Montag, 28. Dezember 2009

Geschenke






Es gab auch in diesem Jahr viele schöne Geschenke. Auf zwei davon möchte ich besonders aufmerksam machen. Da ist einmal der Schalke-04-Pullover, den mir mein Arbeitskollege Guido Lammert schenkte. Er trug vor ein paar Wochen einen gleichfarbigen Pullover und hatte sich gemerkt, daß mir das schöne Himmelblau gut gefiel. Nun habe ich also ebenfalls einen.


Und da ist die neue CD von Julian und Roman Wasserfuhr, welche die beiden in Schweden mit dem Weltklasse-Posaunisten Nils Landgren produziert haben. Die beiden jungen Männer kommen aus unserer Nachbarstadt Hückeswagen. Julian, 21, spielt eine wunderbar weiche Trompete, sein Bruder Roman, 24, kongenial Klavier. Bei Roman habe ich ein wenig Unterricht gehabt, weshalb er mir die CD als "Schüler" signierte. Man spürte der Musik ab, daß die beiden sich blind verstehen und sehr fein aufeinander eingehen.














Freitag, 25. Dezember 2009

Das Weihnachtsbild (mit Ergänzung)






Von links: Matthias, Tina, Vater, Mutter, Sören, Carolin, David, Adrienne, die letzteren als Gäste vom Genfer See. Ergänzung: es fehlt, weil bei den eigenen Eltern ein paar Straßen weiter, Vanessa (hier zwischen Carolin und Tina):










Donnerstag, 24. Dezember 2009

Laß das Haus voll werden





Kurz nach Carolin und Sören kommen auch deren Schweizer Freunde Adrienne und David. Sie sind ein weiteres Glied in einer fast 90 Jahre alten Kette zwischen meiner Familie und einer Brüdergemeinde in der Nähe von Genf. Ein Großonkel lernte im Berlin der 20er Jahre den Antiquitätenhändler Moinat aus Rolle am Genfer See kennen und begann mit ihm einen lebhaften Schüleraustausch, der auch nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt wurde. Auch in unser Haus kamen Mädchen und Jungen vom Genfer See und brachten uns alpenländische Lebensfreude und die Kenntnis neuer Wein- und Käsesorten. Adrienne war vor zwölf Jahren als 17jährige hier und vertieft im Moment ihre Deutschkenntnisse zusammen mit ihrem Mann in einer Spachschule in Berlin.

Der Weihnachtsbaum nimmt Gestalt an - mit Sörens fachkundiger Hilfe. Am linken Bildrand ist der Schnee zu sehen, der uns immer noch erfreut, auch wenn er bei gestiegenen Temperaturen mittlerweile etwas pappig geworden ist.

In der Küche wirbeln Schönheiten umeinander.





Mittwoch, 23. Dezember 2009

“As an atheist, I truly believe Africa needs God”




Ein bemerkenswerter Artikel aus der London Times von Dezember 2008 - und die deutsche Überstezung von Frank Schönbach.

As an atheist, I truly believe Africa needs God
http://www.timesonline.co.uk/tol/comment/columnists/matthew_parris/article5400568.ece

Als Atheist glaube ich wirklich, dass Afrika Gott braucht

Missionare, nicht Hilfsgelder, sind die Lösung für Afrikas größtes Problem – die erdrückende Passivität im Denksystem der Menschen

Matthew Parris - The Times, 27. Dezember 2008.
(Übersetzung: Frank Schönbach, März 2009)

Vor Weihnachten kam ich nach 45 Jahren zurück in das Land, das ich als Junge unter dem Namen Nyassaland gekannt hatte. Heute heißt es Malawi, und The Times Christmas Appeal betreut dort auch ein kleines britisches Wohltätigkeitsprojekt. Pump Aid hilft ländlichen Gemeinden, eine einfache Pumpe zu installieren, die es den Leuten erlaubt, ihre Quellen im Dorf geschlossen und sauber zu halten. Ich fuhr dort hin, um dieses Projekt anzusehen.

