Philip Jenkins, Das Goldene Zeitalter des Christentum
Die unterschiedlichen Namen der christlichen Kirchen in diesem Buch könnten verwirrend wirken, diese Kirchen sind aber eigentlich alle Kinder der Syrischen Kirche, deren Besonderheit es war, immer mit dem Lebens- und Sprachraum Jesu und seiner Jünger verbunden geblieben zu sein. Die Syrer zu Jesu Zeiten sprachen ja ebenso wie er Aramäisch, eine dem hebräischen verwandte Sprache, und in den heute noch vorhandenen Resten der Syrisch-Orthodoxen Kirche, in denen die alte Sprache noch gepflegt wird*, findet sich oft ein synonymer Gebrauch der beiden Worte Syrisch und Aramäisch.
Die Kirche wurde lange Zeit von der syrischen Hauptstadt Antiochien** aus verwaltet und war in ihrem Gebiet vermutlich der alten römischen Provinz Syrien ähnlich, deren aus der Weihnachtsgeschichte bekannter Landpfleger Cyrenius ja auch für Galiläa und Judäa zuständig war. Die Syrische Kirche hat von Antiochien aus sehr bald eine erfolgreiche Ostmission begonnen und in der Folge ihr Zentrum nach Bagdad verlegt. Von dort aus gingen Missionare immer weiter nach Osten und gründeten bald neue Gemeinden in Indien, in Zentralasien und am Ende auch in China.
Der Erfolg der Syrischen Kirche wurde auch dann nicht gebremst, als um das Jahr 700 herum die Muslime die Herrschaft in Bagdad antraten. Der Kalif als Oberhaupt des Islam und der Katholikos als Oberhaupt der syrischen Kirche pflegten einen freundschaftlichen Umgang miteinander und genossen vielleicht sogar gemeinsam ein wenig die zauberhaften Jahre, in denen Tausendundeine Nacht lebendig wurde. Ein Teil der dem Islam zugeschriebenen Rettung alten griechischen Wissens dürfte auch dem fruchtbaren Dialog der beiden Religionen zuzuschreiben sein.
Auch mit anderen Religionen gibt es freundschaftlichen Umgang. Seite an Seite sitzen buddhistische und christliche Mönche in China und helfen sich gegenseitig bei der Übersetzung ihrer heiligen Texte in die Landessprache. Der Friede ist sicherlich nicht immer ungestört, dauert aber im wesentlichen bis ins Mittelalter an.
Foto: Syrisch-Orthodoxes Kloster Mor Gabriel, gegründet 397, in der südlichen Türkei.
Von Zeichen und Wundern wird berichtet, welche die Mission über Jahrhunderte begleiteten. Auch eine tiefe Frömmigkeit wird bezeugt, die sich aus der Überzeugung speist, Gott sei Mensch geworden, damit die Menschen ihm ähnlich werden könnten. Der tiefe Eindruck, den diese Christen machen, klingt auch lange nach ihrem Verschwinden noch nach.
Aus unterschiedlichen Gründen, denen Jenkins in vielen Einzelüberlegungen nachgeht, die er aber letztlich nicht zu einem Gesamtbild fügen kann und will, beginnen dann aber in der zeit um 1200 Zeiten der Gewalt, die überall zu Vertreibungen und Vernichtungen führen. Damals wird die alte ägyptische Kirche der Kopten so in ihrem Bestand dezimiert, daß sie bis heute in ihrer Stellung einer an den Rand gedrängten Minderheit verblieben ist. Mehrfach fallen die Mongolen vom Norden ein und stoßen in die Länder des Nahen Ostens vor. Sie sind ursprünglich Animisten, bekehren sich nach einigen Hin und Her aber zum Islam, ohne dabei allerdings die tolerante Haltung der früheren Muslime zu übernehmen.
Es gibt in dieser Zeit Missernten, Klimaveränderungen, die Pest. Aus dem nachfolgenden Verteilungskampf erwächst ein stärker werdender Druck auf die Minderheiten der damaligen Gesellschaften. Das gilt nicht nur für den Bereich des Islam. England weist im Jahre 1290 alle Juden aus, Frankreich folgt 1394. Die Welt zwischen Atlantik und mittlerem Osten tritt in eine gewaltbereite Umbruchphase ein.
