Mittwoch, 21. September 2022

Ein verwirrender Auftritt Putins



So wie Wladimir Putin auf einer Pressekonferenz der Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SCO) am 18. September auftritt, verwirrt er mich. Er ist nicht der Respekt gebietende Herrscher eines Weltreiches, auch keiner, der – wie Donald Trump – seine plakativen Thesen vortragen will, und ein Hitler oder Stalin ist er erst recht nicht. Er entwickelt seine Gedanken in recht freier Form während er redet, unterbricht sich gelegentlich, sucht nach einem Wort, räuspert sich immer wieder und wirkt wie ein gut ausgebildeter Experte für Fragen des politischen Alltags, nicht wie der alles beherrschende Imperator. "Guten Abend - ich höre." So knapp und sachlich beginnt er.

Die ihn fragenden Journalisten wirken frei, werden von ihm auch nicht – wie bei Donald Trump – in irgendeiner Form gemaßregelt oder herabgesetzt. Das alles geht in einer recht freien Form seinen Weg. Die Seite "Kremlin.ru" hat das englischeTranskript.

Für ihn ist offenbar die „Operation" in der Ukraine nur ein vergleichsweise kleines Thema, auch wenn die Journalisten ihn immer wieder danach fragen. Putin redet über die internationalen Auswirkungen des Konfliktes und berichtet etwa detailliert, dass von den mittlerweile 121 Schiffen mit Getreideladungen bedauerlicherweise nur drei bei armen Völkern angekommen sind. Der Westen hätte sich den größten Teil der Lieferungen selbst nach Hause beordert, was Putin zu der leidenschaftslosen Feststellung veranlasst, dies alles seien frühere Kolonialmächte, die sich auch heute nicht abgewöhnt hätten, auf Kosten der ärmeren Länder zu leben.

Was die Energieknappheit in Europa betrifft, so weist er daraufhin, dass schon lange vor der „Operation“ in der Ukraine die Europäer ihre Energieversorgung von Öl / Gas auf alternative Energien umgestellt hätten. Dass das alles nicht zum selben Preis zu haben sei, das hätten die Europäer nicht berechnet – ihr Fehler.

In dieser in einem ruhigen Wohnzimmerton vorgetragenen Gedankenkette sucht man vergeblich nach der großen Lüge, in die sich das Denken Putins verstrickt hat. Wie gesagt – er ist kein Hitler und kein Napoleon, er ist aber auch kein Joseph Goebbels und kein Donald Trump, der ständig seine plakativen Thesen vor sich her trägt.

So wie er da steht und sehr selbstsicher seine Gedanken vorträgt, steigt der Gedanke in einem hoch, was wäre, wenn er tatsächlich den Krieg gewinnt. In dem bekannten Buch „The Rise and Fall of the Great Powers“ (Paul Kennedy, 1988) wird gleich zu Beginn die These vertreten, dass die stärkeren finanziellen Mittel am Ende viele Kriege entscheiden. 

"... victory has repeatedly gone to the side with the more flourishing productive base—or, as the Spanish captains used to say, to him who has the last escudo."

Da ist Putin zweifach im Vorteil – er verfügt über einen gigantischen Vorrat an Rohstoffen und hat auf unserer Seite Gegner, die möglicherweise schon recht bald über zusammenbrechenden Lieferketten und erschöpfte, von steigenden Zinsen belastete öffentliche Haushalte in die Knie gezwungen werden.

Schön ist das alles nicht.