Samstag, 29. März 2008

Stormy Weather



Hier ist ein 12-Sekunden-Video, das ich vor ein paar Tagen in Holland aufgenommen habe. Es zeigt Sturm und hohe Flut am Pfeilerbauwerk "Neeltje Jans", des mit großen Stahltoren verschließbaren Damms der Oosterschelde. (21.3.08)



Am Ende des zweiten Videos erwischt mich die Gischt einer heranrollenden Welle. Glücklicherweise sitze ich während der Aufnahme im Auto.

Mittwoch, 26. März 2008

Christoph Wilhelm Hufeland und die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern




Bevor ich etwas über das Alter und das Altern schreibe, will ich einmal einen Vergleich zwischen meinem Großvater Adolf Runkel und mir zeigen. Auf dem Bild links ist er wenige Monate älter als ich. Meine Frau hat mich vor ein paar Tagen in der Haltung fotografiert, wie sie der 60jährige Adolf sen. einnahm, als er sich im Sommer 1949 mit seinem ersten Enkelkind, mit mir, fotografieren ließ. Mit etwas Sepia und Weichzeichner aus dem PC habe ich versucht, die Bilder der beiden älteren Männer einander anzugleichen.


Ich will aber nun von Christoph Wilhelm Hufeland berichten, auf den ich in dem neuen Goethe-Roman von Martin Walser Ein liebender Mann gestoßen bin. Hufeland war zu Goethes Zeiten Arzt in Weimar und wurde von Goethe und anderen prominenten Bürgern Weimars häufig zu Rate gezogen. Er wurde später Professor in Jena und recht bald berühmt als der Begründer der Makrobiotik. Das Wort bedeutet, daß sich durch eine wissenschaftliche Vorgehensweise die Spanne unseres Lebens (bios) vergrößern, verlängern (makros) läßt.

Ehrlich gesagt hatte ich bei Makrobiotik ohne viel darüber nachzudenken immer an die grob (makro) geschroteten Körner (bio) gedacht, deren Einnahme ein gesundes Leben garantieren soll. Das ist falsch. Hufeland hat das Wort als einen Begriff für langes Leben benutzt, man kann es in seinem Vorwort zu Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern aus dem Jahr 1796 nachlesen, dessen Text auch im Internet zu finden ist. Das Buch wurde nach 1805 dann auch immer unter dem Titel „Makrobiotik“ verlegt und in viele Sprachen übersetzt.

Das Buch enthält eine Grundidee der Aufklärung und ist damit dem Traum verwandt, den Hufelands Zeitgenosse de Bougainville geträumt hat – ich habe unter den nach ihm benannten Blumen auf der Peloponnes im vergangenen Sommer darüber geschrieben. Bei Bougainville war es die in südlicher Sonne gereifte Sehnsucht nach einer lebensvollen Existenz unter natürlichen Bedingungen und frei von obrigkeitlicher, künstlicher Reglementierung. Bei Hufeland geht es um grundsätzlichere Dinge, aber am Ende doch auch um eine Stärkung der Natur und damit um ein langes und gesundes Leben für jedermann.

Hufeland und de Bougainville und mit ihnen die ganze Aufklärung möchten den Menschen frei machen von den autoritären Mächten des Schicksals und der Konvention und ihm sein Leben und sein Glück in die eigenen Hände geben.

In den 200 Jahren seit Bougainville und Hufeland ist viel geschehen, was den Siegeszug ihrer beider Gedanken fast unumkehrbar gemacht hat. Bougainvilles natürliches Südseeleben feiern Millionen von Menschen jedes Jahr auf zwar verkleinerte aber doch vielfach beglückende Weise an den Traumstränden der Weltmeere. Und ein langes Leben, so wie es uns Hufeland und andere Wissenschaftler sichern, ist im Denken der Menschen mittlerweile ein festes, ja ein beweisbares Faktum: man kann gegen die moderne Welt sagen, was man will, aber daß wir alle älter werden in dieser Welt, das zeigt jede Statistik.

Darf man trotzdem versuchen, Hufeland einmal vorsichtig zu widersprechen? Nach meinem Empfinden mischt sich heute, 200 Jahre nach Hufeland, in das an sich optimistische Gefühl, den Tod mehr und mehr auf Distanz halten zu können, eine neuartige Skepsis, die auch in dem erwähnten Goethebuch des 80jährigen Walser zu finden ist. Er hat den im Roman 73jährigen Goethe nach meinem Eindruck mit autobiografischen Zügen versehen und weiß, wovon er redet, wenn er die „Lebenskapazität“ – ein Hufeland-Begriff – des alten Dichters auf den Prüfstand stellt und sie am Ende milde an ihre Grenzen stoßen läßt.



