Freitag, 26. Juni 2009

Sagen können: Ich bin dabeigewesen (II)








In den letzten Tagen hat sich mein Interesse für das Geschehen im Iran weiter gesteigert. Mittlerweile kenne ich die beteiligten Blogger und Twitterer etwas besser und sehe ihr anhaltendes, mittlerweile ganz offenkundig auch durch persönliches Leid geprüftes Engagement.

Ich habe begonnen, im englischen Teil meines Blogs etwas darüber zu schreiben und Dokumente zu sammeln, von denen ich fürchte, daß sie schnell wieder in Vergessenheit geraten werden.

Es gibt einen bereits seit längerem bestehenden Grund für mich, die Kämpfe im Iran mit Anteilnahme zu beobachten. Aus meiner Beschäftigung mit meinem türkischen Freund Nurredin Öztaş und seiner Gülen-Bewegung ist mir die Frage wichtig geworden, ob sich Demokratie und Islam gegenseitig ausschließen. Die New York Times berichtet, daß ein einflußreiches Seminar im Iran genau das behauptet - und Ahmedinejad zu seinen Schülern zählt.

Im Gegensatz dazu hat Mussawi nach meinem Eindruck bewegende Worte für die gegenteilige Meinung gefunden. Er liegt damit bei allen sonstigen Differenzen auf der Linie von Nurredin, der die Bilder aus dem Iran mit demselben Abscheu sieht wie ich.


Mittwoch, 17. Juni 2009

Sagen können: Ich bin dabeigewesen







In den letzten Tagen haben sich in meinem Kopf die Nachrichten aus dem Iran mit den Erinnerungen vermischt, die ich an den Aufstand der Ungarn im Jahr 1956 habe. Damals wohnten wir in einem Mietshaus mit einer ungarischen Familie auf einer Etage. Wir sahen uns gemeinsam auf einem kleinen Fernsehschirm die wenigen Bilder an, die von dem Geschehen übertragen wurden, und litten mit den Journalisten, die verzweifelt von außen versuchten, etwas über die Lage im Lande zu erfahren. Eine wichtige Quelle waren damals, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, die Funkamateure auf der Kurzwelle, ich siebenjähriger Knirps wäre jedenfalls damals gerne ein solcher Funker gewesen, einer der Hilferufe empfing und Rote-Kreuz-Transporten half, an die richtige Stelle zu kommen.

Heute sitze ich wieder vor einem Bildschirm und versuche, etwas über das im Aufstand befindliche Persien zu erfahren. Diesmal bin ich aber tatsächlich eine Art von Funkamateur, nur daß es kein Funk ist sondern der Internet-Dienst Twitter, den ich benutze. Über diesen lese ich derzeit die Meldungen von neun Twitterern im Iran, in London und den USA*. Einige von ihnen, wie Adel Ganje in Bushehr am Persischen Golf, rechts sein Twitterbild, oder die schöne Lily Mazahery in den USA, im Bild links, meine ich schon persönlich zu kennen, habe ihnen zwei oder drei mal aus Deutschland berichtet - etwa, daß Merkel den Botschafter einbestellt hat, für die Meldung haben sich einige bedankt - und nehme an Ihrem Schicksal teil.

Ich sehe mir ihre primitiven Videos an, z.T. mit Handy-Kameras gemacht, lese ihre Überlegungen, zur nächsten Kundgebung zu gehen oder nicht, und erkenne in ihnen Menschen, die mir in ihrem Denken und Handeln sehr verwandt sind. Sie wollen offenbar nicht eine bestimmte Partei an die Macht wählen (der Oppositionsführer Mussawi, rechts sein Twitter-Bild, war lange Zeit ein Hardliner, Premierminister in Khomeini-Zeiten, er ist von daher kein geborener Hoffnungsträger), sie wollen überhaupt erst einmal die Wahl haben und sich nicht von Mächten bestimmen lassen, die hinter verschlossenen Türen über die Politik bestimmen.