Es hat mich begeistert und meinen nachlassenden Glauben an wohltätige Entwick-lungshilfe-Projekte erneuert. Aber die Reise durch Malawi hat einen anderen Glauben ebenfalls aufgefrischt: einen Glauben, den ich mein ganzes Leben lang zu verbannen versuchte, aber eine Beobachtung, die ich einfach nicht schaffe, zu vermeiden, seit meiner Kindheit in Afrika. Sie verwirrt meine ideologischen Überzeugungen zutiefst, weigert sich hartnäckig, sich in meine Weltsicht einzufügen und hat meine wachsen-de Überzeugung, dass es keinen Gott gibt, in peinliche Verlegenheit gebracht.

Obwohl ich mich jetzt ausdrücklich als Atheist bezeichne, bin ich doch zur Überzeu-gung gelangt, was für einen enormen Beitrag die christliche Evangelisation in Afrika leistet: scharf zu unterscheiden von der Arbeit der säkularen NGOs [non government organizations = nicht staatliche Hilfsorganisationen], staatlichen Projekte und inter-nationalen Hilfeleistungen. Diese alleine werden nichts nützen. In Afrika verändert das Christentum die Herzen der Menschen. Es bringt eine geistige Umwandlung. Die Wiedergeburt ist real. Die Veränderung ist gut.

Ich habe bisher gewöhnlich diese Wahrheit zu umgehen versucht, indem ich – wo es möglich war – der praktischen Arbeit der Missionskirchen in Afrika meinen Beifall ausdrückte. Es ist ein Jammer, so sagte ich, dass das Seelenheil ein Teil dieses Pa-kets ist, aber schwarze und weiße Christen, die in Afrika arbeiten, helfen den Kran-ken, lehren die Leute lesen und schreiben; und nur ein Säkularist der härtesten Sorte kann sich ein Missionshospital oder eine Schule ansehen und dann sagen, die Welt wäre besser ohne sie. Ich würde insoweit zugestehen, wenn denn nun der Glaube notwendig ist, um die Missionare zum Helfen zu motivieren, na ja, dann gut: Aber was zählt, ist die Hilfe, nicht der Glaube.

Aber das entspricht nicht den Fakten. Glaube bewirkt mehr, als nur den Missionar zu motivieren; er wird auch auf seine Schäfchen übertragen. Das ist der Effekt, der so immens viel ausmacht, und an dessen Beobachtung ich einfach nicht vorbei komme.

Also, zuerst einmal die Beobachtung. Wir hatten Freunde, die Missionare waren, und als Kind war ich oft bei ihnen; ich hielt mich, zusammen mit meinem Bruder, auch oft in einem traditionellen afrikanischen Dorf auf dem Land auf. In der Stadt hatten wir Afrikaner, die für uns arbeiteten, und die sich bekehrt hatten und überzeugte Gläubi-ge waren. Die Christen waren immer anders. Keineswegs wirkten diese Bekehrten irgendwie eingeschüchtert oder eingeengt, sondern ihr Glaube schien sie vielmehr befreit und entspannt zu haben. Da war eine Lebhaftigkeit, eine Neugier, ein Enga-gement für die Welt – eine Geradlinigkeit in ihrem Umgang mit anderen –, die im traditionellen afrikanischen Leben zu fehlen schienen. Sie standen aufrecht da.

Mit 24 Jahren verstärkte eine Landreise quer durch den Kontinent diesen Eindruck noch mehr. Von Algerien nach Niger, Nigeria, Kamerun und in die Zentralafrikanische Republik; dann mitten durch den Kongo nach Ruanda, Tansania und Kenia, so fuhren vier befreundete Studenten und ich in unserem alten Land Rover bis nach Nairobi.

Wir schliefen unter freiem Himmel, und deshalb war es wichtig, als wir stärker bevöl-kerte und gesetzlose Teile der Sub-Sahara erreichten, dass wir jeden Tag beim Ein-bruch der Nacht einen sicheren Platz fanden. Oft in der Nähe einer Missionsstation.

Immer wenn wir in ein Gebiet kamen, das von Missionaren bearbeitet worden war, mussten wir zugeben, dass sich in den Gesichtern der Leute, an denen wir vorbei kamen und mit denen wir sprachen, etwas verändert hatte: irgend etwas in ihren Augen, die Art, wie sie direkt auf einen zu kamen, Mann zu Mann, ohne nach unten oder zur Seite weg zu gucken. Sie waren gegenüber Fremden nicht ehrerbietiger ge-worden – in gewisser Weise sogar weniger –, aber viel offener.