Besonders gefährlich ist die Lage für solche Minderheiten, die im Verdacht stehen, mit äußeren Feinden zusammenzuarbeiten. Wer etwa unter Moslems lebt und mit den Kreuzfahrern in Verbindung gebracht wird, muß bei kriegerischen Auseinandersetzungen mit ihnen das Schlimmste befürchten. Das Schicksal der Armenier, deren Ermordung 1915 durch die Türken mit ihrer Nähe zum russischen Kriegsgegner legitimiert wurde, hat in dieser Zeit ein vielfältiges Vorspiel.
Trotz aller traurigen Auseinandersetzungen zeichnet Jenkins ein erstaunlich positives Bild einer gegenseitigen Inspiration der Religionen. Selbst nach dem Untergang einer unterlegenen Religion bewahrt ihre siegreiche Schwester die Geheimnisse ihrer Vorgängerin auf und entwickelt sie weiter. Die Sufi-Mystiker im zentralen Anatolien pflegen einen langen und herzlichen Kontakt zu den frommen christlichen Mönchen dort und entwickeln in dieser Zeit eine im gesamten Islam einzigartige Weltsicht und Frömmigkeit. Andere Muslime lassen sich von der überragenden Bedeutung Christi überzeugen und gestehen ihm zu, von Gott adoptiert worden zu sein.
Umgekehrt empfinden fromme Christen dem Islam nicht als eine ferne, neue Religion, sondern bestenfalls als eine christliche Absplitterung, eine Sekte, deren Glauben man nicht in allen Punkten teilt, deren gemeinsame Wurzeln man aber anerkennt.
Am Ende gewinnt Jenkins aus seinem Blick auf das Trümmerfeld ungezählter untergegangener Glaubensgemeinschaft eine seltsam tröstliche Perspektive. Sind sie wirklich untergegangen? Steht nicht jede der früheren Generationen einem Wort des deutschen Historikers Leopold von Ranke entsprechend unmittelbar zu Gott? Jenkins erweitert den Gedankenn Rankes um die Anschauung von der Gemeinschaft der Heiligen, die um Gottes Thron stehen. Jede Generation ist vertreten, nichts ist verloren.
Und Jenkins wagt am Ende die Frage, ob an der Romangeschichte*** nicht etwas Wahres sein könnte, in der ein zum Tode verurteilter christlicher Märtyrer im 16. Jahrhundert kurz vor der Exekution Kraft und Trost gewinnt, indem er sich in einer mystischen Einheit mit einer Nachfolgerin verbindet - einer Christin des 20. Jahrhunderts.
Die Geschichte ist eine Kette, und The Chain of Memory is Resurrection, die Kette der Erinnerung ist Auferstehung.****
* bei meinem Besuch im Kloster Mor Gabriel in der Türkei, sagte mir ein alter aramäischer Christ das Vater Unser in Jesu Sprache, das hat damals einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Abuhn dabashmaya, nethkadasch schamach... Hebräisch klänge es so: Avinuh b'schamajim, jitkadasch schemcha.
** wo die Christen laut Apostelgeschichte 11 erstmals mit dem griechischen Namen Christianoi benannt wurde (meinem Vornamen, in Ewigkeit soll es den Antiochiern nicht vergessen werden...). Heute heißt der Ort Antakya und liegt in der Türkei, unweit der syrischen Grenze.
** aus: Charles Williams: Descent into Hell.
*** mit diesem Zitat aus einem Gedicht von Charles Olson endet das Buch.
1 Kommentar:
Mit Interesse habe ich deine Rezension gelesen, der Bewertungsstandpunkt hat etwas von den "Allversoehnern" mit ihrem Gedanken der Apokastasis panton (Ich hoffe, das richtig geschrieben zu haben). Mein Eindruck von dem syro-aramaeischen Vaterunser in einem syrischen Kloster war neben dem schoenen Gedanken, dass sich Jesu Sprache aehnlich angehoert haben muss, ein leichtes Unbehagen an der Geschaeftstuechtigkeit bei Verkauf dieses Gebets unseres Herrn unmittelbar nach dem "Vortrag des Textes". Zu den Mongolen: Mein Kenntnisstand ist, dass der "Dschingis Khan" von animistischer Tradition bestimmt zwischen verschiedenen Grossreligionen geschwankt hat. Auch das Christentum war "im Rennen". Genaueres in meiner Bibliothek. Den Bezug zum Roman spricht mich nicht an. Derartige Phantasien sagen doch wesentlich mehr ueber den weltanschaulichen standpunkt des autors aus, als ueber die Historie "unmittelbar zu Gott" - wobei hier in dem Rankeschen Programm ein irgendwie gearteter personaler Gottesbegriff nicht vorliegt. - Weiterhin gute Besserung und damit die Kraft zum Lesen.
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