Dienstag, 25. Dezember 2007

Weihnachtsbotschaften

 


In unserer Lokalzeitung hat der katholische Stadtdechant zu Weihnachten eine kleine, freundliche Andacht geschrieben, wie man sie in diesen Tagen landauf, landab vermutlich in ähnlicher Form zu lesen oder hören bekommt. Gott kehrt an Weihnachten alle unsere Maßstäbe um, das ist der Inhalt der Botschaft.

Obwohl dagegen an sich nichts einzuwenden ist, liest man es trotzdem mit zwiespältigen Gefühlen. Man erinnert sich daran, daß man es ja leider immer und immer wieder gehört hat, sich aber nie wirklich entschließen konnte, nun seinerseits die eigenen Maßstäbe einer Prüfung zu unterziehen und zu ändern. Hoch und angesehen bleibt hoch und angesehen, und arm und dumm bleibt arm und dumm. Und man tut offenbar gut daran, sich zum Hohen hin zu orientieren, denn nur da gibt es die relative Sicherheit, die unsere immer auf wackligen Füßen stehende Existenz so dringend nötig hat.

Außerdem ist es fast eine Tautologie, daß Gott anders denkt und urteilt als wir. Er ist ja kein Mensch. Findet man sich nicht besser damit ab, ja kann man nicht sogar davon profitieren, daß es im Universum eine Alternative zu dem gibt, was wir denken und leben? Man freut sich ja auch über andere alternative Lebensformen, etwa der Ureinwohner ferner Inseln, deren Sitten und Gebräuche wie der Hauch eines exotischen Duftes zu uns kommen. Der Vergleich klingt vermessen, aber während ich das schreibe, fällt mir ein Weihnachtslied ein, das tatsächlich von der Umkehrung der Maßstäbe spricht und das alle diese Gedanken in eine zündende Melodie kleidet – aus der Karibik. Man singt es, wiegt mit den Hüften und möchte aus einem anderen Weihnachtslied anfügen: Eia, wär’n wir da! Und wir sind es nicht.

Nein, Weihnachten kehrt keine Maßstäbe um. Es kommt auch nicht plötzlich und unerklärlich und „senkrecht von oben“ wie Karl Barth es für Begegnungen mit dem Göttlichen gefordert hat. Es ist lange vorher angekündigt worden und hat eine jahrhundertelange Vorgeschichte, glücklicherweise.

Diese beginnt um die Zeit des Exils der Juden herum und wird durch Generationen hindurch von Juden getragen, welche die Knechtschaft und Unterdrückung ihres Volkes unter Assyrern, Persern, Griechen und Römern erdulden und dabei nie vergessen können, daß ihr Gott ihnen eigentlich die Beherrschung der ganzen Welt versprochen hatte. Sie erkennen nach und nach, daß Gott seine Macht nicht länger an den großen Hoffnungsträgern der jüdischen Geschichte erweist, Abraham, Mose, David, Salomo, sondern vielmehr an den kleinen, meist namenlosen Helden eines alltäglichen Glaubens, der nichts sieht, der aber trotzdem nie aufhört zu hoffen.

Zu diesen Juden spricht Jesaja um 600 v.Chr. und zeichnet ihnen mehr ahnend als wissend das Bild von einem leidenden Gottesknecht. Der trägt das Leid der anderen und hebt es auf, in ein neues Gottesreich hinein. Er findet „geknickte Rohre“ vor und „glimmende Dochte“ (Jesaja 42,3), und er macht keine eisernen Säulen aus ihnen und keine brennenden Feuer, sondern baut eine Gemeinschaft aus solchen, die das Leben eher elend wie ein Hiob erlebt haben und nicht glorreich wie der König Salomo.

In Jesajas Zeiten, den Zeiten des babylonischen Exils und danach, wächst ein neuer Glaube. Er hält den Gedanken an JHWH lebendig, aber erkennt in ihm einen Gott, der sich darin bewährt, daß er im Elend nahe ist und im Leid trösten kann, der damit viel mehr ist als nur ein Garant für fraglichen Wohlstand und wacklige politische Macht.

Die neue Weise, Gott im Dunkel des Lebens zu erfahren, erweist sich als stärker und überlebensfähiger als jeder Glaube davor und danach, weil er den blinden Optimismus, der in jedem Menschen steckt, überwindet und klar sieht, daß zu jedem Leben Verlust und Leid gehört. Jeder ist über Phasen seines Lebens ein Hiob.

Wenn dann 500 oder 600 lange Jahre später Jesus erscheint, ist das Feld für ihn durch Menschen bereitet, die diesen Glauben in sich tragen, die ihre Armut erkannt und sie bewußt angenommen haben. Im Jesus-Buch des Papstes ist nachzulesen, wie sich diese Menschen selbst als „die Armen Gottes“ erkennen und annehmen. Zu der Reihe entsprechender Attribute gehören Worte wie „die Armen der Barmherzigkeit“, „die Armen der Gnade“ – oder wie es Jesus dann in der Bergpredigt gesagt hat „die Armen des Geistes“. Die Menschen, die Jesus als erste an- und aufnehmen, stehen in dieser Tradition, seine Eltern an prominentester Stelle.

So kommt Jesus in Bethlehem an, über lange Jahre und Jahrhunderte ersehnt, erwartet und gekannt. Die Maßstäbe, die er umkehrt, sind schon lange vor seiner Zeit aufgehoben worden. Daß sie nicht tragen, diese alten Maßstäbe, war lange vor Jesus bekannt. Neu ist, daß man seit Weihnachten sehr viel fester daran glauben kann, daß es richtig war, sie zu verändern und das Leben tiefer und klarer zu sehen, in allen seinen hohen und tiefen Dimensionen.

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