Sie sind nach meinem Eindruck Teilnehmer am "Great International Bazaar", den Francis Fukuyama in seiner "End of History" schon 1989 beschrieben hat, Leute, die - verkürzt gesagt - in ihrem Konsumverhalten auf ein gleiches Niveau mit den westlichen Ländern kommen wollen, ein vernünftiges Auto, moderne elektronische Geräte usw. besitzen möchten, ihre Kinder auf freie Schulen schicken und ihre Familien von guten Ärzten versorgen lassen wollen. Das alles kann nicht von einem Staat gewährt werden, in dem religiöse, rassische oder politische Bevormundung und Intoleranz herrschen.

Die demonstrierenden Menschen sind auf wundersame Weise "normal", sie wären äußerlich in keiner Fußgängerzone Deutschlands von dem Rest der Bevölkerung zu unterscheiden, gleiche Hemden und Jeans, Kleider, T-Shirts, gleiche Großstadt-Gesichter, vielleicht ein bißchen weniger blonde Anteile als in Berlin. Ich wünsche ihnen von Herzen, daß sie bald leben können wie die Berliner.

Am Montag haben wir alle versucht, Twitter davon abzuhalten, sich für eine geplante Wartungspause von zwei Stunden komplett abzuschalten - mit Erfolg! Zwar hat die amerikanische Regierung später melden lassen, man habe "mit Twitter gesprochen", aber i c h habe es auch getan, bzw. habe (war gar nicht so leicht zu finden) über eine Service-Seite den dringenden Wunsch der Iraner, Twitter durchlaufen zu lassen, an die Twitter-Organisation weitergegeben.

Die amerikanische Regierung kommt bei Twitter nicht immer gut weg, die soll sich klarer einmischen, wird gesagt. Nun kann man Obama verstehen, wenn er am Dienstag so in etwa geäußert hat, es stünde ihm nicht an, Wahlen anderer Länder zu kommentieren. Aber daß er dann gemeint hat, Mussawi würde eine ähnliche Politik machen wie Ahmedinejad, das halte ich für völlig verkehrt. Ein von einer demokratischen Bewegung an die Spitze getragener Mussawi würde eine demokratische Politik machen müssen, ob er will oder nicht. Dafür würden meine Twitter-Freunde schon sorgen, da bin ich sicher.

Gerade lese ich, daß die Überprüfung der Wahlergebnisse durch den Rat der Wächter der Revolution bereits morgen abgeschlossen werde soll. Die Mächtigen sind unter Druck, und ich hoffe, daß sie ihm am Ende vollständig weichen werden.


* @mousavi1388 (aus dem Büro des Oppositionsführers selbst) , @LilyMazahery, @Mynumberone1988,
@IranRiggedElect, @StopAhmadi, @birtanx, @Change_for_Iran, @jstrevino, @potent_one


Längere Beiträge von @birtanx (Bijan Zendeh) erscheinen in Deutsch auf meiner Facebook-Seite.


Sonntag, 14. Juni 2009

Bush, Obama und die Demokratie im Nahen Osten








Einer der bekanntesten Kommentatoren der New York Times, Thomas Friedman (Bild), berichtet von den Wahlen in Beirut. Er sieht trotz vieler Kritik an Bush, daß dieser eine Tür geöffnet hat, durch welche die neuen Demokraten im gesamten Nahen Osten jetzt hindurchgehen, und Obama natürlich auch . Ein bekannter libanesischer Journalist sagte zu Friedman: "Bush hatte eine einfach Idee, daß die Araber demokratisch sein könnten, und in diesem bestimmten Moment waren einfache Ideen das, was gebraucht wurde, selbst wenn er nicht redlich war." (Bush had a simple idea, that the Arabs could be democratic, and at that particular moment simple ideas were what was needed, even if he was disingenuous.)


Wir loben an dieser Stelle einmal mehr die einfachen Ideen.