Dieses Mal in Malawi war es genau das gleiche. Ich traf keine Missionare. Man be-gegnet Missionaren nicht in den Lobbies der teuren Hotels, wo sie Dokumente über Entwicklungsstrategien diskutieren, wie man es bei den großen NGOs erlebt. Aber stattdessen bemerkte ich, dass eine Handvoll der beeindruckendsten Mitglieder des Pump Aid-Teams (die meisten aus Zimbabwe) privat überzeugte Christen waren. „Privat“ deswegen, weil diese Wohltätigkeits-Organisation vollständig säkular ist, und ich nie bei irgendeinem aus diesem Team hörte, dass er so etwas wie Religion er-wähnte, während sie in den Dörfern arbeiteten. Aber ich fing sehr wohl die christli-chen Anspielungen in unseren Gesprächen auf. Einen sah ich, wie er im Auto ein An-dachtsbuch studierte. Ein anderer ging am Sonntag beim Morgengrauen in die Kir-che, zu einem zweistündigen Gottesdienst.

Es würde mir sehr gut passen, wenn ich glauben könnte, dass ihre Ehrlichkeit, Ge-wissenhaftigkeit und Optimismus bei ihrer Arbeit nichts mit ihrem persönlichen Glau-ben zu tun hätten. Ihre Arbeit war säkular, aber ganz sicher von dem beeinflusst, was sie waren. Und was sie waren, war wiederum beeinflusst von einem Konzept über den Platz des Menschen im Universum, den das Christentum sie gelehrt hatte.

Über lange Zeit war es eine Mode bei den akademischen Soziologen im Westen, die Wertesysteme der Stämme wie mit einem Zaun zu umgeben, jenseits jeder Kritik, die sich auf unsere eigene Kultur gründet: das sind „ihre“ Werte, und deshalb das Beste für „sie“; authentisch, und grundsätzlich von gleichem Wert wie unsere.

Ich kann dem nicht zustimmen. Ich beobachte, dass der Glaube der Stämme nicht friedvoller ist als unserer; und dass er die Individualität unterdrückt. Die Leute den-ken kollektiv; zuerst in Begriffen der Gemeinschaft, der Großfamilie und des Stam-mes. Diese ländlich-traditionelle Denkweise ist der Nährboden für die Politik des „großen Mannes“ und der Gangster in den afrikanischen Städten: der übertriebene Respekt für einen aufgeblasenen Führer, und die (buchstäbliche) Unfähigkeit, die Idee einer loyalen Opposition überhaupt zu verstehen.

Ängstlichkeit – Furcht vor bösen Geistern, vor den Ahnen, der Natur und dem Wil-den, der Hierarchie im Stamm, oder ganz alltäglichen Dingen – prägt tief die gesam-te Struktur des ländlichen afrikanischen Denkens. Jeder Mann hat seinen Platz, und, ob man es Furcht oder Respekt nennen mag, eine große Last unterdrückt den indivi-duellen Geist und hemmt die Neugier. Die Leute werden keine Initiative ergreifen, werden die Dinge nicht in ihre eigenen Hände oder auf ihre eigenen Schultern neh-men.

Wie kann ich, als jemand, der mit einem Fuß in beiden Lagern steht, das erklären? Wenn ein philosophischer Tourist sich von einer Weltanschauung in eine andere be-wegt, bemerkt er – in dem Augenblick, wenn er in die neue eintritt –, dass er die Sprache verliert, um diese Landschaft seiner alten Welt zu beschreiben. Aber lassen Sie es mich mit einem Beispiel versuchen: Die Antwort, die Sir Edmund Hillary gab auf die Frage: Warum steigen sie auf den Berg? „Weil er da ist,“ sagte er.

Im ländlichen afrikanischen Denken wäre das eine Erklärung dafür, warum jemand den Berg nicht besteigen will. Er ist... na ja, eben da. Einfach da. Warum sollte man etwas unternehmen? Es gibt nichts, was man deswegen oder damit tun müsste. Hil-lary’s weitere Erklärung, – dass niemand ihn bisher bestiegen hat –, würde als ein weiterer Grund für die Passivität herhalten.

