Montag, 27. Dezember 2010

Weihnachten mit einer neuen Bibel (III)






Fortsetzung und Schluß: Brian McLaren, A New Kind of Christianity


Hier nun eine vorsichtige Kritik.

Viele Leser werden schon auf der ersten Seite den Punkt erreichen, an dem sie entweder entschieden zustimmen oder heftig ablehnen. Es ist der Satz der christliche Glaube in all seinen Formen ist in Bedrängnis (the christian faith in all its forms is in trouble). Auch wenn gleich im nächsten Satz dagegengesetzt wird der christliche Glaube in all seinen Formen ist schwanger mit neuen Möglichkeiten, ist es diese erste, pessimistische Beurteilung, die man teilen muß, um mit Interesse weiterzulesen. Wer die gegenwärtigen Kirchen und Gemeinden gut versorgt und für die Zukunft gerüstet sieht, kann hier das Buch aus der Hand legen. Er wird für sich selbst nichts verpassen.

Wer dagegen die Sorgen McLarens teilt, entdeckt sehr bald eine Sammlung von alten und neuen Schätzen für eine Kirche von morgen. Dazu gehört etwa die Art und Weise, mit der McLaren die Bibel als ein Stück gute und frische Literatur liest und nicht als alte und starre constitution. Für mich ist es belebend, immer wieder die ursprüngliche Absicht jedes einzelnen Autors aus seinen Worten herauszulesen und sich davon berühren zu lassen. Auf diesem Weg erfährt man aus vielen Büchern der Bibel zunächst einmal die reine Geschichte des jüdischen Glaubens, ohne gleich immer die spätere Interpretation mithören zu müssen, die in der griechisch geprägten Geschichte des christlichen Denkens hinzugekommen ist.

Durch die Ausblendung der Kirchengeschichte mit ihrer Übernahme, Verarbeitung und Veränderung ursprünglich jüdischer Ideen ergibt sich allerdings ein blinder Fleck. Es entsteht der Eindruck, als sei die Geschichte Gottes mit seinem Volk bis in die Zeiten der Urgemeinde hinein sinnvoll und folgerichtig gewesen, die Geschichte der Kirche etwa ab dem Jahre 100 dagegen aber durch den grundlegenden Urirrtum verfälscht, der in der Adaption griechischer Philosophie bestand. Das, was McLaren eigentlich erreichen will, ein Verständnis für einen ursprünglichen, urwüchsigen Gott, der parallel zu seiner tödlichen Feindschaft gegenüber Israels Nachbarvölkern schließlich doch seine am Ende alle Völker umfassende Liebe entwickelt und dabei Irrtümer in Kauf nimmt, gilt nicht mehr für das Verständnis der mittelalterlichen Kirche mit ihrer nach Meinung McLarens platonischen Vision eines Himmels und einer Hölle.

So wird es in der Praxis sehr schwer sein, die alte, nicht erneuerte Kirche mit McLarens Gedanken zu versöhnen, weil deren jetzt von McLaren aufgedeckte Irrtümer durch kein Bild eines sich entwickelnden Gottes relativiert werden können. Der alte grausame Befehl die Philister auszurotten war notwendig, die neuzeitliche Buß- und Bekehrungspraxis angesichts einer falschen Vorstellung von Himmel und Hölle dagegen nicht, wenn man McLarens Gedankenfaden weiterspinnt.

Ich denke, daß an dieser Stelle sein Versöhnungswerk, dessen Faszination man sich nicht entziehen kann, noch ergänzt und erweitert werden muß. Die Griechen, von Augustinus angefangen, dürfen nicht auf dem Abfallhaufen der Geschichte landen.

Dagegen muß eine andere Faszination, die von McLaren ausgeht, die leuchtende Darstellung des Reiches Gottes, des peaceable kingdom, als eines im Präsens möglichen Lebensraums nach meinem Geschmack vorerst noch ein wenig zurückgenommen werden. Es mag sein, daß Gott die Zukunft dieses Reiches auch in die Hände der daran mitwirkenden Menschen gelegt hat. Er will dieses Reich allmählich mit ihnen entwickeln und es nicht mit einem Paukenschlag am Ende der Zeiten anbrechen lassen, sagt McLaren mit Blick auf alttestamentliche Prophezeiungen. Aber wie es im einzelnen mit dieser Entwicklung sein wird, könnte sich als ein größeres Geheimnis erweisen als es der alle Geheimnisse lüftende Amerikaner McLaren annimmt.

In der praktischen Konsquenz heißt das, daß die Neue Kirche McLarens nicht automatisch so weit im linken politischen Spektrum angesiedelt werden muß, wie McLaren das durchgängig nahelegt. Solange das Reich Gottes noch nicht gesichert ist, kann man dem Bösen nicht unbewaffnet entgegentreten. Das grenzt etwa den Pazifismus McLarens entscheidend ein.

Auch seine Toleranz gegenüber abweichenden Spielarten der Sexualität – ein ganzes Kapitel widmet er diesem Thema – paßt nach meinem Eindruck erst in das endgültige Friedensreich, wo Wolf und Schaf beieinander weiden. Ich hatte beim Lesen einen Augenblick das Bild meiner fähnchenschwingenden Remscheider Baptistengemeinde vor mir, wie sie am Straßenrand steht und dem Umzug des Kölner Christopher Street Day zuwinkt. Ein unmöglicher Gedanke.

Wenn man das Buch gelesen hat, fragt man: was wird geschehen, was soll geschehen? Nach meinem Eindruck gibt es viele Pastoren, die sich brennend für McLarens Gedanken interessieren, das Internet gibt Zeugnis davon. Ich bin sicher, daß sie von McLaren und der ganzen Bewegung der Emerging Churches lernen und ihren Gemeinden einen Weg der Erneuerung, ins 21. Jahrhundert hinein, zeigen können. Aber sie müssen es in einer großen Verantwortung und Liebe allem Bestehenden gegenüber tun. Vermutlich wird es am besten sein, wenn sie sich Dritten gegenüber öffnen und ihre Erneuerungspläne mit unabhängigen Ratgebern besprechen.