Freitag, 12. Juni 2009

Im Museum








Seitdem das Wallraf-Richartz-Museum mit seinen berühmten Altertümern aus dem Haus Ludwig am Kölner Dom in ein neues Haus am Rathaus umgezogen ist, fehlt bei Ludwig (Bild) ein Stück der alten künstlerischen Legitimation. Früher ging man durch das Mittelalter (interessant, sagte man sich, aber etwas streng und formalistisch) in die Renaissance (wunderbar detailgetreu gemalte Heilige), von dort zu van Gogh (erstaunlich plastische weiße Wolke, wie aufgeklebtes Kaugummi) und zu den Vorläufern der Moderne (diese wunderbaren Seerosen von Monet). Danach war man bereit, auch ein wenig moderne Kunst in sich aufzunehmen, an die Wand genagelte Verpackungen und Kisten mit Tomatendosen (darüber würde man nachzudenken haben, später mal).

Heute fängt man erst bei Macke und Kirchner an, alles keine 100 Jahre alt, und man fragt sich von Anfang an, ob alle gezeigten Werke wirklich Kunst sind und auch in einer weniger bedeutsamen Umgebung genauso besitzergreifend wirken würden wie hier. Die Expressionisten (oder waren es die Impressionisten? Klassenarbeit: beides definieren, den Unterschied herausarbeiten!) haben teilweise an Farbwirkung verloren, nach dem ersten Krieg hatte man offenbar kein gutes, haltbares Material. Auch wirken viele damals anstößige Themen heute eher verbraucht, es entwickelt sich Staub auf den Dingen. Mondrian sieht man (die gewohnten Kacheln, ja, typischer Mondrian!), Feininger erkennt man sofort wieder (die Spiegelungen), Klee und seine dekorativen Muster natürlich ebenfalls, man hat sie ja vor Jahren häufig auf Geburtstagspostkarten zugeschickt bekommen.

Dann aber die wilden Jahre, die verfremdeten Alltagsgegenstände, die verbeulten Bleche. Das meiste versteht meine Generation sehr gut, weil sie weiß, was da verbeult wurde und wie es im Original aussah. Meine Kinder würden aber weder den verschmierten 68er Cola-Automaten, im „Portable War Memorial“ (Bild) als vertrauten Gegenstand erkennen noch die Bedeutung der Ikone mit den vier Soldaten verstehen, die 1945 in Iwo Jima die Fahne aufrichteten (schon damals eine gestellte Fotografie). Vielleicht stehen alte 68er ergriffen vor Warhol und Liechtenstein und denken daran, was damals alles bewegt wurde, aber sie hätten sicherlich in ihrer Jugendzeit nicht davon geträumt, daß man die Überreste ihrer hitzigen Aktionen einmal als Reliquien vorzeigen würde.

Museen haben einen sakralen Charakter. Jedes dort aufgehängte Bild sagt dem andächtig durch die hohen Räume schreitenden Besucher: Denke nach! Hier ist Bedeutung! Aus dem von seinen Altertümern entkleideten Museum Ludwig geht man aber, wenn man sich nur ein wenig diesem Anspruch zu widersetzen versteht, heraus wie der Atheist aus der Kirche. Das war eine Kirche? Mir kam es wie der Bahnhof vor…



Donnerstag, 11. Juni 2009

Glaubensbekenntnis von Jane Fonda





Für mich war sie lange die schönste Frau der Welt, Jane Fonda, geb. 1937, gefolgt von Sophia Loren, geb. 1934. Manchmal, wenn ich die alten Damen heute sehe, denke ich, daß sie es immer noch sind. Es ist wenig Konkurrenz nachgewachsen, Penelope Cruz vielleicht.

Jane Fonda ist eine eifrige Bloggerin geworden und hat auch Twitter entdeckt, um ihren Mitteilungsdrang in geregelte Bahnen zu lenken. Gestern hat sie nun in ihrem Blog über ihren Glauben geschrieben.

Ich hatte bereits von einer Bekehrung vor etwa zehn Jahren gelesen, wußte aber nichts Näheres. Nun hat sie eine etwa drei Seiten lange Erklärung geschrieben. Sie ist gleichzeitig klug und herzlich, auch wenn ich nicht alles richtig finde, was sie darin sagt.

