama liest das Internet. Er vermittelt nach meinem Eindruck sehr klar, daß über die Blog-Sphäre einzelne Gesichter deutlicher hervortreten, daß Einzelschicksale greifbarer und damit auch besser in politische Handlungen integrierbar werden.

Ich will unten ein paar Beispiele liefern - etwa wie aus „den Japanern“ ein Mann Namens Hiromiti wird und wie statt des namenlosen „Indiojungen aus Peru*“ ein Herr Luis Miguel Huertas (linkes Foto, der Mann rechts) vor unseren Augen erscheint, wie er sich „Por la Paz y Democracia“ einsetzt.

Natürlich kann das Internet auch eine Enttäuschung sein, wenn man sieht, in welcher gigantischen Masse von Menschen man als Einzelner untergeht. Aber man bekommt doch auch einen Begriff davon, daß jeder Mensch sein eigenes Gesicht hat, seinen Wert.

Ich habe in schneller Folge auf das Feld „nächstes Blog“ über diesem Blog getippt, da kommen solche Blogs nach einem Zufallsverfahren heraus, die gerade frische Posts veröffentlich haben.

Hier eine Auswahl:

Trixie, Philippinen,13, die aus ihrem Schülerinnenleben erzählt.

Hiromiti aus Japan, der in seinen eigenen Schriftzeichen schreibt, die ich nicht lesen kann, aber neben schönen Eisbären-Bildern auch appetitliche Sushi-Fotos macht (siehe rechts).

Ein älteres australisches Ehepaar, das seit zwei Jahren mit dem Wohnwagen im Land unterwegs ist.

Renata Ribaldi, 27, eine Designerin, die in Spanisch aus Singapore berichtet.

Sarah Coincidence, die ein bißchen astrologisch aus der Gegend von Grenoble schreibt. Ob sie wirklich so heißt?

Mehre Australier, die ihre Restaurantbesuche penibel fotografieren und bewerten.

Charles Ben May, Schweden, der moderne Kunst ins Netz stellt.

Ein Ingenieur aus den USA, der allen erklärt, wie Turbinen funktionieren.

Sniffi, eine Studentin aus Finnland, die Lakritz und Eis zu „Lakritsatuutti“ kombiniert.

Tama-Chan, Bürofrau, ca. 25, die in Tokyo arbeitet, aber offenbar aus einem anderen Land (ich vermute Korea) kommt, „Excited for what God has for me here!“ ansonsten fremde Schriftzeichen.

Maria, 48, aus Lissabon, die nachdenkliche Worte und schöne Bilder ins Netz stellt.

Mumu, 32, Immobilien- „Assistante“ aus Frankreich, die ihre Eltern und Großeltern vorstellt und den noch neuen Blog schlicht „Ma Vie“ nennt.

Kid, 14jähriges Mädchen aus Finnland (das Lieblingsbuch ist jedenfalls „Älä usko älä toivo älä rakasta“, das ist doch Finnisch, oder?), fotografiert u.A. ihre Haustiere. „There is no one in the world that could replace you“, sagt sie ihnen.

Seb Per aus Frankreich , der amerikanische Städte fotografiert.

Ein Russe aus Ижевск, der verfallene Industriegelände fotografiert.

Espiga, ein Junge aus Spanien, der eine Fan-Seite für seinen Fußballclub betreibt.


Und noch andere;

Marianne aus Oslo lernt das Bergsteigen, indem sie sich mit anderen an großen Steinbrocken nach oben hangelt. "Kald Stein undar Fingra", ja, das verstehe ich auch.

Djoni aus der Türkei fotografiert Pflanzen. Schön.

Paty aus Brasilien, hat ein schönes rundes Gesäß und läßt sich deshalb gerne knapp bekleidet von hinten ablichten. Kinder und Jugendliche bitte hier nicht klicken.

Amir Hamza aus Malaysia schreibt so, daß man meint, es fast verstehen zu können „Sempat bergambar di Gua Silat“, das hört sich doch ganz vernünftig an!

Jonatan Moutinho, 45, CAD-Techniker aus Portugal ist auf Reisen in London und berichtet von „aventura por terras de sua majestade“

Die 1968er Absolventen der Mennonitenschule in Kalona, Iowa, haben sich wieder getroffen (Foto links). Lauter alte Leute. Wie ich.

