Samstag, 19. September 2015

Der Schlern


Völs Am Schlern
 
Der Schlern von der Seiser Alm aus gesehen
Man sagt, der Schlern sei das Wahrzeichen Südtirols, und vielleicht erklärt sich das daraus, dass man ihn aus den Straßenzügen Bozens heraus immer wieder gut sehen kann. Er verschließt den Blick in das nach Norden zum Brennerpass führende Eisacktal mit seiner massiven grauen Krone gewissermaßen nach oben. Von Westen und Osten sieht er mit seiner topfeben erscheinenden Oberfläche fast wie ein Würfel aus - etwa 2 km mal 2 km in der Grundfläche und annähernd 1,5 km in der Höhe. Von Norden kommend sieht man allerdings, dass er in der Mitte von einer "Klamm", dem steilen Bett eines Wildbachs in zwei Hälften geteilt wird. Hier stehen auch zwei markante, dem Gebirgsmassiv vorgelagerte Spitzen, die raketenähnlich, zusammen mit der geraden Linie der Hochfläche das an ein mathematisches Wurzelzeichen erinnernde Symbol für den Tourismus in diesem Gebiet geben.

Nach Osten schließt sich an den Würfelkopf des Schlern ein etwa 5 km langer ebenmäßiger Bergrücken an, der dem ganzen das Aussehen eines großen ruhenden Tieres gibt, das die Seiser Alm auf ihrer Südseite abschließt.

Ich hatte in der Vorbereitung auf unsere erste Südtirolreise bei dem unweit von hier, in Villnöß geborenen Reinhold Messner gelesen, dass er am Schlern seine Großmutter besucht hat und den Schlern immer als so etwas wie das Herz Südtirols angesehen hat. So hatten wir uns damals als erstes Quartier eine Ferienwohnung in Kastelruth, einem der Dörfer am Schlern gesucht.
Wir hatten bei unseren Wanderungen auf der riesigen Sieser Alm unterhalb des Schlern immer wieder ehrfuchtsvoll nach oben geblickt, aber hinauf zu den Schlernhäusern auf der Hochfläche waren wir in unseren ersten beiden Reisen noch nicht gekommen. Immerhin hatten wir es 2009 bis hinauf auf die Rosszähne auf der Ostseite des langen Gebirgsrückens geschafft, mussten dann aber in unserem zweiten Urlaub 2011 wegen eines frühen Wintereinbruchs auf die Besteigung des eigentlichen Schlern verzichten.

Hochfläche des Schlern
Gestern nun haben wir die Wanderung hinauf nach sorgfältiger Vorbesprechung mit unserem Zimmerwirt und einem ganz frühen Start im Morgengrauen geschafft. Hilfreich erwiesen sich zunächst zwei Seilbahnen, die uns bis hinauf auf 2000 m Höhe brachten. Von dort ging es zwar noch einmal 200 m hinunter zur Santnerhütte, aber von dort ließ sich der Weg hinauf überwiegend gut und ohne unsere letzten Kräfte zu fordern gehen. Allerdings kam im letzten Abschnitt Regen erschwerend hinzu, und ganz oben auf der Hochfläche fegte uns ein Sturm mit über 100 km/h entgegen, so dass wir heilfroh waren, uns in den Schutz der Schlernhäuser begeben zu können.
Blick aus unserem Zimmer
in das Gebirgsmassiv des Rosengarten
Da der Sturm nicht nachließ und unsere Kräfte für den Rückweg über die Südseite des Schlern auch schon einigermaßen verbraucht waren, beschlossen wir, uns ein Zimmer zu mieten und in der Hütte zu übernachten. Von den etwa 60 Leuten, die zum Mittagessen hier oben versammelt waren, machten es ein gutes Dutzend ebenso wie wir, so dass wir uns am späten Nachmittag und besonders am Abend zu einer lustigen und interessanten Gesellschaft von Bergwanderern um einen großen Tisch gesellen konnten.

Ein kleiner zusätzlicher Höhepunkt bot sich für mich in der Besteigung des höchsten Punktes auf dem Schlern, des kleinen Hügels namens Petz (2.563 m), der die Hochfläche des Schlerns noch einmal um etwa 100 m überragt. Vom Sturmwind, der nach Angaben der Wirtsleute am Ende mehr als 120 km/h erreichte, wurde ich fast wie von selbst zum Gipfelkreuz hoch geblasen, musste mich dort dann aber manchmal auf den Boden ducken, um überhaupt halbwegs wackelfreie Bilder fotografieren zu können.

Blick vom Petz hinunter auf die Schlernhäuser


Der Abstieg am nächsten Morgen verlief zunächst über recht bequem begehbare Almwiesen, von denen vor wenigen Tagen bereits die Kühe hinunter ins Tal getrieben worden waren. Leider zeigte sich weiter unten der lange Weg durch eine Schlucht als eigentlich ausschließlich für das Vieh angelegt. Die sauber verlegten, aber sehr unebenen Steine und die quer zum Weg verlegten kantigen Holzbohlen, die über lange Passagen den schmalen Weg durch eine Schlucht erleichtern sollten, erwiesen sich als ein Untergrund, für den man sich die gespaltenen Hilfe einer Kuh anstelle der viel zu großflächigen und glatten menschlichen Schuhsohlen als Gehhilfe gewünscht hätte. Wir kamen nur sehr langsam und jeden Tritt genau erwägend voran.
Als wir weiter unten in die schönen Bergwälder am Fuß des Schlern eintauchten, fühlten sich meine Kniee und Unterschenkel geradewegs so an, als ob alle Kraft daraus gewichen wäre. Schwankend und mit langen Pausen bewältigten wir den immer noch recht langen Weg hinunter in unser Quartier, wobei es meiner Frau, die am Tag zuvor beim Aufstieg eher am Ende ihrer Kräfte war, jetzt beim Abstieg wesentlich besser erging als mir.

Die beiden Tage auf dem Schlern werden uns in Erinnerung bleiben als eine Erfahrung von den Grenzen unserer eigenen Kräfte und gleichzeitig als ein großes Naturerlebnis.

Keine Kommentare: