Donnerstag, 24. September 2009

Busunglück in Radevormwald




Manche Unglücksfälle kommen einem besonders nah, weil sie sich in der unmittelbaren Nachbarschaft zutragen. So war es mit dem Busunglück am 22. September in Radevormwald, über das landesweit berichtet wurde und bei dem fünf Menschen ums Leben kamen. Das Unglück ereignete sich im Ortsteil Dahlerau, im Tal der Wupper, die etwas weiter südlich die Stadtgrenze zwischen Radevormwald und meiner Heimatstadt Remscheid bildet. Ich mußte also nicht weit fahren, um mir ein Bild von der Unglücksstelle zu machen.


Das Zentrum von Dahlerau mit seiner Kirche liegt auf einem felsigen Sporn oberhalb der Wupper, der Fluß bildet um diesen Vorsprung herum eine große Schleife, an deren Rand unten am Fluß eine alte Industrieanlage und einige Wohnhäuser liegen, die den Ortseil Vogelsmühle bilden.

Der Bus der Linie 626 Wuppertal – Radevormwald fährt an Wochentagen stündlich durch Dahlerau, auch durch den oberen Teil, wofür er einen Umweg macht. Er hält am Ende des Umweges an der Haltestelle „Vogelsmühle“ (Foto) und dann etwa 400 m weiter an der Haltestelle „Wuppermarkt“, bevor er schließlich den Berg hinauf nach Radevormwald fährt.

Die Buslinie verläuft flußaufwärts, die Straße geht aber zwischen den beiden fraglichen Haltepunkten leicht bergab, weil „Vogelsmühle“ auf einem höher gelegenen Teil des Ufers liegt. Die Straße folgt ab hier in mehreren Linkskurven dem Verlauf des Flusses und ist ab „Wuppermarkt“ fast auf Flußniveau.


Der Busfahrer hat am 22. September, einem Dienstag, um 11.45 Uhr planmäßig die Haltestelle Vogelsmühle verlassen und sollte nach Plan eine Minute später an der Haltestelle Wuppermarkt eintreffen. Dort ist der Bus auch nach Zeugenaussagen angekommen, aber mit hoher Geschwindigkeit, hat nicht gebremst, sondern ist in der Linkskurve vor dem Wartehäuschen geradeaus gefahren. Er hat dort eine Leitplanke durchbrochen (im Foto ist die bereits erneuerte Planke zu sehen, die Spur des Busses ist auf der Straße weiß markiert), der Bus ist dann ein paar Meter durch dichtes Unterholz gerast und am Ende eine Böschung hinunter in den Fluß gestürzt.

Der Bus lag seitlich im flachen Wasser der Wupper, unmittelbar unterhalb des Wartehäuschens, welches der Bus beim Unfall nur knapp verfehlt hat. Fünf Menschen kamen ums Leben, der Busfahrer, 45 Jahre alt und Familienvater, eine Ehepaar aus Schwerte, das hinter dem Fahrer Platz genommen hatte, 70 und 71 Jahre alt, ein Mann aus Radevormwald, 38 Jahre alt, und eine weitere Frau, bislang unbekannter Herkunft, etwa 70 Jahre alt. An den 38jährigen erinnert ein Anschlag auf einem der Straßenbäume.

Es waren weitere, etwa zehn Personen im Bus, die vermutlich nur deshalb überlebten, weil sie weiter hinten saßen. Fünf von ihnen waren wurden teilweise schwer verletzt, sind aber alle nicht mehr in Lebensgefahr. Die Befürchtung, daß man weitere Tote im Fluß oder unter dem umgestürzten Bus finden könnte, bewahrheitete sich glücklicherweise nicht.


Die Spekulationen kreisen um den Fahrer, der für ein privates Unternehmen die Linie der Wuppertaler Stadtwerke befuhr. Gerda Klingenfuß, Velbert, stand auf dem Bus (auf dem Foto ein Bus der selben Firma auf der Gegenlinie), und aus dem Haus Klingenfuß wurde bekannt, daß der Bus neu war und der Fahrer ein langjähriger zuverlässiger Angestellter war.