Eine eher kommerzielle Seite berichtet über Filme, die nach indischem „Bollywood“ aussehen, aber wohl aus Sri Lanka und Malaysia kommen „Desiwood“.

Karla in Tschechien ist vor ein paar Wochen zur Welt gekommen und wir dieser jetzt präsentiert.

Jéssika Perereca (rechts), 16, mit Zahnspange, aus Brasilien will „Encontarar novos amigos“ und Harry Potter lesen.

Die Sluders in Kentucky haben eine Ferienbibelschule besucht und verlebten danach noch einen Küstenurlaub, der geringfügig von Quallen gestört wurde.

Antonella, 16, aus Argentinien, erzählt aus ihrem Leben.

Mama de Chili“, 34, und ihr Mann in Kalifornien haben eine neue Küche bekommen. Das ist auch nötig, denn man erwartet ein Baby. Außerdem wurden der Katze „Chili“ fünf Zähne gezogen. Das arme Tier!

Luis Miguel Huertas wurde in San Juan de Miraflores (Peru) bei einer Parteiveranstaltung („Por la Paz y Democracia!“) in einem kleinen, geschmückten Raum vereidigt (?), er hebt jedenfalls feierlich die Hand. (Foto oben auf der Seite)

Die Bibliothek im früher ostpreußischen Allenstein (Olstynie in Polen) hat Tanzgruppen aus Mexiko, Brasilien und Portugal zu Besuch, siehe Foto.

Die Larsens in Kalifornien haben eine neue Garageneinfahrt und reparieren gerade das Dach ihres Hauses.

Viel Glück für euch alle, ihr meine fernen Nächsten!


* Es gab in den 60er Jahren einen Schlager "Der Indiojunge aus Peru, der will leben so wie du". Das haben alle gesungen, aber was konnte man sich unter diesem Jungen schon vorstellen? Mit dem Internet kommen diese Leute nah, und auch ihr spürbarer Wille, daß sie mit aller Kraft leben wollen "wie du".

Freitag, 25. Juli 2008

Blogs (I) - Obamas Blogger im Iran



Ausnahmsweise hier ein kleines bißchen Politik.

Mir gefiel die Stelle, als Obama in Berlin Menschenrechte für den Blogger im Iran einforderte:

Will we stand for the human rights of the dissident in Burma, the blogger in Iran, or the voter in Zimbabwe?




Man mag den Auftritt wegen seiner auf Effekte ausgelegten Planung kritisieren (obwohl jede gute Rede natürlich ihre geplanten Effekte hat), aber es hat einige Worte in der Rede gegeben, die ich bemerkenswert fand, und die ein deutscher Politiker so nie sagen würde.

Ich halte drei davon fest:

This is the moment when the world should support the millions of Iraqis who seek to rebuild their lives, even as we pass responsibility to the Iraqi government and finally bring this war to a close.

Just as American bases built in the last century still help to defend the security of this continent, so does our country still sacrifice greatly for freedom around the globe.

The walls between races and tribes; natives and immigrants; Christian and Muslim and Jew cannot stand. These now are the walls we must tear down.

Dienstag, 15. Juli 2008

Der Blick der Eule



Heute morgen gab es einen dumpfen Schlag an unser Wohnzimmerfenster. Ein großer Vogel war gegen die Scheibe geflogen - eine Eule. Sie blieb für lange Zeit, sicherlich über eine halbe Stunde lang, betäubt auf den Waschbetonplatten im Garten liegen.




Zunächst gelang es mir, sie dazu zu reizen, sich vom Rücken auf die Füße zu drehen, dann wurde sie aber zunehmend schwächer. Als ich schon fast von ihrem sicheren Tod ausging, die Augen waren geschlossen, der Kopf hing dicht über dem Boden, schlug sie plötzlich ihre Augen wieder auf, sah mich ruhig und, wie mir schien, eine Ewigkeit lang wie aus zwei tiefen blauschwarzen Seen an und flog dann mit sicherem Flügelschlag und ohne Anzeichen einer Verletzung davon.

Ich werde diesen letzten Blick, der vollkommen wach und klar war, nie vergessen. Er beunruhigt mich noch immer, jetzt, viele Stunden später.