Sie werden daran arbeiten müssen, Ordnung in die Vielfalt der Möglichkeiten zu bringen, die McLaren aufzeigt. Der Blick ins Internet zeigt derzeit noch einen Bauchladen von bunten Initaitiven, die eigentlich nur über das Wort von den Emerging Churches untereinander verbunden sind.

Mein Eindruck ist, daß nur eine starke, hierarchische Kirche die Kraft haben wird, den inneren Umbau zu einer veränderten, friedlichen und damit am Ende auch weniger hierarchischen Kirche zu schaffen. Das widerspricht sich auf den ersten Blick, aber auf den zweiten Blick könnte es vernünftig sein, den verwegenen Wunsch zu träumen, daß die alte katholische Kirche die Last aber auch die Chancen einer solchen Erneuerung als Vorreiter auf sich nehmen und auf diesem Weg uns allen ganz nebenbei wieder einen Platz in ihrem Schoß ermöglichen würde.





Sonntag, 26. Dezember 2010

Weihnachten mit einer neuen Bibel (II)




Fortsetzung: Brian McLaren, A New Kind of Christianity

Gestern hatte ich die ersten fünf Kapitel nacherzählt, heute mache ich mit den Kapiteln 5 - 10 Fortsetzung. Morgen will ich eine vorsichtige Kritik schreiben.


6. Wie soll die Kirche der Zukunft aussehen?

Die zentrale Aufgabe einer erneuerten Kirche besteht nach McLaren darin, Jesus-ähnliche Menschen heranzubilden. Sie sollen lieben wie Jesus, ihren Nächsten zum Segen sein wie Jesus, das Reich Gottes herbeisehnen, herbeipredigen und herbeileben wie Jesus. Das Motto dieser Kirche findet sich im großen Liebeskapitel des Apostels Paulus in 1. Korinther 13, wo von der Liebe geschrieben wird, die alles versteht und trägt . Sie ist unter dem, was uns an Fundamenten gegeben ist – Glaube, Liebe und Hoffnung – das Größte.

7. Praktische Fragen (I): Sexualität

Möglicherweise werden sich Leser, die eine beharrliche Verbundenheit zu den Kirchen der alten Form empfinden, am ehesten an diesem Kapitel stören. Wer wie McLaren das Liebesgebot auf die verschiedenen Spielarten der Sexualität anwendet, wird fast zwangsläufig zum Liberalen. Das kann nicht jedem gefallen, besonders dem nicht, der die vielfältigen Grenzen der Bibel kennt, die der Sexualität gesetzt sind.

McLaren liest die alte Prophezeiung aus Jesaja 56, wonach dem fremden aber gottesfürchtigen Verschnittenen im Tempel Yad va Schem gegeben werden soll, ein Erinnerungsort und ein Name, mit Blick auf sexuell von der Norm abweichende Menschen. Für sie ist im Reich Gottes jederzeit Platz. Einer der ersten Menschen, die von der christlichen Mission erreicht werden, der Jesaja lesende Eunuch-Kämmerer aus Äthiopien (Apostelgeschichte 8) ist für McLaren ein typischer sexuell von der Norm abweichender Mensch (und dazu noch dunkelhäutig!), und daß er so prominent erwähnt wird, ein Beweis der Hinwendung zu den von der Norm abweichenden Menschen.

Kritisiert wird die fundasexuality der alten Kirchen, die abweichendes Verhalten als gegen die Schöpfungsordnung gerichtet ablehnen. Für McLaren ist aber auch diese alte Ordnung der Welt einer Dynamik unterworfen, die in Richtung auf Befreiung / Exodus und Friedensreich Gottes hingeht.

8. Praktische Fragen (II): Zukunft

Wie manche Mitglieder der charismatischen Bewegung versteht McLaren den alten Begriff von der Parusie, der Wiederkunft Christi, als Präsenz. Er löst damit das alte Problem auf, das sich aus der nicht erfüllten Naherwartung der ersten Christen in Bezug auf die Wiederkunft Christi ergibt. Zwar ist Christus nicht sichtbar wiedergekommen, aber er ist gegenwärtig im Leben der Christen und besonders im Gottesdienst der Christen. Seine Gegenwart macht aus der Geschichte keinen linearen Lauf auf ein Ende hin, sondern einen zum Himmel hin offenen Weg, der wie ein Lied ist, dessen Töne mit Leidenschaft gesungen werden wollen, jeder einzelne für sich und ohne beständig an das Ende des Liedes zu denken.

In einem erneut sehr langen und sehr gut geschriebenen Absatz erläutert er dieses präsentische Verständnis an der Geschichte des Propheten Jona. Gegen die Dummheit und den Widerwillen des Propheten rettet Gott zunächst ihn und dann die große Stadt Ninive – und das große Thema, von dem die Geschichte handelt, besteht im Unvermögen Jonas, das bereits gegenwärtige Heil Gottes zu sehen.

Gott bringt zurecht, das ist sein Gericht, ein gutes Gericht, das heute geschehen kann, das aber eine griechisch beeinflußte Denkweise zu einem bösen Strafgericht am Ende der Zeiten gemacht hat.

9. Praktische Fragen (III): andere Religionen

Mein Vater war nicht nur ein Mann der Brethren wie McLaren, er war auch ein Allversöhner wie er (ich bin mir in diesem Thema nicht sicher, habe aber auch nie den Druck gespürt, mich hier entscheiden zu müssen). Das Verständnis von der schlußendlichen Rettung aller Menschen findet sich in einigen Stellen der Bibel, am prominentesten vielleicht im Christus-Hymnus in Philipper 2, wo vorhergesagt wird, daß eines Tages jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, daß Jesus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters – in einem freiwilligen und erlösenden Akt, wie mein Vater fest glaubte.

In einer Welt, in der die Angst vor einem Clash of Religions viele Menschen lähmt, ist die Botschaft von der universellen Gültigkeit der Liebe und Vergebung Gottes für alle Menschen natürlich eine große Befreiung. McLaren unterstreicht diese Botschaft, indem er das bekannte Ausschlußwort aus Johannes 14,6, Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich, neu und anders deutet. Jesus bleibt der Weg, sein Leben, Sterben und Auferstehen bleiben ewig gültig – aber eben für alle Menschen. Das macht eine erneuerte Kirche offen für eine große Brüderlichkeit mit anderen Glaubensrichtungen.

10. Praktische Fragen (III): was ist zu tun?

In einer überraschenden Wende stellt McLaren seine neuen Christen und ihren zukünftigen Weg unter ein fremdes Urteil. Er rät dazu, es wie der jüdische Priester Gamaliel zu machen, der mit der alten Garde seiner Kollegen die neue christliche Gemeinde um das Jahr 35 n. Chr. herum kritisch beäugte aber dazu riet, nichts gegen sie zu unternehmen. Ihr Lebensrecht würde sich von selbst erweisen: wäre es eine rein menschliche Bewegung, so würde sie im Sand verlaufen. Sei sie dagegen von Gott, dann sei sie nicht zu bremsen und jeder Widerstand wäre zwecklos.

So rät McLaren, sich letztlich auf Gott zu verlassen und es seine Sache sein zu lassen, sich in den erneuerten Christen als am Werk zu erweisen.

Anregungen und Vorbilder für eine neue Art von Frömmigkeit gibt es in der Kirche genug. McLaren nennt hier den Iren-Missionar St. Patrick, Franz von Assisi, Luther, Menno Simons und andere. Ihre Gedanken wirken bis heute nach und können auch heute noch neue Wirkungen zeitigen.

Was das Verhältnis zu den traditionellen Christen betrifft, so sieht McLaren sie auf einer früheren Entwicklungsstufe stehen. Da allerdings die ganze Geschichte Gottes und seiner Menschen eine Geschichte von Entwicklungen ist, hat auch die frühere Stufe ihr Recht. Sie muß sich nur als eine Stufe unter vielen erkennen und darf sich nicht verabsolutieren. Sünde ist nach McLaren die Weigerung, zu wachsen und sich zu entwickeln.

McLaren hat hier erneut simple, einleuchtende Vergleiche, an dieser Stelle das Bild einer Entwicklung in Farben, die am Ende den Regenbogen bzw. zusammengesetzt das weiße Licht bilden. Von der roten Startzone, in der es um das nackte Überleben geht, gelangt man über Orange (Sicherheit), Gelb (Macht) schließlich zum paradiesischen Violett, das für Frieden steht.

So entsteht am Ende ein optimistisches Bild einer freien und friedlichen Gemeinschaft. Es hat für mich den Schönheitsflecken, etwas zu weit links zu stehen, aber man kann sicherlich durch Abstriche an die allzu schnelle Naherwartung der vollkommenen Präsenz Gottes auch ein wenig Maß an das Ganze bringen und verhindern, erneut wie in den 60er Jahren Hippie-Kommunitäten von weltfremdem Grenzgängern zu bekommen.

Mir gefällt das reiche Ausschöpfen der Bibel in diesem Buch. Wer so in ihr lebt, wie es McLaren als Ideal verkündet, kann am Ende nicht in die Irre gehen.



Samstag, 25. Dezember 2010

Weihnachten mit einer neuen Bibel (I)




Brian McLaren, A New Kind of Christianity

In diesem Jahr hat mich Brian McLarens Buch während der Zeit vor Weihnachten beschäftigt und ist dann in den weihnachtlichen Gesprächen mit meinen Kindern, von denen einige es ebenfalls gerade lesen, ein wichtiges Thema gewesen. Hier zunächst unser traditionelles Weihnachstbild im Türrahmen:



Ich beschreibe im Folgenden in zwei Blog-Posts den Inhalt des Buches und versuche in einem dritten eine vorsichtige Kritik.

Beginnen will ich mit einem Lob: eine der vielen schönen Seiten des Buches ist seine gute, anschauliche Sprache und die klare Gliederung in zehn Kapitel mit sauber voneinander getrennten Themenbereichen. Ich will mich ebenfalls an diese Gliederung halten und kapitelweise nacherzählen.

Von Beginn an wird deutlich, warum hier von einem neuen Verständnis der Bibel und damit von einer neuen Christianity, einer neuen Christlichkeit, die Rede ist.

1. Welche Geschichte erzählt die Bibel?

McLarens Bibel ist eine jüdische. Er liest sie von Adam über Abraham, Mose und die Propheten vorwärts auf Jesus hin, nicht rückwärts über Luther, Thomas von Aquin, Augustinus und andere. Sie erzählt ihm die Geschichte von Elohim, dem Gott, der die Welt erschafft und dann seine Geschichte mit einzelnen Menschen beginnt. Er liebt die Veränderung und zeigt bereits im ersten großen Drama der Bibel, dem Sündenfall, daß auch er selbst eine eigene Entwicklungsgeschichte hat und deshalb änderbar ist, hier beim Sündenfall und an vielen anderen Stellen mehr aus Barmherzigkeit. Er verzichtet auf die angedrohte Todesstrafe für das Essen vom Baum der Erkenntnis und schenkt statt dessen den Sündern warme Kleider aus Fellen, von ihm selbst gefertigt.

