Freitag, 18. Dezember 2015

Heidi



Anuk Steffen, 9, als Heidi und Bruno Ganz, 74, als Almöhi
Das schönste, was man über diesen Film sagen kann, ist, dass er auf so natürliche Weise natürlich ist. Nirgendwo ist von dem aus Katalogen bekannten Wohlgefühl die Rede, das der moderne Städter mit "Natur pur" bezeichnet. Nirgendwo wird Natur mit einer Ideologie verbunden – etwa: Natur ist Gesundheit, Natur ist Langsamkeit, Natur ist Zu-sich-selbst-finden usw. Natur wird nicht reflektiert, sie ist in diesem Film einfach nur da. Man findet sie in den erhabenen Bergansichten rings umher, im zerfurchten Gesicht des Almöhi (wunderbar gespielt von Bruno Ganz, nie wieder wird man sich den Almöhi anders vorstellen können als in dieser Verkörperung) und am Ende in den unschuldigen Gestalten der Kinder Heidi, Klara und Peter.

Montag, 14. Dezember 2015

Heinrich Heines Liebste und Ludwig Feuerbachs Gott


Im Kölner Dom hängt in einer Seitenkapelle ein Marienbild. Im Gesicht der schönen Gottesmutter hat Heinrich Heine auf einer Reise* nach Köln die Züge einer Geliebten wiedererkannt. Er hat ein Gedicht über dieses Bild gemacht:

Im Rhein, im heiligen Strome,
Da spiegelt sich in den Well'n
Mit seinem großen Dome
Das große, heilige Köln.

Im Dom, da steht ein Bildnis,
Auf goldenem Leder gemalt;
In meines Lebens Wildnis
Hat's freundlich hineingestrahlt.

Es schweben Blumen und Englein
Um unsre Liebe Frau;
Die Augen, die Lippen, die Wänglein,
Die gleichen der Liebsten genau.

Dienstag, 3. November 2015

So tun als ob


   
Blaise Pascal
Kann man einen Science-Fiction-Film, in dem eine Zeitmaschine die Handlung vorantreibt, mit Genuss ansehen, wenn man dabei selbst gar nicht daran glaubt, dass es eine solche Zeitmaschine tatsächlich gibt? Unsere Erfahrung lehrt uns: man kann das, jedenfalls für eine gewisse Zeit. Kann man aber auch sein ganzes Leben nach bestimmten Grundannahmen gestalten und dabei im Zweifel sein, dass sie sich beweisen lassen? Ein Beispiel: kann man moralische Forderungen wie „Stehlen ist schlecht“ als Grundsatz akzeptieren, auch wenn man nicht davon überzeugt ist, dass es überhaupt letztgültige Grundsätze gibt?

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Der erste und der zweite Schlaf


Er steht auf beim Gesang der Vögel
(Prediger 12, 4*)


Nach einer Reihe von Gesprächen mit Leuten im Alter über Siebzig bin ich zu einigen Überlegungen gekommen, was meine mit dem Älterwerden zunehmenden Schlafstörungen betrifft. Als erstes habe ich im Internet gefunden, dass viele Kulturen den unruhigen Schlaf kennen und ihn für normal halten. Auch im Deutschen gibt es ja das Wort vom "ersten Schlaf", also von einer Periode, die recht frühzeitig unterbrochen wird Man findet Berichte, dass Menschen in vielen Teilen der Welt die Nacht in wenigstens zwei Phasen teilen, die sie als den ersten und zweiten Schlaf erleben.

Sonntag, 11. Oktober 2015

Draht im Herzen


Stent
Wenn man mir am 11. September 2005 prophezeit hätte, dass jetzt zehn gesundheitlich unbeschwerte Jahre vor mir liegen würden, am Ende sogar mit guter Aussicht auf eine weitere Verlängerung, hätte ich es nicht geglaubt. Ich hatte im August 2005 beim Joggen einen dumpfen Schmerz in der Herzgegend verspürt, der zwar wieder verschwand, der sich aber wenige Tage später erneut einstellte, als ich einen kurzen Weg einen steilen Berg hinauf zu machen hatte.

Hausarzt und Kardiologe rieten mir zu einer Katheter-Untersuchung, die dann am 11. September stattfand und aufzeigte, dass zwei große Venen an meinem Herzen verengt waren. Sie wurden sogleich mit einem über die Leiste eingeführten Hochdruckballon aufgeweitet und durch einen Stent (und einem weiteren zwei Tage später) offen gehalten. 

