Predigt im Gottesdienst in der JVA Remscheid-Lüttringhausen
Am Anfang stand, dass Jesus seine Jünger in die Selbstständigkeit entlassen hatte. Und sie schwärmten jetzt in die ihnen bekannte Welt hinaus, um den christlichen Glauben zu verbreiten. Das war eine Aufgabe, die Jesus ihnen übertragen hatte.
Für sie war es eine ungewöhnliche Aufgabe. Sie gehörten
alle dem jüdischen Volk und dem jüdischen Glauben an. Als Juden war es für sie
neu, fremde Menschen auf ihren Glauben anzusprechen. Juden taten das in der
Regel nicht, denn man konnte Jude eigentlich nur werden, indem man als Jude
geboren wurde, also Mitglied des Volkes war.
Vielleicht ist der Vergleich einmal erlaubt, dass der Übergang
vom rein nationalen jüdischen Glauben auf den internationalen christlichen
Glauben so etwas war wie eine Firma, die viele Jahre lang nur für einen örtlichen
Markt produziert hat und jetzt auf einmal anfängt, ihre Produkte in der ganzen
Welt zu verkaufen.
Die ersten Schritte waren entsprechend vorsichtig. Die
Jünger gingen von Ort zu Ort und besuchten zunächst einmal ihre jüdischen
Volksgenossen. Die waren im römischen Reich überall verteilt, und die christliche
Mission war zunächst eher eine innerjüdische Bewegung.
Eine
neue Strategie
Eine einschneidende Änderung ergab sich in Athen. Die Szene
will ich gleich vorlesen. Der Apostel Paulus, der prominenteste Prediger des
Glaubens von Jesus, kommt nach Athen. Er
kommt in die alte Hauptstadt des griechischen Weltreiches, die immer noch eine
Stadt der Philosophen und der Denker war, die auch das römische Weltreich, das
dem griechischen folgte, beeinflusst haben.
Apostelgeschichte 17
16 Als
aber Paulus in Athen auf sie [zwei
Reisebegleiter, die an einem anderen Ort aufgehalten worden waren] wartete, ergrimmte sein Geist in ihm, als
er die Stadt voller Götzenbilder sah.
17 Und
er redete zu den Juden und den Gottesfürchtigen in der Synagoge und täglich auf
dem Markt zu denen, die sich einfanden.
18 Einige
Philosophen aber, Epikureer und Stoiker, stritten mit ihm. Und einige von ihnen
sprachen: Was will dieser Schwätzer sagen? Andere aber: Es sieht so aus, als
wolle er fremde Götter verkündigen. Er hatte ihnen nämlich das Evangelium von Jesus
und von der Auferstehung verkündigt.
19 Sie
nahmen ihn aber mit und führten ihn auf den Areopag [einen Platz auf einem Hügel in der
Stadt] und sprachen: Können wir erfahren,
was das für eine neue Lehre ist, die du lehrst?
20 Denn
du bringst etwas Neues vor unsere Ohren; nun wollen wir gerne wissen, was das
ist.
21 Alle
Athener nämlich, auch die Fremden, die bei ihnen wohnten, hatten nichts anderes
im Sinn, als etwas Neues zu sagen oder zu hören.
22 Paulus
aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe,
dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt.
23 Ich
bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf
dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr
unwissend verehrt.
(nicht gelesen:)
24 Gott, der die
Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der
Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.
25 Auch lässt er
sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er
doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt.
26 Und er hat aus
einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen
Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen
Grenzen sie wohnen sollen,
27 damit sie Gott
suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist
nicht ferne von einem jeden unter uns.
28 Denn in ihm
leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir
sind seines Geschlechts.
29 Da wir nun
göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich
den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und
Gedanken gemacht.
30 Zwar hat Gott
über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den
Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun.
31 Denn er hat
einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit
durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben
angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.
32 Als sie von der
Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber
sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören.
33 So ging Paulus
von ihnen.
Von links: Nadine (Gesang), Matthias (Gitarre), Christian (Predigt), Marie-Luise (Kontaktgruppe), Ulf (Kontaktgruppe) |
Paulus redet hier nicht so, wie man es von einem richtig aufrüttelnden
Prediger erwartet. Er sagt nicht: ihr seid auf einem völlig verkehrten Weg, ihr
müsst euch
180 Grad umdrehen, ihr müsst euch richtig bekehren.
180 Grad umdrehen, ihr müsst euch richtig bekehren.
Viele strenge Bußprediger wollen den Menschen sagen, dass
sie in ihrem bisherigen Nachdenken über Gott völlig falsch liegen und jetzt bei
Null anfangen müssen, um auf die richtige Spur zu kommen.
Das mag in manchen Situationen auch notwendig sein, aber
es ist nicht die Predigt des Apostels Paulus in Athen. Hier sagt er: ihr kennt
Gott bereits, vielleicht unbewusst, vielleicht nicht ganz auf dem richtigen Weg,
aber ihr kennt ihn. Ihr habt sogar einen Altar für ihn gebaut.
Wir erfahren zwar im ersten Satz, dass er „ergrimmt“ war
über die vielen Götzenbilder, die er in Athen sah. Aber er nimmt diesen Grimm
zurück und spricht ganz ruhig über den Gott, den er an diesem Ort findet und
für den es hier bereits einen Altar gibt.
Ich habe mich in der Vorbereitung für heute gefragt, ob
ich das auch hier an diesem Ort als eine gute Nachricht wiederholen kann, wir
alle haben bereits einen Altar für Gott gebaut. Kann man das sagen?
Die
Altäre bei uns
Ich will für meine Antwort etwas ausholen: wir können uns
sicherlich darüber einig werden, dass jeder von uns ganz allgemein Altäre in
seinem Herzen hat und dass darauf Dinge stehen, die wir besonders verehren und für
besonders wichtig halten.
Ich kann mir gut vorstellen, dass in den meisten von uns
ein Altar ist, auf dem ein Stück von dem bewahrt wird, was wir unser Zuhause nennen, der Punkt, an den
wir zurückkehren können, wenn die Zeit hier in Lüttringhausen zu Ende ist.
Ich glaube, dass es auch einen Altar in jedem von uns
gibt, wo ein Stück von dem gezeigt wird, was unsere Selbstachtung ausmacht. Der Altar unserer eigenen Besonderheit,
Einzigartigkeit und Anständigkeit, der Altar für das, was wir besonders gut
können. Es ist wichtig, einen solchen Altar zu haben, damit man sich wie man
sagt, noch morgens im Spiegel ansehen kann.
Manchmal gehören ganz kleine, nebensächliche Dinge auf
diesen Altar der Selbstachtung. Ich bin von Beruf Wohnungsverwalter und habe
viel mit Handwerkern zu tun. Die allermeisten von ihnen können Dinge in ihrem
jeweiligen Handwerksberuf, die ich persönlich nicht kann und die ich bewundere.
Vor ein paar Tagen hat ein Elektriker in meinem Büro ein neues Telefonkabel
verlegt und hat Wege durch Mauern und durch leere Schächte gefunden, auf die
ich nie gekommen wäre. Am Ende hat er in einer sehr wirren Steckdose mit vielen
kleinen dünnen Kabeln Ordnung geschafft und den Anschluss ordentlich verlegt.
Wenn ich nicht wüsste, dass ich meine eigene Arbeit auch nicht schlecht mache,
wäre ich auf diesen Elektriker neidisch.
Wir haben in unseren Herzen auch Altäre für die großen Gedanken und Ideologien, die
wir verehren. Auch das gehört zum Leben und ist ebenfalls wichtig. Ich
habe in meinem Leben sehr viele anständige Leute kennengelernt, die entweder
politisch recht weit links oder recht weit rechts standen. Ich habe mich nie
dafür entscheiden können, die eine oder andere Richtung in Grund und Boden zu verdammen.
Ich finde es gut, dass Menschen von ganzem Herzen von einer Sache überzeugt
sind.
Auch Schalke-Anhänger finde ich gut, ich habe einen
Arbeitskollegen der tief gläubig ist, was die Königsblauen betrifft. Ein Neffe
von mir hat die gleiche Liebe für Mönchengladbach, mein Sohn für den BVB. Alles
das ist gut und erwärmt das Herz, wenn man es nicht übertreibt.
Der
eine Altar für Gott
Altäre in unseren Herzen - und da soll es dann also auch
einen für den wirklichen Gott geben, nicht den Fußballgott und auch nicht den
Weltanschauungsgott, sondern den Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. Gibt es
einen solchen Altar, heute noch, und hier?
Paulus hat damals gesagt: ja, diesen Altar gibt es bei
euch, ihr habt eine Ahnung von diesem Gott. Wie könnte diese Ahnung heute unter uns aussehen?
Hier möchte ich zwei Gedanken einfügen, die ich nicht aus
der Bibel habe, sondern aus dem Buch eines modernen Philosophen. Er hat in
einer eigentlich sehr atheistischen Umwelt darüber geschrieben, warum auch ein moderner
Philosoph an Gott glauben kann, ja, was ihn geradezu dazu bringt an Gott zu
glauben.
Ich habe sein Buch mit großer Freude gelesen und war dann
stolz und aufgeregt, als er vor einigen Wochen in Köln gesprochen hat, Charles
Taylor, ein 84 jähriger Kanadier, ein weiser Mann. Er hat sehr langsam
gesprochen, weil er die deutsche Sprache nur mühevoll beherrscht. Aber gerade
in dem was er langsam gesagt hat, kamen zwei Ausgangspunkte deutlich heraus, von
denen her ein Mensch unserer Zeit an Gott glauben kann.