Das Christentum, nach der Reformation und nach Luther, mit seiner Lehre von einer direkten, persönlichen und zweiseitigen Verbindung zwischen dem Individuum und Gott, nicht durch das Kollektiv vermittelt, und nicht irgend einem anderen menschli-chen Wesen untergeordnet, zerschmettert das philosophisch-spirituelle Bezugssy-stem, das ich eben beschrieben habe, vollständig. Es bietet denen, die ängstlich sind, das erdrückende Gruppendenken des Stammes aufzugeben, etwas an, an dem sie sich festhalten können. Deshalb und auf diese Weise wirkt es befreiend.

Diejenigen, die möchten, dass Afrika im globalen Wettbewerb des 21. Jahrhunderts mithalten kann, sollten sich nicht selbst zu Narren machen und annehmen, dass die Bereitstellung von Material oder sogar von Knowhow, das mit dem einher geht, was wir Entwicklung nennen, eine Veränderung auslösen werden. Ein ganzes Glaubenssy-stem muss zuerst ersetzt werden.

Und ich fürchte, es muss von einem anderen ersetzt werden. Wenn man aus der afrikanischen Gleichung die christliche Evangelisation heraus nimmt, wird man wohl den Kontinent einer bösartigen Verbindung von Nike, dem Zauberdoktor, dem Mobil-telefon und der Machete ausliefern.



Dienstag, 22. Dezember 2009

Das Museum der Unschuld






Meinen frommen muslimischen Freunden wird der neue Roman von Orhan Pamuk nicht sofort gefallen. Zuviel Rakı-Schnaps wird darin getrunken, zuwenig wahre Unschuld gibt es, was die Zeit von Braut und Bräutigam vor der Ehe betrifft. Die westlich orientierte Istanbuler Gesellschaft von 1975, dem Jahr, in dem der Roman beginnt, lebt ein freies Leben und wundert sich über die Kopftuch tragenden Frauen aus der türkischen Provinz in ähnlicher Weise wie es die Berliner heute tun. Die Freude an einem nach den Vorschriften des Korans gelebten Leben ist vordergründig nirgends im Buch zu finden.

Und trotzdem empfehle ich Nureddin und Hasan und Fatih und den anderen gläubigen Männern, das Buch zu lesen. Eine seiner Hauptfiguren ist die Stadt Istanbul, und das Leben dieser Stadt und die Veränderungen, die besonders die frommen Einwanderer vom Land herbeiführen, sind als Bühnenbild ein wunderbar lebendiger Hintergrund des Buches. Manchmal könnte es sogar eine heimliche Liebeserklärung an das neue, nicht mehr von den kemalistischen Eliten regierte Istanbul sein, das sich in der Zeit heranbildet, in der das Buch spielt. Der heutige Premier Erdogan, etwa gleich alt wie Pamuk, baut in den 70er Jahren seine Karriere in Istanbul auf und wird dann mit nur 40 Jahren überraschend Oberbürgermeister dieser Stadt, mit einer Kopftuch tragenden Frau an seiner Seite.

Von Erdogan wird nichts erzählt, aber daß am Ende die Unschuld ein Museum erhält, nicht die Freizügigkeit, setzt ein deutliches Zeichen. Die Unschuld wird in gewisser Weise im Verlauf der Geschichte zurückgewonnen, nachdem sich zu Beginn die Hauptfigur, Kemal Basmacı, in eine leidenschaftliche und sittenlose Dreiecksbeziehung zu der vornehmen Sibel und der schönen Füsun verirrt.

Das Buch bewegt sich entlang der zwei langen Spannungsbögen, die Pamuk sauber anhand der beiden Liebesverhältnisse aufbaut. Der zweite Bogen löst sich erst ganz spät auf, genau: auf Seite 519 von insgesamt 565 Seiten. Der Leser wird auf angenehme Weise in suspense gehalten und begleitet die allesamt lebensvollen und durchaus sympathischen Hauptfiguren mit Anteilnahme und Verständnis.

