Völs am
Schlern, Südtirol
Hier im
Alpengebiet zwischen Brennerpass und Bozen werde ich besonders an meinen Vater
erinnert, der heute am Tag 95 Jahre alt geworden wäre. Seine ewig junge Hochstimmung
beim Anblick der ersten Alpenberge kann ich jederzeit nachempfinden, sein Lied
vom „Olmenwilly“ nachsingen (Joleradiho!) und seine angestrengte Arbeit
bewundern, unsere Familie mit den fünf Kindern über die Alpen zu befördern. Das kann
ich immer dann besonders würdigen, wenn ich links und rechts der modernen
Brenner-Autobahn die alte Passstraße sehe, über die er sich damals noch samt
Wohnwagengespann hinaufquälen musste.
Orte ziehen
vorbei, in denen wir auf dem Weg an die Adria Halt machten. Vittipeno /
Sterzing, Ora / Auer, Bressano / Brixen und andere mehr. In Auer gab es einen
Campingplatz, auf dem wir häufig die zweite Übernachtung eingeplant hatten, auf
den etwa 1.100 km von Remscheid nach Lignano, für die wir immer drei Tage
brauchten.
Der Vater
erzählte uns von den politischen Unruhen in Südtirol, wo damals in den 60er
Jahre eine starke Untergrundbewegung die Unabhängigkeit der deutschsprachigen
Provinz von Italien erkämpfen wollte. Achtungsvoll und ein wenig bang betrachteten
wir die Hochspannungsmasten entlang der Straße – sie waren damals immer wieder
Ziel von Bombenattentaten der Südtiroler Freiheitskämpfer.
Die
Sympathien meines Vaters waren klar auf Seiten der Unabhängigkeit und des
Deutschtums, obwohl – Bomben auf Hochspannungsmasten? Das ging ihm zu weit. Aber
von Andreas Hofer konnte er erzählen, dem Tiroler Urbild aller deutschen
Freiheitskämpfer! Später habe ich begriffen, warum ihn auch die Menschen in
meiner Bergischen Heimat verehrten: es ging gegen Napoleon! Jede Art von
Freiheit musste um 1815 gegen Napoleon gewonnen werden, dessen Truppen damals
auch Remscheid besetzt hielten.
Entsprechend
ist eine meiner wenigen Erinnerungen an einen kulturellen Programmpunkt unserer
damaligen Familienferien der Besuch im Schlachtenmuseum am Bergisel, das heute „Tirol
Panorama“ heißt und damals wie heute ein riesiges 360-Grad-Rundgemälde beherbergt,
das den Freiheitskampf an diesem historischen Ort in vielen Einzelheiten
festhält. Davon erzählte der Vater, und dahin brachte er uns eines Tages, als unsere Tagesetappe einmal in Innsbruck endete.
Was er nicht
erzählte, war die unwürdige Rolle, die der Deutscheste alle Deutschen, Adolf
Hitler, in der Geschichte Südtirols gespielt hat. Um seinen Spießgesellen
Mussolini zu befriedigen, stimmte Hitler einer radikalen Italisierung Südtirols
zu und lud die zu einer Randexistenz verurteilten armen Rest-Deutschen ein, „Heim
ins Reich“ zu kommen. Wer dem Ruf nicht folgte (wie Luis Trenker) wurde
verfemt, wer auswanderte und nach 1945 wieder nach Hause wollte, wurde dort als
Faschist begrüßt.
Mein Vater, links im Bild, mit seinem beiden Brüdern und seinen Eltern |
Aber über
allem bleibt die jubelnde Freude des Vaters, der in den Alpenbergen eine Art
von idealer, gewissermaßen dreidimensionaler Heimat wiedererkannte. Joleradiho!
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