Ich habe beim Lesen manchmal an einen anderen bekannten 80jährigen Autor gedacht, Gabriel García Márquez, der in einem seiner letzten Bücher (Memoria de mis putas tristes, 2004) dem 90jährigen Ich-Erzähler ebenfalls die Liebe zu einem ganz jungen Mädchen erleben läßt. Der darf sich dieser Liebe sogar, anders als Goethe, in gewisser Weise sicher sein, denn er kauft sie sich ein. Er kostet sie allerdings aber aus unterschiedlichen Gründen gar nicht aus, rührt die Geliebte gar nicht an, gewinnt aber durch sie einen bei García Márquez ironisch gefärbten Begriff von Lebensverlängerung. Er findet dafür ein deftiges Bild:

Als ich aber am ersten Morgen meiner neunzig Jahre in Delgadinas glücklichem Bett erwachte, ging mir der Gedanke durch den Kopf, das Leben sei nicht der unruhige Fluß, den Heraklit beschreibt, sondern eine einzigartige Gelegenheit, sich auf dem Rost umzudrehen und neunzig weitere Jahre auf der anderen Seite zu braten.

Etwas Ähnliches muß der alte Walser-Goethe in der Liebe zur 19jährigen Ulrike von Levetzow erlebt haben, einer Liebe, in der es immerhin laut Walser einige vorsichtige Küsse gegeben hat. Auch Goethe träumt offenbar davon, das Leben zu wiederholen, diesmal aber an der Seite der einen, wahren Liebe. Das ist Sich herumdrehen auf dem Rost. Aber auch Goethe muß schließlich erkennen, daß man das Leben nicht noch einmal von Vorne beginnen kann, auch nicht an der Seite einer jungen Frau, die einen das eigene Alter vergessen machen soll.

Beide Bücher, das von Marquez und das von Walser, sagen am Ende, daß man sein Leben nicht in einer Art Wiederholung verlängern kann, auch wenn sie ihre Hauptfiguren in gewisser Weise glücklicher zurücklassen als sie es zu Beginn der Geschichte sind. Ob uns die beiden Bücher der alten Männer vorsichtig sagen wollen, daß unser aufgeklärter Optimismus was die Zurückdrängung des Todes betrifft, falsch ist?

Mit dem Leben Goethes kann man ja ganz allgemein den Glauben widerlegen, der hinter der nach meiner Ansicht irrigen Annahme steht, eine steigende statistische Wahrscheinlichkeit, älter als 70 Jahre zu werden, würde bedeuten, daß unser Alterungsprozeß anders, langsamer verläuft als der Goethes, 200 Jahre vor unserer Zeit. Immerhin ist der berühmte Mann, der am 28. August 1749 in Frankfurt geboren wurde, 82 Jahre alt gewesen, als er am 22. März 1832 in Weimar starb. Das widerlegt schon einmal die platte Ansicht, die Leute seien früher alle mit 35 Jahren gestorben. Nein auch unsere Urahnen konnten alt werden, manche sogar recht beschwerdefrei, wie etwa Goethe.

Seine Zeitgenossen rühmten noch wenige Jahre vor seinem Tod sein jugendliches Auftreten. Walser läßt seinen Goethe in der Erwartung eines Besuches von Ulrike im Artikel einer Wiener Zeitung blättern, in welcher der Dichter Braunthal die „Gesamtheit von Größe, Schönheit und Kraft“ beschreibt, die er bei einem Besuch im Haus des alten Goethe empfunden hatte.

Alte Leute hat es immer gegeben, sie waren vermutlich zu Goethes Zeiten in einer stärkeren Minderzahl als heute, weil der unzeitige Tod damals häufiger war. Man darf aber bezweifeln, daß – nehmen wir mein Alter als Beispiel - der durchschnittliche 59jährige damals beim Betrachten seiner faltigen Haut, seiner langsam auf seinen Handrücken wachsenden Altersflecken, seiner gelegentlich unsicherer werdenden Bewegungen etwas Anderes gesehen hat als ich es heute an mir selbst beobachte.

Ich habe oben das Bild meines Großvaters mit 60 gezeigt. Er hat mehr die Aura eine Großvaters als ich, das ist wahr (gebt mir einen Enkel mit aufs Foto und ich liefere die Aura nach!). Aber ich bin sicher, daß er und ich, wenn wir über die Jahre hinweg miteinander reden könnten, uns über ganz ähnliche Verfallserscheinungen an unseren Körpern unterhalten würden. Die Augen, das Gehör, das Herz! Meine Brille ist technisch ausgeklügelter als die des Großvaters, mein Cholesterin wird genauer kontrolliert und medikamentös zu regeln versucht, über meine beiden Stents im Herzen würde der Großvater staunen - aber ob ich es schaffe, so alt zu werden wie er (er starb mit 72), das erscheint mir, je näher ich diesem Alter komme desto weniger garantiert zu sein.

Mir scheint, daß es eine natürliche Triebfeder in uns gibt, die uns für eine bestimmte Zeit am Leben erhält, und die nach einer gewissen Zeit ihre Spannung verliert. Es gibt sogar eine mikrobiologische Theorie dafür, die vereinfacht gesagt die Verschlußkappen an den Enden der DNA-Stränge unseres Erbgutes als Störfaktor für ein langes Leben ausgemacht hat, weil sie bei der fortwährenden Reproduktion verschleißen und irgendwann ihre Funktion beenden. Wie auch immer – unser Leben hat offenbar natürliche Grenzen, und die statistische Zunahme des durchschnittlichen Lebensalters entsteht nur durch das Zurückdrängen von Krankheiten und Seuchen, die dem Leben der Menschen früherer Generationen häufiger ein vorzeitiges Ende gesetzt haben.