Ich möchte potentiellen Leser nicht vorab verraten, wie die Geschichten mit Sibel und Füsun schließlich ausgehen, will aber doch soviel sagen, daß Kemal einen Prozeß durchmacht, der ihn am Ende zwar nicht im weißen Kleid der Unschuld dastehen läßt, es aber doch möglich macht, daß er sein Museum der Unschuld gründen kann. Der Roman ist als Führung durch dieses Museum angelegt und unterbricht sich an vielen Stellen, etwa um zu sagen: in dieser Vitrine sehen Sie die Schuhe, die Füsun trug, als sie zu der Feier ging, von der ich gerade berichte.

Einer von Kemals reichen Freunden, der seine Jugend in der Gesellschaft leichter Mädchen verbracht hat, verlobt sich mit einer Studentin, die ebenfalls während ihres Studiums in Frankreich den dortigen Sitten entsprechend freizügig gelebt hat. Die beiden leben erstaunlicherweise mehrere Jahre wie ein traditionelles Verlobungspaar zusammen und schlafen erst nach der Hochzeit miteinander. Man erfährt die Gründe für einen solchen Sinneswandel nicht, aber man spürt, daß es eine unterschwellige Bewegung in der Gesellschaft gibt, hin zu den Werten der rätselhaften Kopftuchleute vom Lande. Das betrifft allerdings nicht den Konsum von Rakı, der wird bis zum Ende des Buches unverändert hochgehalten.

Die Stadt Istanbul ist dabei mehr als nur ein Bühnenbild. Sie wird im Laufe des Buches mehr und mehr zur vierten Hauptperson, jedenfalls in meiner Sicht. Die mag davon beeinflußt sein, daß ich vier Jahre vor dem Beginn der Handlung, also 1971, nur etwa 500 m von der Valikonaği Straße, in der wesentliche Teile des Buches spielen (und in der Orhan Pamuk aufgewachsen ist) entfernt gelebt habe. Ich war für zwei Monate in einem Studentenheim in der nahen Kodaman Straße untergebracht und bin morgens auf dem Weg zur Arbeit an Pamuks Haus und an dem fiktiven Ort des Appartements von Kemal Basmacı vorbeigefahren. Ich kann die vielen Fahrten durch die Stadt, die im Buch beschrieben werden, weitestgehend ohne Zuhilfenahme eines Stadtplans verfolgen, kann mir die Restaurants am Bosporus in Erinnerung rufen und weiß, welche Strömung die Romanfiguren erwartet, wenn sie bei Tarabya im Bosporus schwimmen gehen.

Es ist eine lebendige, liebenswürdige Stadt, von der es am Ende heißt, die Liebesgeschichte von Kemal, Sibel und Füsun solle über sich selbst hinausweisen und aufzeigen, daß es nicht nur um die Geschichte von Verliebten geht, sondern um die Geschichte einer ganzen Welt, nämlich die Geschichte von Istanbul. Es lohnt sich, in diese Welt einzutreten.








Sonntag, 20. Dezember 2009

Bleak Midwinter




(English translation below) Der plötzliche Wintereinbruch hat uns mit Macht erfaßt, der geplante Konzertbesuch im Altenberger Dom (Weihnachtsoratorium) mußte wegen verschneiter und verstopfter Straßen aufgegeben werden. Hier liegt mittlerweile über 15 cm Schnee.


Zu Eis und Schnee paßt Jesu Geburt, oder anders gesagt: die nordeuropäischen Christen haben in vielfältiger Weise das Geschehen um Jesus in ihre eigene regionale Vorstellungswelt übernommen, weshalb Jesu Geburt hier bei uns als winterliches Ereignis "im kalten Stall" vorgestellt wird.

Ich widme diesen post einigen muslimischen Freunden und auch das folgende schöne Winter- und Geburtslied, das seit Jahren zum Weihnachten unserer Familie gehört. Mir ist bewußt, daß sie die herausgehobene Rolle, die der von ihnen als hoher Prophet verehrte Jesus hier spielt, anders sehen als ich, aber ich weiß, daß ihnen das schlichte Ende des Liedes gefallen wird. Der Text ist unten in Englisch und Deutsch angefügt.

The sudden arrival of winter keeps us in its mighty grip. We had to cancel our plan to visit a concert in Altenberg Cathedral (Christmas Oratory), the streets were covered with snow and blocked. In the meanwhile we have more than 6 inches of snow.