Sie beginnt mit einer eigenen Auslegung eines Wortes aus der Bergpredigt, wonach Jesus seine Zuhörer auffordert, vollkommen zu sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.(Matthäus 5,48). Jane Fonda übersetzt das griechische Wort für vollkommen (teleios) mit ganz, voll ausgestaltet und schreibt über ihren Weg, statt eines nach Perfektion strebenden Menschen zu einer Person zu werden, die ihre innere Einheit, ihre Ganzheit findet.

Natürlich führt dieser Weg auch zur Entdeckung der Frau, da wird es dann ein wenig feministisch und man fühlt sich als Mann intellektuell zur Tür hinaus gedrängt. Aber andererseits - kann man jemandem ernsthaft verbieten, die Frauen zu lieben?

Alles zusammen ein zu Herzen gehendes Lebenszeugnis von einem Menschen, der die erbarmungslose Öffentlichkeit, in der er von früh an leben muß, jetzt einmal nutzt, um etwas öffentlich zu machen, was anzuhören lohnt.

Dienstag, 9. Juni 2009

Gedichte von John Updike






Vor ein paar Tagen habe ich drei Gedichte von John Updike in diesen Blog gestellt. Nun habe ich ein paar weitere zu übersetzen versucht und sie an einer anderen Stelle gesammelt ins Internet gebracht, jeweils das Original und die Übersetzung nebeneinander.

Es sind die letzten acht Gedichte John Updikes, alle nur wenige Wochen vor seinem Tod am 27. Januar 2009 geschrieben, alle auch im Wissen um seine tödliche Krankheit, Lungenkrebs.

Eigentlich kann man über den eigenen Tod nicht nachdenken, er ist uns das allerfremdeste. Große Schriftsteller rücken ihm aber mit Worten nahe, so wie sie etwa auch aus unserem tiefen Schlaf* Bilder heraufholen und Worte dazu finden können.

Bei John Updike steht am Ende eine erstaunliche Zuversicht und ein berühmter Satz aus der Bibel. Aber lesen Sie selbst!


* wie Marcel Proust in der Suche nach der verlorenen Zeit



Samstag, 6. Juni 2009

Millionen ohne Fernsehempfang







Am kommenden Freitag, 12. Juni 2009, werden in den USA mehrere Millionen Haushalte ohne Fernsehempfang sein, und zwar dauerhaft. An diesem Tag schaltet das gesamte System von analog auf digital um, danach haben Leute mit alten Geräten und alten Antennen übertragen gesagt einen Plattenspieler zu Hause, bekommen aber die Schallplatten weggenommen und an ihrer Stelle nur noch CDs geliefert.

Die Umstellung war wie die New York Times berichtet, schon im Februar 2009 geplant und von der Bush-Administration mit 1,5 Mrd Dollar gefördert worden. Das Geld wurde hauptsächlich für Gutscheine verwendet, mit denen sozial schwache Amerikaner sich Konverter-Boxen kaufen konnten. Die Obama-Administration hat den Februar-Termin noch einmal um vier Monate verschoben und für weitere 650 Mill Dollar Gutscheine verteilt.

Trotzdem rechnet man damit, daß Millionen von alten oder armen Leuten und wohl auch besonders von nicht Englisch sprechenden Menschen auf den Termin immer noch nicht vorbereitet sind. Man hat ihnen tausende freiwilliger Helfer von AmeriCorps, einer Art technischem Hilfswerk, ins Haus geschickt, selbst Bürgerrechtsbewegungen und die Feuerwehr wurden eingeschaltet, um Leute über das neue System aufzuklären und wenn nötig die Konverter einzurichten. Das obige Foto aus der New York Times zeigt zwei AmeriCorps-Freiwillige und eine ältere Frau, in deren Wohnungen soeben ein Konverter erfolgreich installiert wurde.

Mich interessiert die Sache beruflich, weil auch hier in Deutschland ein ähnlicher Schritt bevorsteht. In diesem Jahr habe ich auf vielen Eigentümerversammlungen das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Die Tendenz war - wie in der New York Times richtig beschrieben: die meisten Menschen warten bis zuletzt ab.