Dienstag, 5. Februar 2008

Erlösung


In den letzten Tagen und Wochen habe ich ein kleines Buch gelesen, das in den 20er Jahren entstanden ist und von einem Mann geschrieben wurde, der damals eine Art katholischer Arbeiterpriester gewesen ist. Ich habe das Buch in einer Kölner Kirche gefunden*, bin beim Lesen auf den Autor neugierig geworden und habe mir später ein zweites Buch besorgt, welches das Leben dieses Mannes beschreibt. Mittlerweile ist mir José, wie der Priester heißt, zu einem Freund geworden, dem ich gerne einmal persönlich begegnet wäre. Er ist 1975 gestorben.

Vieles was er schreibt, hört sich evangelisch an – etwa das, was er über die Würde menschlicher Arbeit sagt und über das Streben nach Heiligung, also einer Durchdringung des alltäglichen Lebens mit dem Geist Gottes, und anderes mehr. Über die Arbeit hat ja auch Luther sehr schön gepredigt, und über die Heiligung dann später die Pietisten und Methodisten. Manches andere bei José versteht dagegen vermutlich nur ein Katholik – etwa die Verehrung für Maria und Josef, deren Bilder allerdings zugegebenermaßen den Wert von täglicher, körperlicher Arbeit sehr viel lebendiger vor Augen führen als jedes Lippenbekenntnis eines evangelischen Theologen zur Achtung vor dem Mann an der Hobel- oder Drehbank.

Ein anderer katholischer Gedanke bei José ist mir besonders fremd, und ich habe mir anfangs sogar gesagt, daß er falsch ist und sich auf einfache Weise widerlegen läßt. Anderseits gefiel er mir dann immer mehr, und ohne diesen Gedanken ist die Lehre vom Wert der geringen Arbeit und von der Würde eines jeden Lebens, auch des kleinen, eigentlich nicht vollständig.

Er führt in der Konsequenz dazu, daß José in seiner Lehre von der göttlichen Durchdringung des Alltäglichen am Ende auch die Kranken dazu anhält, ihre Schmerzen in Würde zu tragen Und nicht nur das, sie sollen sie sogar jemandem „opfern“, sie also in dem Bewußtsein aushalten, daß andere Menschen dadurch etwas Gutes gewinnen können.

Einmal sagt er, wir seien dazu aufgerufen, in der Christusnachfolge uns ähnlich wie der leidende Gottesknecht zu verstehen und zu verhalten. Über ihn sagt ja Jesaja, daß er krank und zerschlagen war, und fügt dann die bekannten Worte an: Durch seine Wunden sind wir geheilt (Kapitel 53,5). Auch wir können, indem wir leiden und das Leiden bewußt auf uns nehmen, im Sinne dieses Gottesknechtes Erlöser oder besser „Miterlöser“ sein, sagt José.

Dieser Gedanke ist fremd. Aber ist er es wirklich? Schon eine der ursprünglichen, jüdischen Interpretationen der Stellen vom leidenden Gottesknecht (in Jesaja 42, 49, 50 und 53/53) sieht nicht göttliches sondern menschliches Leid als den Kern der Jesaja-Botschaft an. Diese jüdische Deutungsmöglichkeit nimmt an dieser Stelle an, das Leiden des Gottesknechtes sei gleichbedeutend mit dem Leiden des jüdischen Volkes. Man hört diese Deutung zwar nicht oft, aber wohl eher deswegen, um dem Antisemitismus nicht auf verquere Art und Weise immer neue Nahrung zu geben.

Vor einiger Zeit habe ich von Freunden eher ablehnende Reaktionen bekommen, als ich behauptet habe, das Leid der deutschen Juden habe den relativen Frieden begründet, unter dem Millionen von Fremdlingen 60 Jahre nach dem Holocaust in Deutschland leben. In der Erinnerung an Auschwitz verbieten sich – meine ich nach wie vor - eigentlich alle Gedanken an eine „Endlösung“ im Sinne eines ethnisch gesäuberten Volkes. Sicher ist, daß zumindest unser großzügiges Asylrecht auf dem Boden des Unrechtes gewachsen ist, welches durch das enge Asylrecht begünstigt wurde, das in den demokratischen Staaten der Jahre um 1940 herrschte und den Juden die Ausreisemöglichkeiten versperrte.

Ich denke nach wie vor, daß es tatsächlich ein Leid gibt, das der eine trägt und aus dem der andere Vorteile erhält. So kann Leid etwa wie ein Licht sein, es kann vom Bett eines Schwerkranken ausgehend einen Glanz von Menschenwürde ausstrahlen, einen Widerschein von menschlichem Adel, der den Besucher ganz tief in seinem Herzen trifft und ihm eine Ahnung von der Würde seines eigenen Lebens gibt. Natürlich kann Krankheit und Tod auch das Gegenteil bewirken, kann uns Angst machen, uns unser Leben als gefährdet und bedroht erscheinen lassen. Aber das andere gilt vielleicht doch in stärkerem Maße.

In den Striemen Christi liegt unser Heil, das haben die Christen zu allen Zeiten bekannt und die Formel vom Leid des einen und dem Vorteil des anderen bejaht, meist allerdings ausschließlich als göttliches Handeln. Aber auch der Glaube, daß man das Kreuz Christi aufnehmen und tragen soll, ist allgemeines Gut der Christen. José lädt uns an dieser Stelle eigentlich nur zu einem ganz kleinen nächsten Schritt ein, daß wir sagen: wir tragen nicht nur wie Christus ein Kreuz, ein kleines zwar nur, wir bringen mit unserem Kreuz auch Heil und Erlösung in unsere Umgebung, auch dies nur in kleinen Stücken, aber doch wirksam.

Als José etwa 1930 damit anfing, ein größeres christliches Werk zu gründen, mußte er noch in der frühen Gründungsphase ohnmächtig erleben, wie eine enge Mitarbeiterin an Krebs starb, viel zu jung und unter furchtbaren Schmerzen. José hat ihre Tagebücher verwahrt, in denen sie davon berichtet hat, wie sie ihre schlaflosen, im Schmerz durchwachten Nächte bewußt als ein Opfer für „das Werk“ dargebracht hat. Solche Opfer hat José als das tiefe und sichere Fundament seiner Arbeit verstanden.

Ich nennen Josés vollen Namen erst zum Schluß - Josemaria Escriva - denn mit seiner Nennung verbinden manche Leute ganz andere, oft sehr kritische und ablehnende Gedanken. Er wurde berühmt als der Gründer einer katholischen Laienbewegung, die für viele ihrer Gegner das schwarze Loch im schwarzen Katholizismus ist.

Escriva hat diese Laienbewegung nach dem großen Wert, welchen er aller menschlichen Arbeit im Lichte Gottes beigemessen hat, „Arbeit Gottes“ genannt, Opus Dei.


*gestohlen, um ehrlich zu sein. Ich hatte kein Wechselgeld und schulde der Kirche St. Pantaleon € 4,50 für Escrivas „Der Weg“. Eine Buß-Wallfahrt ist bereits geplant. Man kann das kleine Buch mit einigen anderen Schriften von Escriva im Internet nachlesen, in vielen Sprachen, auf einer sehr sorgfältig gestalteten Seite http://www.escrivaworks.org/

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