Dienstag, 31. März 2009

Für Matthias Ekelmann







Heute wird Matthias Ekelmann, Pastor im oberbergischen Wiehl, 60 Jahre alt. Das Bild zeigt ihn und mich in Lodz/Polen vor dem Geburtshaus des Pianisten Artur Rubinstein. Matthias langjähriger Freund, Lothar Leese, mein Pastor in Remscheid, hat ihn am letzten Sonntag in seiner Predigt lobend hervorgehoben. Matthias hat als Leiter eines Diakonischen Werkes einen Tag lang seinen Arbeitsplatz verlassen und hat in dem von ihm geleiteten Seniorenheim die Waschräume und Toiletten geputzt. Lothar Leese hat mit seinem Beispiel illustrieren wollen, wie es im Reich Gottes zugeht, wenn der eine wirklich des anderen Diener ist (Predigt über Markus 10).


Ich möchte Lothars Gedanken ein wenig ergänzen und das, was ich schreibe, Matthias sozusagen als meine kleine "Festschrift" zu seinem Geburtstag widmen. Der Predigttext in Markus 10* beginnt mit der Bitte zweier Jünger, daß ihnen im kommenden Gottesreich prominente Plätze rechts und links von Jesus zugeteilt werden mögen. Die traditionelle Auslegung, die auch Lothar Leese gewählt hat, wendet sich gegen unsere menschliche Eitelkeit und unser Streben nach den vorderen Rängen. Ich denke aber, daß es erlaubt ist, diesen eher persönlichen Blick auf den Sinn der Erzählung um eine etwas weitere, strategische Sichtweise zu ergänzen.

Die Frage der Jünger fällt in eine Zeit, in welcher die Entstehung des Reiches Gottes unmittelbar bevorsteht. Die Jünger spüren etwas davon, es geht mit Jesus nach Jerusalem, die Geschichte vom großen, umjubelten Einzug dort beginnt nur wenige Zeilen später, im nächsten Kapitel Markus 11. Wenn Jesus in den nächsten Tagen für alle sichtbar triumphieren und die Herrschaft dort einnehmen wird, was die beiden Jünger offenbar erwarten, dann werden seine engsten Mitarbeiter prominente Plätze in der Regierungsmannschaft zugewiesen bekommen.

Allerdings schneidet sich an dieser Stelle eine alte Vorstellung vom Reich Gottes mit einer neuen, ganz anderen. Die alte Vorstellung, auf die sich die Jünger mit gutem Recht berufen können, verheißt die Erde denen, die in Treue und Wahrheit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs folgen und ihm dienen. Er hat die Welt gemacht, ihm gehören alle Völker, ihm gehört entsprechend auch die Weltregierung. Noch in den Niederlagen seines Volkes Israels sehen die Propheten die Macht ihres Gottes: die Weltherrscher werden als seine Agenten dargestellt, die in seinem Auftrag das Volk Israel eine gewisse Zeit lang bestrafen sollen.

Diese Vorstellung wird allerdings schon im Alten Testament und lange vor Jesus korrigiert, und es ist vermutlich eine ewige Frage an jeden gläubigen Juden oder Christen, warum diese Korrektur geschieht. Gott wendet sich jetzt den Armen und Machtlosen zu, den anawim wie es hebräischen Urtext heißt. Die Lutherbibel übersetzt es mit "sanftmütig", aber es ist mehr, es ist ein Wort für die Menschen, die fremde Macht widerstandslos erdulden müssen. Ein sanftmütiger König wird dem Volk Israel im Propheten Sacharja (Kapitel 9,9) verheißen, auf einen bescheidenen Esel wird er reiten. Er könnte identisch mit dem leidenden und vollkommen unattraktiven "Gottesknecht" sein, aus den späten Kapiteln des Buches Jesaja (ab Kapitel 42), der die Verachtung der Menschen trägt und sich in besonderer Weise denen zuwendet, deren eigenes Leben ebenfalls von Scheitern und Verachtung bedroht ist.

Wie könnte ein Reich aussehen, das von solchen Königen regiert wird und sich auf solche Untertanen gründet, mit denen allesamt kein Staat zu machen ist? Diese Frage hat die Menschen seit Sacharja und Jesaja bewegt, und sie ist auch in der Person von Jesus nicht so vollständig beantwortet worden, daß wir einfache und fertige Pläne für den Bau eines solchen Reiches haben.

Was wir nachlesen können, ist: Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen, die anawim mit ihrer Geduld und ihrer nicht immer freiwilligen Unterwerfung unter das, was fremde Mächte ihnen auferlegen. So steht es bereits in Psalm 37 (Vers 11), so übernimmt es Jesus wörtlich in seine acht Seligpreisungen (Matthäus 5,5) und so steht es eigenartigerweise auch im Koran, der allerdings den ganz ähnlichen Vers 29 aus besagtem Psalm zitiert (Sure 21,105: Und wahrlich wir schrieben in den Psalmen […] ‚Erben sollen die Erde meine gerechten Diener’, das einzige direkte Zitat der Bibel im Koran). In Psalm 37 wird der Landbesitz insgesamt fünf mal verheißen: denen, die auf JHWH hoffen (Vers 9), den Sanftmütigen (Vers 11), den von Gott gesegneten (Vers 22), den Gerechten (Vers 29) und am Ende in direkter Ansprache einem unmittelbaren Du: harre auf JHWH und halte seinen Weg ein, und er wird dich erhöhen, das Land zu besitzen. (Vers 34)

Jesus baut sein Reich mit den Sanftmütigen. Die beiden Jünger, die sich hervorgehobene Plätze in der Königsherrschaft Gottes wünschen, haben nicht nur einen falschen persönlichen Ehrgeiz, das würde an dieser historischen Stelle kaum interessieren. Sie mißverstehen den Charakter des neuen Gottesreiches.

Ob wir ihn besser verstehen?

Ich grüße Matthias (hier ein weiteres Bild, das ich auf der gemeinsamen Polenreise von ihm gemacht habe) als einen der Sanftmütigen, wie er jetzt vor meinem inneren Auge mit seinen Gummihandschuhen in der Toilette steht und putzt. Warum sieht das keiner: besitzt er das Erdreich nicht bereits?




*Markus 10

35 Und es treten zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sa-gen zu ihm: Lehrer, wir wollen, daß du uns tust, um was wir dich bitten werden.
36 Er aber sprach zu ihnen: Was wollt ihr, daß ich euch tun soll?
37 Sie aber sprachen zu ihm: Gib uns, daß wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen in deiner Herrlichkeit!
38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wißt nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde?
39 Sie aber sprachen zu ihm: Wir können es. Jesus aber sprach zu ihnen: Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr trinken, und mit der Taufe, mit der ich getauft werde, werdet ihr getauft werden;
40 aber das Sitzen zu meiner Rechten oder Linken zu vergeben, steht nicht bei mir, sondern ist für die, denen es bereitet ist.
41 Und als die Zehn es hörten, fingen sie an, unwillig zu werden über Jakobus und Johannes.
42 Und Jesus rief sie zu sich und spricht zu ihnen: Ihr wißt, daß die, welche als Re-genten der Nationen gelten, sie beherrschen und ihre Großen Gewalt gegen sie üben.
43 So aber ist es nicht unter euch; sondern wer unter euch groß werden will, soll eu-er Diener sein;
44 und wer von euch der Erste sein will, soll aller Sklave sein.
45 Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.

Freitag, 27. März 2009

Mein erster Blick in ein eBook







Heute habe ich meine Buchhändlerin im Laden nebenan gebeten, mich einmal für ein paar Minuten mit einem eBook alleine zu lassen. Ich sage gleich: es hat mir große Freude gemacht, mit dem Ding zu lesen.