Samstag, 26. September 2015

Von der Freude am Schreiben


Völs am Schlern

Der Schlern und das Dorf Völs
Es wäre sicherlich schöner für mich, ich könnte anhand der Seitenaufrufe aus meiner Blog-Statistik von der Freude am Lesen schreiben, die eine große Zahl von Besuchern meines Blogs empfindet. So wie die Sache allerdings derzeit steht, sind die Seiten aus meinem Urlaub jeweils nur etwa 30 mal angeklickt worden, maximal etwas mehr als 50 mal. Keine besonders große Zahl an Lesern also.
Deshalb schreibe ich hier lieber von der Freude am Schreiben und von mir selbst. Ich muss dabei zunächst berichten, dass sich in diesem Urlaub eine resignative Gewissheit eingestellt hat, dass ich altersbedingt nicht mehr so lange schlafen kann wie in jüngeren Jahren. Ich werde meist nach vier Stunden Schlaf wieder hellwach und falle danach oft nur mit Mühe in einen flachen, von wirren Träumen und krausen Gedanken gestörten Schlaf. Damit ist insgesamt allerdings recht gut zu leben, denn die Phasen der Bettruhe im Wachzustand reichen offenbar aus, um am Tag nicht von einem beständigen Müdigkeitsgefühl begleitet zu werden.

Mittwoch, 23. September 2015

Das Heilmittel des langen Marsches

 
Völs am Schlern
 
In einem Kriegsbericht von Ernst Jünger habe ich gelesen, wie dieser beim Vorrücken seiner Kompanie 1940 in Frankreich mit einer sehr hinderlichen Augenentzündung morgens zu einem sehr langen Marsch aufbrechen musste. Zu seiner Verwunderung war die Entzündung am Abend vollkommen abgeklungen. Er kommentierte dazu, "Das Militär kennt das Heilmittel des langen Marsches."
Auch wir haben dieses Heilmittel in einer verkleinerten Form erlebt, nachdem wir einige Wanderungen am Ende so ausgedehnt hatten, dass wir abends recht erschöpft und müde ins Quartier zurückkehrten. Besonders der Aufstieg auf den Schlern und das Ankämpfen gegen orkanartige Windböen oben auf der Höhe haben uns viel Kraft gekostet, und der anschließende Abstieg am nächsten Tag wurde zu einer ordentlichen Qual, bei der am Ende jeder Schritt weh tat.

Dienstag, 22. September 2015

Bei Steinmeiers auf dem Ritten


 
Völs am Schlern

Das Rittener Horn, von Völs aus gesehen
Der Begriff der „Sommerfrische“ ist vor vielen Jahren auf dem Ritten, dem Hausberg der Bozener Stadtbevölkerung entstanden, welche hinauf auf die Höhen geflohen war, um der aus dem Mittelmeerraum einfließenden heißen Luft zu entkommen. Die kann im Talkessel selbst im September noch für ein stickiges Klima sorgen. Wer von den Bozenern genug Geld hatte, baute sich ein Ferienhaus am Hang des Ritten.

Frank-Walter Steinmeier, der deutsche Außenminister soll hier Urlaub machen, was auf einen bei Sozialdemokraten häufig anzutreffenden feinen Geschmack für urban erschlossene Natur hinweist. "Ein gutes Buch" habe er dabei, ließ er bei seinem letzten Urlaub auf Facebook verlauten. Kultur und Sommerfrische - eine vorbildliche Verbindung.

Sonntag, 20. September 2015

Bergwandern und Technik

Völs am Schlern



GPS-Anzeige unseres
Wanderziels Schlernhäuser
In diesem Jahr bin ich erstmals mit einem GPS-Gerät in den Bergen unterwegs, einem „Navi“ für Wanderer sozusagen. Das ist in einer Gegend mit sehr gut ausgeschilderten Wanderwegen nicht unbedingt notwendig, aber das System hat doch einige Stärken, über die ich mich immer wieder freue. Ich hatte mir bereits vor längerer Zeit das App „Maps 3D“ auf mein iPhone geladen und hatte es schon bei anderen Gelegenheit auf Wanderungen ausprobiert. Man kann mit Hilfe dieses Programms Wanderkarten herunterladen und sich damit vom Internet, das man nicht überall fern der Zivilisation zur Verfügung hat, und von Google Maps unabhängig machen. Man kann die Karten (die sich über Maps 3D ohne Komplikationen punktgenau herunterladen lassen) wenn man will so stark vergrößern, dass auf dem iPhone ein Geländeausschnit mit einer Länge von etwa 500 m erscheint (der Ausschnitt links ist nur geringfügig vergrößert und zeigt ein Gelände von etwa 5 km Breite). Wege sind, wenn man die starke Vergrößerung wählt, mit kleinsten Windungen erkennbar, Häuser erscheinen als kleine Rechtecke, Höhenlinien sind sichtbar, und man kann sich, indem man die Karte unter dem kleinen Fadenkreuz in der Mitte hin und her bewegt, für jeden Punkt im Gelände die Höhe anzeigen lassen.

