Charles Taylor, Wolfram Eilenberger |
Charles
Taylor muss an diesem Abend um seine Worte ringen, denn er redet Deutsch. Ähnlich wird
es sich angehört haben, als Hegel mit seiner schweren schwäbischen Zunge den
schnellen Preußen in Berlin sein Weltsystem erklärte. Nur dass Charles
Taylor nicht durch eine wirklich schwere Zunge gehindert wird. Er wuchs, 1931
in Kanada geboren, zweisprachig auf (englisch und französisch) und spricht ein
sehr gutes Deutsch, in dem er allerdings immer ein wenig herumkramen muss, um
das jeweils richtige Wort zu finden. In seinen englischen Büchern zitiert er
die deutschen Quellen vielfach im Original, und man stellt sich gerne vor, dass
er die Schriften von Immanuel Kant flüssiger lesen kann als eine deutsche
Tageszeitung.
Heute nun soll
er sich unserer Umgangssprache bedienen, dazu wird er durch die leichte, unprätentiöse,
aber niemals ihr hohes geistiges Niveau verlierende Redeweise seines kongenialen
Gesprächspartners Wolfram
Eilenberger* eingeladen. "Kann man heute noch religiös sein?" ist
das Thema des Abends, und Eilenberger stellt diese Frage auf alle denkbaren
Arten und Weisen immer wieder neu. Um es vorweg zu nehmen: Taylor sagt ein klares „Ja“ dazu und
gibt eigenartigerweise die glaubwürdigste Antwort an diesem Abend weniger mit
seinen Worten als vielmehr mit der Sprache seines Körpers. Der fast zwei Meter
große, schlanke und sehr bewegliche Philosoph setzt seine Hände, seine Arme und
vor allen Dingen sein Lächeln dazu ein, den Zuhörern immer wieder die ganze
Spannweite der menschlichen Möglichkeiten zu vergegenwärtigen. Taylor ist ein
Mann der weiten Räume. Und zu denen gehört ganz selbstverständlich auch der Raum der Transzendenz.
Aber die
Wissenschaft! Kann sie ihr Feld nicht doch so vergrößern, dass sie am Ende Gott wichtige Gebiete
wegnimmt, fragt Eilenberger. Nein, sagt Taylor, es gibt im Weltall so viele
unbegreifliche Dinge, da ist für die Wissenschaft und Gott auf ewig
nebeneinander Platz. In Taylors Kopf und in Taylors Herz ist eine Menge Platz.
Nun ist es aber, setzt Eilenberger nach,
in der modernen Welt immer ungewöhnlicher geworden, nach der Transzendenz
und nach Gott zu suchen. Warum tut man es immer noch? Taylor nennt zwei Gründe.
Da ist zum einen das ästhetische, künstlerische Verlangen, sich nicht mit dem
zufrieden geben zu müssen, was man vor Augen sieht. Die deutschen Dichter des
Sturm und Drang, allen voran Schiller, haben diesen Aspekt vertreten. Und da
ist zum andern die Unzufriedenheit mit der Erreichung des ethischen Standards,
den man sich selbst gesetzt hat.
Eilenberger fragt nach dem Atheisten, der, mit Familie und Reihenhaus bestens umhegt und versorgt, selbstzufrieden eine Welt ohne Gott betrachten kann. Auch er, sagt Taylor, hat solche Standards, denen er in Momenten einer tieferen Selbstreflexion nicht gerecht werden kann. Das Erschrecken des Menschen vor sich selbst ist der Anfang aller Religion, heißt es. Taylor zitiert dies nicht, es wäre eine Farbe, die den milden Tönen, die er gewöhnlich benutzt, nicht ganz entspricht. Aber es ist im Kern doch das, was er sagt.
Eilenberger fragt nach dem Atheisten, der, mit Familie und Reihenhaus bestens umhegt und versorgt, selbstzufrieden eine Welt ohne Gott betrachten kann. Auch er, sagt Taylor, hat solche Standards, denen er in Momenten einer tieferen Selbstreflexion nicht gerecht werden kann. Das Erschrecken des Menschen vor sich selbst ist der Anfang aller Religion, heißt es. Taylor zitiert dies nicht, es wäre eine Farbe, die den milden Tönen, die er gewöhnlich benutzt, nicht ganz entspricht. Aber es ist im Kern doch das, was er sagt.
Welche
großen Linien er für die Zukunft sieht, fragt ihn Eilenberger. Es käme darauf
an, antwortet Taylor, ob sich die friedliche ("irenäische") Linie
derjenigen Menschen als stärker erweist, die sich über alte Grenzen hinwegsetzt
und etwa offene Gesprächskreise zwischen Christen und Atheisten ermöglicht,
oder ob es die fundamentalistische Linie ist, deren Wesenskern Taylor in einer
Kampfeshaltung sieht, einem "we must take
back" wie es etwa in den USA häufig zu hören ist.
Eine Welt
ohne Religionen mag Taylor sich nicht vorstellen. Er stimmt auch nicht in die
geläufige Kritik ein, die Religionen seien das Grundübel der Welt und gehörten abgeschafft, um die Welt zu verbessern. Nein, Verbesserungen
entstehen seiner Meinung nach nur da, wo eine schlechte Religion durch eine
bessere ersetzt wird. Er nennt im muslimischen Bereich Indonesien und den
Senegal als Beispiele.
Eine
Religion dagegen, welche die engen Grenzen unseres Planeten springt und auch andere
Wesen im Weltall mit einbezieht, mag er sich ebenfalls nicht vorstellen. Er
habe früher einmal sehr gerne Science Fiction gelesen, aber die Frage, ob es
auf anderen Sternen auch glaubende Lebewesen gäbe, wollte er sich doch erst dann stellen,
wenn sich diese konkret meldeten.
Taylor signiert mir nach der Veranstaltung mein Exemplar "A Secular Age" |
Lachend geht
sein letzter Beitrag zu Ende. Dieses Lachen eines weisen alten Mannes ist
vielleicht das schönste Zeugnis dafür, dass man heute noch religiös sein kann.
* bekannt u.
A. durch das ZEIT-Interview "Borussia
Dortmund ist die Anomalie der Liga"
3 Kommentare:
C. G. Jung meinte mal, neben der Möglichkeit, selbst Prophet zu sein, sei es das Zweitbeste, Jünger eines Propheten zu sein ... :)
Das Erschrecken des Menschen vor sich selbst ist der Anfang aller Religion, heißt es: Heißt es wo? Klingt wie Girard, ist aber wohl anders gemeint.
Ja, Adolf, das stimmt. Bist Du noch als Taylor-Jünger zu gewinnen...?
Peter, ich muss noch weiter googeln, habe es während des Schreibens nicht gefunden.
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