Über Adam und Eva, Kain und Abel, Noah, den Turmbau zu Babel entwickelt sich eine Geschichte Gottes mit den Menschen, die voll von unerwarteter Barmherzigkeit Gottes und damit voll von überraschenden neuen Erkenntnissen seines Wesens ist. Zunehmend wird deutlich, daß Gott nicht der statische unbewegte Beweger alles Seins ist, den die griechischen Philosophen verehren.

Mein fundamentalistisch frommer Vater (in einer strengen Brüdergemeinde aufgewachsen wie McLaren auch) hatte nie Probleme damit, uns Kindern von den wechselhaften Entwicklungen des Wesens Gottes zu erzählen. So habe ich ebenfalls kein Problem damit, eine Biographie Gottes anzunehmen, wie sie auch Jack Miles in seinem bekannten Buch geschrieben hat, und lese die immer neuen Ausformungen seiner leidenschaftlich aufwallenden Barmherzigkeit mit Freude.

Für McLaren hat die geschichtliche Entwicklung Gottes und der Welt drei Dimensionen, nämlich diejenige der Schöpfung (entsprechend dem 1. Mosebuch, Genesis), die der Befreiung (entsprechend dem 2. Mosebuch, Exodus) und die der Hinführung zu einem Friedensreich Gottes (entsprechend den Propheten, Jesus eingeschlossen). Alle drei Dimensionen sind auch heute noch nicht abgeschlossen, Gott ist in allen Richtungen weiter am Werk und bezieht die Menschen in sein Werk mit ein.

2. Welche Autorität beansprucht die Bibel?

Im zweiten Kapitel wird die liberale Bibelforschung dafür kritisiert, daß sie sich über die Bibel stellt. Aber auch der konservative Ansatz, sich in Demut unter die Bibel zu stellen, wird kritisch geprüft und abgelehnt. An die Stelle beider Ansätze tritt ein Leben in der Bibel und ihrer über die Zeiten erwiesenen Weisheit, ihrer time-tested wisdom. Diese erkennt und gewinnt man, wenn man dem schönen bücherverliebten Ansatz folgt, den McLaren aus seinem Literaturstudium hinüber in die Theologie mitgenommen hat, die nicht sein erstes Fach ist. Für ihn ist die Bibel eine von Gott inspirierte Bücherei (library), insofern glaubt er an einen göttlichen Willen hinter der Bibel, aber sie ist keine von ihm in Stein gemeißelte Verfassung (constitution).

In seinem Verständnis wird menschliche Geschichte, wie sie sich in der Bibel ausbreitet, zu einem lebendigen Akt, an dem Gott und Menschen gemeinsam mitwirken. McLaren grenzt sie von der griechischen, deterministischen Geschichte ab und findet für diese das griffige Bild von der bereits auf Festplatte aufgezeichneten Handlung, die nur darauf wartet, abgespielt zu werden. So ist Geschichte eben nicht.

Auch dieser Ansatz ist mir lieb und vertraut, und mir gefallen die Stellen des Buches am besten, wo McLaren in langen ruhigen Absätzen Passagen der Bibel nacherzählt und erklärt. Das kommt für mich zu einem Höhepunkt, wenn er den Römerbrief erzählend neu interpretiert, ein Vorhaben, das er über 15 Seiten (S. 196 – 210) ausbreitet. Große Linien werden klar, Menschen werden zu lebendigen Akteuren einer Handlung, in der Gott zwar im Regimente sitzt, aber nicht immer das letzte Wort für sich beansprucht.

3. Von welchem Gott erzählt die Bibel?

McLaren nimmt die Geschichten der Bibel wörtlich und liest sie ganz. Deshalb übersieht er niemals die Nebenlinien, die zu den uns vertrauten Geschichten gehören, von uns aber gerne übersehen werden, sieht also etwa nicht nur Noah und seine Familie wunderbar gerettet in der Arche, sondern sieht auch den massenhaften Tod der anderen Menschen. Will Gott diesen Tod, will ihn derselbe Gott, von dem Paulus später sagt, er wolle, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen?

McLaren hat eine differenzierte, immer seine Liebe zu Gott wahrende Antwort: Gott offenbart sein zutiefst liebevolles Wesen in mehreren Stufen. Die Rettung der Familie Noahs in der Arche ist eine solche Stufe. Sie entwickelt sich weiter in der Rettung des jüdischen Volkes aus Ägypten, dessen Führer zunächst als hilfloses, zum Tode verurteiltes Baby ebenfalls in einer Art Arche aus dem Nil gerettet werden muß. Am Ende steht die Rettung der ganzen Welt.

Gottes eigene stufenweise Entwicklung bedeutet, daß er dafür zunächst als ein rächender Stammesgott in Erscheinung treten muß, der ganz offenbar keine Liebe für die Nachbarvölker Israels hat. Das darf man nicht einfach überlesen. Man muß aber auch nicht das Bild eines unwandelbaren Gottes über das Bild Gottes zwingen, wie es uns in der Bibel begegnet, und aus der heutigen Perspektive den Gott von damals ablehnen. Das wäre griechisches Denken mit seinem ewig gleichen Theos.

Gott ist auch in seinen Entwicklungsstufen ein souveräner Gott – aber ohne seine Veränderbarkeit wäre auch seine immer wieder heiß aufwallenden Emotionalität und damit seine Barmherzigkeit nicht zu verstehen.

4. Welches Bild von Jesus haben wir?

McLaren grenzt sein Jesus-Bild von dem oft gebrauchten Bild des mit großer Macht zur Erde zurückkommenden endzeitlichen Christus ab. Er weist in einer Betrachtung der Offenbarung nach, daß auch der siegreiche Jesus weiterhin das Lamm Gottes ist und bleibt. Auch im Kampf am Ende der Zeiten ist nichts von seiner Feindesliebe verloren, nichts von seiner Hinwendung zu den Schwachen, nichts von der Botschaft vom Kreuz, Torheit den einen aber Gotteskraft den anderen.