Zeugen sagen, er habe nach dem Abfahren von „Vogelsmühle“ Vollgas gegeben und dies auch bis „Wuppermarkt“ so gehalten, was man sich nicht erklären kann. Mittlerweile wird auch gesagt, er sei bereits bei der Runde durch das obere Dahlerau eigenartig gefahren und habe Stopschilder übersehen.

Wie auch immer, das Örtchen erlebt sein zweites großes Unglück, nachdem am 27. Mai 1971 hier im Ort auf der eingleisigen Zugstrecke nach Beyenburg ein Güterzug mit einem Triebwagen zusammenstieß, der 61 Schüler von einem Ausflug nach Bremen zurück nach Radevormwald bringen sollte. Damals starben 41 Kinder und fünf Begleitpersonen. In der kleinen Stadt Radevormwald gab es praktisch niemanden, der nicht eins der Kinder kannte, oder mit einer betroffenen Familie verwandt oder auf andere Weise verbunden war.

Warum der Fahrer des Güterzuges damals in Dahlerau losgefahren ist, obwohl der Bahnhofsvorsteher ihm keine freie Fahrt gegeben hat, konnte nie geklärt werden. Ob man klären wird, warum der Busfahrer so fuhr, wie er am 22. Septmeber fuhr, ist ebenfalls fraglich.






Samstag, 19. September 2009

Plötzliches Erschrecken




Auf der Frontseite der Samstagszeitung erschrickt mich das verzerrte Gesicht einer Frau mit blonden, teilweise in ihre Augen fallenden Haaren. Es ist die Schulministerin. Was erregt sie so?


1.000 Psychologen! Da kann einem tatsächlich Angst und Bange werden.

Ich erinnere mich an Berichte aus dem Scheidungskrieg zwischen Woody Allen und Mia Farrow. Die Kinder, so erfuhr man aus dem öffentlich ausgebreiteten Familienalltag, bekamen häufig als Strafarbeit eine Psychotherapie-Stunde aufgebrummt.

Das droht jetzt also weiten Kreisen der Bevölkerung. Rette sich, wer kann.



Sonntag, 6. September 2009

Nachtrag: Zufälle




Von den vielen angenehmen Zufällen, die diesem schönen Urlaub immer wieder kleine Kronen aufgesetzt haben – die Begegnung mit einem tschechischen Minister, mit dem heimatlichen Schwimmverein auf 2.500 m Höhe, mit Reinhold Messner, außerdem mit einem großen Feuersalamander, der auf der Wanderung hinunter ins Eisacktal unseren Weg kreuzte – war die Musik des Kirchenchors in St. Ulrich im Grödnertal die schönste und anrührendste.

Wir mußten in St. Ulrich eigentlich nur von einem Bus in den anderen umsteigen, hatten dabei aber Zeit, noch durch den Ort zu schlendern und die schöne alte Pfarrkirche zu betreten. Schon draußen vor der Tür kam uns Musik entgegen. Es war nicht irgendeine Musik - der Kirchenchor probte, begleitet von einem kleinen Orchester, die Messe in Es-Dur von Franz Schubert, seine letzte von insgesamt sieben. Er hat sie kurz vor seinem Tod geschrieben und die Aufführung nicht mehr erlebt.

Ich hatte die Messe als Student einmal in Stuttgart mitgesungen und sie auch später als ein mir vertrautes Stück immer wieder einmal gehört. Im Zentrum meiner Liebe zu dieser Musik steht das Et incarnatus est aus dem Glaubensbekenntnis, ein melodisches, fast volksliedhaftes Stück (bei YouTube ein kleiner Eindruck von einem anderen Konzert). Und gerade dies erklang nun, kurz nachdem wir die Kirche betraten. Es wurde gesungen von zwei Männern aus dem Ort, Tenören mit natürlichen, wenig ausgebildeten Stimmen, und einer gut geschulten Sopranistin. Es war zum Weinen schön.

