Michael Walrond |
Die First
Corinthian Baptist Church auf dem
Adam Clayton Powell Jr. Boulevard, sechs Blocks nördlich des Central Park, ist in den letzten zehn Jahren von 300
Mitgliedern auf fast 9.000 angewachsen und hat Pastor Walrond zu einer auch politisch
interessanten Figur in New York gemacht. Er hat eine solide Ausbildung an
verschiedenen Universitäten genossen und kann in seinen Predigten durchaus auch
einmal Zitate von Kierkegaard und Bonhoeffer einfließen lassen. Aber er kennt die
Sprache und die Melodie der traditionellen schwarzen Gottesdienste und benutzt
sie auf moderne Weise. Man kann sich im Internet ansehen, wie es ihm auf die alte
Weise gelingt, seine Gemeinde immer wieder zu „Yeah!“ und „Amen!“ anzustacheln.
Das ist die gute alte, im Spiritual besungene Ole Time Religion mit Musik und Tanz, aber sie ist stark erneuert.
Die
schwarze Tradition hat – so mein
Eindruck bei der ersten Predigt – einen gewissen Preis. Je erregter die
Gemeinde wird (und auf diese Erregung arbeitet der Pastor bewusst hin), desto
kürzer werden die Abstände zwischen den Zwischenrufen, und der Pastor wird auf
der Welle der Begeisterung von ganz alleine zu dem Punkt getragen, wo er nur
noch kurze Sätze predigen kann Diese Sätze haben dann aber auch nur noch ganz
einfache, verkürzte Wahrheiten.
Das ist die gute alte, im Spiritual besungene Ole Time Religion mit Musik und Tanz, aber sie ist stark erneuert.
First Corinthians Baptist Church |
Das geht
dann etwa so: "Viele Leute wollen ein Leben das von einer Bergeshöhe zur
anderen springt" - Yeah! Amen! - "aber die Wirklichkeit ist, dass es
zwischen allen Bergen" - Amen! Zustimmung - "Täler gibt" -
Beifall, Zustimmung . Über die Täler, die Krisen redet Pastor Walrond so, dass
es in der Regel Wiederholungen alter Krisen sind, bei denen wir nur
eins merken: dass wir daraus nichts gelernt haben. Dabei seien doch alle
Krisen, sagt Pastor Mike, erstklassige Gelegenheiten, aus einem Platz in der
ersten Reihe Gott, from a front-row seat, bei der Arbeit zuzusehen. Das ist griffig, aber was Gott hier tut, wird in der
Predigt nicht ganz deutlich. Deutlich wird dagegen die praktische Botschaft,
dass wir unsere Fehler nicht dauernd wiederholen sollen.
Als Zuhörer
aus dem fernen Deutschland bedauert man es im Rückblick auf die eigenen Krisen
vielleicht, dass einem nie der Gedanke gekommen ist, man könne hier "aus einem
Platz in der ersten Reihe" alles mit der nötigen Ruhe und Klarheit übersehen.
Das Leben ist komplizierter, sagt mein europäisches Herz.
Am Ende
seiner Predigt, die ohnehin schon recht lang geworden ist, macht er noch einen
längeren Anhang und eine Ausflug in die Politik. Es stehen aktuell Anfang Dezember Demonstrationen
bevor, die sich mit der polizeilichen Gewalt gegen Schwarze beschäftigen
wollen. Ich lese später, dass sie dann auch stattgefunden haben – in
Washington, so wie in des seligen Dr. Martin Luther Kings Zeiten.
Aber der
mittlerweile auch tief in die Politik verwickelte Pastor Walrond propagiert
eine andere Vorgehensweise. Man solle seine Ziele klar definieren, predigt er, und den
Protest dort stattfinden lassen, wo es die Macht gibt, diese Ziele zu erreichen.
Und das ist heute und in diesem konkreten Fall von Polizeigewalt am Sitz des Gouverneurs
von New York, in Albany.
Diese
Passage der Rede verstehe ich später besser, nachdem ich ein wenig darüber
nachgelesen habe, was Michael Walrond mittlerweile politisch alles angestellt
hat. Er hat versucht, bei den Midterm Elections im November 2014 einen Platz imKongress zu gewinnen und hat die Frechheit besessen, dafür in den Vorwahlen den
84-jährigen Amtsinhaber Charles Rangel, eine schwarze Ikone, seit 43 Jahren
Kongressmitglied, herauszufordern. Das schwarze New Yorker Establishment hat
ihm das offenbar sehr übel genommen, auch wenn er sich in den Vorwahlen als
chancenlos erwies. Aber das hat ihn jetzt desto mehr herausfordert, von der
Kanzel aus die Pläne dieses Establishments anzugreifen.
In der zweiten Predigt, die ich von ihm höre,
I Am Grateful For My Life Experiences | First Corinthian Baptist Church NYC
überrascht er mich nach einem erneut sehr politischen Anfang mit einem sehr persönlichen zweiten Teil, der ganz am Ende schließlich eine direkte Einladung zum Glauben enthält. Reverend Walrond predigt seinen schwarzen Glaubensgenossen, dass sie niemals vergessen sollen, wie das Leben war, als sie, die schwarzen African Americans noch vor der Türe stehen mussten. Jetzt sind sie an vielen Stellen akzeptiert, aber sie sollen die Zeit vorher nicht vergessen und sollen weiter für diejenigen einstehen, die mit der bloßen Akzeptanz nicht zufrieden sind, sondern weitergehen wollen, bis zur wirklichen Gleichheit.
I Am Grateful For My Life Experiences | First Corinthian Baptist Church NYC
überrascht er mich nach einem erneut sehr politischen Anfang mit einem sehr persönlichen zweiten Teil, der ganz am Ende schließlich eine direkte Einladung zum Glauben enthält. Reverend Walrond predigt seinen schwarzen Glaubensgenossen, dass sie niemals vergessen sollen, wie das Leben war, als sie, die schwarzen African Americans noch vor der Türe stehen mussten. Jetzt sind sie an vielen Stellen akzeptiert, aber sie sollen die Zeit vorher nicht vergessen und sollen weiter für diejenigen einstehen, die mit der bloßen Akzeptanz nicht zufrieden sind, sondern weitergehen wollen, bis zur wirklichen Gleichheit.
Die Predigt ist
eingebettet in die klassischen Worte aus 5. Mose Kapitel 6, in denen die
jüdische Tradition begründet ist, den Kindern einzuschärfen, warum man hier ist:
dass man aus der Sklaverei kommt und von Gott befreit wurde. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die Ordnungen und
Gebote Gottes zu halten. Mir kommt hier die Vergesslichkeit der modernen europäischen
Kirchen in den Sinn, von denen ich bei Charles Taylor viel gelesen habe. Sie
haben sich erfolgreich in den Prozess der Veränderung und Demokratisierung
der Gesellschaft eingebracht, auch der Befreiung, haben aber am Ende den Eindruck erweckt, überflüssig zu sein.
Dieses
Schicksal droht der Kirche von Pastor Mike nicht. Seine Predigt kommt immer
wieder auf das what we have been through zurück, was wir
durchgemacht haben, was unsere Geschichte ist. Die First Corinthians Baptist Church ist eine Kirche der
Erinnerung.
Am Ende
wechselt er den Tonfall, bittet die Gemeinde aufzustehen und lädt dann mit
schlichten Worten zum Glauben ein. Wenn jemand hier ist, der Gott nicht kennt,
der noch keine Beziehung zu Gott hat, der wird in eine Kirche eingeladen, die
nicht perfekt ist, aber in der Menschen leben, die eine Liebe zu Gott haben und
sich der Sache Gottes verpflichtet wissen und der Sache der Rechtschaffenheit
und Gerechtigkeit (im englischen Wort righteousness
klingt beides an).
Walrond erzählt die
anrührende Geschichte einer alten afroamerikanischen Kirche, die mit den
Geldern gebaut wurde, welche die damaligen Sklaven eigentlich für ihr eigenes Freikaufen
aus der Sklaverei angespart hatten. Sie benutzten es für die Kirche, aber dann
wurde die Kirche überraschend zu einem Fluchtweg in die Freiheit.
Das Königreich Gottes soll auch auf dieser Erde wachsen, das ist das Anliegen von Pastor Mikes Kirche, und deshalb sagt er es den Leuten sehr streng: sie sollen nicht in diese Kirche kommen, um unterhalten zu werden. Sie sollen kommen, „um ihren Marschbefehl zu erhalten“.
Das Königreich Gottes soll auch auf dieser Erde wachsen, das ist das Anliegen von Pastor Mikes Kirche, und deshalb sagt er es den Leuten sehr streng: sie sollen nicht in diese Kirche kommen, um unterhalten zu werden. Sie sollen kommen, „um ihren Marschbefehl zu erhalten“.
Er schließt
mit dem Gebet, „Gott wir brauchen deine Kraft, wir brauchen deine Leitung“, und
fügt leise hinzu: „wir haben deine Gegenwart“. Diese Gegenwart ist es, in welche hinein Pastor
Mike jetzt seine Gemeinde entlässt. Ein spürbar beglückender Moment.
Am Ende
meiner Reise durch acht Kirchen bin ich in einer Kirche angekommen, in der ich
gerne Mitglied wäre. Nur dass ich leider nicht in Harlem lebe…
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen