Montag, 19. Mai 2014

Warum ich gerne Freikirchler bin

 
 
Aus der Zeitschrift "Die Gemeinde" vom 18. Mai 2014

Abschweifende Gedanken während einer hochkirchlichen Feier
Vor ein paar Wochen hat mich ein katholischer Freund eingeladen, ihn zur Sonntagsmesse zu begleiten. Wir trafen uns früh, im Eingang der Kirche. Er hatte mir geraten, zeitig zum  gewöhnlich sehr gut besuchten Gottesdienst zu kommen, um auf jeden Fall einen Sitzplatz zu haben.

Dem Rat war ich gefolgt und saß entsprechend entspannt neben meinem Freund inmitten des Kirchenvolkes, den Gottesdienst erwartend. Der begann dann auch, allerdings mit etwas Verzögerung, denn es musste erst einmal ein Schar Geistlicher in feierlichen Gewändern (die Kirche gehört zu einer Abtei) mit großem Gepränge in den Kirchenraum einziehen. Sie erschienen aus einer Seitentür, etwa zwanzig an der Zahl, und setzten sich in einen offenen Halbkreis, vorne auf die Bänke im etwas erhöhten Chor. Der Abt saß auf einem großen Sessel in ihrer Mitte.
Das einfache Kirchenvolk in großen Kirchenraum bildete einen eigenartigen Kontrast zu den Mönchen in ihren Feierkleidern. Wanderer waren darunter, bunte Pilger, die von Ferne gekommen waren, um die Abtei zu besuchen. Im Verlauf des Gottesdienstes durfte eine Frau aus dem Volk einen kurzen Abschnitt aus der Bibel vorlesen. Sie kam in einem Anorak nach vorne ans Mikrofon, mit Turnschuhen, an deren auffallend rote Sohlen ich mich lebhaft erinnere. Ich hatte das Gefühl, dass sie dazu ausgesucht worden war, mich zu vertreten, mich, das Volk. Aber irgendwie vertrat sie mich schlecht und war sich wohl auch selbst im Unklaren darüber, warum es überhaupt nötig war, dass jemand aus dem Volk am Gottesdienst beteiligt wurde.

Aber zunächst sollte ich doch sagen, dass viele Teile des Gottesdienstes sehr schön waren. Während der Messe wurde einige Male gregorianisch gesungen, und zwar von der ganzen Gemeinde. Das ging anhand der Noten im Gesangbuch ohne Probleme, es war jedenfalls nicht so schwierig, wie ich es mir vorgestellt hatte, und eine angenehme und anregende Beschäftigung von Stimme und Herz. Zu meiner Überraschung wurde der gregorianische Gesang außerdem auf der Orgel begleitet, wozu dem Organisten ganz wunderbare Harmonien einfielen, die mich an die Musik aus der französischen Romantik erinnerten. Das alles gefiel mir sehr gut.
Auch dem Prediger habe ich gerne zugehört. Seine Auslegung war weltoffen und kultiviert und zeugte von einer langen, gründlichen Ausbildung.

Meine Gedanken schweiften aber im Verlauf des Gottesdienstes immer wieder ab und hängten sich an dem Kreis der geistlichen Würdenträger fest, der vorne saß, eine Stufe über mir. Ich überlegte mir, ob diese Männer, wenn ich Mitglied ihrer Gemeinde wäre, jemals in irgendeiner Weise auf meine Wünsche und Fragen eingehen würden. Gab es bei ihnen so etwas wie einen Gemeinderat? Worüber durfte er beraten und entscheiden? Würde der Gemeinderat mir auf eine beliebige Initiative hin vielleicht einen förmlichen Brief schreiben lassen und darin mitteilen, dass in der Sitzung vom 15. April 2014  mein Anliegen behandelt und wie nachfolgend näher bezeichnet beschieden wurde?
Würde sich vielleicht einer der jüngeren Kleriker einmal in Jeans und Pullover zeigen, sich eine Gitarre um den Hals hängen und die Musik machen, die meinen Kindern gefallen könnte? Nicht immer, aber einmal im Monat?

Meine Gedanken verloren sich zunächst in diese eher kritische Richtung, um dann aber auch in das genaue Gegenteil umzuschlagen. Mir erschienen dann die vielfältigen Vorzüge einer hierarchischen Kirche hell und geordnet in meinem Kopf. Wäre es nicht auch für mich und mein oft abirrendes Denken heilsam, wenn ich wüsste, dass in der Kirche etwas geschieht, auf dessen Fortgang ich keinerlei Einfluss habe? Wäre es entsprechend auch für meine Kinder nicht besser, ihre musikalischen Geschmack an den der Kirche anzugleichen statt umgekehrt? Besonders ein Gedanke kam mir immer wieder: Wären die vielen unseligen Konflikte, die ich in Freikirchen aus der Nähe miterlebt habe, nicht vermeidbar, wenn es die ordnende Hand eines Abtes oder Bischofs gäbe? Würde eine formelle Kirchenleitung nicht die Fragen, die bei uns jeder beliebige Querkopf zum Thema einer Gemeindeversammlung machen kann, an sich nehmen und beantworten, vielleicht sogar manchmal mit Schweigen?
Ich fühlte mich nach beiden Seiten gezogen und ein wenig hilflos. Am Ende kam ich zu der vorsichtigen Antwort, dass es für meine Überlegungen keine für immer gültigen Lösungen gibt. Ich vermute eher, dass man aus den Fragen der Zeit heraus die Form der Kirchenleitung jeweils neu bestimmen muss.

Aber was sind die Fragen unserer Zeit? Ich glaube, dass es eine der wichtigsten Fragen ist, wie der Individualismus der Millenniums-Generation, also der um die Jahrtausendwende herum geborenen „Generation Facebook“, als neue Lebensform verstanden und mit Gott in Beziehung gebracht werden kann. In unserer Gemeinde haben wir einmal versucht, einen Facebook-Gottesdienst zu machen – mit Einladungen über das Internet, verschiedenen Bild- und Tonelementen über den Beamer vorne und anderem mehr. Ob es gut und richtungweisend war – ich weiß es nicht. Aber man sollte so etwas versuchen dürfen, und das geht sicherlich sehr viel einfacher, wenn man keinen Bischof um Erlaubnis fragen muss.
Für den Prozess einer freien Suche ist eine hierarchisch gestaltete Amtskirche nach meiner Ansicht die weniger geeignete Institution. Auch wenn man in den Freikirchen oft beklagen muss, dass jeder und jede mit ihren Anfragen und Meinungen zu Wort kommen, so erscheint mir dieses Zu-Wort-Kommen doch gerade die Voraussetzung für eine wirkliche Erneuerung zu sein.

Wenn diese Erneuerung geschafft ist, wenn man auf neue Weise „dem Volk aufs Maul geschaut“ und Antworten auf die modernen Fragen gefunden hat, dann mag vielleicht wieder eine Phase kommen, wo man sich einen in feine Kleider gewandeten Klerus wünscht, der das Volk von erhobener Warte aus verwaltet. Solange das nicht geschafft ist, möchte ich lieber Mitglied in einer Freikirche bleiben.





Keine Kommentare: