Samstag, 5. Dezember 2009

Minarette in der Schweiz




Mit etwas zeitlichen Abstand zu dem von vielen Leuten zu Recht als schändlich empfundenen Schweizer Volksentscheid ist es vielleicht möglich, sich dem an sich ja sehr sympathischen und weltoffenen Volk der Schweizer erneut in Freundschaft zu nähern. Es könnte nämlich sein, daß die Schweizer zu entschuldigen sind, weil sie sich mit ihrem "wir wollen keine Minarette erlauben" gewissermaßen kollektiv versprochen haben. Sie wollten offenbar etwas anderes sagen, so wird jedenfalls mehr und mehr berichtet, und wenn das so ist, muß man es in gewissen Grenzen verstehen und verzeihen. Vor allen Dingen erscheint es ratsam zu sein, über dieses Andere, das gesagt werden wollte, miteinander zu reden. Jedenfalls würde ich, wenn ich Moslem wäre, die Gelegenheit zu einem solchen Gespräch nicht ungenutzt lassen.

Schon kurz nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse wurde deutlich, daß man in der Diskussion vor der Wahl wenig über Minarette und dafür viel über Zwangsheiraten, Ehrenmorde und anderes gesprochen hat, also über Dinge, die man in weiten Teilen der Bevölkerung als eine eher unsympathische Kehrseite des Islams ansieht. Die freie Ausübung der Religion stand offenbar nicht zur Debatte, auch nicht der Bau von Gotteshäusern. Man wollte, wie ich irgendwo gelesen habe, insgesamt etwas gegen den "politischen Islam" unternehmen, einen gewaltbereiten Islam, dessen äußere Zeichen eben die Minarette seien, weshalb sie verboten gehörten.

Nun sind die Minarette genausowenig die Zeichen eines gewaltbereiten Islams wie die Kirchtürme Zeichen einer Kreuzfahrergesinnung der Christen sind. Gegen einen "politischen Islam" (den man allerdings noch etwas genauer definieren müßte), sind viele meiner moslemischen Freunde hier in Deutschland genauso wie die Schweizer, genauso wie ich gegen Kreuzfahrertum bin.

Hier sehe ich deshalb die Möglichkeit, nach dem ersten Ärger und dem Eindruck, es fände ein Kampf der Faschisten gegen die neuen Juden Europas statt, aufeinander zu zu gehen und sich gegenseitig einmal genauer zu erklären, was die Ängste der einen Seite und die Pläne der anderen sind.

Es gibt nach meiner Beobachtung ein gewachsenes Interesse der "Alteingesessenen" am Glauben der zugewanderten Moslems. Zum Teil setzt sich dieses Interesse aus Ängsten und Vorurteilen zusammen, aber es ist nicht zu bestreiten, daß die Alteingesessenen nach und nach begreifen, daß ein nicht unerheblicher Teil ihrer Mitbürger einen festen und fröhlichem Willen hat, in diesem Land zu leben und dabei gleichzeitig den Vorschriften des Korans zu folgen. Wenn nach einer ersten Welle der Skepsis mehr und mehr gesehen wird, daß dieser Wille sich auch in gelungene Lebensäufe umsetzen läßt, dann wird man über Minarette nicht mehr reden müssen.

Es wäre in diesem Sinne schön, wenn das Reden miteinander, das ja glücklicherweise schon lange begonnen hat, jetzt verstärkt fortgesetzt wird.



1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Der Schweizer Volksentscheid gegen die Minarette gibt u.a. auch Anlaß, über das Wesen der Demokratie nachzudenken.

Kaum jemand glaubt im Augenblick noch, Christus könne in den nächsten Tagen zurückkommen und die Welt erlösen. Andererseits kann er durchaus kommen und damit einen nachhaltigen Beweis der Möglichkeit seines Kommens erbringen. Völlig unmöglich ist es dagegen, der Demokratie einen Sinn auf der Höhe ihres Anspruchs, Herrschaft des Volkes oder Umsetzung des Volkswillens, zu verleihen. Läßt man den Begriff des Volkes für den Augenblick unproblematisiert als die Gesamtheit der wahlberechtigten Bürger, so bleibt der Begriff des Willens in jedem Fall völlig dunkel. Die Koppelung an das Mehrheitsprinzip ist offensichtlich reine Willkür. Wieso machen 52% zu 48% den Volkswillen aus, wenn jeder weiß, das es eine Woche früher anderes herum hätte ausgehen können und zwei Wochen später mit einiger Sicherheit anders herum ausgegangen wäre. Gegenüber dem Dunkel des Volkswillens profiliert sich die Helle der repräsentativen Demokratie. Sie beruht auf dem Prinzip, den Volkswillen möglichst selten zu mobilisieren und im Hinblick auf das unvermeidbare Nächstemal alle möglichen Versprechungen für eine bessere Zukunft zu machen. Jede Partei ein Messias, das ist in der Tat mehr Helle als zu ertragen ist, und das zurecht verdrossene Volk zieht sich in das Dunkel seines Willens zurück, den es, sofern Elemente der direkten Demokratie zur Verfügung stehen, bei nächster Gelegenheit denn auch zum Ausdruck bringt.