Donnerstag, 4. Juni 2015

Charles Taylor in Köln - neue Perspektiven für so etwas wie Mission


 
Nein, Charles Taylor hat selbstverständlich nicht über Mission gesprochen. Aber er hat für mich einen gedanklichen Weg geöffnet, den mir sein Buch nach meinem – vermutlich falschen – Eindruck verbaut hatte. In „A Secular Age“ hatte er den Rückgang christlichen Lebens in einem paradoxen Gedankengang darauf zurückgeführt, dass der christliche Glaube in vielen Lebensbereichen überaus erfolgreich gewesen ist. Er war so erfolgreich in der Schaffung einer Gesellschaft, in der sich gute Lebenskonzepte verwirklichen ließen, dass die Menschen annehmen konnten, auch alleine und ohne den Glauben an Gott mit ihrem Leben zurecht zu kommen. Für sie waren ja die aus christlichen Traditionen stammenden Gerüste und Strukturen für ein gelingendes Leben in vielfältiger Weise vorhanden.


Am nachdrücklichsten ist dies im Buch anhand der Kinder geschildert, die Anfang des 19. Jahrhundert in US-amerikanischen Familien aufwuchsen, in denen die Väter sich aus einer dunklen Vergangenheit in Alkoholmissbrauch und allgemeiner Zerrüttung befreit und eine radikale christliche Lebenswende vollzogen hatten. Ihre Kinder übernahmen von ihnen eine bürgerlich-sittliche Lebensweise und waren darin erfolgreich, indem sie ihr Leben sicher geordnet bekamen. Sie behielten dann aber vielfach die religiöse Strenge nicht bei, zu der sich die erste Generation verpflichtet hatte. Von der zweiten Generation an verlief das Leben wie von selbst in geordneten Bahnen, auch ohne dass man dafür viel beten oder regelmäßig am kirchlichen Leben teilnehmen musste.
Nach meinem Eindruck macht es eine solche Entwicklung jeder Kirche schwer, ihre Mitglieder zu halten, und man sieht auch überall, wie wenig dies gelingt. Ich habe hier zum ersten Mal verstanden, warum es meiner eigenen Freikirche, in der nach wie vor die Notwendigkeit einer großen Lebenswende, einer Bekehrung, gepredigt wird, so schwer fällt, neue Mitglieder zu gewinnen oder wenigstens die eigenen Familienangehörigen der nächsten Generation auf dem gemeinsamen Weg zu halten.

In Köln hat Taylor aber nun etwas gesagt, das die Notwendigkeit einer neuen Form von Lebenswende weiterhin offen hält. Danach gefragt, warum Menschen immer noch nach Transzendenz suchen, gab Taylor zunächst die mir auch noch aus dem Buch bekannte Antwort: sie sind ästhetisch nicht mit dem Gedanken zufrieden, dass sich außerhalb des sichtbaren Bereiches nur ein Nichts auftut.
Aber dann sagte er noch ein zweites: sie sind vielfach auch nicht mit sich selbst zufrieden. Sie erfüllen die Standards nicht, die sie sich für ihr eigenes Leben gegeben haben. Gefragt, ob nicht der mit einem schönen Haus und einer gesunden Familie gesegnete Atheist allen Grund habe, Gott aus der Kalkulation seines Lebens herauszuhalten, sagte Taylor, auch dieser Atheist gerate in Überlegungen, in denen ihm zu seinem Bedauern klar wird, dass er hinter seinen selbst gesetzten Standards zurückbleibt.
Nach meinem Eindruck bedient ein Teil der modernen Kirchen diese Problematik nur unzureichend. Das geschieht etwa in der deutschen evangelischen Kirche dadurch, dass in ihren Predigten ein mangelhafter Einsatz für den Frieden in der Welt und für die Erhaltung der Schöpfung angeprangert wird. Dies wäre dann Taylors Punkt, an dem Menschen bemerken, dass sie hinter ihren eigenen Standards zurückbleiben.

Aber die angebotene Lösung liegt dann zwangsläufig in einer wenig attraktiven, recht unpersönlichen  Werkgerechtigkeit. Man muss Müll trennen und politisch aktiv werden – eine schlechte Aussicht für Menschen, die sich selbst verstehen lernen und nach Transzendenz suchen wollen.
Ich glaube, dass eine tiefergehende Selbsterforschung auf ganz andere Antworten aus ist. Sie fragt danach, ob meine Liebe für meinen Nächsten ausreichend ist, ob meine Selbstbeherrschung und -kontrolle nicht viel zu oft verloren geht, und ob überhaupt das von mir gewählte Lebenskonzept durchträgt, wenn es darum geht, sicher bis an das Ende meines Lebens zu gelangen. Diese Fragen gehen alle auf den Punkt hinaus, an dem mir von einer Instanz, die gleichzeitig sehr gerecht und sehr liebevoll sein muss und die eigentlich nur Gott heißen kann, zugesprochen wird, dass mein Leben akzeptabel ist und dass ich es deshalb auch selbst akzeptieren kann.
Vergebung, Zuspruch, Annahme – das sind die Zeichen einer Transzendenz, die der Mensch dann findet, wenn er an den Punkt gelangt, wo er vor sich selbst erschrocken ist. Hier kann das Angebot moderner Kirchen ansetzen und dem Menschen letztlich sagen: Du bist geliebt. Über diesen Punkt hat Taylor gesprochen, andeutungsweise zwar, für mich aber in der Konsequenz sehr klar.
Hierfür bin ich ihm dankbar, hierfür hat es sich gelohnt, nach Köln zu fahren und ihm zuzuhören.

 

1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Man muß Müll trennen und politisch aktiv werden: Das ist wohl die Falle, in die die Religion geraten ist, die säkulare Politagenda nur noch nachzubeten.