Samstag, 19. September 2015

Der Schlern


Völs Am Schlern
 
Der Schlern von der Seiser Alm aus gesehen
Man sagt, der Schlern sei das Wahrzeichen Südtirols, und vielleicht erklärt sich das daraus, dass man ihn aus den Straßenzügen Bozens heraus immer wieder gut sehen kann. Er verschließt den Blick in das nach Norden zum Brennerpass führende Eisacktal mit seiner massiven grauen Krone gewissermaßen nach oben. Von Westen und Osten sieht er mit seiner topfeben erscheinenden Oberfläche fast wie ein Würfel aus - etwa 2 km mal 2 km in der Grundfläche und annähernd 1,5 km in der Höhe. Von Norden kommend sieht man allerdings, dass er in der Mitte von einer "Klamm", dem steilen Bett eines Wildbachs in zwei Hälften geteilt wird. Hier stehen auch zwei markante, dem Gebirgsmassiv vorgelagerte Spitzen, die raketenähnlich, zusammen mit der geraden Linie der Hochfläche das an ein mathematisches Wurzelzeichen erinnernde Symbol für den Tourismus in diesem Gebiet geben.

Mittwoch, 16. September 2015

Und´s Diandl hat g´sagt

Seiser Alm


Straßenmusik an besonderer Stelle
Eine erneute Begegnung mit der Erinnerung an meinen Vater gab es heute, und zwar an einer ganz unerwarteten Stelle.

Die Sache ging so vonstatten. Auf dem beliebten Puflatsch-Rundweg auf der Seiser Alm war an diesem schönen Spätsommertag so viel Betrieb, dass sich eine Straßenmusikantin auf das zur Bergstation der Seilbahn führende letzte Stück des Rundweges stellen und, geradewegs so, als ob sie sich in einer Fußgängerzone befände, mit einem kleinen Sammelkorb Spenden für ihre Musik einsammeln konnte. Ihr Vortrag erwies sich, wie wir schon aus großer Entfernung hören konnten, durchaus als spendenwürdig: die Sängerin sang, sich selbst schön auf einem Akkordeon begleitend, Volkslieder aus dem Bereich der Seiser Alm, teilweise sogar in dem hier in einigen Tälern noch gesprochenen Ladinsch, einer alten romanischen Sprachform, dem Rätoromanischen verwandt, das nicht weit von hier in Graubünden gesprochen wird.

Montag, 14. September 2015

Mein Alpenvater



Völs am Schlern, Südtirol

Hier im Alpengebiet zwischen Brennerpass und Bozen werde ich besonders an meinen Vater erinnert, der heute am Tag 95 Jahre alt geworden wäre. Seine ewig junge Hochstimmung beim Anblick der ersten Alpenberge kann ich jederzeit nachempfinden, sein Lied vom „Olmenwilly“ nachsingen (Joleradiho!) und seine angestrengte Arbeit bewundern, unsere Familie mit den fünf Kindern über die Alpen zu befördern. Das kann ich immer dann besonders würdigen, wenn ich links und rechts der modernen Brenner-Autobahn die alte Passstraße sehe, über die er sich damals noch samt Wohnwagengespann hinaufquälen musste.

Sonntag, 30. August 2015

Dem unbekannten Gott


Predigt im Gottesdienst in der JVA Remscheid-Lüttringhausen


 
Ich habe eine Geschichte mitgebracht aus den ersten Tagen des christlichen Glaubens. Sie stammt aus der Zeit um das Jahr 40 und erzählt eine Begebenheit auf dem Weg, den der Glaube durch das römische Reich genommen hat, und auf dem er sich ausgebreitet hat. 