Mehr
als die sichtbare Welt
Der erste Punkt hat mit unserem Vorstellungsvermögen zu
tun. Der Philosoph sprach davon, dass wir Menschen immer wieder einmal an einen
Punkt kommen, wo wir daran zweifeln, dass nur das Wirklichkeit ist, was wir unmittelbar
vor Augen sehen und mit den Händen greifen können. Es gibt eine Wirklichkeit
hinter der sichtbaren Welt. Dieses Gefühl befällt uns auf unterschiedliche
Weise an der einen oder anderen Stelle in unserem Leben.
Es gibt ein Leben hinter dem, was wir vor unseren Augen
sehen. Das ist ein Satz, der hier im Gefängnis gesprochen eigentlich sehr einleuchtend
klingt, weil hier jeder weiß, dass es noch ein anderes Leben hinter den Mauern
gibt. Aber auch hinter der Realität, die sich draußen zeigt, scheint immer
wieder eine andere Realität auf, die wir nicht unmittelbar erfassen können, die
uns aber offenbar umgibt. Die Erfahrung dieser Realität führt uns zu einer
einfachen, natürlichen Form von Glauben. Das ist der eine Punkt.
Mehr
als das, was wir von uns selbst erwarten
Der andere Punkt ist unsere Unzufriedenheit mit dem, wie
wir uns selbst beurteilen. Der Philosoph in Köln wurde interviewt von einem
anderen Philosophen, der in Bezug auf den Glauben kritisch war, und der hat ihn
gefragt, wieso denn z.B. ein Atheist an Gott glauben sollte, der glücklich ist
und mit Frau und zwei Kindern im Einfamilienhaus im Grünen lebt. Der Philosoph
sagte: er wird Momente erleben, wo er sich selbst ansieht und sich sagt, dass
er mit dem nicht zufrieden sein kann, was er in Bezug auf seine eigenen Ideale und
Pläne und Vorsätze erreicht hat.
Wir Menschen leben immer wieder an dem vorbei, was wir
uns für uns selbst als Ideal vorgenommen haben. Und unsere Unzufriedenheit ist
es, die uns nach Gott fragen lässt.
Zusammengefasst also die Gedanken von Charles Taylor: zu
Gott führt uns einerseits das Gefühl, dass die sichtbare Wirklichkeit nicht
alles sein kann, und andererseits das Gefühl, dass wir unseren eigenen
Maßstäben am Ende niemals gerecht werden können.
An
unserem Altar weiterbauen
Wenn wir uns das eingestehen, können wir an dem Altar
weiterbauen, der dem unbekannten Gott gewidmet ist. Wir können uns gedanklich
dafür öffnen, dass in der Welt hinter den sichtbaren Dingen tatsächlich etwas ist,
und nicht nur etwas, sondern eine persönliche Wärme, eine große Liebe, die zu
uns herüberkommt. Dort wohnt Gott, der die Welt geschaffen und sie dann nicht alleine
gelassen hat und der weiterhin eine Beziehung zu uns Menschen haben will und sogar
sagt: ich habe dich lieb.
Er sagt es uns durch Jesus, den Mann aus Israel, dessen
Andenken damals, als Paulus in Athen zu den Philosophen sprach, noch ganz neu
und lebendig war. Jesus hat Gottes Liebe verkörpert, hat sie bis an ihre
äußersten Grenzen ausgelebt, indem er sein Leben für seine Freunde gab.
Und durch Jesus sagt Gott: in Bezug auf alles das, was dir
in deinem Leben nicht gelungen ist, wo du hinter deinen eigenen Wünschen und Idealen
und Vorsätzen zurückgeblieben bist, in Bezug auf alles das habe ich dir
vergeben, Ich messe dich nicht an den hohen Maßstäben, die du an dich selbst
anlegst. Ich weiß, dass du ein Mensch bist, Menschen machen Fehler, und es ist
mein fester Wille, die Menschen mit allen ihren Fehlern zu lieben.
Das wäre also ein Altar für Gott, nicht für den
unbekannten Gott, sondern für den mehr und mehr bekannten und uns vertrauten
Gott. Es ist ein Altar, den jeder von uns auf seine ganz persönliche Art und Weise
pflegen kann. Wir können ihn schmücken, wir können Gegenstände auf diesen Altar
bringen, die unsere Verehrung für Gott deutlich machen, die uns die Möglichkeit
eröffnen ihm näher zu kommen.
Der Altar ist ja auch ein Punkt, wo man ganz
selbstverständlich betet. Wir wollen das gleich tun, wollen ein Gebet sprechen,
zusammen das Vaterunser beten, und wir können uns gegenseitig versprechen, wenn
wir auseinandergehen, dass es in unseren Herzen weiter betet, dass wir das
Gespräch mit dem Gott unseres ganz persönlichen Herzensaltars weiter suchen.
Im Hintergrund die Gefängnismauer und die Fassade der Gefängniskirche |
Wir können beten, wo immer wir sind. Und wir dürfen
glauben, dass Gott hört.
Amen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen