Dies schreibe ich mit der Absicht, zunächst einmal meinen muslimischen Freunden näher zu erklären, was es mit dem besagten Lied Amazing Grace auf sich hat. Der amerikanische Präsident Obama hat es am vergangenen Freitag auf der Trauerfeier für die Mordopfer von Charleston am Ende seiner Rede gesungen.
Amazing
grace, how sweet the sound,
That saved a wretch like me!
I once was lost, but now I am found,
Was blind, but now I see.
That saved a wretch like me!
I once was lost, but now I am found,
Was blind, but now I see.
Ich füge weitere Strophen unten an. Das Lied hat eine
einfache, aus nur fünf Tönen bestehende Melodie und spricht von dem
überwältigenden Gefühl einer Rettung durch Gott. Verloren – aber nun gefunden,
blind gewesen - und jetzt sehend, eine durch und durch verdorbene Existenz („a
wretch“, ein Schurke) - aber jetzt gerettet.
Dieses amerikanische Lied (laut Wikipedia 1748 vom Kapitän
eines Sklavenschiffs verfasst, der aus Seenot gerettet wurde und später ein
Gegner der Sklaverei wurde) wird auch in deutschen Kirchen gesungen, hier aber meist
sehr viel zurückhaltender als in den emotionalen schwarzen Kirchen der
Vereinigten Staaten. Ein mir persönlich bekannter Wuppertaler Pfarrer* hat das
Lied ins Deutsche übersetzt und mir einmal gesagt, er wundere sich immer, wenn
die Deutschen solche und ähnliche Lieder in Englisch singen. Sie sind in dieser
Sprache bereit, sich in sehr viel emotionaleren Worten auszudrücken als im
Deutschen.
Hätte George Bush dieses Lied nach dem 11. September 2001 ebenfalls
anstimmen sollen? Ein verwegener Gedanke! Es ist ja eine versöhnliche
Botschaft darin, ein vollständiger Verzicht auf Rache. Obama
hat gesagt, der weiße Attentäter hätte einen Rassenkrieg anstiften wollen,
aber – God has different ideas – eine
göttliche Vorsehung habe das genaue Gegenteil bewirkt, nämlich einen großen
Aufruf zur Versöhnung zwischen den nach wie vor unter Spannung stehenden Rassen
in den Vereinigten Staaten.
Nun war in Charleston im Unterschied zum Anschlag auf das
World Trade Center in 2001 eine genau definierte Gruppe von Menschen betroffen:
schwarze Christen, zudem sehr frommen Menschen. In der Regel haben nur die
frommen unter den sonntäglichen Kirchgängern außerdem noch die Sitte, sich auch
in der Woche zu einem Bibelkreis zu versammeln. Das Attentat auf diese Leute
war etwa so, als habe man eine Sohbet-Veranstaltung der Hizmet-Bewegung
angegriffen, einen Hauskreis, einen Gesprächskreis gleichgesinnter gläubiger
Menschen.
Ganz anders als im New York von 2001 hatten nun aber die Angehörigen
der Ermordeten wenige Stunden nach der Tat vor Gericht in einem bewegenden Auftritt
dem Täter ins Gesicht erklärt, sie würden ihm seine Tat vergeben.
Ohne diese Vergebung wäre es nicht möglich gewesen, dass nun auch Präsident Obama von grace, von Gnade gesprochen hat.
Solche Voraussetzungen hatte Präsident Bush 2001 selbstverständlich
nicht. Er musste reagieren, musste fordern. Nun hat Präsident Obama allerdings ebenfalls
gefordert: er hat die rassistischen Feinde der neun Mordopfer von Charleston
aufgefordert, ihre Waffen niederzulegen. Er hat Worte gegen den Hass und gegen die
allgemeine Bewaffnung der Bürger in den Vereinigten Staaten gefunden.
Man weiß, dass er hier sehr vorsichtig sein muss, weil es
nach wie vor eine breite Grundstimmung in der Bevölkerung gibt, die das Tragen
von Waffen zum freien Grundrecht aller Bürger macht.. Er hat deutliche Worte
zum Einschränkung dieser Freiheit gesprochen und zu einer Annahme der erstaunlichen Gnade hinein in alle
Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.
Zum Schluss hat er die Namen der neun Mordopfer noch einmal
laut ausgerufen und nach jedem Namen angefügt,
"...hat diese Gnade gefunden", ... found that grace. Er hat die ermordeten Menschen dann der Gnade
anbefohlen, die sie jetzt nach Hause bringen wird . Im Lied heißt es grace will lead me home.
Und er hat am Schluss sein ganzes Land dieser Gnade anbefohlen,
damit es - und hier hat er eine Pause gemacht und das folgende Wort besonders
betont - Vereinigte Staaten von
Amerika bleiben.
Alles das hätte Bush nicht sagen können. Aber dass es gesagt
werden kann, mitten hinein in eine Welt, in der die Ungnade jeden Tag zu siegen
scheint, ist ein Triumph der Hoffnung.
Amazing
grace, how sweet the sound,
That saved a wretch like me!
I once was lost, but now I am found,
Was blind, but now I see
'Twas grace
that taught my heart to fear,That saved a wretch like me!
I once was lost, but now I am found,
Was blind, but now I see
And grace my fears relieved;
How precious did that grace appear,
The hour I first believed!
Through many dangers, toils and snares,
I have already come;
'Twas grace that brought me safe thus far,
And grace will lead me home.
* Übertragung von Klaus Haacker:
du Licht in meiner Nacht!
Ich war verirrt, dem Tod geweiht,
du hast mich heimgebracht.
Die Gnade hat mich aufgeschreckt
aus falscher Sicherheit,
den Glauben dann in mir geweckt,
aus aller Angst befreit.
In Nöten, Mühsal und Gefahr aus falscher Sicherheit,
den Glauben dann in mir geweckt,
aus aller Angst befreit.
hat Gnade mich bewahrt;
ich weiß, sie führt mich wunderbar
bis hin zur letzten Fahrt.
1 Kommentar:
I once was lost, but now I am found,
Was blind, but now I see.
Eine Verszeile bei L. Cohen, die sich mir eingeprägt hat, kommt mir wie eine weniger optimistische Variation vor:
I'm blind, but you can see,
I've been blinded totally.
Kommentar veröffentlichen