Straßenmusik an besonderer Stelle |
Die Sache
ging so vonstatten. Auf dem beliebten Puflatsch-Rundweg auf der
Seiser Alm war an diesem schönen Spätsommertag so viel Betrieb, dass sich eine Straßenmusikantin auf das zur
Bergstation der Seilbahn führende letzte Stück des Rundweges stellen und,
geradewegs so, als ob sie sich in einer Fußgängerzone befände, mit einem
kleinen Sammelkorb Spenden für ihre Musik einsammeln konnte. Ihr Vortrag erwies
sich, wie wir schon aus großer Entfernung hören konnten, durchaus als spendenwürdig:
die Sängerin sang, sich selbst schön auf einem Akkordeon begleitend,
Volkslieder aus dem Bereich der Seiser Alm, teilweise sogar in dem hier in
einigen Tälern noch gesprochenen Ladinsch,
einer alten romanischen Sprachform, dem Rätoromanischen verwandt, das nicht
weit von hier in Graubünden gesprochen wird.
In jedem
ihrer Lieder kamen wunderbare Jodler vor, und diese brachte sie ganz perfekt
heraus, mit ihrem akrobatisch schnellen Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme.
Wir blieben einen Moment stehen, legten brav eine Münze ins Körbchen und hörten zu. Erstaunlicherweise verfiel sie in ihren Zwischenansagen in ein reines Hochdeutsch und erklärte
ihre Lieder sehr schön. Aus Kassel sei sie, sagte sie uns, und wir sollten ihr
doch bitte Fotos und Videos schicken, die wir von ihrem Auftritt gemacht
hatten. Auf einem kleinen Zettel gab sie uns ihre eMail-Adresse, während sie
weiter sang und spielte.
Bei so viel freundlicher
Zuwendung ans Publikum wagte ich dann eine kecke Frage an die Künstlerin: ob sie den „Steirischen
Jodler“ spielen könnte, den unser Vater uns Kindern früher immer vorgesungen
hat? Sie antwortete, es gebe viele davon, wie denn unser Jodler in etwa klingen
würde? Ich fasste mir ein Herz und sang die erste Zeile gerade so, wie sie mein Vater immer gesungen hatte, Dialektfärbung eingeschlossen. Nein das kannte sie
nicht, sagte sie, und spielte weiter.
Wenig später zog sie dann aber zu meiner Überraschung ein kleines Aufnahmegerät heraus und sagte mir, ich solle ihr diesen Jodler doch bitte auf ihrem Gerät aufsingen.
Das habe ich
dann getan, in vollem Bewusstsein der Unwirklichkeit dieser Szene. Da stehe ich
niederdeutscher Tiefebenenbewohner und singe einem Meister der Volkskunst hier oben auf der
Alm ein steirisches Lied vor! Später wieder zu Hause habe ich den Jodler mit etwas Mühe
schließlich auch im Internet gefunden. Mein Vater sang ihn auf
Familienfeiern, zusammen mit seinem Bruder Johannes und seinem Freund Waldemar Dick, letzterer mit einer schönen Tenorstimme, die er in jungen Jahren als Solist im Remscheider Männerchor "Germania" einsetzen durfte.
Die Männer sangen sehr schön dreistimmig, mit einer einfachen
Gitarrenbegleitung.Wenig später zog sie dann aber zu meiner Überraschung ein kleines Aufnahmegerät heraus und sagte mir, ich solle ihr diesen Jodler doch bitte auf ihrem Gerät aufsingen.
Hier ist das Lied - Achtung, YouTube spielt zunächst etwas Werbung ein.
Es ist viel
von verbotener Liebe darin
Und‘s Diandl hat g'sagtI soll kemma af d'Nacht
Und i soll mich vor‘s Fenster hinstell‘n
Und i soll ihr an
Steia-ria-rischen, steia-ria-rischen Jodler aufspiel‘n
Der
verliebte steirische Jodler tut's und wird in der dritten Strophe, die mein Vater und
seine Freunde in meiner Erinnerung niemals sangen, vom Vater des Mädchens im
Takt des Jodlers (in der Internet-Version ist es der steirische Walzer) gehörig verdroschen.
Ich erinnere
mich jetzt stärker daran, dass mir schon als Kind die ganze Szene nicht recht mit
dem vereinbar zu sein schien, was uns über die Sexualmoral eines Christen
beigebracht wurde. Aber es gab da im Bereich meiner Familie einige weiche
Stellen, „Ambiguität“ würde man das heute nennen, besonders wenn Wein und Gesang im Spiel
waren. Jetzt, bei der Erinnerung daran, oben in den Bergen, ist mir gerade so, als ob mein Leben stärker von diesen weichen Stellen geprägt worden sei, als von der offiziellen Moral.
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