Bei dem Anschlag haben sie und ihr Mann zwei Töchter im
Alter von 28 und 19 Jahren verloren, außerdem zwei Enkelkinder, neun und fünf
Jahre alt, und eine zwölfjährige Nichte. Andere Mitglieder ihrer Familie wurden
teilweise schwer verletzt.
Zur Verantwortung gezogen wurden vier junge Männer aus
Solingen, die zum Tatzeitpunkt teilweise noch unter Jugendstrafrecht standen.
Ich erinnere mich noch gut, dass damals mit türkischen
Fahnen wie gepanzert wirkende Autos durch meine Heimatstadt Remscheid in Richtung auf den
Nachbarort Solingen fuhren. Ein großer grüner BMW, dessen Motorhaube ganz mit
einem roten, mit Halbmond und Stern verzierten Fahnentuch bedeckt war und dessen
junge Insassen finster und entschlossen in Richtung Solingen blickten, ist mir
noch in besonderer Erinnerung. Ich bin selbst zwei oder drei Tage nach dem
Anschlag in die Untere Wernerstraße gefahren und habe zusammen mit vielen
anderen betroffenen Menschen an der Ruine gestanden.
Ich habe später erfahren, dass die besonnene und von Anfang
an versöhnliche Reaktion der Familie Genç ganz stark dabei mitgeholfen hat, die
damals beginnenden gewalttätigen Unruhen im Keim zu ersticken. Ich sehe noch in
der Nähe des Tatortes die mit großen Holzplatten abgesicherten Schaufenster
verschiedener Solinger Geschäfte vor mir. Uns allen drohte damals eine große
Eskalation.
Meine eigene Reaktion sah damals so aus, dass ich eine
Handvoll türkische und deutsche Geschäftsleute aus meinem Bekanntenkreis
zusammengerufen und ein regelmäßiges Mittagessen in einem China-Restaurant
veranstaltet habe, dessen Essen ich damals für "halal" hielt. Wir
waren uns einig, dass sich solche Anschläge nicht wiederholen durften und wollten unseren persönlichen Beitrag dazu leisten.
Weder der verblendete Hass der Attentäter noch der Ruf nach
Vergeltung unter dem aufgebrachten jungen Türken entsprang der Mitte der
Gesellschaft, in der wir lebten. Die Mehrheit war der Überzeugung, dass Anschläge und Krawalle gleichermaßen nicht zu unseren Grundsätzen passten..
In allem hat die besonnene Reaktion besonders von Mevlüde
Genç die Wogen geglättet. Türkische Freunde, die Frau Genç später besucht
haben, erzählten mir von dem starken persönlichen Eindruck, den sie von dem
Besuch mitgenommen haben. Mevlüde Genç wollte die überlebenden
Familienmitglieder nicht mit einer ewigen Trauer belasten und außerdem das Land,
in dem sie lebte und dessen Bürgerin sie wenige Jahre nach dem Attentat wurde,
nicht dauerhaft mit Vorwürfen überziehen. Das Attentat hatten verirrte junge
Leute begangen, halbe Kinder teilweise noch. Es war in Deutschland geschehen,
es war aber dem Land nicht insgesamt anzulasten.
Mevlüde Genç hat Frieden gestiftet. Möge sie in Frieden ruhen.