Die Gotteskraft erweist sich am Ende überlegen, aber sie verleugnet ihre Wurzel im Leiden und Sterben Jesu am Kreuz nicht. Sie ist – in dem Dreiklang, den wir schon von Gott gehört haben – schöpferisch, befreiend und führt hinein in das Friedensreich Gottes, the peaceable kingdom. Genesis, Exodus und die Lehre der Propheten von der Herrschaft Gottes erneuern und erfüllen sich in ihm.

In gewisser Weise kommt in Jesus die Entwicklung Gottes zu einem Höhepunkt und Abschluß. McLaren zitiert hier den Qaker-Theologen Trueblood, der radikal gelehrt hat, daß Jesus nicht wie Gott war, sondern Gott wie Jesus ist. In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit (Kolosser 2,9).

5. Was ist die zentrale Botschaft des Evangeliums?

Johannes der Täufer und Jesus sind bekanntlich mit den gleichen Worten an die Öffentlichkeit getreten: das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, tut Buße. McLaren weist nach, daß Jesus diese Botschaft durchgängig verkündet hat, ja daß auch seine Nachfolger wie Paulus davon durchdrungen sind. Eindrucksvoll legt er in einer langen Passage, ich erwähnte es bereits, den Römerbrief daraufhin aus und bringt die Kraft des vertrauenden Glaubens zur Geltung, der uns dieses Reich erschließt.

Die Nähe des Reiches Gottes spielt in der Frage nach der Gestalt der christlichen Kirche eine große Rolle. Die Kirche kann in der Hoffnung leben, dieses Reich nach und nach verwirklicht zu sehen, kann an seiner Entstehung mitwirken und von daher ein vergleichsweise linke Sozial- und Friedenspolitik zu machen. Davon später mehr.



Montag, 13. Dezember 2010

Bush über Bush*



Von einem liberalen Politiker des Kaiserreiches haben seine Kinder erzählt, er sei viele Stunden verstört in seinem Haus umher gegangen, nachdem er die Gedanken und Erinnerungen seines verhaßten Gegners Bismarck gelesen hatte. Ihm war darin ein neues Bild von Bismarck erschienen, und er war sich danach seiner alten Gegnerschaft nicht mehr sicher. Ob es den vielen Gegnern von George W. Bush so gehen wird, wenn sie dessen Buch Decision Points gelesen haben?

Es ist ein Buch, in dem viel gelacht und viel geweint wird. Bush hat eine gesunde Distanz zu seinen eigenen Fehlern und kann sich selbst mit viel Humor sehen. Er weint mit den Opfern der Kriege - 550 Familien von getöteten Soldaten trifft er persönlich - und läßt sich, von deren Beharrlichkeit tief ergriffen, darin bestätigen, daß er in Afghanistan und im Irak auf dem richtigen Weg ist.

Offenbar sind die Verhältnisse innerhalb der Großfamilie Bush so, daß es immer wieder Gelegenheit zu emotionalen Erschütterungen gibt. Nachdem Bush seine Entscheidung für den Einmarsch im Irak getroffen hat, erhält er einen kurzen Brief seines Vaters, der mit Worten von Bushs früh an Leukämie verstorbener jüngerer Schwester (Foto: Georg und Robin 1953) endet: Remember Robin's words: 'I love you more than words can tell'.

Ähnlich wie die Lebenserinnerungen von Bill Clinton ein sehr einnehmendes Bild seiner Person und seiner Präsidentschaft zeichnen, tritt dem Leser auch aus dem Buch von Georg Bush ein Mann entgegen, der es versteht, Sympathien zu gewinnen. Gleich der erste seiner 14 Decision Points, anhand derer er das Buch dramaturgisch sehr geschickt gliedert, offenbart eine entwaffnete Ehrlichkeit, die sich durch das ganze Buch zieht. Kannst du dich an den letzten Tag erinnern, an dem du nichts getrunken hast? fragt ihn seine Frau Laura auf der ersten Seite des Buches und hilft ihm dann auf sanfte Weise aus seinen Alkoholproblemen heraus.

Nach einer durchzechten Grillfete zur Feier seines 40. Geburtstages entscheidet er sich schließlich, nichts mehr zu trinken. Als er später im Buckingham Palace hinter einer Batterie feinster Kristallgläser einen (für ihn alkoholfreien) Toast zu Ehren der englischen Königin ausbringt, blickt er kurz zu Laura herüber und weiß, daß auch sie denkt: es war ein langer Weg von dieser Grillfete bis hier in diesen Palast, we've come a long way.

Den Hurrikan Katrina hat er, behindert durch regionale Gesetze, schlecht gemanagt, das gibt er zu. Daß man ihm aber daraus den Vorwurf macht, er kümmere sich nicht um die schwarzen Opfer in New Orleans und sei ein Rassist, das bezeichnet er in einem heftigen Gefühlsausbruch als worst moment, den schlimmsten Augenblick in seinen acht Jahren als Präsident. Der Rapper Kanye West, einer von denen, die diesen Vorwurf erhoben hatten, hat ihn unter dem Eindruck dieser Buchstelle vor wenigen Tagen zurückgezogen. Bushs Emotionalität kann man sich eben kaum entziehen.

Den Krieg gegen Saddam Hussein würde er wieder führen, wenn auch anders. Daß der Diktator Massenvernichtungswaffen hatte, habe damals buchstäblich jeder geglaubt, selbst die Mitglieder von Saddams Regierung, sagt Bush. Es bleibt ihm ein Rätsel, warum Saddam dem Druck der Vereinten Nationen, die Nichtexistenz dieser Waffen nachzuweisen, nicht nachgegeben hat.

