Montag, 13. Dezember 2010

Bush über Bush*



Von einem liberalen Politiker des Kaiserreiches haben seine Kinder erzählt, er sei viele Stunden verstört in seinem Haus umher gegangen, nachdem er die Gedanken und Erinnerungen seines verhaßten Gegners Bismarck gelesen hatte. Ihm war darin ein neues Bild von Bismarck erschienen, und er war sich danach seiner alten Gegnerschaft nicht mehr sicher. Ob es den vielen Gegnern von George W. Bush so gehen wird, wenn sie dessen Buch Decision Points gelesen haben?

Es ist ein Buch, in dem viel gelacht und viel geweint wird. Bush hat eine gesunde Distanz zu seinen eigenen Fehlern und kann sich selbst mit viel Humor sehen. Er weint mit den Opfern der Kriege - 550 Familien von getöteten Soldaten trifft er persönlich - und läßt sich, von deren Beharrlichkeit tief ergriffen, darin bestätigen, daß er in Afghanistan und im Irak auf dem richtigen Weg ist.

Offenbar sind die Verhältnisse innerhalb der Großfamilie Bush so, daß es immer wieder Gelegenheit zu emotionalen Erschütterungen gibt. Nachdem Bush seine Entscheidung für den Einmarsch im Irak getroffen hat, erhält er einen kurzen Brief seines Vaters, der mit Worten von Bushs früh an Leukämie verstorbener jüngerer Schwester (Foto: Georg und Robin 1953) endet: Remember Robin's words: 'I love you more than words can tell'.

Ähnlich wie die Lebenserinnerungen von Bill Clinton ein sehr einnehmendes Bild seiner Person und seiner Präsidentschaft zeichnen, tritt dem Leser auch aus dem Buch von Georg Bush ein Mann entgegen, der es versteht, Sympathien zu gewinnen. Gleich der erste seiner 14 Decision Points, anhand derer er das Buch dramaturgisch sehr geschickt gliedert, offenbart eine entwaffnete Ehrlichkeit, die sich durch das ganze Buch zieht. Kannst du dich an den letzten Tag erinnern, an dem du nichts getrunken hast? fragt ihn seine Frau Laura auf der ersten Seite des Buches und hilft ihm dann auf sanfte Weise aus seinen Alkoholproblemen heraus.

Nach einer durchzechten Grillfete zur Feier seines 40. Geburtstages entscheidet er sich schließlich, nichts mehr zu trinken. Als er später im Buckingham Palace hinter einer Batterie feinster Kristallgläser einen (für ihn alkoholfreien) Toast zu Ehren der englischen Königin ausbringt, blickt er kurz zu Laura herüber und weiß, daß auch sie denkt: es war ein langer Weg von dieser Grillfete bis hier in diesen Palast, we've come a long way.

Den Hurrikan Katrina hat er, behindert durch regionale Gesetze, schlecht gemanagt, das gibt er zu. Daß man ihm aber daraus den Vorwurf macht, er kümmere sich nicht um die schwarzen Opfer in New Orleans und sei ein Rassist, das bezeichnet er in einem heftigen Gefühlsausbruch als worst moment, den schlimmsten Augenblick in seinen acht Jahren als Präsident. Der Rapper Kanye West, einer von denen, die diesen Vorwurf erhoben hatten, hat ihn unter dem Eindruck dieser Buchstelle vor wenigen Tagen zurückgezogen. Bushs Emotionalität kann man sich eben kaum entziehen.

Den Krieg gegen Saddam Hussein würde er wieder führen, wenn auch anders. Daß der Diktator Massenvernichtungswaffen hatte, habe damals buchstäblich jeder geglaubt, selbst die Mitglieder von Saddams Regierung, sagt Bush. Es bleibt ihm ein Rätsel, warum Saddam dem Druck der Vereinten Nationen, die Nichtexistenz dieser Waffen nachzuweisen, nicht nachgegeben hat.

