Samstag, 5. Februar 2011

In gleicher Weise zur Liebe fähig wie wir




In den Büchern von Colm Tóibín gibt es immer wieder den Blick von der Steilküste südlich von Dublin hinunter auf die Weite der Irischen See. Auch die für mich schönste Stelle der neu erschienenen Sammlung von Erzählungen The Empty Family beschreibt einen solchen Blick und führt an dieser Stelle auch zum Titel des Buches.

Der Ich-Erzähler hat während eines längeren Aufenthaltes in Kalifornien ein leeres Haus in Ballyconnigar an der irischen Küste gekauft und nach und nach mit Einrichtungsgegenständen ausgestattet, die er per Post in das Haus schickte. Nun kehrt er zurück und nimmt das alles zögernd in Besitz.

Einer seiner Nachbarn lädt ihn ein und zeigt ihm ein Teleskop, mit dem er die Küste und die See beobachtet. Der Blick durch dieses Fernrohr beeindruckt ihn so sehr, daß er beschließt, selbst ein solches Instrument in seinem Haus aufzustellen.

Die Szene bei Bill, seinem Nachbarn beschreibt die Wellen am Horizont, die er durch das Teleskop ganz nahe für sich heranholt. Meine Übersetzung gibt den Eindruck des Originals nur ungenügend wieder, ich füge es deshalb unten an.

Der Anblick der Wellen meileinweit draußen, ihre bemühte, hektische Einsamkeit, ihre stumpfe Gleichmut gegenüber ihrem Schicksal, weckte in mir den Wunsch zu weinen und Bill zu fragen, ob er mich für einige Zeit allein lassen könnte, um die Bilder in mich aufzunehmen. Ich hörte ihn hinter mir atmen. Es wurde mir in diesem Moment klar, daß das Meer kein Muster ist, sondern ein Kampf. Nichts zählt gegen dieses Faktum. Die Wellen waren wie Menschen, die sich da draußen bekriegten, voller Bewußtsein und Wille und Schicksal und voll von einem beständigen Gefühl ihrer eigenen Schönheit.

[…] Es gab einen Charakter von Weiß und Grau und eine Art von Blau und Grün. Es gab eine Linie. Sie verwarf sich nicht, stand aber auch nicht still. Alles war Bewegung, war verschüttete Flüssigkeit, aber es war auch reines Einschließen und Enthalten, zutiefst konzentriert, gerade so wie ich, der ich dem zusah. Es hatte einen elementaren Zugriff, es war etwas, das mit einem Willen auf uns zukam, als wolle es uns retten, aber dann tat es nichts, es zog sich mit einer achselzuckenden Ironie zurück, als wollte es andeuten, daß genau dies es ist, was die Welt ausmacht, und daß unsere Zeit darin, mit aller erhabenen Möglichkeit, mit aller Komplexität und drängenden Leidenschaft, in nichts endet, auf einen kleinen Strand, und dann zurückgeht um sich wieder mit der leeren Familie zu vereinigen, von der wir auf uns gestellt aufgebrochen waren, in einem starken Ausbruch von mutiger, nichts wissender Energie.

Ich lächelte für einen Moment, bevor ich mich herumdrehte. Ich hätte ihm sagen können, daß die Welle, die ich beobachtet hatte, in gleicher Weise zur Liebe fähig ist, wie wir es in unserem Leben sind.


Später erzählt Tóibín (Foto), den man hinter dem Ich-Erzähler unschwer erkennen kann, von seiner Lehrtätigkeit und seinem mit Büchern verbrachten Leben. Er ist unsicher darüber, ob er das Leben auf der Steilküste angesichts der jenseits aller Sprache existierenden Meereswildnis gegen das frühere Leben eintauschen kann.

Die Geschichte schließt mit dem starken Gegensatz zwischen der Beobachtung des reichen Chaos auf dem Meer und den erst viel später anzusiedelnden Worten, die erst einmal zum Schweigen gebracht werden müssen.

Ich träumte davon, das Teleskop hier draußen aufzustellen, vor mir, wo ich jetzt sitze, auf das Stativ, das ich ebenfalls bestellen würde, und dann langsam damit zu beginnen, mich auf eine sich kräuselnde Linie aus Wasser zu konzentrieren, einem Stück der Welt, die der Tatsache gleichgültig gegenübersteht, daß es Sprache gibt, daß es Namen gibt, um die Dinge zu beschreiben, und Grammatik und Wörter. Mein Auge, einsam, mit seiner eigenen Geschichte gefüllt, ist verzweifelt bemüht, zu entkommen, zu löschen, zu vergessen; es beobachtet jetzt, beobachtet scharf, wie ein Wissenschaftler, der auf der Suche nach einer Heilmethode ist, es entscheidet sich, für einige Tage alles über Worte zu vergessen, endlich zu wissen, daß die Worte für Farben, für das Blau-Grau-Grün des Meeres, das Weiß der Wellen sich nicht gegen die Fülle der Beobachtung des reichen Chaos stellen, das sie hervorbringen und tragen.


Das Original:

The sight of the waves miles out, their dutiful and frenetic solitude, their dull indifference to their fate, made me want to cry out, made me want to ask him if he could leave me alone for some time to take this in. I could hear him breathing behind me. It came to me then that the sea is not a pattern, it is a struggle. Nothing matters against the fact of this. The waves were like people battling out there, full of consciousness and will and destiny and an abiding sense of their own beauty.

[…] There was a whiteness and greyness in it and a sort of blue and green. It was a line. It did not toss, nor did it stay still. It was all movement, all spillage, but it was pure containment as well, utterly focused just as I was watching it. It had an elemental hold; it was something coming towards us as though to save us but it did nothing instead, it withdrew in a shrugging irony, as if to suggest that this is what the world is, and our time in it, all lifted possibility, all complexity and rushing fervour, to end in nothing on a small strand, and go back out to rejoin the empty family from whom we had set out alone with such a burst of brave unknowing energy.

I smiled for a moment before I turned. I could have told him that the wave I had watched was as capable of love as we are in our lives.


I dreamt of setting it up out here in front of where I am sitting now, on the tripod that I would have ordered too, and starting, taking my time, to focus on a curling line of water, a piece of the world indifferent to the fact that there is language, that there are names to describe things, and grammar and words. My eye, solitary, filled with its own history, is desperate to evade, erase, forget; it is watching now, watching fiercely, like a scientist looking for a cure, deciding for some days to forget about words, to know at last that the words for colours, the blue-grey-green of the sea, the whiteness of the waves, will not work against the fullness of watching the rich chaos they yield and carry





2 Kommentare:

Harry S. Totteles hat gesagt…

Sehr schöne Übersetzung eines wunderbar poetischen Textes - herzlichen Dank dafür!

Peter Oberschelp hat gesagt…

Das Küstenbild ähnelt frappierend dem auf Seite 67 der Ringe des Saturn, ein wenig höher nur aufgestiegen bis zu der Stelle, von der aus die große, ans Land geworfene Molluske sichtbar wird (s. 88).

Sehr gelungene äußerliche Neugestaltung!