Stolz ist Bush auf ein milliardenschweres Programm zur weltweiten Bekämpfung von AIDS und Malaria. Daß die Amerikaner sich in der Welt nicht nur durch die hard power ihres Militärs, sondern auch durch die soft power ihres humanitären Engagements Respekt verschaffen müssen, ist ihm bewußt. Auch im Inneren setzt er Programme durch, die man eher als "links" bezeichnen würde - Milde gegenüber illegalen Einwanderern aus Mexiko, eine große Gesundheitsreform (Medicaid), die in einigen Teilen als ein würdiger Vorläufer der Obama-Reformen angesehen werden kann.

Eine Reform des Rentensystems scheitert am Widerstand von rechts, genauso wie eine schärfere Kontrolle von Fannie Mae und Freddie Mac, Hauptakteuren in der Finanzkrise 2008, am Ende seiner Präsidentschaft. Bush hat diese Kontrolle nach eigenen Angaben bereits zu Beginn seiner Präsidentschaft 2001 vergeblich gefordert. Die Deregulierung der Finanzmärkte sei nicht seine Politik gewesen, sie sei durch wichtige, bereits in der Ära Clinton beschlossene Gesetze, schon vor seiner Amtszeit in Realität gewesen.

Niemand muß ihm diese und ähnliche Selbstrechtfertigungen glauben. Er sagt selbst am Ende des Buches, daß erst eine spätere Geschichtsschreibung über seine Präsidentschaft letztlich entscheiden werde und daß er das Urteil mit Gelassenheit erwarte - er sei dann ja auch mit Sicherheit nicht mehr unter den Lebenden, around to hear it.

Sein Geschichtsbewußtsein ist recht gut entwickelt. Immer wieder vergleicht er seine Entscheidungen mit denen der 42 Präsidenten vor ihm. Allein von Abraham Lincoln liest er während seiner Amtszeit 14 Biographien. Das törichte Bild der deutschen Presse vom halben Analphabeten im Weißen Haus war immer eine Lüge, monoton wiederholt wie von der Prawda.

Ich bin während des Lesens mehrfach gefragt worden, wer das Buch denn nun geschrieben habe. Aus den fast vier Seiten langen Acknowledgements** am Ende des Buches geht hervor, daß es eine ganze Firma gewesen sein muß. Rechtsanwälte, Archivare, Spezialisten für geheimdienstliche Klassifizierungen und viele andere mehr haben ihm geholfen, das Material zusammenzutragen und zu sichten. Sechs enge Mitarbeiter, darunter Condoleezza Rice und zwei seiner Stabschefs, haben das gesamte Manuskript Korrektur gelesen. Dafür daß es von Anfang bis Ende durchgängig eine einzige Handschrift, einen Bush-Originalton, hat, hat offenbar seine enge Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Redenschreiber Chris Michel gesorgt, den er in seiner Danksagung als ersten erwähnt.

Viele Helfer also - und trotzdem wäre dieses Buch nach meinem Eindruck auch dann in vollkommener Weise das Buch des realen George W. Bush, wenn das allermeiste daraus von Mitarbeitern formuliert oder sprachlich überarbeitet worden wäre. Bush macht immer wieder deutlich, daß er große Teams mit Geschick führen und dann für die Ergebnisse die Verantwortung übernehmen kann. Das gilt auch für sein Buch.

Ganz am Ende des Buches beginnt er sein Leben als Privatmann, indem er seinen Hund ausführt. Mit Entsetzen sieht er, daß dessen erste Amtshandlung in Freiheit die Verrichtung eines großen Geschäftes im Vorgarten des Nachbarn ist. Bush beeilt sich, mit einer Plastiktüte das Ergebnis zu beseitigen und sinniert dabei über die plötzlich eingetretene Veränderung in seinem Leben. Irgendwie scheint mir im Humor dieser kleinen Szene der ganze George W. Bush enthalten zu sein.

* Die New York Times hat unter dem 17.12.2010 eine ausführliche Besprechung ebenfalls unter dem Titel "Bush on Bush". Es sind auch einige ganz ähnliche Beobachten darin wie in meinem Blog. Das Ende ist allerdings auf eine eher dumme Weise zynisch.

**Bill Clinton hat sie in ähnlicher Form und gleicher Länge in seinen Memoiren.


Sonntag, 5. Dezember 2010

Im Schnee versunken




Eine per eMail gerettete Predigt

Das Bergische Land ist heute im Schnee versunken. Pastor Matthias Ekelmann, der im Gottedienst unserer Remscheider Baptistengemeinde predigen sollte, saß im 50 km entfernten Wiehl fest. So mußte seine Predigt heute vorgelesen werden, gut, daß es eMail gibt und die Predigt auf diesem Weg nach Remscheid transportiert werden konnte.

Gut auch, daß Matthias Ekelmann und unser Pastor Lothar Leese lebenslange Freunde sind. So konnte Lothar Leese die Predigt, wie er mir mailte, "wie meine eigene" vortragen. Hier ist sie.


Johannes der Täufer hörte im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
(Matthäus 11, 2 - 6)


Unbequeme Wahrheiten
Johannes, genannt der Täufer, sitzt im Gefängnis. Er hat dem Regierungschef mit Namen Herodes zu deutlich gesagt, dass es nicht richtig ist, fremd zu gehen und die Ehe zu brechen und dann auch noch mit der Ehefrau des Bruders, also seiner Schwägerin. Die Wahrheit zu sagen war schon immer unbequem und gefährlich.

Unangepasstes Leben
Dieser Johannes ist eine faszinierende Figur. Er ist ein absolut unangepasster Mann, lebt in der Wüste, hat lange Haare, trägt einen Mantel aus Kamelhaar und isst das, was er in der Wüste so finden kann: Heuschrecken und wilden Honig. Für die meisten von uns unvorstellbar. Er verzichtet auf allen Luxus und interessiert sich nicht für ein 5-Gänge Menü.

