Samstag, 20. August 2011
Sonntag, 14. August 2011
Nachgedanken zu “Erzählungen der Chassidim”
Vielleicht sollte ich am Ende kurz erklären, warum mich diese Geschichten immer neu tief in meinem Herzen anrühren. Sie enthalten das Leben von Menschen, die sich nach der Gegenwart Gottes ausstrecken. Diese Gegenwart ist für sie kein gedankliches Konzept, sondern sinnlich wahrgenommene Realität. Nun weiß man aber selbst, dass sich Gottes Wirklichkeit verhältnismäßig selten zeigt, manchmal über Jahre und Jahrzehnte nicht. „Die Schechina ist im Exil“, sagen die Chassiden dann. In solchen Zeiten müssen die Gottessucher mit Ersatz-Erfahrungen auskommen. Sie tasten und suchen, sie erwarten und hoffen – und bemerken auf einmal dabei, dass ihr im Vorläufigen geführtes Leben in Wirklichkeit das eigentliche, wahre Leben ist, das Leben in Gottes unsichtbarer Gegenwart. Uns so essen sie und trinken und tanzen und feiern und preisen den Herrn der Welt, auch wenn das nächste Pogrom schon auf der Straße tobt.
Wollen wir am Ende nicht alle so leben, bleibt uns eine andere Wahl?
Wollen wir am Ende nicht alle so leben, bleibt uns eine andere Wahl?
Samstag, 13. August 2011
Sommerserie "Erzählungen der Chassidim" (XII und Schluss): Ganz Israel einen guten Morgen!
Rabbi Sussja pflegte jeden Morgen beim Aufstehen, ehe er ein Wort zu Gott oder den Menschen sprach, auszurufen: „Ganz Israel einen guten Morgen!“ Tagsüber schrieb er alles, was er tat, auf einen Zettel, am Abend vor dem Schlafengehen holte er ihn hervor, las und weinte so lange, bis die Schrift von den Tränen vertilgt war.
Mittwoch, 10. August 2011
Sommerserie "Erzählungen der Chassidim" (XI): Wie er die Filzschuhe aufschnürt
Rabbi Löw, Sohn der Sara, der verborgene Zaddik, der, dem Lauf der Gewässer folgend, über die Erde wanderte, um die Seelen Lebender und Toter zu erlösen, erzählte: "Daß ich zum Maggid von Mesritsch fuhr, war nicht, um Lehre von ihm zu hören: nur um zu sehen, wie er die Filzschuhe aufschnürt und wie er sie schnürt."
Anmerkung: Rabbi Löw erzählt hier von seinem Lehrer Dow Bär, dem "Maggid" (Ehrentitel) aus Mesritsch. Dow Bär wiederum war ein Schüler des großen Baalschem.
Anmerkung: Rabbi Löw erzählt hier von seinem Lehrer Dow Bär, dem "Maggid" (Ehrentitel) aus Mesritsch. Dow Bär wiederum war ein Schüler des großen Baalschem.
Montag, 8. August 2011
Sommerserie "Erzählungen der Chassidim" (X): Das Vergessen
"Es heißt im Talmud", sprach Rabbi Baruch, "wann das Kind im Leibe der Frau ist, brennt ihm ein Licht auf dem Kopf und es lerne die ganze Thora, wann ihn aber bestimmt ist, hinaus in die Luft der Welt zu gehn, komme ein Engel und schlage es auf den Mund, und da vergesse es alles. Wie ist das zu verstehen? Wozu braucht man es erst alles lernen zu lassen, damit es dann alles vergesse?" [...] "Wäre das Vergessen nicht, so müßte der Mensch unaufhörlich an seinen Tod denken und würde kein Haus bauen und würde nichts unternehmen. Darum hat Gott in die Menschen das Vergessen gepflanzt. So ist ein Engel bestellt, das Kind so zu lehren, daß es nichts vergesse, und der andere Engel ist bestellt, es auf den Mund zuschlagen und ihm das Vergessen beizubringen."
Sonntag, 7. August 2011
Zwei Brücken
Vorgestern hat unsere Oberbürgermeisterin zwei Brücken eingeweiht, von denen die eine, der "Nordsteg" zwischen Bahnhof und Altstadt, mit einer leuchtend roten Farbsalve eine Art von Bresche in das graue Häusergefüge unserer schieferverkleideten Regenstadt schlägt.
Der Nordsteg, rechts ein Blick von der Innenstadt in Richtung der Haltestelle unserer Bahn (Der Müngstener), soll den Weg von der Innenstadt zum kleinen Remscheider Bahnhof bequemer machen, indem er die hier vielbefahrene Freiheitstraße, die B 229, in einem beschwingten Bogen überquert.
Die Brücke ist an Stützen aufgehängt, die in einem unregelmäßigen Muster sowohl seitlich als auch nach hinten und vorne versetzt sind. Sie wirken spielerisch, haben aber offenkundig eine echte statische Funktion. Ihr Rot erinnert an fernöstliche Tempel.
Die zweite neue Brücke überquert die Bahnstrecke, und zwar weiter östlich. Sie ersetzt eine frühere Brücke, deren Standfestigkeit altersbedingt gelitten hatte.
Donnerstag, 4. August 2011
Sommerserie "Erzählungen der Chassidim" (IX): Das Essen des Reichen
Zum Maggid von Kosnitz kam einst ein reicher Mann. "Was pflegst du zu essen?" fragte der Maggid. "Ich führe mich bescheiden", sagte der reiche Mann, "Brot mit Salz und ein Trunk Wasser sind mir genug." "Was fällt Euch ein!" schalt ihn der Maggid. "Braten sollt ihr essen und Met sollt ihr trinken wie alle reichen Leute!" Und er ließ den Mann nicht gehen, bis er ihm versprochen hatte, es fortan so zu halten.
