Samstag, 6. März 2021

Einmal durch die ganze Bibel

Als ich noch jünger war, gehörte es in frommen Kreisen fast zur Pflicht, wenigstens einmal im Leben die ganze Bibel von vorne  bis hinten gelesen zu haben. Ich habe mich damals davor gedrückt und habe mich stattdessen an Lesepläne gehalten, die einem die Bibel in Stücken, wenn auch nicht geordnet, näher brachten. Gelesen habe ich sie immer, aber eben nie von vorne bis hinten.

Das habe ich vor etwa einem Jahr geändert und habe das Abenteuer begonnen, fortlaufend jeden Morgen einen Bibelabschnitt zu lesen, meist ein oder zwei Kapitel oder zwei bis drei Seiten. Mittlerweile habe ich das Buch Hiob (vor dem ich mich gefürchtet habe, grundlos, wie ich beim Lesen merkte) beendet und lese die Psalmen. Nachdem ich als erstes das mir im Verständnis leichter erscheinende Neue Testament abgeschlossen hatte, liegen jetzt im wesentlichen nur noch die Sprüche und die Propheten vor mir. Dann bin ich durch.  

Von Seite zu Seite getragen hat mich die Freude, hinter dem Ganzen eine Gemeinsamkeit verspüren zu können, die ich im Folgenden kurz beschreiben will. Es ist das bei aller Eigenart der Autoren immer ähnliche Gotteserleben, das in dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs seinen Ursprung und sein Ziel hat. Dieses Erleben gibt allen Bibelworten eine gewisse nüchterne Erdschwere, einen festen Willen, über das menschliche Leben wirklichkeitsnah und ohne Beschönigungen zu reden. Abraham war ein Bauer, als Bibelleser stammen wir von Bauern ab.

Die Gemeinsamkeit des Gotteserlebens habe ich gerade in den letzten Tagen noch einmal verspürt, als ich aus den dunklen Kapiteln des Buches Hiob in die vermeintlich helleren Liedstrophen der Psalmen gelangte. Schon bald merkte ich, dass viele so hell nicht waren und dass sich eine gewisse Grundstimmung des Hiob-Buches sich in einzelnen Psalmen und ihrer massiven Gottesklage fortsetzte.

In manchen Psalmen erscheint die Finsternis schier endlos. Das unterscheidet sie sogar von der Finsternis des Buches Hiob, weil man dort weiß, dass alles ein Happy End haben wird. Gott wird nur für einen gewissen Zeitraum auf den vorgeschlagenen Rat des Teufels hin die natürliche Ordnung für Hiob außer Kraft setzen.

In den Psalmen spürt man, dass eine Reihe von Ihnen die Erfahrung von Belagerungen, verlorenen Kriegen und Verschleppungen ins Exil hinter sich haben. Ihre Frage, warum Gott nicht rettend eingreift, verhallt ungehört. Mein Gott, warum hast du mich verlassen? 

Mein Eindruck ist allerdings, dass ab dem vierten Buch der in fünf Bücher aufgeteilten Psalmen, d.h. ab dem Psalm 90 eine andere Grundstimmung vorherrscht. Die Bedrohung durch äußere Feinde ist nicht gewichen, aber sie tritt gegenüber der eher persönlichen Bedrohung durch die eigene Sterblichkeit zurück. Das menschliche Leben ist, unabhängig von den Rahmenbedingungen, welche äußere Feinde schaffen, immer vom Tod bedroht, und es gehört zur Klugheit, dass man lernt, zu bedenken, dass wir sterben müssen, und dass es gut ist, auf Gott zu vertrauen.

Von da an erheben sich die folgenden Psalmen über das Leid und freuen sich am Leben des über die Erkenntnis seiner Endlichkeit klug gewordenen Frommen.

Einen vorläufigen Höhepunkt bildet dabei der lange und poetisch gegliederte Psalm 119, der in immer neuen Worten das Gesetz, die Weisungen, die Ermahnungen, die Zusagen, die Ordnungen JAHWEs lobt. In jedem der nach dem Alphabet geordneten 22 Abschnitte kommen die verschiedenen Grundworte, welche die Tora beschreiben, immer wieder in unterschiedlicher Reihenfolge und in anderen Zusammenhängen vor.

Es ist ein großes Lob des Gesetzes, das schon im Psalm 19 sein Vorbild hat, wo in neun Versen die materielle Schöpfung gelobt wird und in neun weiteren Versen in gleicher Weise die geistige Schöpfung der Gesetze Gottes. Auf sie kann sich der Fromme zurückziehen, auch in Zeiten der äußersten Gefährdung seiner Existenz.

Vielleicht bedarf es bei der Übereinstimmung von äußerer Gefahr und innerem Frieden einer Vermittlung durch das gesungene Lied. Logisch kann man nicht erklären, warum es Gott und das Böse gleichzeitig auf der Welt gibt. Aber man kann sich in der Musik einstimmen lassen, das eine und das andere gleichzeitig zu verstehen, ohne dass man dazu eine Weltformel zur Auflösung der Theodizee benötigt.

Am Ende erleben wir eine Gestimmtheit, welche die Gegensätze überbrückt. Mit Worten allein kann man hier keine Brücke bauen, das lehrt uns das Buch Hiob, an dessen Ende der ratlos bleibt, der eine juristische Aufarbeitung der Frage nach Schuld und Unschuld Hiobs erwartet. Diese Aufarbeitung gibt es nicht, es gibt aber die Versöhnung in den Stimmungen der Psalmenmusik.

Hallelu JA ki tow
ki leolam chessdo

Preist JAHWE, ja er ist gut
ja, von Urzeiten währt seine Huld.


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