Freitag, 30. Oktober 2009

Eine Gebetserhörung (John Updike)






Aus The Future of Faith, erschienen 1999 in The New Yorker

Vor ein paar Wochen, in Florenz, in einem Hotelzimmer in der Nähe des Duomo, lag ich nachts wach und fühlte mich in dem fremden Zimmer angstvoll und wie dahintreibend, meinem Lebensende nahe, ein hellwaches, winziges Staubkorn in einer fremden, schlafenden Stadt. Es war ein Tag gewesen, an dem sich in Japan ein Reaktorunfall ereignete und an dem Günter Grass den Nobelpreis erhielt. Ein Teil meiner Trostlosigkeit lag darin begründet, ich bekenne es, daß ich als Christ-vom-Dienst des New Yorker es wider besseres Wissen übernommen hatte, diesen Artikel hier über die Zukunft des Glaubens zu schreiben. Der Versuch erschien mir gefährlich; ich fürchtete, er könnte die letzten Tropfen eines Glaubens in mir entleeren, der mich, schwach wie er war, immerhin bis hierher gebracht hatte. Um meine Einsamkeit zu mildern, betete ich, um die Erlaubnis bittend, schlafen zu dürfen, allerdings ohne große Erwartung, das Gebet erhört zu bekommen.

Als ich dann aber aufstand, um zur Toilette zu gehen, fiel mir eine laute Bewegung rings um mich herum auf, ein Rauschen, dann dazwischen der Schlag des Donners, mehrfach. Ich ging zum Fenster. Das Zimmer hatte einen diagonalen Blick auf den Duomo, Brunelleschis Ingenieur-Meisterwerk, Nabel von Florenz, Krone von Santa Maria del Fiore, viertgrößte Kirche der Christenheit. Während ich zusah, wurde der Regen intensiver, prasselte auf Ziegeldächer nah und fern; er sah aus wie feine Metallstäbe in dem Flutlicht, das die Kuppel des großen – des weltgrößten vor der Stahlzeit gebauten – rotgeschieferten Domes erhellte. Blitze. Hektische Sturmböen. Der Regen war wie rasend. Ich war nicht allein im Universum. Die Regenruten stürzten herunter auf die senkrechten Lichtstrahlen am Fuße des Doms, als wollten sie diese zerstören, aber die Lichtsäule brannte weiter, und der massige Körper der alten Kirche kauerte im Regen wie ein stoisch stummer Drachen. Die dicken Dachpfannen und die gurgelnden Rinnen um mich herum hielten den Güssen stand, dem Donner, den schauererregenden Blitzen. Ich war erfüllt mit der freudevollen Empfindung von äußerer Aktivität. Die Last meines Daseins wurde geteilt. Gott war bei der Arbeit – entspannt, selbst in diesem nächtlichen Florentiner Tumult, diesem Spiel von himmlischem Groll und architektonischem Trotz, diesem Jakobskampf. Meine Frau wurde wach, bewunderte das erhabene Gewitter mit mir, und legte sich wieder zurück ins Bett. Ich legte mich neben sie und schlief inmitten des beruhigenden, geschäftigen und selbst-vergessenen Trommelns ein. Dies alles fühlte sich an wie eine Transaktion, eine Rettung, ein erhörtes Gebet.


Neu herausgegeben in “Due Considerations” 2009

Übersetzung des obigen Abschnitts: C.R.






Lebensentscheidung mit verbundenen Augen





Der Zahnarzt, der mir heute eigentlich einen Backenzahn implantieren wollte, fand beim Öffnen des Kiefers leider ein großes Loch an der Stelle vor, wo sich früher einmal der echte Zahn befunden hatte. Wider Erwarten hatte sich in den sechs Monaten seit der Entfernung dieses Zahnes kein ausreichendes neues Knochenmaterial gebildet, um ein Implantat aufnehmen zu können.

Ich mußte unter meiner OP-Burka aus Kreppapier, aus deren rautenförmiger Öffnung nur meine Nase und mein Mund herausschaute, innerhalb von Sekunden die Lebensentscheidung treffen, die Sache in einem halben Jahr erneut zu versuchen (und zuvor aus einem anderen Teil des Kiefers Knochenstücke in das fragliche Loch zu übertragen zu lassen, damit dort neue Masse anwachsen kann) oder aber den Plan für ein Implantat aufzugeben und statt dessen zwei gesunde Nachbarzähne abzuschleifen und mit einer Brücke zu überkronen.

Diese Entscheidung mußte also sozusagen mit verbundenen Augen getroffen werden und noch während allerlei Geräte in meinem Mund umher geführt wurden. Ich habe mich für die Wiederholung in einem halben Jahr entschieden und sitze jetzt mit einer dicken Backe, auf welche ich Eisbeutel lege, in der Ecke und lasse das Burka-Gefühl und die durch das Kreppapier stechenden Scheinwerfer des Behandlungszimmers in mir nachklingen. Ob ich mich richtig entschieden habe, darüber kann ich in einem halben Jahr nachdenken, dann erneut mit dicker Backe und Eisbeuteln im Gesicht.




Montag, 26. Oktober 2009

Zurück aus der Türkei





Wir sind gestern wohlbehalten aus Südostanatolien zurückgekehrt. Die Eindrücke lassen sich schlecht mit wenigen Worten zusammenfassen oder mit ein paar Bildern wiedergeben. So wähle ich also das nebenstehende Bild aus, um auf dem Weg der Selbstironie wenigstens ein Symbol der Reise wiederzugeben, wenn auch ein schiefes.

Die Verkleidung wurde mir von unserem Reiseführer auf dem Basar in Mardin, nahe der syrischen Grenze aufgenötigt. Wenn es also sein muß, meinetwegen: Al-H'ristian ben-Nemsi.

Mehr und Genaueres im (vorerst nur) englischen Blog:
http://christianrunkelenglish.blogspot.com/

P.S. Erkan Saka hat in seinem vielgelesenen Istanbuler Blog (englisch) über unsere Reise berichtet und einen Link zu meinem Blog gelegt. Große Ehre!



Mittwoch, 7. Oktober 2009

Große Dinge voraus






Christiane und ich wollen zwischen dem 16. und 25. Oktober die Osttürkei besuchen. Wir werden nach Van nahe der persischen Grenze fliegen und von dort per Schiff (über den Van-See) und Bus über sieben Tage westlich zurück nach Gaziantep fahren, einer Stadt nahe der Nordostecke des Mittelmeers. Auf dem Weg werden wir unter anderem Mardin, Urfa und die biblische Stadt Haran besuchen. Auch Urfa, oder genauer Şanlιurfa ist biblisch prominent - nach einer alten Tradition ist es das Ur in Chaldäa Abrahams, die Rolle wird ihm allerdings von einer Stadt im südlichen Irak streitig gemacht.


Unser Weg führt entlang der irakischen und syrischen Grenze. Wir werden Tigris und Euphrat überqueren, sie entspringen in der Türkei und münden im Persischen Golf. Auf ihrem Weg bewässern sie die östliche Hälfte des fruchtbaren Halbmondes zwischen Mittelmeer und Mesopotamien, in dem eine der Wiegen der Menschheit stand.



Alte Weltkarten zeigen das Paradies an der Quelle von Tigris and Euphrat. Dort in der Nähe werden wir also um den 20. Oktober herum sein. Große Dinge voraus!

P.S. Ein Reisebericht soll regelmäßig in meinem englischen Blog erscheinen - dann können ihn eine Reihe von Facebook- und Twitterfreunden aus der Türkei, dem Iran und anderen moslemischen Ländern ebenfalls lesen.