Nachher fragten die Chassidim nach dem Grund der wunderlichen Rede.
"Erst wenn er Fleisch ißt", antwortete er, "wird er wissen, daß der Arme Brot braucht. Solange er Brot ißt, meint er, der Arme könne Steine essen."
Nachher fragten die Chassidim nach dem Grund der wunderlichen Rede.
"Erst wenn er Fleisch ißt", antwortete er, "wird er wissen, daß der Arme Brot braucht. Solange er Brot ißt, meint er, der Arme könne Steine essen."
Dienstag, 2. August 2011
Sommerserie "Erzählungen der Chassidim" (VIII): Eine Verhandlung
(Meine Lieblingserzählung, die mich immer wieder sehr emotional berührt)
Es wird erzählt: "Der Kaiser in Wien erließ eine Verordnung, die das bedrängte Leben der Juden in Galizien vollends in Fesseln schlagen mußte. Damals weilte im Haus Elimelechs ein eifriger und lernbeflissener Mann, Feiwel mit Namen. Der stand eines Nachts auf, betrat die innere Kammer des Zaddiks und sprach zu ihm: 'Herr, ich habe einen Rechtsstreit mit Gott'; und während er noch redete, entsetzte er sich über seine Worte. Rabbi Elimelech jedoch gab ihm die Antwort: "Wohl, aber in der Nacht wird nicht Gericht gehalten.'
Am Morgen kamen zwei Zaddikim nach Lisensk, Israel von Kosnitz und Jakob Jizchak von Lublin, und nahmen Wohnung bei Rabbi Elimelech. Nach dem Mittagsmahl ließ er jenen Mann rufen und sagte ihm: 'Nun lege uns deinen Rechtsfall vor.' 'Ich habe nicht mehr die Kraft zu reden', stammelte Feiwel. - 'So gebe ich dir die Kraft zu reden.' Da redete Rabbi Feiwel: 'Wie darf es sein, daß wir diesem Reich verknechtet sind? Spricht doch Gott in der Thora: denn meine Knechte sind die Söhne Israels. Und hat er uns auch der Fremde überantwortet: wo immer wir sind, ist es an ihm, uns die Freiheit, ihm zu dienen, ungeschmälert zu wahren.'
Hierauf sprach Rabbi Elimelech: 'Gottes Entgegnung kennen wir, denn auch sie steht geschrieben, in der Fluchrede durch Mose und die Propheten. Jetzt aber sollen nach der Vorschrift beide Rechtsgegner den Ort des Gerichts verlassen, damit die Richter ihres Ansehens nicht achten. So gehe du hinaus, Rabbi Feiwel. Und dich, Herr der Welt, vermögen wir nicht auszuschließen, denn deine Herrlichkeit erfüllt die Erde, und ohne deine Gegenwart könnte keiner von uns einen Augenblick leben; wisse aber, daß wir auch deines Ansehens nicht achten werden.‘
Danach saßen die drei zu Gericht, schweigend und mit geschlossenen Augen. Nach einer Stunde riefen sie den Mann Feiwel in die Stube und verkündeten das Urteil, daß das Recht bei ihm sei. In derselben Stunde wurde in Wien die Verordnung aufgehoben."
Es wird erzählt: "Der Kaiser in Wien erließ eine Verordnung, die das bedrängte Leben der Juden in Galizien vollends in Fesseln schlagen mußte. Damals weilte im Haus Elimelechs ein eifriger und lernbeflissener Mann, Feiwel mit Namen. Der stand eines Nachts auf, betrat die innere Kammer des Zaddiks und sprach zu ihm: 'Herr, ich habe einen Rechtsstreit mit Gott'; und während er noch redete, entsetzte er sich über seine Worte. Rabbi Elimelech jedoch gab ihm die Antwort: "Wohl, aber in der Nacht wird nicht Gericht gehalten.'
Am Morgen kamen zwei Zaddikim nach Lisensk, Israel von Kosnitz und Jakob Jizchak von Lublin, und nahmen Wohnung bei Rabbi Elimelech. Nach dem Mittagsmahl ließ er jenen Mann rufen und sagte ihm: 'Nun lege uns deinen Rechtsfall vor.' 'Ich habe nicht mehr die Kraft zu reden', stammelte Feiwel. - 'So gebe ich dir die Kraft zu reden.' Da redete Rabbi Feiwel: 'Wie darf es sein, daß wir diesem Reich verknechtet sind? Spricht doch Gott in der Thora: denn meine Knechte sind die Söhne Israels. Und hat er uns auch der Fremde überantwortet: wo immer wir sind, ist es an ihm, uns die Freiheit, ihm zu dienen, ungeschmälert zu wahren.'
Hierauf sprach Rabbi Elimelech: 'Gottes Entgegnung kennen wir, denn auch sie steht geschrieben, in der Fluchrede durch Mose und die Propheten. Jetzt aber sollen nach der Vorschrift beide Rechtsgegner den Ort des Gerichts verlassen, damit die Richter ihres Ansehens nicht achten. So gehe du hinaus, Rabbi Feiwel. Und dich, Herr der Welt, vermögen wir nicht auszuschließen, denn deine Herrlichkeit erfüllt die Erde, und ohne deine Gegenwart könnte keiner von uns einen Augenblick leben; wisse aber, daß wir auch deines Ansehens nicht achten werden.‘
Danach saßen die drei zu Gericht, schweigend und mit geschlossenen Augen. Nach einer Stunde riefen sie den Mann Feiwel in die Stube und verkündeten das Urteil, daß das Recht bei ihm sei. In derselben Stunde wurde in Wien die Verordnung aufgehoben."
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