Am
nachdrücklichsten ist dies im Buch anhand der Kinder geschildert, die Anfang
des 19. Jahrhundert in US-amerikanischen Familien aufwuchsen, in denen die
Väter sich aus einer dunklen Vergangenheit in Alkoholmissbrauch und allgemeiner
Zerrüttung befreit und eine radikale christliche Lebenswende vollzogen hatten.
Ihre Kinder übernahmen von ihnen eine bürgerlich-sittliche Lebensweise und waren
darin erfolgreich, indem sie ihr Leben sicher geordnet bekamen. Sie behielten dann aber vielfach die religiöse Strenge nicht bei, zu der sich die erste
Generation verpflichtet hatte. Von der zweiten Generation an verlief
das Leben wie von selbst in geordneten Bahnen, auch ohne dass man dafür viel beten oder
regelmäßig am kirchlichen Leben teilnehmen musste.
Nach meinem
Eindruck macht es eine solche Entwicklung jeder Kirche schwer, ihre Mitglieder
zu halten, und man sieht auch überall, wie wenig dies gelingt. Ich habe hier
zum ersten Mal verstanden, warum es meiner eigenen Freikirche, in der nach
wie vor die Notwendigkeit einer großen Lebenswende, einer Bekehrung, gepredigt
wird, so schwer fällt, neue Mitglieder zu gewinnen oder wenigstens die eigenen
Familienangehörigen der nächsten Generation auf dem gemeinsamen Weg zu halten.
In Köln hat Taylor
aber nun etwas gesagt, das die Notwendigkeit einer neuen Form von Lebenswende
weiterhin offen hält. Danach gefragt, warum Menschen immer noch nach
Transzendenz suchen, gab Taylor zunächst die mir auch noch aus dem Buch
bekannte Antwort: sie sind ästhetisch nicht mit dem Gedanken zufrieden, dass sich außerhalb des sichtbaren Bereiches nur ein Nichts auftut.
Aber dann sagte er noch ein
zweites: sie sind vielfach auch nicht mit sich selbst zufrieden. Sie erfüllen die
Standards nicht, die sie sich für ihr eigenes Leben gegeben haben. Gefragt, ob
nicht der mit einem schönen Haus und einer gesunden Familie gesegnete Atheist allen
Grund habe, Gott aus der Kalkulation seines Lebens herauszuhalten, sagte Taylor,
auch dieser Atheist gerate in Überlegungen, in denen ihm zu seinem Bedauern klar wird, dass er
hinter seinen selbst gesetzten Standards zurückbleibt.
Nach meinem
Eindruck bedient ein Teil der modernen Kirchen diese Problematik nur
unzureichend. Das geschieht etwa in der deutschen evangelischen Kirche dadurch,
dass in ihren Predigten ein mangelhafter Einsatz für den Frieden in der Welt und für die Erhaltung
der Schöpfung angeprangert wird. Dies wäre dann Taylors
Punkt, an dem Menschen bemerken, dass sie hinter ihren eigenen
Standards zurückbleiben.
Aber die angebotene Lösung liegt dann zwangsläufig in einer wenig attraktiven, recht unpersönlichen Werkgerechtigkeit. Man muss Müll trennen und politisch aktiv werden – eine schlechte Aussicht für Menschen, die sich selbst verstehen lernen und nach Transzendenz suchen wollen.
Aber die angebotene Lösung liegt dann zwangsläufig in einer wenig attraktiven, recht unpersönlichen Werkgerechtigkeit. Man muss Müll trennen und politisch aktiv werden – eine schlechte Aussicht für Menschen, die sich selbst verstehen lernen und nach Transzendenz suchen wollen.
Ich glaube,
dass eine tiefergehende Selbsterforschung auf ganz andere Antworten aus ist. Sie fragt
danach, ob meine Liebe für meinen Nächsten ausreichend ist, ob
meine Selbstbeherrschung und -kontrolle nicht viel zu oft verloren geht, und ob
überhaupt das von mir gewählte Lebenskonzept durchträgt, wenn es darum geht, sicher
bis an das Ende meines Lebens zu gelangen. Diese Fragen gehen alle auf den
Punkt hinaus, an dem mir von einer Instanz, die gleichzeitig sehr gerecht und
sehr liebevoll sein muss und die eigentlich nur Gott heißen kann, zugesprochen wird, dass mein Leben akzeptabel ist und
dass ich es deshalb auch selbst akzeptieren kann.
Vergebung,
Zuspruch, Annahme – das sind die Zeichen einer Transzendenz, die der Mensch
dann findet, wenn er an den Punkt gelangt, wo er vor sich selbst erschrocken
ist. Hier kann das Angebot moderner Kirchen ansetzen und dem Menschen letztlich sagen: Du bist geliebt. Über diesen Punkt hat Taylor gesprochen, andeutungsweise zwar, für mich
aber in der Konsequenz sehr klar.
Hierfür bin
ich ihm dankbar, hierfür hat es sich gelohnt, nach Köln zu fahren und ihm
zuzuhören.
1 Kommentar:
Man muß Müll trennen und politisch aktiv werden: Das ist wohl die Falle, in die die Religion geraten ist, die säkulare Politagenda nur noch nachzubeten.
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