Aus der Zeitschrift "Die Gemeinde" vom 18. Mai 2014
Abschweifende
Gedanken während einer hochkirchlichen Feier
Vor
ein paar Wochen hat mich ein katholischer Freund eingeladen, ihn zur Sonntagsmesse
zu begleiten. Wir trafen uns früh, im Eingang der Kirche. Er hatte mir geraten,
zeitig zum gewöhnlich sehr gut besuchten
Gottesdienst zu kommen, um auf jeden Fall einen Sitzplatz zu haben.
Dem Rat war ich gefolgt und saß entsprechend
entspannt neben meinem Freund inmitten des Kirchenvolkes, den Gottesdienst
erwartend. Der begann dann auch, allerdings mit etwas Verzögerung, denn es
musste erst einmal ein Schar Geistlicher in feierlichen Gewändern (die Kirche
gehört zu einer Abtei) mit großem Gepränge in den Kirchenraum einziehen. Sie erschienen
aus einer Seitentür, etwa zwanzig an der Zahl, und setzten sich in einen
offenen Halbkreis, vorne auf die Bänke im etwas erhöhten Chor. Der Abt saß auf
einem großen Sessel in ihrer Mitte.
Das einfache
Kirchenvolk in großen Kirchenraum bildete einen eigenartigen Kontrast zu den
Mönchen in ihren Feierkleidern. Wanderer waren darunter, bunte Pilger, die von
Ferne gekommen waren, um die Abtei zu besuchen. Im Verlauf des Gottesdienstes
durfte eine Frau aus dem Volk einen kurzen Abschnitt aus der Bibel vorlesen.
Sie kam in einem Anorak nach vorne ans Mikrofon, mit Turnschuhen, an deren auffallend
rote Sohlen ich mich lebhaft erinnere. Ich hatte das Gefühl, dass sie dazu ausgesucht
worden war, mich zu vertreten, mich, das Volk. Aber irgendwie vertrat sie mich
schlecht und war sich wohl auch selbst im Unklaren darüber, warum es überhaupt
nötig war, dass jemand aus dem Volk am Gottesdienst beteiligt wurde.
Aber zunächst sollte ich
doch sagen, dass viele Teile des Gottesdienstes sehr schön waren. Während der Messe
wurde einige Male gregorianisch gesungen, und zwar von der ganzen Gemeinde. Das
ging anhand der Noten im Gesangbuch ohne Probleme, es war jedenfalls nicht so
schwierig, wie ich es mir vorgestellt hatte, und eine angenehme und anregende
Beschäftigung von Stimme und Herz. Zu meiner Überraschung wurde der
gregorianische Gesang außerdem auf der Orgel begleitet, wozu dem Organisten
ganz wunderbare Harmonien einfielen, die mich an die Musik aus der
französischen Romantik erinnerten. Das alles gefiel mir sehr gut.
Auch dem Prediger habe
ich gerne zugehört. Seine Auslegung war weltoffen und kultiviert und zeugte von
einer langen, gründlichen Ausbildung.
Meine Gedanken schweiften
aber im Verlauf des Gottesdienstes immer wieder ab und hängten sich an dem Kreis
der geistlichen Würdenträger fest, der vorne saß, eine Stufe über mir. Ich
überlegte mir, ob diese Männer, wenn ich Mitglied ihrer Gemeinde wäre, jemals in
irgendeiner Weise auf meine Wünsche und Fragen eingehen würden. Gab es bei
ihnen so etwas wie einen Gemeinderat? Worüber durfte er beraten und
entscheiden? Würde der Gemeinderat mir auf eine beliebige Initiative hin
vielleicht einen förmlichen Brief schreiben lassen und darin mitteilen, dass in
der Sitzung vom 15. April 2014 mein
Anliegen behandelt und wie nachfolgend näher bezeichnet beschieden wurde?
Würde sich vielleicht
einer der jüngeren Kleriker einmal in Jeans und Pullover zeigen, sich eine
Gitarre um den Hals hängen und die Musik machen, die meinen Kindern gefallen könnte?
Nicht immer, aber einmal im Monat?
Meine Gedanken verloren
sich zunächst in diese eher kritische Richtung, um dann aber auch in das genaue
Gegenteil umzuschlagen. Mir erschienen dann die vielfältigen Vorzüge einer
hierarchischen Kirche hell und geordnet in meinem Kopf. Wäre es nicht auch für
mich und mein oft abirrendes Denken heilsam, wenn ich wüsste, dass in der
Kirche etwas geschieht, auf dessen Fortgang ich keinerlei Einfluss habe? Wäre
es entsprechend auch für meine Kinder nicht besser, ihre musikalischen Geschmack
an den der Kirche anzugleichen statt umgekehrt? Besonders ein Gedanke kam mir
immer wieder: Wären die vielen unseligen Konflikte, die ich in Freikirchen aus
der Nähe miterlebt habe, nicht vermeidbar, wenn es die ordnende Hand eines Abtes
oder Bischofs gäbe? Würde eine formelle Kirchenleitung nicht die Fragen, die
bei uns jeder beliebige Querkopf zum Thema einer Gemeindeversammlung machen
kann, an sich nehmen und beantworten, vielleicht sogar manchmal mit Schweigen?
Ich fühlte mich nach
beiden Seiten gezogen und ein wenig hilflos. Am Ende kam ich zu der vorsichtigen
Antwort, dass es für meine Überlegungen keine für immer gültigen Lösungen gibt.
Ich vermute eher, dass man aus den Fragen der Zeit heraus die Form der Kirchenleitung
jeweils neu bestimmen muss.
Aber was sind die
Fragen unserer Zeit? Ich glaube, dass es eine der wichtigsten Fragen ist, wie
der Individualismus der Millenniums-Generation, also der um die
Jahrtausendwende herum geborenen „Generation Facebook“, als neue Lebensform verstanden
und mit Gott in Beziehung gebracht werden kann. In unserer Gemeinde haben wir
einmal versucht, einen Facebook-Gottesdienst zu machen – mit Einladungen über
das Internet, verschiedenen Bild- und Tonelementen über den Beamer vorne und
anderem mehr. Ob es gut und richtungweisend war – ich weiß es nicht. Aber man
sollte so etwas versuchen dürfen, und das geht sicherlich sehr viel einfacher,
wenn man keinen Bischof um Erlaubnis fragen muss.
Für den Prozess einer
freien Suche ist eine hierarchisch gestaltete Amtskirche nach meiner Ansicht die
weniger geeignete Institution. Auch wenn man in den Freikirchen oft beklagen
muss, dass jeder und jede mit ihren Anfragen und Meinungen zu Wort kommen, so
erscheint mir dieses Zu-Wort-Kommen doch gerade die Voraussetzung für eine wirkliche
Erneuerung zu sein.
Wenn diese Erneuerung
geschafft ist, wenn man auf neue Weise „dem Volk aufs Maul geschaut“ und
Antworten auf die modernen Fragen gefunden hat, dann mag vielleicht wieder eine
Phase kommen, wo man sich einen in feine Kleider gewandeten Klerus wünscht, der
das Volk von erhobener Warte aus verwaltet. Solange das nicht geschafft ist,
möchte ich lieber Mitglied in einer Freikirche bleiben.
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