Dienstag, 21. Juli 2015

Gehe hin, stelle einen Wächter



Die Amerikaner lesen zur Zeit Go Set A Watchman, jedenfalls haben sie das in der vergangenen Woche erschienene Buch so millionenfach vorbestellt wie man es sonst nur von der Harry-Potter-Serie kannte. Sie haben Harper Lees 40 Millionen mal verkauften Klassiker To Kill A Mockingbird (deutsch „Wer die Nachtigall stört“) vielfach in der Schule gelesen und sind jetzt vermutlich erschüttert darüber - das wurde schon in den Vorankündigungen und Kritiken, die in den ersten Tagen herauskamen, deutlich - dass sich in diesem Buch ein klaffender Riss auftut. Er teilt die Hauptfigur des Atticus Finch einerseits in den strahlenden Gerechten aus Mockingbird, der einen zu Unrecht verfolgten Schwarzen mutig verteidigt, und andererseits in den erbärmlichen Feigling aus Watchman, der heimlich zu Treffen des Ku-Klux-Klan gegangen ist, um seine weiße Rasse als vermeintliche Herren der Südstaaten an der Macht zu erhalten.  

Donnerstag, 2. Juli 2015

Hätte Präsident Bush nach dem 11. September 2001 ebenfalls „Amazing Grace“ singen sollen?


 


Dies schreibe ich mit der Absicht, zunächst einmal meinen muslimischen Freunden näher zu erklären, was es mit dem besagten Lied Amazing Grace auf sich hat. Der amerikanische Präsident Obama hat es am vergangenen Freitag auf der Trauerfeier für die Mordopfer von Charleston am Ende seiner Rede gesungen.

Amazing grace, how sweet the sound,
That saved a wretch like me!

I once was lost, but now I am found,
Was blind, but now I see.

Ich füge weitere Strophen unten an. Das Lied hat eine einfache, aus nur fünf Tönen bestehende Melodie und spricht von dem überwältigenden Gefühl einer Rettung durch Gott. Verloren – aber nun gefunden, blind gewesen - und jetzt sehend, eine durch und durch verdorbene Existenz („a wretch“, ein Schurke) - aber jetzt gerettet.
Dieses amerikanische Lied (laut Wikipedia 1748 vom Kapitän eines Sklavenschiffs verfasst, der aus Seenot gerettet wurde und später ein Gegner der Sklaverei wurde) wird auch in deutschen Kirchen gesungen, hier aber meist sehr viel zurückhaltender als in den emotionalen schwarzen Kirchen der Vereinigten Staaten. Ein mir persönlich bekannter Wuppertaler Pfarrer* hat das Lied ins Deutsche übersetzt und mir einmal gesagt, er wundere sich immer, wenn die Deutschen solche und ähnliche Lieder in Englisch singen. Sie sind in dieser Sprache bereit, sich in sehr viel emotionaleren Worten auszudrücken als im Deutschen.
Hätte George Bush dieses Lied nach dem 11. September 2001 ebenfalls anstimmen sollen? Ein verwegener Gedanke! Es ist ja eine versöhnliche Botschaft darin, ein vollständiger Verzicht auf Rache. Obama hat gesagt, der weiße Attentäter hätte einen Rassenkrieg anstiften wollen, aber – God has different ideas – eine göttliche Vorsehung habe das genaue Gegenteil bewirkt, nämlich einen großen Aufruf zur Versöhnung zwischen den nach wie vor unter Spannung stehenden Rassen in den Vereinigten Staaten.
Nun war in Charleston im Unterschied zum Anschlag auf das World Trade Center in 2001 eine genau definierte Gruppe von Menschen betroffen: schwarze Christen, zudem sehr frommen Menschen. In der Regel haben nur die frommen unter den sonntäglichen Kirchgängern außerdem noch die Sitte, sich auch in der Woche zu einem Bibelkreis zu versammeln. Das Attentat auf diese Leute war etwa so, als habe man eine Sohbet-Veranstaltung der Hizmet-Bewegung angegriffen, einen Hauskreis, einen Gesprächskreis gleichgesinnter gläubiger Menschen.
Ganz anders als im New York von 2001 hatten nun aber die Angehörigen der Ermordeten wenige Stunden nach der Tat vor Gericht in einem bewegenden Auftritt dem Täter ins Gesicht erklärt, sie würden ihm seine Tat vergeben.