Von meinen Gedanken her war es eine stille Bestätigung dessen, was ich gegen die Bergverherrlichung und heroische Selbstfindung bei Messner gesetzt hatte. Grund meines Glaubens ist das vom Himmel herrührende Handeln Gottes, das auf der Erde Realität wird. Josef Ratzinger, der Papst, nennt es Geschichtspositivismus (oder ähnlich, ich muß es in Remscheid nachschlagen und nachtragen), es ist ein konkretes, für alle Menschen erfahrbares und nachkontrollierbares Handeln. Es ist keine Grenzerfahrung, keine Selbstfindung. Und es kann zum Lied werden.

Wir haben nachgefragt und am Abend dann die Aufführung zusammen mit vielen Menschen erlebt. Willy Runggaldier und Gebhard Piccolruaz heißen die Männerstimmen aus dem Ort, und Anton Klotzner. Manuela Demetz war die Sopranistin. Im Geist ging für mich der hier in St. Ulrich geborene Luis Trenker durch die Reihen „do vorn bin I als kloaner Bub in der Christmette gesessen“.

Und über dem Grödnertal stand der Vollmond, der Ramadan-Mond meines lieben Freundes Nureddin Öztas, den ich hoffentlich einmal mitnehmen kann zu solch einer schönen Musik.


La postina della Val Gardena
bacia solo con la luna piena...





Samstag, 5. September 2009

Gutes und Barmherzigkeit




Am Ende unseres Urlaubes bleibt ein großes Gefühl von Dankbarkeit. Es ist uns über die Maßen gut ergangen, in allem. Wir haben buchstäblich auf einer grünen Aue gelebt, wie es in den Worten von Psalm 23 heißt.

Nach dessen letztem Vers werden Gutes und Barmherzigkeit dem folgen, der JHWH vertraut. Mir gefällt der alte hebräische Urtext mit seinem tow für Gutes und dem an die Chassiden erinnernden chessed für Treue und barmherzige Zuwendung.

Nun war in diesen Urlaubstagen in den Dolomiten auch viel zu lesen über die Göttlichkeit der Berge und die tiefen Einblicke, die dem gewährt werden, der hoch hinauf steigt. Im Bild ein Teil des Messner Mountain Museums in Schloß Sigmundskron: Ich wollte einmal hoch hinaufsteigen, um tief in mich hineinzusehen (Messner).

Mich hat das alles nicht sonderlich berührt. Es ergibt am Ende kein sinnvolles Ganzes. Messner und seine Kollegen haben nicht tief in sich, sie haben weit vor sich geschaut. Ich bewundere das sehr und sehe es mit viel Respekt. Messner hat vorausgesehen, daß die Bewohner der niederdeutschen Tiefebene seine Berichte von hoch droben begierig verschlingen würden – volle Säle, Fernsehauftritte, Manager-Konferenzen. Vielleicht hat er sogar vorausgesehen, daß er sich eines Tages mit den Messner Mountain Museums halbwegs unsterblich machen würde.

Seine Entdeckungen sind ähnlich wie des anderen prominenten Grünen, Joschka Fischer, der zum Marathonlaufen gefunden und ein Buch darüber geschrieben hat (Mein langer Lauf zu mir selbst) , in dem man allem möglichen begegnet, nur nicht dem Ich des Joseph Martin Fischer. Er hat vermutlich gehofft, dieses Ich als Ergebnis von 20 kg Gewichtsverlust praktisch wie von selbst finden zu können, aber Erkenntnisse über dieses Ich sind nirgendwo im Buch zu finden.

Auch Messner hofft offenbar auf eine Begegnung mit sich selbst, die bei ihm durch Höhengewinn erzielt wird, wo bei Fischer Gewichtsverlust steht. Alles das, was davon in seinen Museen sichtbar wird, ist aber eher diffus und fügt sich nicht zu einem systematischen Ganzen zusammen.

Dagegen führen die Worte des Psalms 23 zu einem Glauben, der von der Erkenntnis des eigenen Ich eher ablenkt und das ewige Du Gottes in den Blick bekommt. Die Barmherzigkeit, die Luther als Übersetzung von chessed gewählt hat, kann nicht gewonnen werden, indem man zu sich selbst findet. Sie entsteht aus einem personalen Gegenüber. Gott ist der erste Chassid, der erste Treue, der einen Bund anbietet und ihn zu halten verspricht. Wir als Menschen dürfen das annehmen, und auf Gottes Huld (so übersetzt es Martin Buber) antworten, indem wir ihm huldigen.

