Samstag, 5. April 2014

Kann man sein Land hassen?


Während Obamas erstem Wahlkampf (2008) musste er sich sehr hastig von dem schwarzen Pastor Jeremiah Wright trennen, zu dessen Kirche Obama damals gehörte. Pastor Wright hatte über einige Missstände im Verhältnis der weißen zu den schwarzen Amerikanern gepredigt und sich zu der Äußerung hinreißen lassen „Gott verfluche Amerika“ – „God curse America“, eine böse Umkehrung des üblichen „God bless America“.

Im allgemeinen Aufschrei der Entrüstung fiel die Stimme des konservativen Präsidentschaftskandidaten Mike Huckabee* auf: er setzte sich bemerkenswerterweise für Pastor Wright ein. Man kann das Interview im Internet nachlesen. An einer Stelle sagt Huckabee zu der Aussage „Gott verfluche Amerika“ wörtlich:
… und eine andere Sache, an die wir uns erinnern sollten. So einfach wie es für diejenigen von uns ist, die weiß sind, zurückzublicken und zu sagen: "Das ist eine schreckliche Aussage!" --- ich bin in einem sehr rassengetrennten (segregated) amerikanischen Süden aufgewachsen. Und ich denke, dass man hier ein wenig Spielraum geben muss (cut some slack) - und ich werde wahrscheinlich der einzige Konservative in Amerika sein, der so etwas sagt, aber ich sage es einfach so - wir müssen etwas Spielraum lassen für Menschen, die damit aufgewachsen sind, mit hässlichen Namen gerufen zu werden, denen man sagt, "Du musst abseits auf einem Balkon sitzen, wenn Du ins Kino gehen willst , Du musst zur Hintertür gehen, um das Restaurant zu betreten. Du kannst da nicht einfach mit allen anderen zusammen sitzen. Es gibt ein separates Wartezimmer in der Arztpraxis. Setz Dich im Bus in diesen Bereich... "Und wissen Sie was? Manchmal haben Menschen dann einfach einen dicken Hals (a chip on their shoulders) und Ressentiments. Und man muss einfach sagen, ich hätte das wahrscheinlich auch. Ich wahrscheinlich auch. In der Tat ich hätte vielleicht einen noch dickeren Hals, wenn ich betroffen gewesen wäre.
Ich sage es jetzt mir selbst: gib etwas Spielraum! Verstehe den dicken Hals, den viele deutsche Türken gegenüber der deutschen Überheblichkeit haben, verstehe Ihren Zorn über viele Ungerechtigkeiten und Zurücksetzungen, die sie von Kind auf erleben mussten.
Natürlich ist Deutschland nicht der amerikanische Süden der Rassentrennung aus der Zeit vor Martin Luther King und vor der Bürgerrechtsbewegung. Und natürlich sind die deutschen Türken nicht die Schwarzen, die im Bus hinten sitzen müssen. Aber der Vergleich stimmt trotzdem in einem speziellen Punkt, nämlich in Bezug auf eine spezielle Art von Minderheiten-Wut in Richtung auf die Mehrheit.

Diese Wut kann sich zum „dicken Hals“ aufstauen und dann in Statements umschlagen, die zunächst ganz unverständlich erscheinen. Ich habe das so erlebt, dass mir der mit zwei deutschen Staatsexamen versehene Akademiker sagt, es sei ihm vollkommen gleichgültig, was Arbeitskollegen über seine Meinung zur Polizeigewalt im Gezi Park denken, er selbst sie und bleibe in seinem Denken zutiefst Türke, oder dass ein hier geborener und mittlerweile fast 40 Jahre ansässiger deutscher Türke kühlen Mutes mit dem Gedanken spielt, die Türkei in das Staatensystem Russlands oder des Irans einzubinden – und man fasst sich an den Kopf und fragt: wo leben diese Leute?
Aber man muss Huckabee folgen: „ you have to cut some slack“ – man sollte etwas Spielraum geben. Nicht jeder, der einen schnellen Fluch für das Land hat, in dem er lebt, hasst es wirklich. Vielleicht hat er in Huckabee’s Slang nur„a chip on his shoulder“, einen dicken Hals. Und den nicht ganz zu Unrecht.
 
*Mike Huckabee ist ein Baptistenpastor aus Arkansas, einem Südstaat, dessen Gouverneur er war. Er hatte seine Kandidatur 2008 erfolgreich begonnen, sie aber nach einer Reihe von Misserfolgen bei den Vorwahlen zugunsten von John McCain aufgegeben, wenige Tage bevor er obiges Interview gab.

 

 


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