Ohne diese Vergebung wäre es nicht möglich gewesen, dass nun auch Präsident Obama von grace, von Gnade gesprochen hat.
Solche Voraussetzungen hatte Präsident Bush 2001 selbstverständlich nicht. Er musste reagieren, musste fordern. Nun hat Präsident Obama allerdings ebenfalls gefordert: er hat die rassistischen Feinde der neun Mordopfer von Charleston aufgefordert, ihre Waffen niederzulegen. Er hat Worte gegen den Hass und gegen die allgemeine Bewaffnung der Bürger in den Vereinigten Staaten gefunden.
Man weiß, dass er hier sehr vorsichtig sein muss, weil es nach wie vor eine breite Grundstimmung in der Bevölkerung gibt, die das Tragen von Waffen zum freien Grundrecht aller Bürger macht.. Er hat deutliche Worte zum Einschränkung dieser Freiheit gesprochen und zu einer Annahme der erstaunlichen Gnade hinein in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.
Zum Schluss hat er die Namen der neun Mordopfer noch einmal laut ausgerufen und nach jedem Namen angefügt,  "...hat diese Gnade gefunden", ... found that grace. Er hat die ermordeten Menschen dann der Gnade anbefohlen, die sie jetzt nach Hause bringen wird . Im Lied heißt es grace will lead me home.
Und er hat am Schluss sein ganzes Land dieser Gnade anbefohlen, damit es - und hier hat er eine Pause gemacht und das folgende Wort besonders betont - Vereinigte Staaten von Amerika bleiben.
Alles das hätte Bush nicht sagen können. Aber dass es gesagt werden kann, mitten hinein in eine Welt, in der die Ungnade jeden Tag zu siegen scheint, ist ein Triumph der Hoffnung. 

Amazing grace, how sweet the sound,
That saved a wretch like me!
I once was lost, but now I am found,
Was blind, but now I see
'Twas grace that taught my heart to fear,
And grace my fears relieved;
How precious did that grace appear,
The hour I first believed!


Through many dangers, toils and snares,
I have already come;
'Twas grace that brought me safe thus far,
And grace will lead me home.



* Übertragung von Klaus Haacker:
O Wunder der Barmherzigkeit,
du Licht in meiner Nacht!
Ich war verirrt, dem Tod geweiht,
du hast mich heimgebracht. 


Die Gnade hat mich aufgeschreckt
aus falscher Sicherheit,
den Glauben dann in mir geweckt,
aus aller Angst befreit. 
In Nöten, Mühsal und Gefahr
hat Gnade mich bewahrt;
ich weiß, sie führt mich wunderbar
bis hin zur letzten Fahrt.


 

Sonntag, 21. Juni 2015

Ein Jahrhundertbuch, fortgesetzt




 

 
Bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Angelika Neuwirth hat der Basler Kirchengeschichtler Martin Wallraff ihr Buch Der Koran als Text der Spätantike als eines der Bücher bezeichnet, die nur alle hundert Jahre einmal geschrieben werden. Frau Neuwirth hat sich mit einem Vortrag bedankt, den sie dann später zu einem 116 Seiten starken Buch erweitert hat, das vor einigen Monaten unter dem Titel erschienen ist Koranforschung – eine politische Philologie.

Dienstag, 16. Juni 2015

Ramadan und die Gnade Gottes


Martin Luther
Die Frage, ob man Gottes Gnade nur durch gute Werke gewinnen kann oder nur durch den Glauben, spaltet die Christenheit in zwei große Gruppen: die Katholiken und die Protestanten. Für die Muslime unter meinen Lesern muss ich vielleicht erläuternd sagen, dass der Reformator Martin Luther (1483-1546) als junger Mönch in seinem Herzen von der Frage bewegt war "Wie finde ich einen gnädigen Gott?" Er hat eine radikal einseitige Antwort gefunden: "Allein durch den Glauben". Damit hat er sich von der „Werkgerechtigkeit“ abgesetzt, die er damals in seiner alten katholischen Kirche vorfand und gegen die er fortan in scharfen Worten gepredigt hat.