Ice and snow go along well with the birth of Jesus Christ, or better: the Northern European Christians have in manifold ways transposed the events around Jesus into their own regional imaginations. That is why the birth of Jesus here is thought as happening in winter, “in a cold stable”.

I dedicate this post to some Muslim friends, and the following song, too. It is a lovely song of winter and birth that belongs to our family’s Christmas since many years. Although I am aware that my friends see the outstanding role that Jesus – their highly estimated prophet – plays here different from me, I nevertheless know that they will like the humble end of the song. The text is added below.










In the bleak midwinter
Frosty wind made moan,
Earth stood hard as iron,
Water like a stone;
Snow had fallen, snow on snow,
Snow on snow,
In the bleak midwinter,
Long ago.

Our God, heaven cannot hold him,
Nor earth sustain;
Heaven and earth shall flee away
When he comes to reign;
In the bleak midwinter
A stable place sufficed
The Lord God incarnate,
Jesus Christ.

Enough for him, whom Cherubim
Worship night and day
A breast full of milk
And a manger full of hay.
Enough for him, whom angels
Fall down before,
The ox and ass and camel
which adore.

What can I give him,
Poor as I am?
If I were a shepherd
I would bring a lamb,
If I were a wise man
I would do my part,
Yet what I can I give Him —
Give my heart.


Mitten im kahlen Winter
Frostiger Wind klagte,
Der Boden hart wie Eisen,
Wasser wie ein Stein;
Schnee war gefallen, Schnee auf Schnee,
Schnee auf Schnee,
Mitten im kahlen Winter
Vor langer Zeit.

Unser Gott, der Himmel kann ihn nicht fassen
Und die Erde nicht halten;
Himmel und Erde werden vergehen,
Wenn er zu regieren beginnt;
Mitten im kahlen Winter
Genügte ein Platz im Stall
dem Mensch gewordenen Herrn und Gott
Jesus Christus.

Genug für ihn, dem Cherubin-Engel
Bei Tag und Nacht dienen:
Eine Brust voll Milch
Und eine Krippe voll Heu.
Genug für ihn, vor dem Engel
Niederfallen:
Ochse, Esel und Kamel,
Die anbeten.

Was kann ich ihm geben,
Arm wie ich bin?
Wäre ich ein Hirte
brächte ich ein Lamm,
wäre ich ein Weiser,
würde ich meinen Anteil geben.
Aber was ich kann, gebe ich ihm -
gebe ihm mein Herz.


Samstag, 19. Dezember 2009

Home for Christmas




(English translation below) Die ersten heimkommenden Kinder samt Freundin und Freund werden am Kamin mit Croque Monsieur begrüßt. Die Pfannen, die man ins Feuer hält, hat mein Vater in den 60er Jahren aus Frankreich mitgebracht. Unsere Familie glaubt fest, daß wir das einzige Haus in Deutschland sind, in dem es Croque Monsieur am offenen Feuer gibt.





The first homecoming children with their friends are welcomed with croque-monsieur by the fireside. My father brought the little pans that bake the croques in the open fire from France in the Sixties. My family firmly beleives that we are the only house in Germany that serves croques-monsieur from the open fire.

















Donnerstag, 10. Dezember 2009

Der schutzlose Islam


Mein Freund Nureddin tut mir manchmal Türen auf, hinter denen ich ein Stück türkische Wirklichkeit ganz aus der Nähe sehen darf. An manchen Tagen habe ich dann das Gefühl, der einzige Deutsche zu sein, dem diese Wirklichkeit gezeigt wird. Aber das ist natürlich eine Illusion. Allerdings war ich vor ein paar Tagen immerhin der einzige sozusagen eingeborene Deutsche in einer Runde von vielleicht etwa 150 deutschen Türken, die zu einem Konzert zusammengekommen waren.