Ungeschminkte Predigten
Er lebt nicht nur unangepasst, er predigt auch völlig ungeschminkt. Er spricht von Umkehr und Buße und vom Zorn Gottes, der die Menschen treffen würde, wenn sie sich nicht ändern. Er sagt nicht, was ankommt, sondern worauf es ankommt. Menschenfurcht ist für ihn ein Fremdwort. Die Oberfrommen seiner Zeit redet er nicht an mit „liebe Schwestern und Brüder“, sondern er beschimpft sie ziemlich derbe: „Ihr Otterngezücht, ihr Schlangenbrut, was denkt ihr eigentlich, wer ihr seid?“

Unzählige Zuhörer
Und trotz seiner provozierenden Predigten kommen die Leute in Scharen, um ihn zu hören. Viele von ihnen lassen sich taufen als Zeichen dafür, dass sie einen Neuanfang wagen wollen und um die Reinigung von ihren Sünden zu bitten. Das ist ja der Sinn der Taufe.

Mich erinnert das an den Chemnitzer Jugendpfarrer Theo Lehmann, der in der DDR-Zeit einmal im Monat sonntags Tausende junger Leute als Zuhörer hatte und kein Blatt vor den Mund nahm, über den Himmel genauso predigte wie über die Hölle.

Zurück zu Johannes: so wird uns berichtet, dass er sogar Jünger hat, Schüler, die mit ihm durch die Lande ziehen, und von ihm lernen.

Dieser so überzeugte und überzeugende Verkündiger sitzt nun im Gefängnis, weil er Tacheles geredet und sich positioniert hat. Weil er die Gebote Gottes ernst genommen und sie dem Herodes wie einen Spiegel vor Augen gehalten hat.

Ungeahnte Zweifel
Aber nun gerät er in eine Krise, in eine Glaubenskrise.
Er ist verunsichert. Er weiß nicht mehr so recht, ob die Sache mit Jesus stimmt.
Ob er sich wirklich auf die richtige Seite geschlagen hat.

Und deshalb fragt er: „Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Ich bin mir da nicht mehr so sicher. Ich bin hin- und hergerissen.
Kennen wir das nicht auch manchmal: dass der Zweifel an uns nagt.
Ob das alles so seine Richtigkeit mit Jesus hat.

Das letzte, was Johannes in seinem Leben sagt, ist diese Frage.
Danach sagt er nichts mehr.
Wir wissen aus dem weiteren Verlauf, dass er wenig später auf unappetitliche Weise hingerichtet wird.
Er wird im wahrsten Sinne des Wortes einen Kopf kürzer gemacht und sein Kopf wird auf einer Schale der Schwägerin von Herodes gebracht, mit der dieser ein Verhältnis hat. So hat sich das deren Tochter gewünscht.
Pervers, würden wir heute sagen, so ein Verhalten. Stoff für einen Thriller.

Dietrich Bonhoeffer, der Pfarrer aus dem Widerstand, der wegen seiner Worte gegen Hitler im Gefängnis ist, erlebt die gleiche Anfechtung wie Johannes in seinem Gefängnis und auch das gleiche Schicksal, nämlich den Tod. „Verzweifeltes Fragen treibt mit mir Spott!“ schreibt der Gefangene Bonhoeffer.

Unvorstellbare Zweifel
Manche Ausleger sagen: Johannes und Zweifel, das passt nicht zusammen. Gerade weil Johannes so eine klare Verkündigung hat, weil er so eine aufrechte Persönlichkeit ist, ist es unvorstellbar, dass er zweifelt.
Dieser Johannes ist es doch, der ganz dicht dran war an Jesus, der ihn getauft hat und der gehört hat wie eine Stimme aus dem Himmel sagt: „Dies ist mein lieber Sohn, über den ich mich freue!“ Und hat er nicht selbst gesagt: „Ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes.“
Ganz starke Worte. Ein ganz klares Bekenntnis.

Ja, das gibt es, dass Christen, die innerlich einmal überzeugt waren von Jesus und vom Glauben, ins Schleudern geraten, aus der Bahn geworfen werden, nicht mehr glauben können.
Es gibt engagierte Mitarbeiter in unseren Gemeinden, die Kindern und Jugendlichen das Evangelium gesagt und auch beispielhaft vorgelebt haben, die schleichend oder auch über Nacht alles hingeschmissen und den Glauben an den Nagel gehängt haben.
Und die, die ihnen nahestanden, waren einfach nur traurig.
Auch der stärkste Glaube ist nicht vor Anfechtungen sicher.

Unterschiedliche Gründe
Die Gründe hierfür mögen vielfältig sein: Enttäuschung an der Gemeinde, eigenes Versagen, Lebenskrisen, unverständliche Erfahrungen von Leid etc.
Keiner von uns kann die Hand dafür ins Feuer legen, dass er den Glauben bewahrt.
Es ist Gnade, wenn wir im Glauben durchhalten.

Unseriöse Frage
Übrigens, diese Frage „bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“, stellen wir uns auch im politischen Leben: wer kommt, um diese Welt friedlicher, gerechter und sicherer zu machen? Obama, war er es, auf den wir warten sollten oder sollen wir wieder auf einen anderen warten? Was hatten wir, vor allem die Amerikaner, nicht alles erhofft von diesem Mann. Und nun sind die Vorschusslorbeeren aufgebraucht, Enttäuschung macht sich breit. Er hat, nach Meinung vieler, nicht gehalten, was er versprochen und man sich von ihm versprochen hat.

Diese Frage stellen wir uns auch bei Pastorenberufungen: ist es der, den wir jetzt berufen haben, der die Gemeinde nach vorne bringt und für quantitatives und qualitatives Wachstum sorgt? Selbst bei Berufungen mit überwältigender Mehrheit kann nach kurzer Zeit bereits Ernüchterung eintreten: wir hatten uns mehr erhofft. Und ein neuer und nächster soll es richten.