Donnerstag, 4. Juni 2015

Charles Taylor in Köln - neue Perspektiven für so etwas wie Mission


 
Nein, Charles Taylor hat selbstverständlich nicht über Mission gesprochen. Aber er hat für mich einen gedanklichen Weg geöffnet, den mir sein Buch nach meinem – vermutlich falschen – Eindruck verbaut hatte. In „A Secular Age“ hatte er den Rückgang christlichen Lebens in einem paradoxen Gedankengang darauf zurückgeführt, dass der christliche Glaube in vielen Lebensbereichen überaus erfolgreich gewesen ist. Er war so erfolgreich in der Schaffung einer Gesellschaft, in der sich gute Lebenskonzepte verwirklichen ließen, dass die Menschen annehmen konnten, auch alleine und ohne den Glauben an Gott mit ihrem Leben zurecht zu kommen. Für sie waren ja die aus christlichen Traditionen stammenden Gerüste und Strukturen für ein gelingendes Leben in vielfältiger Weise vorhanden.

Dienstag, 2. Juni 2015

Der Philosoph in Köln


Charles Taylor, Wolfram Eilenberger
Charles Taylor muss an diesem Abend um seine Worte ringen, denn er redet Deutsch. Ähnlich wird es sich angehört haben, als Hegel mit seiner schweren schwäbischen Zunge den schnellen Preußen in Berlin sein Weltsystem erklärte. Nur dass Charles Taylor nicht durch eine wirklich schwere Zunge gehindert wird. Er wuchs, 1931 in Kanada geboren, zweisprachig auf (englisch und französisch) und spricht ein sehr gutes Deutsch, in dem er allerdings immer ein wenig herumkramen muss, um das jeweils richtige Wort zu finden. In seinen englischen Büchern zitiert er die deutschen Quellen vielfach im Original, und man stellt sich gerne vor, dass er die Schriften von Immanuel Kant flüssiger lesen kann als eine deutsche Tageszeitung.

Donnerstag, 14. Mai 2015

Love






In einem vor wenigen Wochen herausgekommenen Buch von Colm Tóibín fand ich einen Hinweis auf den englischen Dichter George Herbert (1593-1633), dessen absolute "Natürlichkeit des Tonfalls" für seine amerikanische Dichterkollegin Elizabeth Bishop (1911-1979) der "wichtigste und dauerhafteste Einfluss" auf ihr eigenes Werk war, wie sie schreibt.

Dienstag, 5. Mai 2015

Weil ich Jesu Schäflein bin


Kim Strübind gewidmet, der dieses Lied seiner kleinen Tochter beigebracht hat

Mein Vater
Ich sehe meinen Vater vor mir, wie er nach dem Abendessen seinen fünf halbwüchsigen Kindern noch einmal einen grundsätzlichen Gedanken mitteilt. Mein Vater liebte grundsätzliche Gedanken, und er liebte sie besonders, wenn sie von ihm selbst stammten und er sie vor einem größeren Kreis von Zuhörern vortragen konnte.

Sonntag, 5. April 2015

Mallorca-Wanderungen (V): Die Kathedrale des Lichts



Selten bin ich beim Betreten einer Kirche so verzaubert worden, wie in dieser Kathedrale am Meer! Man betritt sie von Norden her und sieht deshalb als erstes die lange Südwand vor sich mit ihrer Vielzahl von warm funkelnden Kirchenfenstern, die das Licht des Mittelmeers im Innenraum der Kirche schweben lassen. Seine Farben werden aufgenommen von den hellen Steinen, aus denen das Gebäude errichtet ist und werden noch einmal besonders dadurch verstärkt, dass eine Vielzahl von großen Rundfenstern sozusagen von den Querseiten her das ganze beleuchtet.

Donnerstag, 2. April 2015

Mallorca-Wanderungen (IV): George Sand und die Sünden von Facebook


Warum mag ich diese kurz nach der französischen Revolution geborene Früh-Emanzipierte George Sand, die
eigentlich Amantine de Francueil hieß und den sächsischen König August den Starken in ihrer Ahnenreihe hatte, so wenig leiden? Sie hat über ihren Winter auf Mallorca ein Buch geschrieben, das hier in Valldemossa an jeder Ecke zu kaufen ist. 1838/9 ist sie für drei Monate mit Frederik Chopin auf der Insel und längere Zeit in Valldemossa gewesen und hat in ihren Beschreibungen von Land und Leuten kaum ein gutes Haar an den Verhältnissen hier gelassen. Dass die Mallorquiner sich mit dem Verkauf des Buches einen schlechten Ruf machen und gleichzeitig gutes Geld verdienen, hat vermutlich den Charakter des Inselvolkes tief geprägt.

