Sonntag, 15. Juli 2012

Zehn Bibelworte für Muslime (IX)




Der bucklige Gottesmann

Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Jesaja 53, 3 - 6

Der Prophet Jesaja ist unter den Propheten des Alten Testamentes, die im Koran keine Erwähnung finden, der bedeutendste. Einige identifizieren ihn mit Dhu l-Kifl in Sure 21 und 38, aber das ist ungewiss, und über das Leben und die Botschaft dieses Propheten erfährt man im Koran nichts. Für die Christen ist er von großer Bedeutung, weil er für sie eine deutliche Voraussage in Richtung auf Jesus hin gibt. Die Prophezeiungen des Jesaja sagen etwas sehr Tiefes über das Wesen Jesu aus.

Jesus kommt in den Bildern, die Jesaja vom leidenden Gottesknecht entwirft, als eine sehr niedrige, ja im Grunde genommen hässliche Gestalt auf die Welt, der jegliche Ausstrahlung fehlt. Die Menschen schließen aus seinem Misserfolg und aus seinem Leid, dass er von Gott verlassen ist. Aber dann wendet Gott sein Schicksal und lässt allen Menschen aus der Quelle seiner Schmerzen ein großes Heil erwachsen.
Diese Umwandlung aus größter Niedrigkeit zu höchstem Heil und Glück ist ein schwer zu verstehendes inneres Geheimnis des Christentums. Viele Menschen haben sich vom Christentum als von einer Religion des Versagens abgewandt, am prominentesten vielleicht der Philosoph Friedrich Nietzsche. Auch die Muslime sind gerne bereit, ihren eigenen Stolz als einen Gegensatz zu der für sie eher geduckten Lebensart der Christen anzusehen. Die Christen leben in ihren Augen wie mit einem Buckel wie der der türkische Philosoph Yasar Nuri Öztürk schreibt.
Ich sehe diesen Buckel auch, aber für mich ist er nur die äußere Form, hinter der sich etwas Anderes, Größeres verbirgt. Gott wendet das Schicksal der Menschen, indem er sich sozusagen an das Ende der menschlichen Skala begibt und sich mit der Hässlichkeit solidarisiert. Gott verwandelt dadurch unser menschliches Schicksal, er wirkt Heil aus Unheil, er ist ja der Schöpfer.
Der leidende Gottesknecht ist ein deutliches Bild der Nähe Gottes. Mein Freund Nureddin sagt, dass diese Nähe Gottes zum Leben der Menschen im Koran in das Bild gekleidet ist, Gott sei uns so nahe wie unsere Halsschlagader (Sure 50, 15).
Vielleicht begegnen sich hier die Bilder von der Solidarität Gottes mit den Menschen. Das Bild vom leidenden Gottesknecht lebt im Herzen eines jeden Christen. Ohne ein zumindest minimales Verständnis dieses Bildes sind die Christen für Nichtchristen wohl kaum zu verstehen.

1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

ja im Grunde genommen häßliche Gestalt:

Ohne viel nachzudenken habe ich immer der christlichen Ikonographie vertraut und Jesus als schönen Menschen gesehen. Die Worte des Jesaja würde ich gern auf die Todesstunden beschränken.