Selbst in so banalen Zusammenhängen wie der Trainerfrage in einem Bundesligaverein spielt eine solche Frage eine Rolle: ist es der, den wir jetzt engagiert haben, der die Mannschaft aus dem Tabellenkeller wieder in das sichere Mittelfeld führt? Die Realität zeigt in vielen Fällen, dass die Retter in der Not auch nur mit Wasser kochen und bei Misserfolgen wieder ausgetauscht werden. Das Karussell dreht sich weiter.

Uneigennützige Frage
Zurück zu Johannes: „Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Diese Frage ist schon bemerkenswert. Johannes fragt nicht: Komm ich hier wieder raus? Wie lange muss ich hier sitzen? Jesus, du kannst doch nicht wollen, dass ich hier für den Rest meines Lebens abgestellt werde.
Johannes fragt nicht nach seinem Ergehen, nicht nach seiner eigenen Zukunft.
Er fragt nicht, was noch alles in seinem Leben kommt, sondern wer in sein Leben kommt.

„Bist du der Christus? Bist du es, den unsere Propheten uns vorhergesagt haben? Wenn ja, dann ist meine Unruhe besiegt. Dann ist alles gut. Dann war mein Leben nicht umsonst. Dann war es alle Opfer wert.“

Das Reich Gottes würde auch ohne ihn, Johannes, kommen und ohne ihn weiter gehen. Das Reich Gottes steht und fällt nicht mit seinem Einsatz. Johannes steht in einer Kette. Propheten vor ihm haben gepredigt, er hat in seine Zeit hinein ihre Botschaft fortgesetzt. Jesus und seine Jünger werden es weiterführen. Wenn er nur wüsste, wenn er es noch einmal bestätigt bekäme, was er eigentlich weiß, dass Jesus der ist, auf den er gewartet hat, dann wäre alles gut. Dann könnte er loslassen. Dann wüsste er, in welche Hände er alles loslässt.

Unbedingt fragen
Er macht das einzig Richtige, was er in einer solchen Situation machen kann. Er schickt sein Mitarbeiter-Team mit seinen Fragen zu Jesus.
Die Antwort von Jesus ist bemerkenswert. Er sagt nicht: „ Ja, ich bin es!“
Jesus sagt: „Seht, was ich tue. Hört euch um, was hier passiert. Sagt das dem Johannes: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet.“

Johannes soll den Schluss daraus selber ziehen.
Jesus bestätigt Johannes, was dieser eigentlich selber schon weiß.
Aber vielleicht braucht er noch einmal Menschen, die es ihm bestätigen.
In der Seelsorge ist das manchmal so, dass der Seelsorger dem, der Hilfe sucht, gar nichts Neues sagt. Er sagt ihm das, was der andere eigentlich weiß, noch einmal zu.


Das Problem des Johannes ist auch unser Problem: dass uns die Sache mit Jesus, das Reich Gottes, so unscheinbar vorkommt, so wenig attraktiv, so wenig beeindruckend und Aufsehen erregend. Dass der Glaube so wenig auszurichten scheint, keine Welten bewegt.

Unbedingt hinsehen
Vielleicht würde Jesus heute auf diese Frage von Johannes „bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ so antworten:
Du erwartest Großes, Spektakuläres.
Guck mal genau hin, was da heute so alles geschieht.
Da werden Kranke in den Krankenhäusern von den sog. grünen Damen besucht; Sterbende in Hospizeinrichtungen begleitet; Augenkliniken in Afrika errichtet; Straßenkindern in den Großstädten dieser Welt geholfen; Schulen gebaut, damit durch Bildung Eigenverantwortung gestärkt wird; Kinderheime errichtet für Halbwaisen, deren Väter in Stammeskriegen ums Leben gekommen sind; sog. Tafeln angeboten für Menschen, die sich kein teures Essen leisten können; Alkoholabhängige in Gruppen wie dem Blauen Kreuz therapiert …
Diese Aufzählung ließe sich mühelos um das Zehnfache an Initiativen fortsetzen.

Guck mal genau hin. Lies mal die Veröffentlichungen der EBM und der Hans-Herter-Indienhilfe. Und der vielen anderen Hilfswerke. Hör dich um, und du wirst erstaunliches, atemberaubendes entdecken. Es ist alles da. Es geschieht um dich herum und in der ganzen Welt. Du musst nur genau hinsehen und genau hinhören. Informationen gibt es genug.

Es geht nicht um die vermeintlich großen Dinge, die vom Himmel fallen, um das Mirakelhafte und Spektakuläre. Es geht ganz schlicht um eine menschlichere Weise des Zusammenlebens.
Das Diakonische und Soziale ist es, worin sich die Werke Jesu finden lassen.
Da wo Christen im Namen Jesu anderen Menschen die Barmherzigkeit Gottes erweisen.

Nein, wir müssen nicht auf einen anderen warten.
Der damals vor 2000 Jahren kam, hat ein Feuer angezündet. Hat Menschen wohlgetan an Geist, Seele und Körper. Und wir tragen die Fackel der Liebe und Barmherzigkeit weiter.
Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes Nachfolger dieses Einen.

Und wenn uns je und dann Zweifel beschleichen, ob wir denn auf der richtigen Seite stehen und ob die Mühen und Opfer es wert sind, dann lasst uns mit offenen Augen und Ohren wahrnehmen, welche Spuren dieser Eine in der Geschichte dieser Welt und unseres Lebens hinterlassen hat.

Jesus hat gewusst, dass wir wankelmütig werden könnten und sagt vorsorglich: „Selig ist, der nicht an mir irre wird.“ So die wörtliche Übersetzung aus dem griechischen Urtext.

Deshalb: Lasst uns bei Jesus bleiben und es dem Teufel nicht gestatten, uns auch in den schwersten Anfechtungen von Jesus zu trennen.