Mittwoch, 17. Juni 2009

Sagen können: Ich bin dabeigewesen







In den letzten Tagen haben sich in meinem Kopf die Nachrichten aus dem Iran mit den Erinnerungen vermischt, die ich an den Aufstand der Ungarn im Jahr 1956 habe. Damals wohnten wir in einem Mietshaus mit einer ungarischen Familie auf einer Etage. Wir sahen uns gemeinsam auf einem kleinen Fernsehschirm die wenigen Bilder an, die von dem Geschehen übertragen wurden, und litten mit den Journalisten, die verzweifelt von außen versuchten, etwas über die Lage im Lande zu erfahren. Eine wichtige Quelle waren damals, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, die Funkamateure auf der Kurzwelle, ich siebenjähriger Knirps wäre jedenfalls damals gerne ein solcher Funker gewesen, einer der Hilferufe empfing und Rote-Kreuz-Transporten half, an die richtige Stelle zu kommen.

Heute sitze ich wieder vor einem Bildschirm und versuche, etwas über das im Aufstand befindliche Persien zu erfahren. Diesmal bin ich aber tatsächlich eine Art von Funkamateur, nur daß es kein Funk ist sondern der Internet-Dienst Twitter, den ich benutze. Über diesen lese ich derzeit die Meldungen von neun Twitterern im Iran, in London und den USA*. Einige von ihnen, wie Adel Ganje in Bushehr am Persischen Golf, rechts sein Twitterbild, oder die schöne Lily Mazahery in den USA, im Bild links, meine ich schon persönlich zu kennen, habe ihnen zwei oder drei mal aus Deutschland berichtet - etwa, daß Merkel den Botschafter einbestellt hat, für die Meldung haben sich einige bedankt - und nehme an Ihrem Schicksal teil.

Ich sehe mir ihre primitiven Videos an, z.T. mit Handy-Kameras gemacht, lese ihre Überlegungen, zur nächsten Kundgebung zu gehen oder nicht, und erkenne in ihnen Menschen, die mir in ihrem Denken und Handeln sehr verwandt sind. Sie wollen offenbar nicht eine bestimmte Partei an die Macht wählen (der Oppositionsführer Mussawi, rechts sein Twitter-Bild, war lange Zeit ein Hardliner, Premierminister in Khomeini-Zeiten, er ist von daher kein geborener Hoffnungsträger), sie wollen überhaupt erst einmal die Wahl haben und sich nicht von Mächten bestimmen lassen, die hinter verschlossenen Türen über die Politik bestimmen.

Sie sind nach meinem Eindruck Teilnehmer am "Great International Bazaar", den Francis Fukuyama in seiner "End of History" schon 1989 beschrieben hat, Leute, die - verkürzt gesagt - in ihrem Konsumverhalten auf ein gleiches Niveau mit den westlichen Ländern kommen wollen, ein vernünftiges Auto, moderne elektronische Geräte usw. besitzen möchten, ihre Kinder auf freie Schulen schicken und ihre Familien von guten Ärzten versorgen lassen wollen. Das alles kann nicht von einem Staat gewährt werden, in dem religiöse, rassische oder politische Bevormundung und Intoleranz herrschen.

Die demonstrierenden Menschen sind auf wundersame Weise "normal", sie wären äußerlich in keiner Fußgängerzone Deutschlands von dem Rest der Bevölkerung zu unterscheiden, gleiche Hemden und Jeans, Kleider, T-Shirts, gleiche Großstadt-Gesichter, vielleicht ein bißchen weniger blonde Anteile als in Berlin. Ich wünsche ihnen von Herzen, daß sie bald leben können wie die Berliner.

Am Montag haben wir alle versucht, Twitter davon abzuhalten, sich für eine geplante Wartungspause von zwei Stunden komplett abzuschalten - mit Erfolg! Zwar hat die amerikanische Regierung später melden lassen, man habe "mit Twitter gesprochen", aber i c h habe es auch getan, bzw. habe (war gar nicht so leicht zu finden) über eine Service-Seite den dringenden Wunsch der Iraner, Twitter durchlaufen zu lassen, an die Twitter-Organisation weitergegeben.

Die amerikanische Regierung kommt bei Twitter nicht immer gut weg, die soll sich klarer einmischen, wird gesagt. Nun kann man Obama verstehen, wenn er am Dienstag so in etwa geäußert hat, es stünde ihm nicht an, Wahlen anderer Länder zu kommentieren. Aber daß er dann gemeint hat, Mussawi würde eine ähnliche Politik machen wie Ahmedinejad, das halte ich für völlig verkehrt. Ein von einer demokratischen Bewegung an die Spitze getragener Mussawi würde eine demokratische Politik machen müssen, ob er will oder nicht. Dafür würden meine Twitter-Freunde schon sorgen, da bin ich sicher.

Gerade lese ich, daß die Überprüfung der Wahlergebnisse durch den Rat der Wächter der Revolution bereits morgen abgeschlossen werde soll. Die Mächtigen sind unter Druck, und ich hoffe, daß sie ihm am Ende vollständig weichen werden.


* @mousavi1388 (aus dem Büro des Oppositionsführers selbst) , @LilyMazahery, @Mynumberone1988,
@IranRiggedElect, @StopAhmadi, @birtanx, @Change_for_Iran, @jstrevino, @potent_one


Längere Beiträge von @birtanx (Bijan Zendeh) erscheinen in Deutsch auf meiner Facebook-Seite.


1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

... sich nicht von Mächten bestimmen lassen, die hinter verschlossenen Türen über die Politik bestimmen. & Die Mächtigen sind unter Druck, und ich hoffe, daß sie ihm am Ende vollständig weichen werden.

Ich weiß natürlich, was gemeint ist, muß aber doch vorsichtig auf die Bremse treten. Politik ist nie etwas anderes als Machtverwaltung, und am Ende findet sie immer hinter verschlossenen Türen statt. Ein Machtvakuum, in dem sich immer Gewaltexzesse abspielen, ist kaum angenehmer als ein Machtexzeß und die Mitte ist nicht einfach zu halten.

Ein von einer demokratischen Bewegung an die Spitze getragener Mussawi würde eine demokratische Politik machen müssen, ob er will oder nicht. Dafür würden meine Twitter-
Freunde schon sorgen, da bin ich sicher.

Persönlich möchte ich mich eigentlich nicht so gern der Twitter-Gemeinde überantwortet sehen.

Die demonstrierenden Menschen sind auf wundersame Weise "normal", sie wären äußerlich in keiner Fußgängerzone Deutschlands von dem Rest der Bevölkerung zu unterscheiden.

Auch die Steinzeitleute haben ihr Leben als normal angesehen, in gewisser Weise mit mehr Recht als wir. Unser modernes Leben ist in einer derart schwindelerregenden Weise voraussetzungsreich, daß die Vokabel „normal“ nicht recht am Platz scheint.