Dienstag, 2. Juni 2015

Der Philosoph in Köln


Charles Taylor, Wolfram Eilenberger
Charles Taylor muss an diesem Abend um seine Worte ringen, denn er redet Deutsch. Ähnlich wird es sich angehört haben, als Hegel mit seiner schweren schwäbischen Zunge den schnellen Preußen in Berlin sein Weltsystem erklärte. Nur dass Charles Taylor nicht durch eine wirklich schwere Zunge gehindert wird. Er wuchs, 1931 in Kanada geboren, zweisprachig auf (englisch und französisch) und spricht ein sehr gutes Deutsch, in dem er allerdings immer ein wenig herumkramen muss, um das jeweils richtige Wort zu finden. In seinen englischen Büchern zitiert er die deutschen Quellen vielfach im Original, und man stellt sich gerne vor, dass er die Schriften von Immanuel Kant flüssiger lesen kann als eine deutsche Tageszeitung.

Heute nun soll er sich unserer Umgangssprache bedienen, dazu wird er durch die leichte, unprätentiöse, aber niemals ihr hohes geistiges Niveau verlierende Redeweise seines kongenialen Gesprächspartners Wolfram Eilenberger* eingeladen. "Kann man heute noch religiös sein?" ist das Thema des Abends, und Eilenberger stellt diese Frage auf alle denkbaren Arten und Weisen immer wieder neu. Um es vorweg zu nehmen: Taylor sagt ein klares „Ja“ dazu und gibt eigenartigerweise die glaubwürdigste Antwort an diesem Abend weniger mit seinen Worten als vielmehr mit der Sprache seines Körpers. Der fast zwei Meter große, schlanke und sehr bewegliche Philosoph setzt seine Hände, seine Arme und vor allen Dingen sein Lächeln dazu ein, den Zuhörern immer wieder die ganze Spannweite der menschlichen Möglichkeiten zu vergegenwärtigen. Taylor ist ein Mann der weiten Räume. Und zu denen gehört ganz selbstverständlich auch der Raum der Transzendenz.
Aber die Wissenschaft! Kann sie ihr Feld nicht doch so vergrößern, dass sie am Ende Gott wichtige Gebiete wegnimmt, fragt Eilenberger. Nein, sagt Taylor, es gibt im Weltall so viele unbegreifliche Dinge, da ist für die Wissenschaft und Gott auf ewig nebeneinander Platz. In Taylors Kopf und in Taylors Herz ist eine Menge Platz.
Nun ist es aber, setzt Eilenberger nach, in der modernen Welt immer ungewöhnlicher geworden, nach der Transzendenz und nach Gott zu suchen. Warum tut man es immer noch? Taylor nennt zwei Gründe. Da ist zum einen das ästhetische, künstlerische Verlangen, sich nicht mit dem zufrieden geben zu müssen, was man vor Augen sieht. Die deutschen Dichter des Sturm und Drang, allen voran Schiller, haben diesen Aspekt vertreten. Und da ist zum andern die Unzufriedenheit mit der Erreichung des ethischen Standards, den man sich selbst gesetzt hat.

Eilenberger fragt nach dem Atheisten, der, mit Familie und Reihenhaus bestens umhegt und versorgt, selbstzufrieden eine Welt ohne Gott betrachten kann. Auch er, sagt Taylor, hat solche Standards, denen er in Momenten einer tieferen Selbstreflexion nicht gerecht werden kann. Das Erschrecken des Menschen vor sich selbst ist der Anfang aller Religion, heißt es. Taylor zitiert dies nicht, es wäre eine Farbe, die den milden Tönen, die er gewöhnlich benutzt, nicht ganz entspricht. Aber es ist im Kern doch das, was er sagt.
Welche großen Linien er für die Zukunft sieht, fragt ihn Eilenberger. Es käme darauf an, antwortet Taylor, ob sich die friedliche ("irenäische") Linie derjenigen Menschen als stärker erweist, die sich über alte Grenzen hinwegsetzt und etwa offene Gesprächskreise zwischen Christen und Atheisten ermöglicht, oder ob es die fundamentalistische Linie ist, deren Wesenskern Taylor in einer Kampfeshaltung sieht, einem "we must take back" wie es etwa in den USA häufig zu hören ist.
Eine Welt ohne Religionen mag Taylor sich nicht vorstellen. Er stimmt auch nicht in die geläufige Kritik ein, die Religionen seien das Grundübel der Welt und gehörten abgeschafft, um die Welt zu verbessern. Nein, Verbesserungen entstehen seiner Meinung nach nur da, wo eine schlechte Religion durch eine bessere ersetzt wird. Er nennt im muslimischen Bereich Indonesien und den Senegal als Beispiele.
Eine Religion dagegen, welche die engen Grenzen unseres Planeten springt und auch andere Wesen im Weltall mit einbezieht, mag er sich ebenfalls nicht vorstellen. Er habe früher einmal sehr gerne Science Fiction gelesen, aber die Frage, ob es auf anderen Sternen auch glaubende Lebewesen gäbe, wollte er sich doch erst dann stellen, wenn sich diese konkret meldeten.
Taylor signiert mir nach
der Veranstaltung mein Exemplar
"A Secular Age"
Lachend geht sein letzter Beitrag zu Ende. Dieses Lachen eines weisen alten Mannes ist vielleicht das schönste Zeugnis dafür, dass man heute noch religiös sein kann.

 

* bekannt u. A. durch das ZEIT-Interview "Borussia Dortmund ist die Anomalie der Liga"

 

 

 

 

 

3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

C. G. Jung meinte mal, neben der Möglichkeit, selbst Prophet zu sein, sei es das Zweitbeste, Jünger eines Propheten zu sein ... :)

Peter Oberschelp hat gesagt…

Das Erschrecken des Menschen vor sich selbst ist der Anfang aller Religion, heißt es: Heißt es wo? Klingt wie Girard, ist aber wohl anders gemeint.

Christian Runkel hat gesagt…

Ja, Adolf, das stimmt. Bist Du noch als Taylor-Jünger zu gewinnen...?
Peter, ich muss noch weiter googeln, habe es während des Schreibens nicht gefunden.