Schon sein Pastorenvater Martin Luther King I war ein vielfach untreuer Ehemann. Das hinderte ihn aber nicht daran, seinem Sohn verschiedene Lustbarkeiten zu verbieten und ihn einmal, da war der Sohn gerade 20 Jahre alt, zu einem Reue-Bekenntnis vor der versammelten Ebenezer Gemeinde in Atlanta zu verdonnern - Martin junior war tanzen gewesen.
Dieser Widerspruch ist eines der Rätsel, die nach dem Lesen der Biografie nicht verschwinden, sondern eher größer werden. Offenkundig ist, dass Martin Luther King II, ein den Menschen in jeder Hinsicht zugewandter Pastor gewesen ist, der sehr schnell die Zuneigung seiner männlichen und weiblichen Gesprächspartner gewinnen konnte. Das hat ihm ganz besonders da geholfen, wo er nicht nur Zuneigung, sondern auch politische Unterstützung und das Mitmarschieren bei den großen Bewegungen, die er angestoßen hatte, benötigte. Die meisten Menschen, die ihm begegneten, waren von seinem offenen Wesen verzaubert.
1968 ist er ermordet worden, gerade 39 Jahre alt. Die Biografie schildert den Berg von Widerständen, den King vor dem jähen Ende seines Lebens in immer stärkerem Maße zu überwinden hatte. Die Frage, wie sein Leben verlaufen wäre, hätte man ihn nicht auf dem Balkon des Lorraine Motel in Memphis erschossen, wird man nicht beantworten können. Er hatte wichtige Unterstützer verloren – der ihm zunächst zugewandte. Präsident Johnson kehrte sich mehr und mehr von ihm ab. Wichtige Freunde aus der Bürgerrechtsbewegung wurden zunehmend kritisch, besonders was seine Philosophie der Gewaltlosigkeit betraf.
Dass er trotzdem seine visionäre Kraft und die aus der Musik der schwarzen Kirchen gewonnene Redeweise bis zum Ende behielt, kann man bei YouTube sehen. Da spricht er am Abend vor seinem Tod zu den Zuhörern in der pfingstlerischen Church of God in Christ in Memphis und sagt am Ende*
Nun, ich weiß nicht, was jetzt passieren wird. Uns stehen einige schwierige Tage bevor. Aber das macht jetzt nichts, denn ich war schon auf dem Berggipfel. Es macht mir nichts aus. Wie jeder andere möchte ich leben – ein langes Leben; Langlebigkeit hat ihren Platz. Aber darüber mache ich mir jetzt keine Sorgen. Ich möchte einfach nur Gottes Willen tun. Und Er hat mir erlaubt, auf den Berg zu gehen. Und ich habe hinüber geschaut. Und ich habe das Gelobte Land gesehen. Vielleicht komme ich nicht mit Euch dorthin. Aber ich möchte, dass ihr heute Abend wisst, dass wir als Volk das Gelobte Land erreichen werden. Deshalb bin ich heute Abend glücklich. Ich mache mir um nichts Sorgen. Ich habe vor keinem Menschen Angst.
Und er schließt seine Rede mit der ersten Zeile der berühmten "Battle Hymn of the Republic"**
Mine eyes have seen the glory of the coming of the Lord.
(Meine Augen haben die Herrlichkeit des kommenden Herrns gesehen.)
* Well, I don't know what will happen now. We've got some difficult days ahead. But it really doesn't matter with me now, because I've been to the mountaintop. And I don't mind. Like anybody, I would like to live – a long life; longevity has its place. But I'm not concerned about that now. I just want to do God's will. And He's allowed me to go up to the mountain. And I've looked over. And I've seen the Promised Land. I may not get there with you. But I want you to know tonight, that we, as a people, will get to the Promised Land. So I'm happy, tonight. I'm not worried about anything. I'm not fearing any man. Mine eyes have seen the glory of the coming of the Lord.
** Mine eyes have seen the glory of the coming of the Lord
He is trampling out the vintage where the grapes of wrath are stored
He hath loosed the fateful lightning of his terrible swift sword
His truth is marching on
Glory, glory, hallelujah
Glory, glory, hallelujah
Glory, glory, hallelujah
His truth is marching on