Freitag, 29. Juli 2016

Erdoğan und Gülen – der Tag der Trennung, 2. Juni 2010


Mavi Marmara
Die folgenden Gedanken habe ich vor einigen Monaten in der türkischen Zeitung "Zaman" gelesen, als diese noch nicht verboten war. Ich glaube, dass sie richtig sind. Sie haben mich an viele Einzelheiten einer Zeit erinnert, die ich sehr intensiv durchlebt habe, die Zeit der beiden Gazakriege 2008 und 2014 und die Veränderungen in der Türkei im gleichen Zeitraum.

Montag, 25. Juli 2016

Gülen im Original


Fethullah Gülen schreibt in Le Monde am 17. Dezember 2015, einen Monat nach den Anschlägen in Paris das Folgende: 

Muslime, lasst uns unser Verständnis von Glauben kritisch untersuchen

Es fällt mir schwer, meine Betrübnis über die Gräueltaten des IS und ähnlicher Terrorgruppen in Worte zu fassen. Dass solche Gruppen bei der Ausübung von Terroranschlägen ihre perversen Ideologien in religiöse Gewänder verhüllen, stürzt mich, wie die übrigen 1,5 Milliarden Muslime der Welt auch, in tiefe Trauer. Als muslimische Gemeinschaft ist es einerseits unsere Aufgabe, Schulter an Schulter mit allen anderen, die Menschheit vom Übel des Terrorismus zu befreien und andererseits zu versuchen, das Antlitz unserer Religion von diesem dreckigen Teer zu säubern.

Donnerstag, 21. Juli 2016

Meine Türkei

Eine Liebeserklärung

Heute auf den Tag genau vor 45 Jahren bin ich in Istanbul angekommen, unterwegs zu einem zweimonatigen Bankpraktikum, das ich ein bisschen unwillig angetreten bin, nachdem ich mich vorher für ein Praktikum in den Vereinigten Staaten beworben hatte. Ich wurde aber von der die Praktika vergebenden Studentenorganisation AIESEC nicht für die USA angenommen, sondern auf die Türkei verwiesen.

Montag, 18. Juli 2016

Enthusiasmus (II)



Nachtrag 1: Enthusiasten und Hysteriker

Nachdem ich meine Rede zum Geburtstag der Schwester beendet hatte, saß ich noch mit zwei alten Bekannten zusammen und habe mit ihnen über Enthusiasmus gesprochen. Ich habe dabei zwei neue Dinge gelernt.

Zum ersten: der erste Bekannte sagte mir, dass Sigmund Freud ähnliche Phänomene wie den Enthusiasmus als „hysterische Reaktion“ beschrieben habe. Als solche wären sie natürlich von Beginn an krankhaft und müssten ärztlich behandelt werden.

Ich habe mich über diesen Kommentar ein wenig geärgert. Mir ist  im späteren Nachdenken darüber klar geworden, was mir an Enthusiasmus gefällt und was mir an hysterische Reaktion missfällt. Beides ist jeweils die Bewertung eines menschlichen Verhaltens, das sich an der Grenze der Normalität oder bereits jenseits davon bewegt. An Enthusiasmus gefällt mir, dass Kay Jamison ihn zunächst als etwas Natürliches und sogar Sympathisches ansieht, und dass er erst dann eine Gefahr bedeutet, wenn er sich übersteigert und noch später, in einem Akt der Selbsterkenntnis, erschrickt und in das genaue Gegenteil, die finstere Depression, umschlägt. Jamison hat beides erlebt, den Enthusiasmus und die Depression, und die Menschen lesen ihre Schriften offenbar deshalb gerne, weil sie aus diesen besonderen Erfahrungen heraus authentisch sind.

Dagegen klingt hysterische Reaktion deutlich herabsetzend. Es bedeutet immer eine Einstufung als Krankheit. In der Folge haben die Schüler Siegmund Freud es ja auch gut verstanden, um die von ihnen diagnostizieren Krankheiten herum ein Versorgungssystem aufzubauen, das nur von teuren Ärzten bedient werden kann. So wurde Psychologie zu einer Form des kostenpflichtigen Austausches von Lebensrat.

Sigmund Freud hat einmal gesagt, dass seine Psychologie eine Kränkung der Menschheit ist, zusammen mit der kosmologischen Kränkung des Kopernikus (die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Weltalls) und der biologischen Kränkung Darwins (der Mensch stammt vom Tier ab).

Nach meinem Eindruck sind Psychologen wie Jamison, die statt „hysterischer Reaktion“ nur „Enthusiasmus“ sagen, auf dem Weg, diese Kränkung ein wenig zu mildern.

Ein zweiter Kommentar in dem Gespräch nach der Rede war, dass es in den Reihen der Christen bedauerlicherweise bis heute nicht erlaubt ist, über starke Gemütsschwankungen zu reden. Depressivität wird verdrängt, sagte mir mein zweiter Gesprächspartner. Auch das hat mich letztlich geärgert, weil ich ein Bild vom Zusammenleben der Menschen habe, in dem der eine dem anderen seine Sorgen und Nöte sagen darf. Voraussetzung ist ein gewisses Vertrauen.

Zwar gibt es die Scheu, mit Störungen im Haushalt der Seele nach außen zu treten. Diese Scheu ist natürlich, sie sollte aber nicht durch gesellschaftliche Konventionen verstärkt werden, die eine ehrliche Rede darüber verbieten. Nach meinem Eindruck ist das in den vielen christlichen Gruppen aber auch gar nicht der Fall.

Ich stelle mir eine christlich geprägte Gesellschaft vor, in der es eine breite Akzeptanz von seelischen Extremlagen gibt, sowohl in Richtung übersteigertem Enthusiasmus als auch in Richtung übersteigerter Melancholie. Und es sollte in dieser Gesellschaft – anders als bei den Zirkeln um Sigmund Freud – auch eine breite Palette von Hausmitteln bekannt sein, mit denen der eine Mensch den anderen beratend behandeln darf, ohne dass man gleich zu einem teuren Doktor laufen muss.

Ich erinnere mich an eine Tagebuchnotiz des verstorbenen Journalisten Johannes Groß, der die Überschrift in einer Zeitung 30 % der Studenten benötigen eine psychologische Behandlung mit den Worten kommentierte: so einen Beruf möchte er auch haben, der sich seine Kundschaft selbst erschaffen kann.




Nachtrag 2: Im Wechselbad der Gefühle, eine Deutung des Paulus

Einige Tage nach Esthers Geburtstag las ich in einem Pauluskommentar von Norbert Baumert eine enthusiastische Äußerung des angeblich so leibfeindlichen und von daher freudlosen Apostels Paulus. Baumert interpretiert dort einen Abschnitt aus dem ersten Korintherbrief (Kapitel 6, 12 – 20) und gibt sich dabei sehr viel Mühe, den von verschiedenen Auslegern unterschiedlich bewerteten Abschnitt in Vers 14 zu klären, in dem Paulus schreibt

Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Macht. 

Wann ist der Zeitpunkt, an dem Gott „uns auferwecken wird“? Baumert argumentiert nach verschiedenen Seiten hin und kommt am Ende zu dem Schluss, dass diese Auferweckung ein präsentischer Vorgang ist, Gott erweckt uns  j e t z t  und lässt uns  j e t z t  teilhaben an der Kraft des Auferstehungsleibes. Von daher ist es für uns abwegig (so fährt der Abschnitt fort), wenn wir diesen Leib eins werden lassen mit dem einer Prostituierten. Darauf will Paulus am Ende des Abschnittes als praktische Mahnung an die Korinther hinaus.

Von einer anderen Stelle im zweiten Korintherbrief her (Kapitel 4, 11)

Denn ständig werden wir, die Lebenden, dem Tod überliefert um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar werde.

übernimmt Baumert dann die Anschauung, dass unser Leben ein beständiger Wechsel von Sterben und Auferstehen ist, ebenfalls im Hier und Heute. Wir sterben in unseren Sorgen und Nöten  und in unseren Bedrängnissen, wie es im Johannesevangelium heißt (Kapitel 16, 33, Luthertext)

In der Welt habt ihr Angst.

Wir erliegen dieser Bedrängnis-Angst, aber wir stehen immer wieder auf, weil wir - so interpretiert Baumert die Korinther-Stelle - an den Auferstehungsleib Christi angeschlossen sind.

Diese Deutung gefiel mir und war mir eine Antwort auf meine morgendlichen Bedrängnisse bezüglich der immer wiederkehrenden sorgenvollen und manchmal dunklen Gedanken vor dem Aufstehen. Das wäre also der Teil von mir, der immer wieder stirbt! Aber wenn ich dann morgens unter der Dusche stehe und mich anfange meines Lebens zu freuen, dann dusche ich also meinen Auferstehungsleib!

Ich sehe, wie am Ende das alles, was ich schreibe, von meinem gegenwärtigen Enthusiasmus durchdrungen ist. Aber insgesamt ist es wahr und ich schreibe es allen meinen Lesern zur Ermutigung.



Sonntag, 3. Juli 2016

Ein Enthusiast: meine Schwester Esther


Rede zu ihrem 60. Geburtstag
Liebe Esther, liebe Geburtstagsgäste,

Esther in ihrer Kabarett- Rolle
als Frau Schnobelsberger
ich möchte gerne etwas zum Verständnis meiner Schwester Esther beitragen, indem ich etwas (eher Theoretisches) aus dem Lebensumfeld berichte, in dem sie sich bewegt. Es ist das Feld der Enthusiasten. Diesen Begriff hat die amerikanische Psychologin Kay Jamison für eine bestimmte Lebensweise geprägt, über die vor einigen Jahren im Spiegel ein Interview unter dem Titel "Champagner der Gefühle" erschein. Sie erzählte darin vom faszinierenden Leben dieser Typen, die optimistisch und zupackend sind und immer ein wenig extrovertiert.