Ich bekam ein Sony-Gerät wie nebenstehend abgebildet in die Hand gedrückt, in einer braunen handfesten Buchhülle aus Leder. Von weitem könnte man ein ganz normales Buch darin vermuten. Die Elektronik bemerkt das Gegenüber in der Eisenbahn oder im Café erst dann, wenn es dem Leser über die Schulter schaut. Zusammen mit dieser Hülle ist das Gerät etwa 18 x 12 cm groß, hat also etwa die Maße eines Taschenbuches. Es wiegt auch ebenso wie dieses rund 250 g, die äußere Ähnlichkeit mit einem Buch ist also gegeben und wirkt sympathisch.

Das schwarzweiße Display gibt die Buchseiten in einem milden, vollkommen störungsfreien Licht wieder, das auch bei hellem Umgebungslicht – etwa in der Sonne – ein angenehmes Lesen ermöglichen soll, wie es im Prospekt heißt.

Der eingebaute Speicher (192 MB) kann 160 Bücher fassen, über eine Chipkarte können bis zu 16 GB zusätzlich ins Gerät geholt werden, das sind unvorstellbare 13.000 Bücher. Beginnt man zu lesen, muß man erst nach 6.800 Seiten für zwei Stunden den Akku aufladen, so lange soll eine Ladung vorhalten.

Das Gerät kostet derzeit noch stolze € 300,-, geeignete eBücher muß man für rund € 10,- pro Stück hinzukaufen (per download im Internet) – es hat alles also noch einen recht hohen Preis und die Auswahl ist hierzulande offenbar noch klein. In den USA gibt es bereits mehr, und einige Bücher sind auch schon billiger, ich fand bei Amazon USA eine Anna Karenina (sollte man eKarenina sagen?) für $ 0,80. Auch gibt es dort Sonderangebote für eBooks, die bei weniger als $ 250,- liegen, also um die € 200,- herum.

Wer mit wenig Gepäck reisen und trotzdem viel zu Lesen mitnehmen will, wird sich an den kleinen Dingern freuen. Man kann auch Familienfotos darin abspeichern und persönliche Dokumente im pdf-Format. So erscheint auch Aktenstudium mit Hilfe dieses Gerätes möglich – und Musikhören, ein mp3-Player ist serienmäßig mit eingebaut.

In die Texte hineinschreiben kann man nichts, kann aber jede Menge elektronische Lesezeichen setzen. Eine Volltextsuche entfällt, es fehlt ja die Eingabemöglichkeit von Text. Möglicherweise gibt es aber Programme, um den Buchtext auch über einen PC zu lesen und dann auszuwerten. Daß man dann gleich auch Bücher wie CDs illegal kopieren kann, ist wohl zu vermuten, "digital und gratis reimen sich", soll ein Verleger resignierend gesagt haben.

Ich will mich weiter an Goethe halten, der die Regel aufgestellt hat, daß man ein Buch, das es wert ist gelesen zu werden, auch für wert halten sollte besessen zu werden. Wirklich besitzen kann man wohl nur ein echtes Buch. Aber wenn es das eBook unter € 150,- gibt, wünsche ich mir eins zu Weihnachten.

Mittwoch, 25. März 2009

Koran und Bibel






Vor einigen Tagen las ich ein Jesuswort, welches auch im Koran stehen könnte. Jesus sagt in Lukas 20,47 über die scheinheiligen Schriftgelehrten: Diese werden ein schweres Gericht empfangen. Ganz ähnlich klingende Prophezeiungen finden sich auch im Koran, in dem ja das Weltgericht am Ende der Tage ein zentraler Glaubensinhalt ist.

Im Koran wird die Warnung vor diesem Gericht in Formeln wie ihre Wohnung ist Dschehennam, und schlimm ist die Fahrt dorthin (Sure 66,9) oder in ähnlichen Wendungen, von denen ich unten* einige gesammelt habe, ausgesprochen. Auf den ersten Blick wirkt die Stelle aus Lukas 20 mit solchen Worten verwandt.

