In einer langen Rede, in der sich Jesus mit seinen religiösen Gegnern, den Pharisäern, auseinandersetzt, wirft er diesen vor, dass sie den Menschen das Leben erschweren – vielfach durch Vorschriften, die das tägliche Leben bis ins kleinste regulieren.
So genügt es ihnen nicht, auf wichtige Erträge der Landwirtschaft eine Kirchensteuer zu erheben, sie wollen 10% auch von solchen Kleinigkeiten wie von Minze und Kümmel haben.
Jesus hat für solche Regeln, welche die Menschen nur belasten, viel Kritik. Er sagt: die Pharisäer halten die Vorschriften selbst vielfach nicht ein, sie nutzen sie zum eigenen Vorteil und vieles andere mehr. Sein wichtigstes Urteil findet sich einige Kapitel vorher, wo er die Menschen einlädt, seinem eigenen, so ganz anders gearteten Programm zu folgen. „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“
Eine moderne amerikanische Übersetzung, die Message Bible, konkretisiert die Belastungen der damaligen Menschen und übersetzt, sie sind burned out on religion. Das ist ein modernes Wort, aber im Licht der kleinlichen Pharisäer-Vorschriften, die Jesus kritisiert, erscheint mir die Übertragung in diesen Begriff richtig zu sein.
Ja, man kann tatsächlich religiös burned out sein, und was das heute konkret bedeuten kann, wird an der wachsenden Zahl der Nones in den Vereinigten Staaten deutlich, die in den letzten Jahren zu großen Zahlen, ihre Kirchen „geghostet“ haben, um auch hier ein modernes Wort zu verwenden. Sie sind weder Atheisten noch Agnostiker geworden, bekennen sich zu keiner religiösen Gegenbewegung, sie haben nur aufgehört, sich zu den Gottesdiensten ihrer Kirchen einzufinden. Die New York Times beschäftigte sich jüngst mit ihnen.
Um 10 % ist durch diese stummen Abschiede der Kirchenbesuch in den USA in den letzten zehn Jahren zurückgegangen. Es war eine Entwicklung ohne Auseinandersetzung – man ging einfach nicht mehr hin.
Wenn ich mich sonntags in meiner eigenen Kirche, einer Baptisten-Gemeinde in einer mittelgroßen rheinischen Stadt, umsehe, so erscheinen mir die Vorgänge hier ganz ähnlich zu sein. Auch bei uns sind viele Plätze leer, die noch vor Corona Sonntag für Sonntag gut gefüllt waren. Man hat die Leere zunächst auf die schleppende Rückkehr der Menschen zurückgeführt, die durch Corona für viele Monate am Gottesdienstbesuch gehindert waren. Aber mittlerweile reicht Corona nicht mehr als Erklärung.
Ich sitze manchmal unter den Zuhörern und frage mich, ob nicht bereits die stille Teilnahme an einem Programm, das einem in vielen Stücken keine Freude macht, eine Last darstellt, welche der Steuer der Pharisäer auf Minze und Kümmel entspricht. Es ist eigentlich nichts, gegen das man aufbegehren möchte, die Zeit der großen Kirchen-Reformation ist ja vorbei. Aber es ist etwas in den wenig inspirierten Ritualen, den kaum ansprechenden Liedern und auch in den Predigten, das die Zuhörer wünschen lässt, sie wären jetzt ganz weit weg von dieser Kirche, ganz woanders.
Die Predigten nehmen vielfach keine Rücksicht darauf, dass die Menschen gar nicht belehrt werden wollen. Dass man Paulus an dieser Stelle doch ganz anders (!) verstehen müsse oder dass man dringend (!) andere Verhaltensweisen an den Tag legen müsse, um bestimmte Missstände zu verhindern, das tut letztlich weh und legt den Zuhörern eine Last auf. Wer will das hören?
Wie anders wäre es, wenn tatsächlich Jesus vorne stehen und das wiederholen würde, was er früher gesagt hat „Kommt her zu mir … meine Last ist leicht“. Generationen von Theologen haben diese Worte beständig in Zweifel gezogen, vermutlich ohne es zu wollen, denn Glaube war für sie Anstrengung, Arbeit. Das Reich Gottes war für sie ein großes Betätigungsfeld, in das jeder eingeladen war, der seine Ärmel aufkrempeln konnte.
Aber nun steht Jesus vor uns und sagt „Meine Last ist leicht“. Ich kann mir nicht helfen – ich sehe hier immer das liebenswürdige Gesicht, des ägyptisch-irischen Schauspielers Jonathan Rumie vor mir, der in der neuen Jesus-Verfilmung The Chosen den Jesus spielt. Ja, auch er redet und dringt in die Herzen der Leute ein. Aber wer zu ihm kommt, sieht ein lachendes Gesicht, und bekommt eine Umarmung.
„Ich bin der Weg“ sagt Jesus „und die Wahrheit und das Leben.“ Ich bin die Brücke zum Vater aller Barmherzigkeit. Bei mir wird die Last der Religion leicht.