Samstag, 25. Dezember 2010

Weihnachten mit einer neuen Bibel (I)




Brian McLaren, A New Kind of Christianity

In diesem Jahr hat mich Brian McLarens Buch während der Zeit vor Weihnachten beschäftigt und ist dann in den weihnachtlichen Gesprächen mit meinen Kindern, von denen einige es ebenfalls gerade lesen, ein wichtiges Thema gewesen. Hier zunächst unser traditionelles Weihnachstbild im Türrahmen:



Ich beschreibe im Folgenden in zwei Blog-Posts den Inhalt des Buches und versuche in einem dritten eine vorsichtige Kritik.

Beginnen will ich mit einem Lob: eine der vielen schönen Seiten des Buches ist seine gute, anschauliche Sprache und die klare Gliederung in zehn Kapitel mit sauber voneinander getrennten Themenbereichen. Ich will mich ebenfalls an diese Gliederung halten und kapitelweise nacherzählen.

Von Beginn an wird deutlich, warum hier von einem neuen Verständnis der Bibel und damit von einer neuen Christianity, einer neuen Christlichkeit, die Rede ist.

1. Welche Geschichte erzählt die Bibel?

McLarens Bibel ist eine jüdische. Er liest sie von Adam über Abraham, Mose und die Propheten vorwärts auf Jesus hin, nicht rückwärts über Luther, Thomas von Aquin, Augustinus und andere. Sie erzählt ihm die Geschichte von Elohim, dem Gott, der die Welt erschafft und dann seine Geschichte mit einzelnen Menschen beginnt. Er liebt die Veränderung und zeigt bereits im ersten großen Drama der Bibel, dem Sündenfall, daß auch er selbst eine eigene Entwicklungsgeschichte hat und deshalb änderbar ist, hier beim Sündenfall und an vielen anderen Stellen mehr aus Barmherzigkeit. Er verzichtet auf die angedrohte Todesstrafe für das Essen vom Baum der Erkenntnis und schenkt statt dessen den Sündern warme Kleider aus Fellen, von ihm selbst gefertigt.

Über Adam und Eva, Kain und Abel, Noah, den Turmbau zu Babel entwickelt sich eine Geschichte Gottes mit den Menschen, die voll von unerwarteter Barmherzigkeit Gottes und damit voll von überraschenden neuen Erkenntnissen seines Wesens ist. Zunehmend wird deutlich, daß Gott nicht der statische unbewegte Beweger alles Seins ist, den die griechischen Philosophen verehren.

Mein fundamentalistisch frommer Vater (in einer strengen Brüdergemeinde aufgewachsen wie McLaren auch) hatte nie Probleme damit, uns Kindern von den wechselhaften Entwicklungen des Wesens Gottes zu erzählen. So habe ich ebenfalls kein Problem damit, eine Biographie Gottes anzunehmen, wie sie auch Jack Miles in seinem bekannten Buch geschrieben hat, und lese die immer neuen Ausformungen seiner leidenschaftlich aufwallenden Barmherzigkeit mit Freude.

Für McLaren hat die geschichtliche Entwicklung Gottes und der Welt drei Dimensionen, nämlich diejenige der Schöpfung (entsprechend dem 1. Mosebuch, Genesis), die der Befreiung (entsprechend dem 2. Mosebuch, Exodus) und die der Hinführung zu einem Friedensreich Gottes (entsprechend den Propheten, Jesus eingeschlossen). Alle drei Dimensionen sind auch heute noch nicht abgeschlossen, Gott ist in allen Richtungen weiter am Werk und bezieht die Menschen in sein Werk mit ein.

2. Welche Autorität beansprucht die Bibel?

Im zweiten Kapitel wird die liberale Bibelforschung dafür kritisiert, daß sie sich über die Bibel stellt. Aber auch der konservative Ansatz, sich in Demut unter die Bibel zu stellen, wird kritisch geprüft und abgelehnt. An die Stelle beider Ansätze tritt ein Leben in der Bibel und ihrer über die Zeiten erwiesenen Weisheit, ihrer time-tested wisdom. Diese erkennt und gewinnt man, wenn man dem schönen bücherverliebten Ansatz folgt, den McLaren aus seinem Literaturstudium hinüber in die Theologie mitgenommen hat, die nicht sein erstes Fach ist. Für ihn ist die Bibel eine von Gott inspirierte Bücherei (library), insofern glaubt er an einen göttlichen Willen hinter der Bibel, aber sie ist keine von ihm in Stein gemeißelte Verfassung (constitution).

In seinem Verständnis wird menschliche Geschichte, wie sie sich in der Bibel ausbreitet, zu einem lebendigen Akt, an dem Gott und Menschen gemeinsam mitwirken. McLaren grenzt sie von der griechischen, deterministischen Geschichte ab und findet für diese das griffige Bild von der bereits auf Festplatte aufgezeichneten Handlung, die nur darauf wartet, abgespielt zu werden. So ist Geschichte eben nicht.