Aber auch der Unterschied ist auffällig. Der Satz Jesu ist in einem Gespräch** geäußert, das in ganz alltäglichen Worten geführt wird. Die Sätze des Koran dagegen klingen eher wie Teile einer gottesdienstlichen Hochsprache, eine Liturgie.

Ich dachte beim Lesen daran, daß es neuere Theorien gibt, welche die Entstehung des Islam an christliche Vorformen anknüpfen, darunter besonders die Gottesdienste der syrisch-aramäischen Kirche. Deren liturgische Gesänge hätten, so las ich, schon rein äußerlich Ähnlichkeit mit der singenden Vortragsweise, mit der aus dem Koran vorgelesen wird.

Die Einwände der Moslems gegen solche Theorien, sind nicht so heftig, wie man annehmen könnte. Sie lehren ja, daß der Koran die Bibel enthält, deshalb ist es ihnen nicht fremd, daß jüdische oder christliche Elemente in den Koran eingegangen sein könnten. Ärgerlich für sie sind allerdings die aus der historischen Kritik am Koran hervorgegangenen Zweifel an der traditionellen Entstehungsgeschichte des Korans, die ja eng mit der Person Mohammeds verbunden ist. Daran möchten sie aus verständlichen Gründen nicht rütteln.


Worin besteht der Unterschied zwischen einer liturgischen Sprache und der Sprache des Alltags? In der Liturgie herrscht eine Hochsprache, in der die einfachen Begriffe der Alltagssprache durch vornehmere Worte ersetzt werden. Der Effekt einer "feineren" Sprache kann ja auch im Alltag nachvollzogen werden, etwa wenn man sich bei Tisch einen Teller reichen und nicht geben läßt. Ich hörte, daß es in Japan unumgänglich ist, zwischen mehreren abgestuften Möglichkeiten einer Verfeinerung der Sprache zu wählen, je nachdem wie hoch gestellt die Person ist, mit der man gerade redet.

Wenn es richtig ist, daß der Koran eine feinere Sprache als Ausdrucksform wählt als etwa Jesus in seinen Reden, dann sollte man dies im Gespräch mit Moslems berücksichtigen und sie nicht immer gleich nach konkreten Handlungsvorschriften („Wo ist im Koran das Töten von Menschen verboten?“) fragen. Zu ihnen wird in einer anderen Form geredet als zu uns. Ihr Hören auf den Koran ist immer Gottesdienst, unser Hören auf die Bibel ist dagegen oft ein profaner Akt – worauf wir allerdings auch stolz sind, denn darin zeigt sich nach unserem Glauben ja die vollkommen der Welt zugewandte Seite Gottes.


*Den Missetätern wird wahrlich eine schmerzliche Strafe zuteil sein. (Sure 14,22)

Und der Lohn der Ungläubigen ist das Feuer. (Sure 13,35)

Und allen wird dein Herr sicher ihre Taten vergelten. (Sure 11,111)

Wahrlich, getroffen von einer schmerzlichen Strafe werden jene unter ihnen sein, die ungläubig sind. (Sure 9,90)

Wahrlich, so wird diejenigen unter ihnen, die ungläubig bleiben, eine schmerzliche Strafe ereilen. (Sure 5,73


**Lukas 20, 45 – 47: Während aber das ganze Volk zuhörte, sprach er zu seinen Jüngern:
Hütet euch vor den Schriftgelehrten, die in langen Gewändern einhergehen wollen und die Begrüßungen auf den Märkten lieben und die ersten Sitze in den Synagogen und die ersten Plätze bei den Gastmählern; die die Häuser der Witwen verschlingen und zum Schein lange Gebete halten! Diese werden ein schwereres Gericht empfangen.