Sonntag, 6. Dezember 2009

Herta Müller






Herta Müller würde vermutlich nichts dagegen haben, wenn man sagt, daß man sich durch ihre Bücher durchquälen muß. Ihr neuestes Buch Atemschaukel spielt in einem russischen Arbeitslager, das erinnert an Solschenyzin, den liest man ja auch nicht flüssig herunter, sondern eher mit Schmerzen. Die Sammlung von Essays Der König verneigt sich und tötet erzählt gleich zu Beginn von ihrer Kindheit, in der sie ein von intensiven, teils angstvollen Gedanken getriebenes Mädchen ist, das die grundlose Angst als klarsten Erweis der eigenen Existenz zu begreifen lernt.


Augenblicke der grundlosen Angst kommen der Existenz am nächsten, diese Erklärung findet sie später bei dem rumänisch-französischen Philosophen Emil Cioran. Einer ihrer Studentenfreunde muß sich auf die Finger beißen, um sich seines Daseins zu vergewissern. Leben ist mit Schmerz verbunden und wird erst im Schmerz seiner selbst gewiß.

Das Leben als Schriftsteller ist zusätzlichen Schmerzen ausgesetzt, weil es mit Worten arbeitet und weil sich die Worte als sperrig und eigensinnig erweisen. Ein Kapitel im Lagerbuch handelt vom Meldekraut (mit etwas googeln findet man: Atriplex hortensis, die Gartenmelde), das die hungrigen Gefangenen am Wegrand pflücken und essen. Der Name MELDEKRAUT ist ein starkes Stück und besagt überhaupt nichts, wird dazu gesagt.


In den Kindheitserinnerungen versucht Herta Müller einem anderen Kraut, der Milchdistel (laut Google Silybum marianum, Mariendistel) neue Namen wie "Stachelrippe" oder "Nadelhals" zu geben, denn der Name war der Pflanze nicht recht, sie hörte nicht drauf. Auch solche Wortfindungen sind eine Qual, von der Herta Müller sagt, man könne duch die Lücke zwischen Wort und Gegenstand hindurch schauen und ins Nichts starren.

Das Nichts starrt einen bei Herta Müller immer wieder an, es ist offenbar ihr Wille, daß man als Leser diesem Blick ausgesetzt wird. Trost in einer unsichtbaren Welt, die sich hinter dem Nichts auftun könnte, wird nirgends angeboten. Im Gegenteil - auch das Abendgebet der frommen Großmutter führt geradewegs in eine sprachliche Sackgasse, an deren Ende der Glaube nicht weiterkommt. Bevor ich mich zur Ruh begeb/, zu dir, oh Gott, mein Herz ich heb - das stellt das Kind Herta Müller vor die Frage, wie hebt man das Herz durchs Haar über eine dicke Zimmerdecke zu Gott?


Solcherlei Problem im Schnittpunkt von Sprache und Vorstellung sind anrühend, aber in der Summe eigentlich nur eine weitere Qual, der uns Herta Müller aussetzt. Muß man sich so quälen und quälen lassen? Ist es nicht eher willkürlich, wenn man im Fall des Gebetes die Sprache beim Wort nimmt (und damit den lieben Gott undenkbar macht), aber sie in der Folge dann immer wieder im luftleeren Raum schweben läßt (und den Dingen ihre Bezeichnung nimmt)?

Ich habe mich in den letzten Tagen mit dem Freund und Kollegen vom Varia-Blog über dunkle und helle Schriftsteller ausgetasucht, eine Unterscheidung, die er so nicht gelten läßt. Mag sein, daß er recht hat und daß der eher dunkel gestimmte Autor oft ins Helle blickt und umgekeht. Mag auch sein, daß die christliche Vorstellung von einem sterbenden Gottessohn ein für alle mal den dunklen Blick begründet. Aber mir ist wieder neu der verstorbene John Updike lieb geworden, der in einem seiner posthum als Sammlung veröffentlichten Essays auf die verwegene Idee kommt, der Gottesname JHWH stände in einer frühen Vorstellung einfach insgesamt für die Welt, so wie sie ist*.


Ich glaube, es ist nicht falsch, dies als das genaue Gegenteil von der Welt Herta Müllers anzusehen. Und ich glaube, es ist erlaubt, sich für die Welt Updikes zu entscheiden.