Donnerstag, 10. Juli 2008

Willkommen in der Welt der Blogs, Peter!


Ein Blog ist ursprünglich "sächlich", wie ich jüngst gelernt habe, neutrum: das Blog - und nicht, wie ich bisher immer gesagt habe der Blog. Vermutlich läßt sich der Genus von "das Web-Logbuch" ableiten. Es gibt einen kompletten Blog zum Thema "der oder das" - 'tschuldigung: es gibt ein komplettes Blog.

Heute begrüße ich im Reich der Blogs meinen Freund Peter Oberschelp, der sich auf das Thema W.G. Sebald geworfen hat und jetzt dabei ist, nach und nach einige kenntnisreiche Gedanken zu Sebalds Büchern zu veröffentlichen.

Ich dürfte bei der Einrichtung seines Blogs ein wenig technisch Pate stehen und habe also das Werk der Liebe aus der Nähe betrachten können, als es entstand. Ich empfehle es hiermit meinen Lesern.

Mittwoch, 9. Juli 2008

Nedstörtad Ängel



Mit großem Gewinn habe ich in den letzten Tagen das kleine Buch Der gestürzter Engel von Per Olov Enquist gelesen. Es hat am Ende einige Passagen, welche Dinge aussprechen, die fast unsagbar sind. Und weil diese unsagbaren Dinge an Gedanken und Überlegungen rühren, die ich schon einmal versucht habe, in der Beschäftigung mit Jesaja niederzuschreiben, will ich ein wenig von Enquists Buch berichten.

So wie der leidende Gottesknecht in Jesaja keine Gestalt noch Schöne hat (Jesaja 53,2 in altem Luther-Deutsch), so haben auch zwei Hauptfiguren des Buches, der mit zwei Köpfen geborene Pasqual Pinon und der junge Mörder, dessen Namen das Buch nicht nennt, Züge, die uns abstoßen. Und so wie der Gottesknecht mit seinem Leid bewirkt, daß andere Menschen Heil erlangen, so bringen auch die beiden abschreckenden Figuren am Ende der Geschichte eine Art von Versöhnung und Heilung in die Welt, die vor dem Hintergrund ihres Lebens sehr unglaublich erscheint und sich wie gesagt eigentlich kaum beschreiben läßt.

Pasqual Pinon, der Mexikaner mit dem Frauenkopf, der aus seiner Stirn herauswächst, eine historische, wenn auch von Enquist mit viel Fantasie ausgeschmückte Figur, wird zunächst lange Jahre als Attraktion eines Wanderzirkus herumgereicht. Am Ende findet er zu einer kleinen Sekte in der Nähe von Los Angeles. Deren Mitglieder sind allesamt verunstaltet - sind mit einer Reptilienhaut versehen oder wie ein Tier behaart, tragen Gesichtszüge wie ein Elefant oder ein Hund, und vieles mehr - und sie feiern dunkle Gottesdienste, denen vermutlich keine etablierte Kirche ihren Segen geben würde.


Aber sie feiern sie in einem besonderen Bewußtsein:

Sie waren damit betraut, die äußerste Grenze der Erde und des Menschen zu bewachen, als Verteidigung für die Geringsten. Sie verstanden jetzt, daß diese Monster in Wirklichkeit geschaffen waren als ein Glaubensbekenntnis an den Menschen, den heiligen Menschen, unkränkbar als Prinzip und daher ständig gekränkt, einzigartig, wie deformiert seine Gestalt auch immer sein mochte.

Und so wie die mißgestalteten Menschen in Los Angeles wider alle Äußerlichkeiten auf verquere Art und Weise den Glauben an den Menschen hochhalten, feiert auch ein Ehepaar in Schweden, das im Buch nur „K“ und „seine Frau“ heißt, die wiedergefundene Liebe zueinander, die zuvor auf grausame Weise gestört worden war.

Die Frau hatte sich eines Jungen angenommen, der ohne erkennbare Motive ein Kind ermordet hatte, der Junge bringt erneut und wieder ohne erkennbare Motive ein Kind um, die kleine Tochter von K und seiner Frau. Die Ehe der beiden zerbricht. Nach langem Zögern nimmt auch der Ehemann Kontakt zu den Jungen auf und findet schließlich eine Beziehung zu ihm. Diese geht jäh durch den Selbstmord des Jungen zu Ende.

