Dienstag, 3. November 2015

So tun als ob


   
Blaise Pascal
Kann man einen Science-Fiction-Film, in dem eine Zeitmaschine die Handlung vorantreibt, mit Genuss ansehen, wenn man dabei selbst gar nicht daran glaubt, dass es eine solche Zeitmaschine tatsächlich gibt? Unsere Erfahrung lehrt uns: man kann das, jedenfalls für eine gewisse Zeit. Kann man aber auch sein ganzes Leben nach bestimmten Grundannahmen gestalten und dabei im Zweifel sein, dass sie sich beweisen lassen? Ein Beispiel: kann man moralische Forderungen wie „Stehlen ist schlecht“ als Grundsatz akzeptieren, auch wenn man nicht davon überzeugt ist, dass es überhaupt letztgültige Grundsätze gibt?


In einem Artikel des amerikanischen Philosophen William Irwin (How To Live A Lie) wird diese Frage unter dem Begriff Moralischer Fiktionalismus kontrovers diskutiert. Für eine auf bloße Fiktion gegründete Moral spricht die Tatsache, dass der menschliche Wille schwach ist und der Mensch deshalb gut daran tut, sich von starken Leitsätzen führen zu lassen, selbst dann, wenn sie sich nicht letztlich beweisen lassen. Gegen eine solche Moral spricht allerdings die Erfahrung, dass man im Bewusstsein, lediglich fiktionale Grundsätze zu haben, immer wieder an seine Grenzen stößt, und zwar gerade in Situationen, in denen man diese Grundsätze eigentlich braucht, sich aber innerlich gegen sie wehrt.

Es hat hat eine längere Tradition, wichtige Grundannahmen seines Lebens auf eine Fiktion zu gründen und nicht auf gesicherte Erkenntnisse. Irwin erinnert an die Aufforderung des frommen französischen Philosophen Blaise Pascal (1623 - 1662) an die Ungläubigen, es doch einfach einmal für eine gewisse Zeit mit dem Glauben zu versuchen, indem man in einer ersten Stufe lediglich vorgibt zu glauben. Der Glaube würde sich dann häufig nach und nach von selbst einstellen.

Diese Aufforderung  ist eine Konsequenz der sogenannten Pascalschen Wette, in deren Kern ein mathematisches Kalkül steckt, wonach der Glaube an Gott von der Wahrscheinlichkeitsrechnung her gesehen die bessere Wahl für den Menschen ist, nicht der Unglaube. Wenn nun aber die Frage nach der Realität Gottes über eine Wette entschieden werden kann, dann ist es sicher nicht falsch, sein Leben als Glaubender nicht vorrangig von der inneren Überzeugung bestimmen zu lassen, sondern durchaus auch einmal von dem, für das man sich nach außen entschieden hat, in einem einer Wette ähnlichen Akt.

Eine ähnliche Wette kann es auch in den Fragen der Moral und der Sittlichkeit geben und auch in der Frage nach dem freien Willen. Man erkennt auch hier die Schwierigkeit, die hinter diesen Begriffen stehende Denkweise zu belegen, und begnügt sich damit, mit ihrer Berechtigung zu kalkulieren und sie letztlich ungeprüft vorauszusetzen.

Mich hat die Pascalsche Wette schon als Kind fasziniert. Meine landeskirchlich erzogene Großmutter erklärte sie uns Kindern (zu dem freikirchlich erzogenen Großvater und seinem augenscheinlich auf tieferen Fundamenten gegründeten Glauben schien sie nicht so recht zu passen). Mir gefiel die frappierende Sicherheit, welche die mathematische Kalkulation bot. Später las ich von Kierkegaard, dass auch er an eine Wette glaubte und den pascalschen Sprung hinein in die Ungewissheit des Glaubens als eine zentrale Bewegung des modernen Menschen ansah.

Erst vor wenigen Monaten lass ich aber auch den Einwand gegen alle diese Gedanken vom Wetten und Springen. Er lautete: ob Gott sich über diejenigen Menschen wirklich freuen könne, die auf diesem Wege zu ihm kommen? Runzelt er nicht eher die Stirn, wenn sie sich ihm nähern? Es stimmt sicherlich: man möchte lieber ein Mensch sein, der so von Gott angesprochen und ergriffen ist, dass er alle Kalkulationen beiseite lässt und intuitiv die Kraft und Erhabenheit des Gotteswillens begreift und darauf antwortet.

Nur andererseits – solange es Menschen mit Zweifeln und Bedenken gibt, sollte auch ein Moralischer Fiktionalismus* oder meinetwegen sogar ein theologischer erlaubt sein.

* auch in deutschen Fachkreisen wird der Begriff diskutiert, wie man leicht über Google feststellen kann. Ein erster Blick in die Fachliteratur ist aber eher entmutigend, die Herangehensweise erscheint wissenschaftlich überladen und spröde, man kehrt schnell wieder zu Irwin und seiner eher journalistischen Vortragsweise zurück.






2 Kommentare:

Ukko Elhob hat gesagt…

...zur vergleichender Lektüre, die ich gerade lese, empfehlen sich einige Passagen aus "Sapiens: A Brief History of Humankind" von Yuval Noah Harari [*] und seine Überlegungen zur Funktion der "kollektiven zwischen-menschlichen Vorstellungen" in der Geschichte. Auch ansonsten its diese Buch eine anregended Lektüre.

[*] arbeitet an der Hebrew University of Jerusalem

Peter Oberschelp hat gesagt…

Diebstahl steht unter Strafandrohung. Meine Haltung ist: Wo eine gesellschaftlich erzeugte Rechtsnorm besteht, kann die Moral sich einigermaßen entspannt zurücklehnen. Auch der Glaube ist nicht allein eine Sache einsamer Wetten. Du bist sozusagen im Hause Gottes aufgewachsen, ich unter Heiden. Die Folgen sind klar erkennbar.