Ich hatte vor etwa 10 Jahren eine Phase in meinem Leben, die ich als Wüste empfunden habe, und von der ich fürchten mußte, daß hinter der Wüste weitere Wüsten folgen würden. Nun lebe ich auf einer grünen Aue. Gutes und Barmherzigkeit folgen mir, folgen uns als Familie.

John Updike hat sein letztes Gedicht vor seinem Krebstod im Januar dieses Jahres mit den Worten aus Psalm 23 enden lassen. Ich stelle die Worte an das Ende dieses Urlaubsblogs.

The tongue reposes in papyrus pleas,
saying, Surely - magnificent, that "surely" -
goodness and mercy shall follow me
all the days of my life, my life, forever.



Freitag, 4. September 2009

Andreas Hofer





Der im Jahre 1767 etwa 20 km nördlich von Meran geborene Kneipenwirt Andreas Hofer wird in ganz Tirol als Held verehrt, besonders nördlich des Brenners. Dabei hat er nicht etwa für die Vereinigung von Nord- und Südtirol gekämpft, die stand zwischen 1805 und 1810, den Kampfjahren des Freiheitskriegers gar nicht in Frage.

Seine Bauernaufstände richteten sich gegen die Herrschaft der Bayern in Tirol, die in den napoleonischen Kriegen auf Seiten des damals noch siegreichen Franzosen standen und im Frieden von Preßburg das Land Tirol erhielten, das man dem auf der Seite der Verlierer kämpfenden österreichischen Kaiser abgenommen hatte.

Es wird heute bezweifelt, ob sich der Aufstand ganz allgemein nur gegen die aufgezwungene Fremdherrschaft aus München richtete. Auch die vorangegangene Herrschaft aus Wien bedeutete ja keine demokratische Freiheit für das vereinigte Land Tirol, das damals vom Bodensee bis nach Salzburg und im Süden bis fast in die Poebene reichte.

Anzunehmen ist eher, daß die Bayern sich für den den Geschmack der Tiroler zu sehr dem Fortschritt und der Aufklärung verschrieben hatten, was den Tirolern als gottlos erschien. So hatten die Bayern etwa die allgemeine Pockenimpfung vorgeschrieben. Das erschien dem Kapuzinerpater Joachim Haspinger als ein Eingriff in die Wege Gottes, brachte ihn auf die Barrikaden und auf die Seite Hofers.

Vier berühmte Schlachten am Bergisel bei Innsbruck wurden gegen die Bayern und Franzosen geführt, drei gewonnen, die vierte und entscheidende verloren. Hofer konnte entkommen, wurde aber im heimatlichen Passeiertal bei Meran von Fraz Raffl, dem „Judas von Tirol“ in seinem Versteck verraten. Die Franzosen hatten 1.500,- Gulden für den Hinweis auf Hofers Aufenthaltsort bezahlt. Auf Befehl Napoleons wurde Hofer nach kurzem Prozeß 1810 im italienischen Mantua, südlich des Gardasees erschossen.

Zu seiner anhaltenden Bedeutung als Volksheld haben die vor 1848 um Einigkeit und Recht und Freiheit kämpfenden Deutschen nicht unwesentlich beigetragen. Das berühmte Andreas-Hofer-Lied „Zu Mantua in Banden“, hat 1831 der aus Ölsnitz im Voigtland stammende Julius Mosen gedichtet. Es ist bis heute die mittlerweile auch gesetzlich geschützte (Nord-) Tiroler Hymne, bezieht aber die Schmerzen des zur Exekution geführten Hofer auch in den weiteren Kreis der deutschen Freiheitsqualen mit ein. Mit Hofer leidet „ganz Deutschland“:

Zu Mantua in Banden
Der treue Hofer war,
In Mantua zum Tode
Führt ihn der Feinde Schar.
Es blutete der Brüder Herz,
Ganz Deutschland, ach,
in Schmach und Schmerz.
Mit ihm das Land Tirol,
Mit ihm das Land Tirol.

