Montag, 10. November 2025

Über Dispensationalismus

Peter Thiel
Für mich überraschend ist die Lehre von den Zeitaltern ("Dispensationen") der Heilsgeschichte in der letzten Zeit immer wieder in den Kommentaren der amerikanischen Zeitungen aufgetaucht. Vielleicht am prominentesten wird sie vertreten von dem Milliardär Peter Thiel (hier sein Interview "Peter Thiel and the Antichrist" mit Ross Douthat), der mit seinem Geld und Einfluss prominent den Vizepräsidenten JD Vance befördert hat.

Die Theorie von den Dispensationen legt über die Weltgeschichte ein Raster von großen Erklärungsmodellen, nach denen die verschiedenen Zeitalter jeweils auf einen großen Grundgedanken basierten. Besonders nachdrücklich geschieht das in verschiedenen Ausprägungen des Christentums. Aber auch die Hippie-Bewegung hat erwartet, dass in der Neuzeit The Age of Aquarius, das Zeitalter des Wassermanns, beginnt, in dem Liebe und menschliches Verständnis regiert. 


John Nelson Darby
Die Christen haben ihre Theorien traditionell anders angelegt, indem sie das in der Bibel verheißene, 1000-jährige Reich als siebten Tag einer Kette von Zeitaltern interpretiert haben, die am Ende im himmlischen Königreich Gottes zum Ziel kommen. In Wikipedia kann man nachlesen, wie sich die schon bei Augustinus vorhandenen christlichen Gedanken entwickelt und verbreitet haben. Modern geworden sind sie besonders durch den anglikanischen Priester John Nelson Derby (1800 - 1882), um den herum sich auch in Deutschland kleine, so genannte „Brüdergemeinden“ bildeten, die sich in vielem von den großen protestantischen Kirchen unterschieden. 

Durch das Verbot dieser Brüdergemeinden durch die Nazis im Jahre 1938 wurden - jetzt erzähle ich von mir - die Nachkommen meines Urgroßvaters Christian Runkel, der ein Mitbegründer und Leiter der Remscheider Brüdergemeinde war, in verschiedene Richtungen verstreut. Etwa die Hälfte von Ihnen schlossen sich aber wieder einer klassischen Brüdergemeinde an, nachdem diese nach 1945 neu gegründet wurde. Ein anderer Teil, zu dem meine Familie gehörte, ging zu den Baptisten.


Mein Vater, der in vielerlei Hinsicht ein treuer "Bruder" geblieben war, hat viele Gruppen und Konferenzen besucht, die nicht von den Baptisten betrieben wurden, sondern auf die eine oder andere Weise noch die alten Weisheiten der Brüder am Leben erhielten. Ich erinnere mich noch daran, wie er von diesen Konferenzen zurückkam und mir halbwüchsigem Jungen erklärte, wie sich ein Zeitalter auf das andere aufbaute und sich daraus erklärte. Ich weiß auch, dass in der brüdergemeindlichen Bibelschule Wiedenest, ein großes Schaubild an der Wand hing, in welchem die sieben Weltzeitalter dargestellt wurden. Man kann es im Internet finden, ich füge es hier an.



Nachdem die Anschauung, man könne die Weltgeschichte anhand solcher schematischen Betrachtungen erklären, jetzt also wieder prominent geworden ist, habe ich viel über diese Betrachtung nachgedacht. Ich erinnere mich daran, dass mein Vater und seine Freunde letztlich daran gehindert waren, aus ihren Erkenntnissen praktische Politik zu machen. Warum? Nach meinem Eindruck hinterlassen alle Erklärungsmodelle immer wieder große Lücken. Am deutlichsten war mir das schon als Kind, als in den historischen Erklärungen meines Vaters, die finstere Zeit des Zweiten Weltkriegs mit seine Millionen Toten irgendwie ausgeklammert wurde. Zwar war sie bedeutend, um die in der Bibel vorausgesagte Rückkehr der Juden nach Israel zu bewirken, aber um die Millionen Toten unter den Juden und unter den Russen – Soldaten und Zivilisten – und gleichermaßen auch unter den Deutschen zu erklären, reichte keine der Theorien aus.


Später lernte ich, dass der Schöpfer des Wiedenester Zeitplans, Erich Sauer, mit den Nazis recht vorsichtig taktiert hat. Wie sollte er eine Katastrophe, gegen die er sich nicht offen aufgelehnt hat, in ein reines und schönes von Gott gelenktes Weltbild einbauen?


Für mich haben alle diese Erinnerungen den Vorsatz bekräftigt, mein Leben nicht unter den Vorzeichen großer Theorien zu verstehen. Mir hat im Gegensatz dazu der Gedanke von Martin Heidegger gefallen, dass wir "Geworfene" sind, die zunächst einmal nur das verstehen, was wir um uns herum vorfinden. Das schließt große letzte Gedanken an einen Sinn der Weltgeschichte aus. Aber es lädt uns dazu ein, den Lebensbereich, den wir gestalten können, mit Sinn und Wärme zu erfüllen - und dort Gott zu begegnen.