Auch dieser Ansatz ist mir lieb und vertraut, und mir gefallen die Stellen des Buches am besten, wo McLaren in langen ruhigen Absätzen Passagen der Bibel nacherzählt und erklärt. Das kommt für mich zu einem Höhepunkt, wenn er den Römerbrief erzählend neu interpretiert, ein Vorhaben, das er über 15 Seiten (S. 196 – 210) ausbreitet. Große Linien werden klar, Menschen werden zu lebendigen Akteuren einer Handlung, in der Gott zwar im Regimente sitzt, aber nicht immer das letzte Wort für sich beansprucht.

3. Von welchem Gott erzählt die Bibel?

McLaren nimmt die Geschichten der Bibel wörtlich und liest sie ganz. Deshalb übersieht er niemals die Nebenlinien, die zu den uns vertrauten Geschichten gehören, von uns aber gerne übersehen werden, sieht also etwa nicht nur Noah und seine Familie wunderbar gerettet in der Arche, sondern sieht auch den massenhaften Tod der anderen Menschen. Will Gott diesen Tod, will ihn derselbe Gott, von dem Paulus später sagt, er wolle, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen?

McLaren hat eine differenzierte, immer seine Liebe zu Gott wahrende Antwort: Gott offenbart sein zutiefst liebevolles Wesen in mehreren Stufen. Die Rettung der Familie Noahs in der Arche ist eine solche Stufe. Sie entwickelt sich weiter in der Rettung des jüdischen Volkes aus Ägypten, dessen Führer zunächst als hilfloses, zum Tode verurteiltes Baby ebenfalls in einer Art Arche aus dem Nil gerettet werden muß. Am Ende steht die Rettung der ganzen Welt.

Gottes eigene stufenweise Entwicklung bedeutet, daß er dafür zunächst als ein rächender Stammesgott in Erscheinung treten muß, der ganz offenbar keine Liebe für die Nachbarvölker Israels hat. Das darf man nicht einfach überlesen. Man muß aber auch nicht das Bild eines unwandelbaren Gottes über das Bild Gottes zwingen, wie es uns in der Bibel begegnet, und aus der heutigen Perspektive den Gott von damals ablehnen. Das wäre griechisches Denken mit seinem ewig gleichen Theos.

Gott ist auch in seinen Entwicklungsstufen ein souveräner Gott – aber ohne seine Veränderbarkeit wäre auch seine immer wieder heiß aufwallenden Emotionalität und damit seine Barmherzigkeit nicht zu verstehen.

4. Welches Bild von Jesus haben wir?

McLaren grenzt sein Jesus-Bild von dem oft gebrauchten Bild des mit großer Macht zur Erde zurückkommenden endzeitlichen Christus ab. Er weist in einer Betrachtung der Offenbarung nach, daß auch der siegreiche Jesus weiterhin das Lamm Gottes ist und bleibt. Auch im Kampf am Ende der Zeiten ist nichts von seiner Feindesliebe verloren, nichts von seiner Hinwendung zu den Schwachen, nichts von der Botschaft vom Kreuz, Torheit den einen aber Gotteskraft den anderen.

Die Gotteskraft erweist sich am Ende überlegen, aber sie verleugnet ihre Wurzel im Leiden und Sterben Jesu am Kreuz nicht. Sie ist – in dem Dreiklang, den wir schon von Gott gehört haben – schöpferisch, befreiend und führt hinein in das Friedensreich Gottes, the peaceable kingdom. Genesis, Exodus und die Lehre der Propheten von der Herrschaft Gottes erneuern und erfüllen sich in ihm.

In gewisser Weise kommt in Jesus die Entwicklung Gottes zu einem Höhepunkt und Abschluß. McLaren zitiert hier den Qaker-Theologen Trueblood, der radikal gelehrt hat, daß Jesus nicht wie Gott war, sondern Gott wie Jesus ist. In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit (Kolosser 2,9).

5. Was ist die zentrale Botschaft des Evangeliums?

Johannes der Täufer und Jesus sind bekanntlich mit den gleichen Worten an die Öffentlichkeit getreten: das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, tut Buße. McLaren weist nach, daß Jesus diese Botschaft durchgängig verkündet hat, ja daß auch seine Nachfolger wie Paulus davon durchdrungen sind. Eindrucksvoll legt er in einer langen Passage, ich erwähnte es bereits, den Römerbrief daraufhin aus und bringt die Kraft des vertrauenden Glaubens zur Geltung, der uns dieses Reich erschließt.

Die Nähe des Reiches Gottes spielt in der Frage nach der Gestalt der christlichen Kirche eine große Rolle. Die Kirche kann in der Hoffnung leben, dieses Reich nach und nach verwirklicht zu sehen, kann an seiner Entstehung mitwirken und von daher ein vergleichsweise linke Sozial- und Friedenspolitik zu machen. Davon später mehr.



2 Kommentare:

Frederik Frensen hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Christian Runkel hat gesagt…

Frederik, Du hattest Jesaja 41,4 und Hebräer 13,8 angeführt. Ich denke, daß diese Stellen viele Christen im Kopf und Herz haben, wenn sie McLarens Gedanken Widerstand leisten. Das ist gut und berechtigt. Ich denke aber auch, daß viele Christen mit McLaren einig sind, daß Gott in seiner Barmherzigkeit oft überraschende Planänderungen vornimmt. Das fängt mit der Todesstrafe für das Essen vom Baum der Erkenntnis an, die nicht vollzogen wird. Von dieser Barmherzigkeit leben wir alle.