Mein Vater sang dieses Lied auf unseren Fahrten durch die Alpen und brachte uns zu dem Riesenrundgemälde von 1896, welches in Innsbruck zu sehen ist und die dritte Bergisel-Schlacht beschreibt. Meinen Vater hatte die Botschaft des Julius Mosen erreicht, hier ging es um Deutschland! Vielleicht hat er auch die antiaufklärerischen Untertöne gehört, die gehören ja oft dazu, wenn es um Deutschland geht.

In Südtirol wird das Lied mir Rücksicht auf die italienische Minderheit nicht als Nationalhymne gesungen. Hier besingt man unter anderem (auch dieses Lied kannte mein Vater) die Salurner Klause, die alte Sprachgrenze im Tal der Etsch zwischen Bozen und Trient:

Wohl ist die Welt so groß und weit
Und voller Sonnenschein,
Das allerschönste Stück davon
Ist doch die Heimat mein:
Dort wo aus schmaler Felsenkluft
Der Eisack springt heraus,
Von Sigmundskron der Etsch entlang
Bis zur Salurner Klaus’.

Das Lied wurde 1926 geschrieben, da gehörte man bereits zu Italien und mußte sich gegen die Italienisierung wehren.

Melodien zu den Liedern fand ich auf der Internet-Seite einer Studentenverbindung. Leider fehlt beim Südtirollied etwas, was laut einer anderen Quelle zwingend dazugehört: ein Jodler zwischen jeder Strophe.

Die beiden Bilder mit Hofer und seinen weit auseinanderstehenden Augen sind aus Messners Sigmundskron-Museum, in dem eine große Abteilung an Andreas Hofer erinnert.






Dolomitenmenschen (II)






Das alte Ehepaar aus Seis überholen wir beim Aufstieg zu den Roßzähnen. Daß sie ebenfalls wie wir den steilen Berg hinaufwollen, macht uns Mut. Man kommt also auch in dem langsamen Tempo, das die beiden vorlegen, hinauf auf solche schwindelnden Höhen. Der Mann ist 73, die Frau 68, er ist in Kastelruth geboren und war bis zum Rentenalter Maurer. Ihre beiden Töchter leben in der Nähe von Bozen.

Auf halber Höhe holen sie uns ein, wir machen Pause, sie nicht. Auf dem Gipfel sind sie deshalb vor uns, was uns etwas wurmt. Auf dem Rückweg treffen wir sie wieder, ganz unten, im Bus von der Talstation der Gondelbahn zurück ins Dorf, sehen wir sie dann erneut. Sie kommen, wenn man alles zusammenrechnet, genauso schnell voran wie wir.

Mit ihren braunen Augen und ihren freundlichen, milden Gesichtszügen könnte die Frau eine Schweizerin sein. Auch ihre Sprache erinnert sehr viel mehr an das Schweizerdeutsche als an das Österreichische, das man hier oft hört. Do isch a Murmel, sagt der Mann und zeigt uns ein Murmeltier. Dagegen der feine Österreicher, den wir bei einer Schweinezucht in den Bergen treffen: die sehns joa zaaberhaft aos!

Christiane und ich beschließen, mit Ende Sechzig noch ebenso hurtig in den Bergen unterwegs sein zu wollen wie die alten Seiser, Dieu volant.


Beim Abstieg in das Dorf Saltria am hinteren Ende der Seiser Alm finden wir endlich auch das Denkmal für den Südtiroler Luis Trenker, von dem Wikipedia mitteilt, daß es auf der Seiser Alm sei. Trenker hat während der Aufnahmen zu einem seiner Filme in dem Gasthaus gewohnt, in dessen Garten sein Denkmal steht, und dessen Apfelstrudel wir jetzt genießen.

Ich erinnere mich an seine überschäumende Lebensfreude und seinen an steinigen Felswänden auf Hochglanz polierten Optimismus. Do woar der Berg, un do woar I. Wenn ich die Wahl hätte, mit ihm oder mit Reinhold Messner eine Bergtour zu unternehmen, würde ich mich für den Trenker Luis entscheiden. Hier sitzen wir beiden einträchtig beieinander.



Auch dieser Mann in seiner blauen Schürze strahlt Optimismus aus. Ihm begegnen wir auf dem Marktplatz von Kaltern am Kalterer See, südlich von Bozen, dort ist abends ein Weinfest; und die Winzer des Ortes laden zu einer Weinprobe ein.

Viele Männer in Südtirol haben solchen blauen Schürzen, nicht nur die Weinbauern von Kaltern. Mich freut das, weil auch mir eine solche Schürze schon lange als sinnvolles Kleidungsstück im Haushalt erschienen ist. Wie leicht bekleckert man sich, besonders, wenn man älter wird! Und wie schnell urteilen Jüngere die Älteren wegen solcher Kleckerflecken ab!

Christiane mag die weißen, grünen und grauen Schürzen, die wir zu Hause haben, nicht an mir. Aber als wir in der Kooperative „E & N“ (Erste & Neue Kellerei) in Kaldern Wein kaufen, entdeckt sie im Regal eine blaue Schürze mit „E & N“ drauf und kauft sie mir. Das wird mein schönstes Erinnerungsstück an den Urlaub hier.



Donnerstag, 3. September 2009

Reinhold!







Nun habe ich mich in Gedanken so viel mit Reinhold Messner beschäftigt, daß ich es fast nicht für möglich hielt, als er plötzlich vor mir stand. Wir waren mit dem Rundgang durch seine zweite Burg, Schloß Sigmundskron bei Bozen, fertig und tranken in der Burgschänke eine Apfelsaftschorrle, da kam er gemessenen Schrittes den Burghof herunter und nach kurzer Zeit auch wieder herauf, so daß ich ausreichend Zeit hatte, ihn mehrfach zu fotografieren.

Anzusprechen war er nicht, er wurde von zwei Leuten befragt, vermutlich Journalisten, denen er in schönem Italienisch antwortete. Ich dachte an Helge Schneider und sein „Reinhold-Helge-Spiel“ (die beiden zusammen am Südpol, „Sag ich, Reinhold, wat is denn nu? Sagt er; Helge, watt is? Sag ich, Reinhold, sagt er, Helge, Reinhold – Helge – Helge –Reinhold – dat ging so viereinhalb Monate lang).


Anlaß seines Besuches war – wie ich durch Befragen eines schwitzenden Kameramannes erfuhr – der Besuch des früheren tschechischen Bildungsministers Ondřej Liška, derzeit Spitzenkandidat der Grünen bei den bevorstehenden Wahlen in Prag. Er hatte einen Fototermin bei dem prominenten Grünen (früher Europaparlament) Messner. Mit Ondřej Liška kam ich kurz ins Gespräch, habe ein Foto von ihm gemacht und ihm Glück für die Wahlen gewünscht. Helge Schneider würde sagen: das sage ich immer, wenn ich Politiker vor der Wahl treffe.


Auch das zweite Messner Museum steckt voller schöner Details. Diesmal ist es besonders die Neuerschließung der etwa seit dem Jahr 1600 nicht mehr benutzten Burganlage. Der Architekt hat innen und außen Treppen und Geländer aus unbehandeltem Stahl gebaut, der draußen leicht Rost ansetzt. Zusammen mit dem roten Stein entsteht ein reizvolles Spiel von alten und neuen Formen.

Märchenhaft der Gang „in den Berg“. Da leuchten Kristalle, und geheimnisvolle Lichter dringen aus Schächten nach unten. Ein Kind stand wie verzaubert vor diesem Licht, ich habe es mit langer Belichtungszeit fotografiert.










Mittwoch, 2. September 2009

Schlern oder nicht Schlern? Schlern!






Unserem Urlaub fehlte bislang der Sprung über die Baumgrenze ins Hochgebirge. Heute ist er gelungen, nachdem wir gestern die Seiser Alm noch einmal entlang der Nordflanke des langen Schlernmassives gewandert sind und bang zu den steilen Wänden und gezackten Wegen hochgeschaut haben. Ob man da je hochgelangen würde? Und wenn Ja: wie?