Weil es nicht ausgemacht ist, daß meine Triebfeder länger hält als die 70 Jahre, die laut den Psalmen zur Natur des Menschen gehören, will ich mich an eine alte Weisheit halten, die Hufeland am Anfang seines Buches zitiert und verwirft. Er schiebt sie mit dem bekannten Selbstbewußtsein unkommentiert zur Seite, mit dem die Wissenschaftler der Neuzeit in ihrem hohepriesterlichen Amt* walten. Sie lautet: niemand kann seinem Alter eine Elle hinzufügen. So hat es Jesus gesagt. Es ist eines der vielen Worte, die deutlich machen, daß der way o life unserer modernen Zeiten anders verläuft als der Weg in seiner Nachfolge.


*Die höchste Auszeichnung für medizinische Leistungen war in den Zeiten der auf Wissenschaft gegründeten DDR die „Hufeland-Medaille“.

Dienstag, 11. März 2008

Baum vor unserem Haus (II)




Quercus palustris, die Spree- oder Sumpfeiche, wobei man wohl am besten beides mit mit Bindestrich schreibt, um die Lesart Summ-Pfeiche zu vermeiden, also die Spree-Eiche oder Sumpf-Eiche stammt weder von der Spree noch aus den Sümpfen. Sie kommt aus den östlichen USA und heißt dort "Pin Oak", vermutlich wegen ihrer relativ geraden, nadelförmigen Zweige. Wegen ihrer Fähigkeit, längere Überschwemmungen zu überstehen, heißt sie auch "Swamp Spanish Oak". In wirklichen Sümpfen, swamps, findet man sie allerdings nicht.

Spree-Eiche heißt sie, seitdem die Berliner Stadtverwaltung sie nach 1990 in großer Zahl im Spreebogen in der Nähe des Reichstages anpflanzen ließ. Weil dort das Regierungsviertel entstand, fand man es damals unpassend, den Anklang an einen Sumpf nahezulegen und taufte die Bäume kurzerhand um.

Wir haben unser Bäumchen, das heute kam und um dessen Stamm ich noch fast mit der Hand herumreichen kann, vor ein paar Wochen nach Fotos bestellt und zwischen einem Ahorn, einem Gingko und eben einer Sumpf-Eiche zu entscheiden gehabt. Daß sie auch Spree-Eiche heißt und vor dem Kanzleramt steht, erfuhren wir erst später. Nun bekommen wir also eine Art Kanzlerbaum, einen Bismarckturm des kleinen Mannes. Er steht wenige Schritte vom Platz der Vorgänger-Kastanie entfernt, etwas freier und selbständiger als der alte Baum, der mit seinen Wurzeln immer die Garage in die Höhe zu heben versuchte.

Zum Stolz über den neuen Baum kommt allerdings die Sorge, daß man eines Tages auf dem Heimweg von meiner Beerdigung den dann immer noch kleinen Baum anschaut und sagt: den hätte er mal lieber 20 Jahre früher pflanzen sollen, dann hätten alle viel mehr davon gehabt!






Dieses Bild zeigt eine etwa 70 Jahre alte Quercus palustris.

Montag, 10. März 2008

Baum vor unserem Haus (I)





Heute wurde die Kastanie vor unserem Haus gefällt. Im Winter zeigten sich große Pilze in ihrer Rinde, ein Experte riet uns zum Fällen - das Wassersystem unter der Rinde sei zerstört, der Baum werde bereits in diesem Frühjahr keine Blätter mehr treiben, die Äste nach und nach herabstürzen.


Die Gartentruppe der Gefährdetenhilfe benötigte einen halben Tag, um vom Hubwagen aus Ast für Ast zu entfernen. Zuletzt blieb nur ein etwa 3 m hohes Stück Stamm übrig, das krachend fiel. Ich habe diesen Sturz gefilmt und weiß jetzt nicht recht, ob ich meinen Töchtern (alles erwachsene Menschen, derzeit in Bonn, Berlin, Kairo und Maastricht) raten soll, mit diesen Bildern im Kopf Abschied zu nehmen von einem Stück ihrer Kinderzeit.


Mein Sohn Matthias stand dabei, als ich filmte. Er ist von der Bundeswehr zurück und verdient sich seit heute in meinem Büro für ein paar Wochen etwas Geld. Er hat nicht verraten, was er beim Sturz des Baumes empfand, aber ich habe es auch nicht erwartet, er ist da eher ein Schweiger.

Mir gefiel bei der Heimkehr am Abend immerhin der viele frische Wind vor dem Haus. Wir kommen ein bißchen aus dem Versteck heraus nach vorne, fand ich.

Außerdem kommt als weiterer Trost morgen bereits der neue: Quercus palustris, die Spree- oder Sumpfeiche.