Samstag, 28. Mai 2011

Wiederbegegnung mit einem Lied




Gentle On My Mind (von John Hartford)

Der fahrende Geselle sieht die ferne Geliebte auf abgelegenen Straßen wandern, an Flußufern entlang, recht konkret, wie es scheint. Aber ganz am Ende sagt die länger und länger sich hinziehende Strophe: es sind in der verschwimmenden Perspektive doch eben nur die rivers of my memory, nicht die realen Flüsse selbst.

Vielleicht ist auch hier, wie so oft, die Erinnerung schöner als die Wirklichkeit. Der einsame Mann auf seiner eigenen langen Straße wird jedenfalls von der Erinnerung getragen, seine salzigen Freudentränen mischen sich mit dem Schweiß auf seiner von der Sonne glühenden Haut. Er wird am Ende des Weges vielleicht ein anderer sein, aber nie wird die ferne Geliebte aus den backroads seiner Gedanken verschwinden.

Schön ist ihre großzügige Liebe beschrieben. Die Türe ihres Hauses ist immer offen, niemand wird lange für das verantwortlich gemacht, was er einmal unbedacht gesagt hat. Man kann zu ihr zurückkehren - und sie wieder verlassen, wenn die Straße ruft, es ist einerlei. Das englische Wort gentle für das, was an sie erinnert, ist zart wie eine Feder aber auch solide wie der Charakter eines Gentleman oder einer Gentlewoman. Mit einer solchen Erinnerung im Kopf - Gentle On My Mind - ist kein Weg zu beschwerlich.

Frank Sinatra singt das Lied sehr schön:



Bekannt geworden ist es in der Version von Glenn Campbell:




Auch eine Version, in welcher der Komponist John Hartford (1937- 2001) selbst singt und sich mit dem Banyo begleitet, ist bei YouTube zu finden:


Hartford, ein Mann der Bluegrass Music war nach dem Erfolg seines Liedes ein gemachter Mann, auch wenn nicht seine Aufnahme, sondern die Version von Glenn Campbell den Weltruf brachte. Er habe das Lied in einem Zug niedergeschrieben, hat er später erzählt, nachdem seine Erinnerungen durch den Film "Dr. Schiwago" angeregt wurden.

Tom Jones hat es gesungen, Elvis Presley und viele andere. Die Akkorde sind einfach, der Rhythmus paßt zu einem wandernden Schritt. Man muß sich aber den gedrängten Text genau ansehen, bevor man ihn singt, denn er läßt sich unterschiedlich akzentuieren. Dabei führt allerdings nur ein System zu den genau zweimal acht und dann zweimal zehn Takten der Strophen, die in jeder der vier Taktfolgen einen über drei Takte hingezogenen Endton haben.

In der letzten Strophe besteht der dritte Teil dann ausnahmsweise ebenfalls aus nur acht Takten. Die dann folgenden letzten zehn Takte lassen unterschwellig noch einmal die Ungewißheit über die Länge der Wanderung anklingen. Das Ohr ist bei einfachen Liedern an Taktstrukturen gewöhnt, die sich durch vier teilen lassen und wartet irritiert auf das Ende, wenn das Ganze länger wird als erwartet. Mit diesem Effekt arbeitet das Lied auf wunderbare Weise.

Hier der Text:

It's knowing that your door is always open
And your path is free to walk
That makes me tend to leave my sleeping bag
Rolled up and stashed behind your couch
And it's knowing I'm not shackled
By forgotten words and bonds
And the ink stains that have dried upon some line
That keeps you in the backroads
By the rivers of my mem'ry
That keeps you ever gentle on my mind

It's not clinging to the rocks and ivy
Planted on their columns now that binds me
Or something that somebody said
Because they thought we fit together walking
It's just knowing that the world will not be cursing
Or forgiving when I walk along some railroad track and find
That you are moving on the backroads
By the rivers of my mem'ry
And for hours you're just gentle on my mind

Though the wheat fields and the clothes lines
And the junkyards and the highways come between us
And some other woman crying to her mother
'Cause she turned and I was gone
I still might run in silence tears of joy might stain my face
And the summer sun might burn me 'til I'm blind
But not to where I cannot see you walkin' on the backroads
By the rivers flowing gentle on my mind

I dip my cup of soup back from the gurglin'
Cracklin' caldron in some train yard
My beard a roughning coal pile and
A dirty hat pulled low across my face
Through cupped hands 'round a tin can
I pretend I hold you to my breast and find
That you're waving from the backroads
By the rivers of my mem'ry
Ever smilin' ever gentle on my mind

Sonntag, 8. Mai 2011

Sonntagsgedanken










Heute gab es in Remscheid eine schöne Predigt meines Pastors und Freundes Lothar Leese zum Kämmerer aus dem Mohrenland (Apostelgeschichte 8). In dieser Geschichte von dem klugen Gottessucher und dem ebenso klugen Gottesboten läuft alles richtig und alles auf das Happy End zu: er zog seine Straße fröhlich (8,39). Lothar und ungezählte Prediger vor ihm haben die Verse dazu benutzt, um an vielen Einzelheiten zu illustrieren, wie eine geglückte Gottessuche aussehen kann, das wurde auch heute wieder klar und angemessen herausgestellt.

Worüber selten gepredigt wird – ich kann mich an keine solche Predigt erinnern – ist über das Glück, das gleich zu Beginn der im Lesen der Bibel vertiefte Kämmerer hat, indem er scheinbar wahllos auf eine Stelle aus dem Propheten Jesaja (Kapitel 53, 7 – 8) gestoßen ist. Von dort geht seine spirituelle Reise los, und möglicherweise gelingt sie auch nur, weil sie dort anfängt.

Ich wage einmal die These: von den unzähligen Wegen zu Gott ist der ein Königsweg, der mit dem Lesen der Stellen in Jesaja beginnt, die vom leidenden Gottesknecht handeln*. Aus ihnen stammen auch die beiden Verse, die der Kämmerer liest.

Mit den Prophezeiungen des Jesaja beginnt um 600 v. Chr. eine vollkommen neue geschichtliche Phase** in den Beziehungen Gottes zu den Menschen. Es beginnt eine Ahnung davon, daß sich die Wirklichkeit Gottes auf der Welt nicht in triumphalen Siegen zeigt, sondern im geduldigen Ertragen der ganzen Fülle des menschlichen Unglücks – und der Entdeckung des Glücks, welches das ertragene Elend hervorbringen kann, wenn Gott sich auf die Seite des Leidenden stellt.


* Kapitel 42, 1 – 4, Kapitel 49, 1 – 6, Kapitel 50, 4 – 9, Kapitel 52, 13 – 53, 12

** Das arbeitet Jack Miles in seiner Biographie Gottes sehr schön heraus. Auch der Papst in seinen beiden Jesusbüchern kommt immer wieder auf den neuen Traditionsfaden zurück, der mit den Versen vom Gottesknecht beginnt.