Von einer Gruppe, die vom Schlern (höchster Punkt 2.563 m) herab kam, erhielten wir schließlich den heute in die Tat umgesetzten Tip. Wir sollten, sagte man uns, nicht über den westlichen Touristensteig auf das Hochplateau wandern, weil der im Tal bei 1.800 m beginnt, sondern den Weg hinauf zu den „Roßzähnen“ am östlichen Ende des Massivs nehmen (auf dem Foto ist der Weg etwas links von der Mitte als helle Fläche zwischen den Felsen zu sehen).

Diesen östlichen Weg beginnt man auf einem Hochplateau bei etwa 2.000 m und geht zunächst relativ flach, bis man zum eigentlichen Anstieg kommt, einem steilen Serpentinenweg durch ein Geröllfeld, das bei etwa 2.150 m beginnt. Bis zur Roßzahn-Scharte auf 2.499 m sind es dann nur noch rund 350 m. Von weitem sah dieser Anstieg gestern grusig aus, aber heute erwies er sich als ungefährlich, gut begehbar, wenn auch schweißtreibend. Die Spaghetti mit Pesto auf der Tierser Alpl Hütte (2.440 m, unweit der Scharte) brachten die verbrauchten Kräfte bald wieder zurück.

Auf dem schmalen Grat bei den Roßzähnen plötzlich Gedränge und zu unserer Überraschung heimatliche Töne. Eine Gruppe Wanderer unterhielt sich angeregt, und so, wie einer der Männer den anderen "Klaus" rief (Klou-es), sagt man es eigentlich nur bei uns im Bergischen Land. Wie weit von Remscheid entfernt sie denn wohnen, frage ich den Mann. "Wir s i n d von Remscheid!" - eine Gruppe mit fünf oder sechs Ehepaaren des Remscheider Schwimm(!)vereins. Eine Frau erkannte Christiane sogleich, sie waren vor Jahren zusammen turnen, "Sie sind doch Frau Runkel!" Man kann seiner Heimat nicht entfliehen.

Auf dem Weg hinunter, für den wir die Schotterstraße nehmen, über welche die unterhalb der Roßzähne gelegene Tierser Alp erschlossen wird, ergibt sich mit den Remscheidern das eine oder andere Gespräch, so auch über die Anfänge des Remscheider Schwimmvereins. In den 20er Jahren gab es einen Arbeiter-Sportverein, der in Eigenhilfe ein einfaches, aber schön gelegenes Freibad errichtet hat, in dem ich als Kind oft gewesen bin. Es wurde leider stillgelegt und abgerissen, aber der Schwimmverein führt seine Wurzeln auf diesen Arbeiter-Sportverein zurück.

Mein Vater erzählte mir, es seien „Kommunisten“ gewesen, denen mein Bauunternehmer-Urgroßvater aber trotz ideologischer Differenzen gerne Schubkarren und ähnliches Werkzeug zum Bau des Strandbades geliehen hat. Das seien „vernünftige Leute“, die was gegen die Arbeitslosigkeit täten, sagte der fromme Opa. Die Nachfolger in den Bergen sind Meilen von den Gedanken der Vorgänger entfernt, aber die Vernunft des gemeinsamen Tuns ist geblieben.



Dienstag, 1. September 2009

Heute nachmittag auf der Seiser Alm




So ähnlich muß es ausgesehen haben, wenn Mose zu JHWH auf den Sinai gestiegen war.




Langkofel und Plattkofel von oberhalb Compatsch aus gesehen.

Hinweis: das Bild vergrößert sich, wenn man darauf klickt.



Dolomitenmenschen




Giuseppe P. ist vor mehr als einem halben Jahrhundert nach Deutschland ausgewandert und hat dort seine Frau kennengelernt. Die stammt aus dem Dolomitendorf Cibiana und brachte von dort ein entscheidend wichtiges, vom Vater ererbtes Kapital mit in die Ehe: alte Rezepte für italienisches Eis. Zusammen haben die beiden in den Fünfziger Jahren in Schwäbisch Hall einen Eissalon eröffnet, den heute der Sohn weiterführt – mit immer noch denselben Rezepten, nach denen der Großvater in den Dolomiten sein Eis zubereitete.