Stolz ist Bush auf ein milliardenschweres Programm zur weltweiten Bekämpfung von AIDS und Malaria. Daß die Amerikaner sich in der Welt nicht nur durch die hard power ihres Militärs, sondern auch durch die soft power ihres humanitären Engagements Respekt verschaffen müssen, ist ihm bewußt. Auch im Inneren setzt er Programme durch, die man eher als "links" bezeichnen würde - Milde gegenüber illegalen Einwanderern aus Mexiko, eine große Gesundheitsreform (Medicaid), die in einigen Teilen als ein würdiger Vorläufer der Obama-Reformen angesehen werden kann.

Eine Reform des Rentensystems scheitert am Widerstand von rechts, genauso wie eine schärfere Kontrolle von Fannie Mae und Freddie Mac, Hauptakteuren in der Finanzkrise 2008, am Ende seiner Präsidentschaft. Bush hat diese Kontrolle nach eigenen Angaben bereits zu Beginn seiner Präsidentschaft 2001 vergeblich gefordert. Die Deregulierung der Finanzmärkte sei nicht seine Politik gewesen, sie sei durch wichtige, bereits in der Ära Clinton beschlossene Gesetze, schon vor seiner Amtszeit in Realität gewesen.

Niemand muß ihm diese und ähnliche Selbstrechtfertigungen glauben. Er sagt selbst am Ende des Buches, daß erst eine spätere Geschichtsschreibung über seine Präsidentschaft letztlich entscheiden werde und daß er das Urteil mit Gelassenheit erwarte - er sei dann ja auch mit Sicherheit nicht mehr unter den Lebenden, around to hear it.

Sein Geschichtsbewußtsein ist recht gut entwickelt. Immer wieder vergleicht er seine Entscheidungen mit denen der 42 Präsidenten vor ihm. Allein von Abraham Lincoln liest er während seiner Amtszeit 14 Biographien. Das törichte Bild der deutschen Presse vom halben Analphabeten im Weißen Haus war immer eine Lüge, monoton wiederholt wie von der Prawda.

Ich bin während des Lesens mehrfach gefragt worden, wer das Buch denn nun geschrieben habe. Aus den fast vier Seiten langen Acknowledgements** am Ende des Buches geht hervor, daß es eine ganze Firma gewesen sein muß. Rechtsanwälte, Archivare, Spezialisten für geheimdienstliche Klassifizierungen und viele andere mehr haben ihm geholfen, das Material zusammenzutragen und zu sichten. Sechs enge Mitarbeiter, darunter Condoleezza Rice und zwei seiner Stabschefs, haben das gesamte Manuskript Korrektur gelesen. Dafür daß es von Anfang bis Ende durchgängig eine einzige Handschrift, einen Bush-Originalton, hat, hat offenbar seine enge Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Redenschreiber Chris Michel gesorgt, den er in seiner Danksagung als ersten erwähnt.

Viele Helfer also - und trotzdem wäre dieses Buch nach meinem Eindruck auch dann in vollkommener Weise das Buch des realen George W. Bush, wenn das allermeiste daraus von Mitarbeitern formuliert oder sprachlich überarbeitet worden wäre. Bush macht immer wieder deutlich, daß er große Teams mit Geschick führen und dann für die Ergebnisse die Verantwortung übernehmen kann. Das gilt auch für sein Buch.

Ganz am Ende des Buches beginnt er sein Leben als Privatmann, indem er seinen Hund ausführt. Mit Entsetzen sieht er, daß dessen erste Amtshandlung in Freiheit die Verrichtung eines großen Geschäftes im Vorgarten des Nachbarn ist. Bush beeilt sich, mit einer Plastiktüte das Ergebnis zu beseitigen und sinniert dabei über die plötzlich eingetretene Veränderung in seinem Leben. Irgendwie scheint mir im Humor dieser kleinen Szene der ganze George W. Bush enthalten zu sein.

* Die New York Times hat unter dem 17.12.2010 eine ausführliche Besprechung ebenfalls unter dem Titel "Bush on Bush". Es sind auch einige ganz ähnliche Beobachten darin wie in meinem Blog. Das Ende ist allerdings auf eine eher dumme Weise zynisch.

**Bill Clinton hat sie in ähnlicher Form und gleicher Länge in seinen Memoiren.


1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Daß man der deutschen Presse über Bush nicht trauen kann, ist so klar wie es unklar ist, ob man ihm glauben darf.