* An impression grew on me, ..., that to the ancient Hebrews "God" was simply a word for what was: a universe often beautiful and gracious but also implacable and unfathomable. (The Great I Am)

Ein Eindruck wuchs in mir, daß für die alten Hebräer "Gott" einfach ein Wort war für das, was war: ein Universum, oft schön und gnädig, aber auch unversöhnlich und unergründlich.








Samstag, 5. Dezember 2009

Minarette in der Schweiz




Mit etwas zeitlichen Abstand zu dem von vielen Leuten zu Recht als schändlich empfundenen Schweizer Volksentscheid ist es vielleicht möglich, sich dem an sich ja sehr sympathischen und weltoffenen Volk der Schweizer erneut in Freundschaft zu nähern. Es könnte nämlich sein, daß die Schweizer zu entschuldigen sind, weil sie sich mit ihrem "wir wollen keine Minarette erlauben" gewissermaßen kollektiv versprochen haben. Sie wollten offenbar etwas anderes sagen, so wird jedenfalls mehr und mehr berichtet, und wenn das so ist, muß man es in gewissen Grenzen verstehen und verzeihen. Vor allen Dingen erscheint es ratsam zu sein, über dieses Andere, das gesagt werden wollte, miteinander zu reden. Jedenfalls würde ich, wenn ich Moslem wäre, die Gelegenheit zu einem solchen Gespräch nicht ungenutzt lassen.

Schon kurz nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse wurde deutlich, daß man in der Diskussion vor der Wahl wenig über Minarette und dafür viel über Zwangsheiraten, Ehrenmorde und anderes gesprochen hat, also über Dinge, die man in weiten Teilen der Bevölkerung als eine eher unsympathische Kehrseite des Islams ansieht. Die freie Ausübung der Religion stand offenbar nicht zur Debatte, auch nicht der Bau von Gotteshäusern. Man wollte, wie ich irgendwo gelesen habe, insgesamt etwas gegen den "politischen Islam" unternehmen, einen gewaltbereiten Islam, dessen äußere Zeichen eben die Minarette seien, weshalb sie verboten gehörten.

Nun sind die Minarette genausowenig die Zeichen eines gewaltbereiten Islams wie die Kirchtürme Zeichen einer Kreuzfahrergesinnung der Christen sind. Gegen einen "politischen Islam" (den man allerdings noch etwas genauer definieren müßte), sind viele meiner moslemischen Freunde hier in Deutschland genauso wie die Schweizer, genauso wie ich gegen Kreuzfahrertum bin.

Hier sehe ich deshalb die Möglichkeit, nach dem ersten Ärger und dem Eindruck, es fände ein Kampf der Faschisten gegen die neuen Juden Europas statt, aufeinander zu zu gehen und sich gegenseitig einmal genauer zu erklären, was die Ängste der einen Seite und die Pläne der anderen sind.

Es gibt nach meiner Beobachtung ein gewachsenes Interesse der "Alteingesessenen" am Glauben der zugewanderten Moslems. Zum Teil setzt sich dieses Interesse aus Ängsten und Vorurteilen zusammen, aber es ist nicht zu bestreiten, daß die Alteingesessenen nach und nach begreifen, daß ein nicht unerheblicher Teil ihrer Mitbürger einen festen und fröhlichem Willen hat, in diesem Land zu leben und dabei gleichzeitig den Vorschriften des Korans zu folgen. Wenn nach einer ersten Welle der Skepsis mehr und mehr gesehen wird, daß dieser Wille sich auch in gelungene Lebensäufe umsetzen läßt, dann wird man über Minarette nicht mehr reden müssen.

Es wäre in diesem Sinne schön, wenn das Reden miteinander, das ja glücklicherweise schon lange begonnen hat, jetzt verstärkt fortgesetzt wird.



Dienstag, 1. Dezember 2009

Bibellese




"Was liest die Christenheit derzeit?" frage ich manchmal meine Frau morgens beim Frühstück, und wir schauen gemeinsam in der Zeile unter den Losungen nach, was die Ökumenische Arbeitsgemeinschft für das Bibellesen (ÖAB) auf dem Plan hat. Zur Zeit ist die Antwort: Thessalonicherbriefe!

Ich habe den ersten der beiden Briefe mit Freuden gelesen und etwas darüber geschrieben, was an Norbert Baumerts Kommentaren zu den Korintherbriefen geschult ist.