Als Enquist (rechts ein Foto von ihm, er ist 1934 in Schweden geboren)zusammen mit K die Habseligkeiten des Jungen verpacken und an dessen Verwandte schicken will, findet er zu seiner Überraschung ihn und seine Frau versöhnt:

Und nun standen diese zwei Menschen, die ich seit 20 Jahren so gut kannte und die ich niemals verstanden hatte, und nicht ihre Liebe, vor allem nicht ihre Liebe, nun standen sie ganz still vor diesem entsetzlichen Hintergrund und umarmten sich. Ihr Kind war ermordet, sie hatten das geliebt, und der Junge, den sie auch geliebt hatten, war auch fort, und sie hatten versucht, Fragen nach dem grundlosen Bösen und nach der grundlosen Liebe zu stellen, aber keine Antworten gefunden.

Eine der Frauen in Enquist Roman notiert in ihr Tagebuch:

Ich sterbe glücklich, weil ich der einzige Mensch bin, der weiß, daß ich um meiner selbst willen geliebt worden bin.

Ein solcher Satz gehört sicherlich zum Gedankengut vieler frommer Menschen in der Welt. Insofern hat er vielleicht einen fast alltäglichen Klang. Bei Enquist sagt ihn allerdings eine kleinwüchsige, am ganzen Körper und auch im Gesicht abstoßend behaarte Frau, kurz bevor sie nach der Geburt ihres ersten Kindes, das ebenfalls nicht überleben kann, stirbt.

An dieser Stelle leuchtet etwas von der "grundlosen Liebe" auf, über die Enquist schreibt, und die vielleicht erst vor dem Hintergrund des grundlos Bösen und des grundlos Mißgestalteten ganz verstanden werden kann.

Zwischendurch notiert Enquist die Worte:

Agape: sich nicht der Vergebung verdient machen müssen.

Mittwoch, 2. Juli 2008

Türkische Invasion










Herr Necattin Topel, 39, ist ein ebenso gebildeter wie frommer Mann, der Vater von drei Söhnen und Inhaber einer Apotheke in Solingen. Ich lernte ihn vor etwa einem Jahr kennen, als der von ihm geführte Verein "Spektrum" Türken und Deutschen zu einem gemeinsamen Ramadan-Essen in Remscheid einlud.



Der Verein tritt für " Bildung und Dialog " ein, und Herr Topel verdient sicherlich das Kompliment, daß er beides in besonderem Maße verkörpert. Er ist mit 10 Jahren nach Deutschland gekommen und hat einen nicht ganz einfachen Bildungsweg über die Hauptschule zum Pharmaziestudium genommen, dabei eher gehindert als gefördert durch die nicht ganz einfachen Lebensbedingungen in einem problematischen Wohnviertel in Köln-Chorweiler. Sein Verein hat es sich zum Ziel gesetzt, den Kindern von türkischen Migranten durch gezielte Förderung zu helfen, eine gute deutsche Schulbildung zu erhalten. Dabei soll das Interesse an der deutschen Lebenswelt geweckt werden, was nach dem Verständnis dieses Vereines nur im Wege über den Dialog möglich ist.

Herr Topel ist aber auch ein frommer Mann, der mich bei zwei Besuchen in meinem Haus jeweils etwa um zehn Uhr abends um ein sauberes Handtuch gebeten hat, damit der in meinem Wohnzimmer sein Abendgebet verrichten kann. Wir haben gemeinsam festgestellt, daß Mekka etwa da liegt, wo man hingelangt, wenn man eine gedachte Linie zwischen meinen Fernseher und mein Klavier zieht.

Vor ein paar Tagen nun schrieb er mir eine eMail und sagte, eine türkische Schulklassen sei zu Besuch in Solingen und wolle "eine Kirche und eine deutsche Familie" sehen. Das erschien mir eine einfache Übung zu sein, war es am Ende auch, brachte aber im Ergebnis einen ereignisreichen Tag mit sich, an den ich mich noch lange erinnern werde.

