Montag, 6. Juni 2022

Im Baskenland mit einem baskischen Buch

Unsere Tochter Christina und ihre Familie haben eine längere Reise entlang der Atlantikküste von Lissabon bis Bordeaux unternommen und hatten uns eingeladen, sie in der Nähe von Bilbao für eine Woche zu besuchen. Meine gute Schwester Esther legte mir ans Herz, die Gelegenheit zu nutzen und das Buch Patria des spanischen Autors Fernando Aramburo zu lesen. 

Das habe ich mit Freude getan und bin in dem Moment mit dem Lesen fertig geworden, als wir auf dem Rückflug in Düsseldorf auf der Landebahn aufsetzten. Selten hat sich bei mir der neue Eindruck eines mir bis dahin unbekannten Landes mit dem Eindruck eines Buches so wunderbar verbunden.

 Patria erzählt die schmerzvolle aber auch lebensstarke Geschichte zweier Familien, die im Terrorkampf der baskische Nationalisten (ETA) auf unterschiedliche Seiten der Fronten geraten. 

Zentrales Ereignis ist das Attentat auf den Familienvater der einen Familie aber auch die Verhaftung und Bestrafung eines Sohnes aus der anderen Familie, der an dem Attentat beteiligt war. Um die Ermordung herum spinnt Aramburo eine weit verflochtene Geschichte von Liebe und Hass, Armut und Reichtum, Krankheit und Heilung. Dabei gehen die Gedanken und Erlebnisse der handelnden Personen immer wieder über das hinaus, was vielleicht typisch baskisch ist und erzählen eine Menschheitsgeschichte. 

Wir konnten einige der Stellen besuchen, an denen das Buch spielt, vor allen Dingen die Küstenstädte Bilbao und San Sebastian, die auf einer Küstenlinie von 130 km in etwa das Gebiet eingrenzen, das von dort landeinwärts das spanische Baskenland umschließt. Über die französische Grenze weg geht es dann noch einmal etwa 30 km bis hinauf nach Biarritz, wo die Menschen, die noch die uralte baskische Sprache verstehen, einen ähnlichen Dialekt sprechen wie die baskischen Spanier. 

Ich habe aus dem Buch eine Reihe von baskischen Wörtern gelernt, aber keinen Zugang zu der Sprache gefunden, welche die Basken selbst „Euskaldun“ nennen. Die Sprache ist mit keiner anderen Sprache auf der Welt verwandt. Ein gelehrter Freund, den ich nach den Ursprüngen des Baskischen fragte, sagte mir, dass sein Spanischlehrer im Studium, ein Baske, auch keine Antwort wusste, aber vorsichtig versuchte, eine Verwandtschaft zum Hebräischen nachzuweisen. 

Das Heimatland der Basken ist von einer erstaunlichen Schönheit. Die Autoroute entlang der Küste verläuft, ohne dass man das Meer häufig zu sehen bekommt, durch eine grüne Gebirgslandschaft, die mit ihren bis zu 2000 m hohen Bergen an manchen Stellen an die Voralpen erinnert, allerdings mit ganz anderen Gebirgsformen. Die landschaftlich reizvolle Autobahn zwischen Bilbao und der französischen Grenze läuft nie geradeaus. Man fährt in starken Kurven und kommt selten in Versuchung, die meist vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h zu übertreten. 

Von der französischen Grenze aus verlaufen verschiedene Fußwege in westliche Richtung, die den Pilgerweg nach Santiago de Compostela bilden. Der Abschnitt, der in dieser Berglandschaft verläuft, ist sicherlich mühevoller als ich mir das vorgestellt habe, belohnt den Wanderer aber mit der Begleitung grüner Wälder und saftiger Wiesen. 

Die Basken haben mit der Zentralregierung in Madrid Frieden gemacht, nachdem die ETA im Jahr 2011 ihre Waffen niedergelegt hat. Das Gebiet hat heute eine gewisse Autonomie, die Straßenschilder sind überall in Baskisch und Spanisch gehalten. 

Kathedrale in San Sebastian mit Cavaillé-Coll
-Orgel
Die Kirchen, die wir in San Sebastian und Bilbao sahen, zeugen von einer alten gediegenen Kultur, die, anders als in Deutschland, auch in den Jahren nach der Reformation prächtige neue Gebäude geschaffen hat, die an einigen Stellen noch ein wenig gotisch aussehen, aber deutliche Elemente der Renaissance haben. Der im Baskenland geborene Begründer der Jesuiten, Ignatius von Loyola, ist in den Kirchen allgegenwärtig. 

In der Kathedrale von Bilbao nahmen wir an einer Messe teil, deren Predigttext ich anhand meiner alten Lateinkenntnisse als die Verkündigung des Engels an Maria und deren Lobgesang in Lukas 1 erkennen konnte. Die große Kirche war mit vielleicht 20 Gläubigen nur sehr spärlich besetzt, wie es überhaupt im ganzen Land nirgendwo Zeichen dafür gibt, dass der Katholizismus die alte Kraft als Staatsreligion behalten konnte. 

In Patria stachelt der Dorfgeistliche die Kämpfer der ETA zu einer Fortsetzung ihres Kampfes an. Er sei gerecht und diene der Befreiung der Euskal Herria, des Baskenlandes. Das sagt der Geistliche, obwohl er sehen muss, dass rings im Lande viele unschuldige Menschen durch den ETA-Terror ihr Leben verlieren. 

Die vorsichtigen Gesten der Versöhnung, von denen das 2016, etwa fünf Jahre nach dem Ende des Terrors, erschienene Buch erzählt, sind zaghaft und scheu. Mir schien aber, dass aus den Gesten mittlerweile doch ein tragfähiger Kompromiss entstanden ist, der dem schönen Land an der Atlantikküste am Ende doch den inneren Frieden geschenkt hat, den es verdient hat. 

Küste bei St. Jean de Luz
Die Luft war an allen Tagen klar, der nahe Atlantik kühlte trotzt sonniger Mai-Tage die Temperaturen auf ein angenehmes Niveau herunter. Ich habe mich selten in meiner Haut so wohl gefühlt wie im französischen Baskenland am großen Golf von Biskaya, der nach meinem Eindruck nach Austern und Meeresfrüchten riecht.

Die fröhlichen Enkelkinder, von denen sich der sechsjährige Johann sehr mutig auf einem kleinen Surfbrett von der Brandung der großen Wellen auf den Strand treiben ließ, machten unsere Freude perfekt. Es war ein schöner Urlaub.