Sonntag, 6. Dezember 2009

Herta Müller






Herta Müller würde vermutlich nichts dagegen haben, wenn man sagt, daß man sich durch ihre Bücher durchquälen muß. Ihr neuestes Buch Atemschaukel spielt in einem russischen Arbeitslager, das erinnert an Solschenyzin, den liest man ja auch nicht flüssig herunter, sondern eher mit Schmerzen. Die Sammlung von Essays Der König verneigt sich und tötet erzählt gleich zu Beginn von ihrer Kindheit, in der sie ein von intensiven, teils angstvollen Gedanken getriebenes Mädchen ist, das die grundlose Angst als klarsten Erweis der eigenen Existenz zu begreifen lernt.


Augenblicke der grundlosen Angst kommen der Existenz am nächsten, diese Erklärung findet sie später bei dem rumänisch-französischen Philosophen Emil Cioran. Einer ihrer Studentenfreunde muß sich auf die Finger beißen, um sich seines Daseins zu vergewissern. Leben ist mit Schmerz verbunden und wird erst im Schmerz seiner selbst gewiß.

Das Leben als Schriftsteller ist zusätzlichen Schmerzen ausgesetzt, weil es mit Worten arbeitet und weil sich die Worte als sperrig und eigensinnig erweisen. Ein Kapitel im Lagerbuch handelt vom Meldekraut (mit etwas googeln findet man: Atriplex hortensis, die Gartenmelde), das die hungrigen Gefangenen am Wegrand pflücken und essen. Der Name MELDEKRAUT ist ein starkes Stück und besagt überhaupt nichts, wird dazu gesagt.


In den Kindheitserinnerungen versucht Herta Müller einem anderen Kraut, der Milchdistel (laut Google Silybum marianum, Mariendistel) neue Namen wie "Stachelrippe" oder "Nadelhals" zu geben, denn der Name war der Pflanze nicht recht, sie hörte nicht drauf. Auch solche Wortfindungen sind eine Qual, von der Herta Müller sagt, man könne duch die Lücke zwischen Wort und Gegenstand hindurch schauen und ins Nichts starren.

Das Nichts starrt einen bei Herta Müller immer wieder an, es ist offenbar ihr Wille, daß man als Leser diesem Blick ausgesetzt wird. Trost in einer unsichtbaren Welt, die sich hinter dem Nichts auftun könnte, wird nirgends angeboten. Im Gegenteil - auch das Abendgebet der frommen Großmutter führt geradewegs in eine sprachliche Sackgasse, an deren Ende der Glaube nicht weiterkommt. Bevor ich mich zur Ruh begeb/, zu dir, oh Gott, mein Herz ich heb - das stellt das Kind Herta Müller vor die Frage, wie hebt man das Herz durchs Haar über eine dicke Zimmerdecke zu Gott?


Solcherlei Problem im Schnittpunkt von Sprache und Vorstellung sind anrühend, aber in der Summe eigentlich nur eine weitere Qual, der uns Herta Müller aussetzt. Muß man sich so quälen und quälen lassen? Ist es nicht eher willkürlich, wenn man im Fall des Gebetes die Sprache beim Wort nimmt (und damit den lieben Gott undenkbar macht), aber sie in der Folge dann immer wieder im luftleeren Raum schweben läßt (und den Dingen ihre Bezeichnung nimmt)?

Ich habe mich in den letzten Tagen mit dem Freund und Kollegen vom Varia-Blog über dunkle und helle Schriftsteller ausgetasucht, eine Unterscheidung, die er so nicht gelten läßt. Mag sein, daß er recht hat und daß der eher dunkel gestimmte Autor oft ins Helle blickt und umgekeht. Mag auch sein, daß die christliche Vorstellung von einem sterbenden Gottessohn ein für alle mal den dunklen Blick begründet. Aber mir ist wieder neu der verstorbene John Updike lieb geworden, der in einem seiner posthum als Sammlung veröffentlichten Essays auf die verwegene Idee kommt, der Gottesname JHWH stände in einer frühen Vorstellung einfach insgesamt für die Welt, so wie sie ist*.


Ich glaube, es ist nicht falsch, dies als das genaue Gegenteil von der Welt Herta Müllers anzusehen. Und ich glaube, es ist erlaubt, sich für die Welt Updikes zu entscheiden.





* An impression grew on me, ..., that to the ancient Hebrews "God" was simply a word for what was: a universe often beautiful and gracious but also implacable and unfathomable. (The Great I Am)

Ein Eindruck wuchs in mir, daß für die alten Hebräer "Gott" einfach ein Wort war für das, was war: ein Universum, oft schön und gnädig, aber auch unversöhnlich und unergründlich.








1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Updike spricht von der Gottesvorstellung und der Welt der alten Hebräer, einem Hirtenvolk, und damit von Menschen in einem Zustand, über den diese nach einem Wort von Cioran nie hätte hinauswachsen dürfen. Die Spiegelung der realen Welt in einer zweiten, geistigen Welt war aber zugleich wohl das Aufbruchssignal für den unaufhaltsamen Weg der Menschheit bis in unsere Tage und zu einer Welt, die wiederum als Spiegelung Gottes wahrzunehmen, vielen denn doch nicht leicht fällt.