Mittwoch, 1. April 2015

Mallorca-Wanderungen (III): Den Geist des Ortes mit der Zunge spüren


Vor vielen Jahren habe ich einmal einen Camembert gegessen, der mir als der beste erschien, der mir jemals in meinem Leben vorgesetzt wurde. Das war bei Freunden in Paris Als ich wenige Wochen später den Camembert der genau gleichen Marke in Deutschland kaufte, war er um Klassen schlechter.

Dienstag, 31. März 2015

Mallorca-Wanderungen (II): Unerwartete Begegnungen



Ernst Jünger hat gesagt, dass die wichtigsten Begegnungen sich oft dann ergeben, wenn man fremde Leute einfach auf offener Straße anspricht. Tief in meinem Herzen wünsche ich mir solche Begegnungen herbei und bin deshalb auch immer recht forsch, wenn es darum geht, mit fremden Menschen in ein Gespräch zu kommen.

Sonntag, 29. März 2015

Mallorca-Wanderungen (I): Weiß der Geier



Am Eingang des Wegenetzes, das die auf ihrer Nordseite steil zum Meer abfallende Hochebene des Pla des Pouet erschließt, steht ein hölzernes Wachhäuschen. Vor ihm stehend erwarten uns zwei oliv gekleidete Männer, die ich zunächst für Soldaten halte. Hablas alemán? fragt der erste, ein Mann mit einem schwarzen Bart, und als wir bejahen, weist er uns mit einer kurzen Kopfbewegung weiter zu seinem blonden Kollegen. Der ist ein freundlicher Bayer, der uns kurz über sein Anliegen informiert: man will einen Teil des Wandergebietes weitestgehend von Menschen freihalten und dadurch den Lebensraum des Mönchsgeiers vergrößern. Voltor steht auf einem Plakat im Wachhäuschen, voltor negre heißt dieser Geier im Catalanischen, im Spanischen buitre negro.   


Sonntag, 22. März 2015

Berliner Passion


Simon Rattle dirigiert die Johannes-Passion*
Simon Rattle und Peter Sellars
Wer sich nicht davon abschrecken lässt, dass der Chor zu Beginn auf dem Bühnenboden liegt und sich zuckend umherwälzt, wird in Simon Rattles Johannes-Passion  in ein hochemotionales Erlebnis geführt, das am Ende vermutlich keinen Zuhörer unverändert lässt. Die Kraft der Inszenierung des an einen Punker erinnernden Regisseurs Peter Sellars kommt nach meinem Eindruck aus der vollkommenen Unbekümmertheit, mit der man an die alten Quellen herangegangen ist und sie zum Fließen gebracht hat.

Montag, 9. Februar 2015

Aus dem Land der Freien und Tapferen




Zu den Dingen, die man kennen muss, um die Vereinigten Staaten von Amerika zu verstehen, gehört offenbar neben dem Football, der Nationalhymne und der Route 66 auch das Buch "Wer die Nachtigall stört" (To Kill a Mockingbird) der heute 88jährigen Südstaatenautorin Harper Lee.  Das 1960 erschienene und wenig später prominent verfilmte Buch gehört zu den Klassikern der modernen amerikanischen Literatur. So wurde es 2001 in der Aktion „Eine Stadt liest ein Buch" über 70.000 mal in Chicago ausgelegt und gelesen.

Mittwoch, 28. Januar 2015

Ambiguität und west-östliche Sexualität


Folgt man Thomas Bauers Kapitel über "Die Ambiguität der Lust“, dann hat die westliche Kultur sich im Mittelalter ein enges Korsett angelegt, was die Lust betrifft, und hat es später nicht mehr ablegen können, als nach der Kirche die Medizin das Thema zu kontrollieren begann. Am Anfang gab es die fromme Spannung zwischen sündhafter Lust und der kühlen Pflicht zur Fortpflanzung. Später schuf die Medizin mit ihrer „Deutungshoheit über das, was ‚Sexualität‘ hieß“ neue Spannungen. Bauer blickt kritisch vom Osten aus auf den Westen und meldet Zweifel an, ob es einen geschlossenen Bereich der menschlichen Natur, der "Sexualität" heißt, überhaupt gibt. Er schreibt dazu:

Samstag, 24. Januar 2015

Ambiguität und die Auslegung von Texten

Eine erste Lehre aus der Lektüre des schönen Buches vonThomas Bauer ist die, dass jede Übersetzung aus einem ursprünglichen Text immer wieder an Stellen kommt, wo man eine in den Text schneidende Entscheidung treffen, ein weitgreifendes Urteil fällen muss.