Die 10 jungen Türken im Alter von etwa 16 Jahren erschienen pünktlich mit ihrem Lehrer und zwei deutschen Türken als weiterer Begleitung am vereinbarten Treffpunkt in meiner Baptistenkirche und ließen sich erst einmal von mir die Geschichte von Johannes dem Täufer erzählen, der auch im Koran kurz vorkommt und dort Yahya heißt. Die örtliche Presse nahm ein Bild auf*, das eine Horde junger Türken am Rande unseres großen Taufbeckens zeigt, die Fragen der Jungen waren interessiert (so etwa die Frage ob Kinder getauft werden müssten, weil sie nach christlichen Glauben bereits mit Sünden behaftet geboren werden), die Tatsache, daß ein solcher Austausch zwischen Muslimen und Christen überhaupt möglich ist und noch dazu an einem solchen Ort, schon recht erstaunlich.

Zu meinem persönlichen Glück trug danach ganz nebenbei eine organisierte Rundführung durch das Remscheider Rathaus bei, bei dem ich zum ersten Mal in meinem Leben die Gelegenheit bekam, meine Heimat vom 60 m hohen Rathausturm aus zu betrachten. Ich war bisher erst einmal auf diesem Turm gewesen, das war vor sieben Jahren und bei dichtem Nebel. Heute schien wunderbar die Sonne.

Ich hatte den jungen Türken in meiner Gemeinde etwas auf der Orgel und dem Klavier vorgespielt und versucht, sie zum mitsingen zu bewegen, was aber nicht gelang. Zu meiner Überraschung begannen sie dann aber doch spontan zu singen, als Pfarrer Martin Rogalla von der zweiten Kirche, die wir besichtigten, der altehrwürdigen Remscheider Stadtkirche, zu unserer Begrüßung vom Turm das Glockenspiel "Alle Vögel sind schon da" erklingen ließ. Dieses Lied war bekannt, die Türken sangen es mit. Als dann zum Programm der Führung durch die Stadtkirche auch eine Vorführung der Orgel eingeschoben wurde, habe ich über die besagte Melodie ein wenig auf der schönen Pfeifenorgel improvisiert und die jungen Leute schließlich auch zum Mitsingen gebracht. Der Pfarrer war sichtlich beeindruckt, ein solches Lied an einem solchen Ort von einem solchen Chor zu hören.

Der Abend klang in unserem Garten aus, in einer wunderbar warmen Sommernacht. Berge von Nudeln wurden verzehrt, am Ende waren - uns und weitere späte Besucher eingeschlossen - fast zwanzig Leute satt. Das von Schwiegersohn Sören bei uns eingeführte schwedische Kupp-Spiel erfreute jung und alt, der türkische Lehrer, von allen nur "Hodscha" gerufen brillierte durch präzise Würfe (und wird Kupp jetzt sicher in Antalya einführen).

Ich saß spät inder Nacht noch alleine im Garten und wunderte mich, wie einer, dem seine Nächsten manchmal den Kopf waschen, weil er wieder einmal die "reine Lehre" vertreten und alle möglichen Menschen ausgegrenzt hat, eine solche Freude dabei empfinden kann, wenn er so gänzlich fremde Leute in seinem Haus versammelt sieht.

Vielleicht geht der Weg zu einer größere Liebe zu den Menschen am einfachsten über eine unverdiente und als ein Geschenk zu uns kommende Freude über den Reiz und die Faszination des Fremden. Ich will hier zumindest in diesem einen Punkt den Gedanken des türkischen Frömmigkeitspredigers Fethullah Gülen, vom dem mir Herr Topel ein Buch geschenkt hat, ein wenig folgen und etwas von seinem kindlichen Glauben übernehmen, daß Gott es in der Welt überall gut eingerichtet hat. Dieser Glaube fehlt mir, zumindest in dieser Einfachheit, aber ich will doch gerne erkennen, daß Gott eine fast unendliche Zahl an liebenswerten Menschen geschaffen - oder wie es John Updike etwas bildhafter gesagt hat: es ist ein Wunder, daß Gott nicht die Gesichter ausgehen. An diesem Abend habe ich bei Senih, Ömer, Selcuk, Fatih, Hakan, Batuhan und ihren Freunden gesehen, daß es stimmt.

Vieleicht ist diese Erkenntnis der Anfang einer größeren Versöhnung mit den ansonsten ja oft als unweise und ungerecht empfundenen Einrichtungen auf dieser schönen, armen Welt.


*und berichtete am nächsten Tag freundlich.