Giuseppe und seine Frau haben ein Haus in Schwäbisch Hall, ein weiteres in Pieve di Cadore und als drittes ein winziges Bauernhaus oberhalb von Cibiana auf dem Weg hinauf zu Messners Mountain Museum. Wir kommen vor diesem Haus ins Gespräch und werden bald zu einem Glas Prosecco in die gute Stube eingeladen, welche die beiden mit viel Liebe ausgebaut haben. Sie pendeln zwischen ihren drei Häusern hin und her, wobei sie die Sehnsucht nach den Enkeln aber auch der Bedarf an ärztlicher Hilfe immer wieder nach Deutschland treibt. Frau P. hat zwei Schulteroperationen hinter sich. Die letzte, in Belluno, hat nicht den erwünschten Erfolg gebracht, jetzt soll ein Krankenhausaufenthalt in Stuttgart helfen.


Vom Eisrezept verraten sie immerhin soviel, daß man für das Fruchteis die (natürlich eigenhändig eingekauften) Früchte kalt auspresst und nicht durch Erhitzen konzentriert. Man setzt Wasser hinzu, keine Milch, die gibt es nur beim Vanille- und Schokoladeneis und seinen Variationen. Bei diesen letzteren besteht die Kunst darin, das zum Pasteurisieren erhitzte Basisgemisch so schnell wie möglich abzukühlen.

Cibiana ist offenbar ein Hort für das Wissen um die Eisherstellung. Auch Nevio de Zordo, dessen Eissalon ich vom Fenster meines Studentenzimmers in Köln auf der anderen Straßenseite sehen konnte, stammt hier aus dem Dorf, die P.s kennen ihn. Wenn ich länger mit Nevio de Zordo redete, holte er manchmal auch die Silbermedaille hervor, die er 1972 in Sapporo gewonnen hatte – als Steuermann des Viererbobs Italien I.


Klaus C. ist über vierzig Jahre lang „im Sommer und im Winter“ in den Dolomiten in Urlaub gewesen. Er besaß einen Handwerksbetrieb in Goslar am Harz. Als Rentner zog er ganz hierhin und ist mittlerweile sogar mit einer Einheimischen aus Kastelruth verheiratet. Er hat sie im Alpenverein kennengelernt und liebt ihre Küche, wie er sagt.

Aus Dankbarkeit zur neuen Heimat hat er eine Bank gestiftet, die er jetzt in einem Wald oberhalb von Kastelruth aufstellt. Das ist mühselige Arbeit, weil die nächste Straße mehr als 1 km entfernt liegt – tief unterhalb der Bank. Jedes Teil hat Herr C. auf den Schultern herangetragen, auch die schweren Fußteile aus massivem Beton. Heute hat er einen Eimer Mörtel dabei und verlegt einen Naturfußboden aus dicken Steinen vor der Bank.

Er ist ein zufriedener Mensch, der ganz offenbar nicht von der Tristesse eingeholt wurde, die manchen befallen mag, der seinen Urlaubsort zum Dauerwohnsitz gemacht hat. Aber nicht jeder hat das Glück, eine neue Liebe im Alter zu finden, und dazu noch eine, zu der man auch über den Magen ein dauerhaftes Liebesverhältnis begründen kann.

Von der Bank aus blickt man auf die bewaldeten Hügel oberhalb von Kastelruth und dann einen Einschnitt hinunter in das Eisacktal, in dem ganz tief unten, unsichtbar und unhörbar für uns obrige, die Autobahn vom Brenner nach Mailand verläuft. Auf der anderen Seite des Tales erhebt sich das langgestreckte Massiv des Ritten (2.260 m), der zu den Sarntaler Alpen gehört. Mit seinem flachen grünen Gipfelgebiet sieht er vollkommen anders aus als die Berge der Dolomiten, die östlich des Eisacks beginnen. Frank-Walter Steinmeier, der seit vielen Jahren in den Dolomiten Urlaub macht, hat auf diesem Berg 2006 seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Auch der Papst hat hier in der Nähe Urlaub gemacht (2008 in Brixen im Priesterseminar) und Kanzlerin Merkel war 2006 hier, etwas weiter östlich, in Sexten.

Wir rechnen sie alle zu den Dolomitenmenschen und möchten selbst gerne ab sofort mit dazu gehören.