Für die Muslime des Mittelalters war klar: jede Übersetzung aus dem Arabischen war ein urteilender Kommentar. Sie gab vor, eine bestimmte Stelle verstanden zu haben, und zwar auf die Weise, wie sie in der neuen Sprache zu verstehen war. Einen Kommentar zum Koran zu erstellen war zunächst einmal aber eine sehr kunstvolle und abwägende Sache, wie es Thomas Bauer anhand der Kommentierung von Q 5:3 Euch ist Verendetes verboten aufzeigt. In vielen kleinen Schritten wird zu dieser Stelle die Frage geklärt, ob man denn etwa die Haut von verendeten Tieren zur Erzeugung von Leder benutzen darf oder nicht.

Sonntag, 18. Januar 2015

Das Raunen Gottes

Ist die Vorstellung erlaubt, dass Gott redet und dass sein Reden bei den Menschen nicht eindeutig ankommt? Das schöne Buch, in dem ich gerade lese, plädiert recht leidenschaftlich für diese Möglichkeit. Es lobt die Uneindeutigkeit und spricht dafür, dass wir in unserem Verständnis des Redens Gottes eine gewisse Unschärfe zulassen. Der Verfasser zeigt anhand der Lehre islamischer Schriftsteller des Mittelalters, dass es Perioden gegeben hat, in denen die Menschen es für einen Vorteil ansahen, von Gottes Worten mehrere Lesarten zu besitzen.

Eine Gnade für die Gemeinde seien Varianten im Korantext, sagt ein damals in hohem Ansehen stehender Kommentar (hadith) zum Koran. Erst die viel später einsetzende Aufklärung mit ihrer präzisen Frage nach dem wörtlichen Sinn eines Textes und ihrer Quellenforschung ("Was steht im Urtext?") habe es uns im Prinzip verleidet, eine Uneindeutigkeit zu akzeptieren. Das gilt übrigens für weite Bereiche der islamischen Forschung ebenso wie für uns. Die Aufklärung ist nicht nur bei uns angekommen.

Freitag, 9. Januar 2015

Mit 66 Jahren

Als am 21. Dezember Udo Jürgens starb, habe ich ein altes Songbook aus dem Keller geholt und einige seiner Lieder noch einmal gespielt. Mit 66 Jahren (da fängt das Leben an) war nicht dabei, es ist 1977 in einer Zeit erschienen, als ich andere Sänger interessanter fand als Udo Jürgens. Außerdem erinnere ich mich noch, dass mir das Lied nie gefallen hat. Mir war schon damals klar: mit 66 fängt das Leben nicht an, es fängt wohl eher an aufzuhören. Heute, an dem Tag, an dem ich 66 Jahre alt werde, sehe ich das noch deutlicher.

Dienstag, 6. Januar 2015

That Ole Time Religion (renewed version)


Michael Walrond
Die Kirche von Pastor Mike habe ich wenige Tage vor Weihnachten in einem Artikel der NewYork Times gefunden. Seine Baptistengemeinde in Harlem ist offenbar eine der wenigen Kirchen, welche die alte Segregation der Rassen dadurch aufheben, dass sie weiße Besucher in traditionell schwarze Gottesdienste einladen. Umgekehrt ist es offenbar leichter und mittlerweile auch nicht mehr ungewöhnlich – viele Schwarze besuchen weiße Gottesdienste – aber das Modell der Kirche von Pastor Mike – Reverend Michael A. Walrond Jr. mit vollem Namen und Titel – in  Harlem ist etwas Besonderes. Es lebt von einem demografischen Umbruch in seinem Stadtviertel, der sich seit längerem vollzieht, und der ein einstmals heruntergekommenes Quartier wieder nach und nach attraktiv macht. Eine junge und wohlhabende Klientel zieht nach Harlem und nutzt den Vorteil, kurze Wege zu den Büros in Manhattan zu haben.

Freitag, 2. Januar 2015

Von Korea aus in die Welt, furchtlos

Auf die Spur zur Onnuri Kirche bin ich durch eine junge Koreanerin gekommen, die in Deutschland lebt. Sie hat mit ihrem Mann einige Zeit in Afrika gearbeitet, um dort den Dialekt eines Stammes zu erlernen, für den später eine Bibelübersetzung entstehen soll. Als es in dem Land politische Unruhen gab, zog man ins Rheinland, weil hier eine größere Gruppe von Stammesangehörigen lebt, die man für eine Zusammenarbeit zu gewinnen hofft.