Ich glaube, auch wenn ich sage: Ich werde sehr
geplagt.
(Psalm 116,10, Luther-Übersetzung).
Der Sinn dieses Satzes erscheint zunächst klar zu sein, lässt sich aber in verschiedene Richtungen ändern, wenn man beim Übersetzen näher hinsieht. Von den sechs Worte des
hebräischen Psalms* sind nämlich wenigstens drei nicht ohne Sinnverschiebung ins
Deutsche zu übertragen.
Da ist erstens das he'emanti - ich glaube oder
glaubte - es ist mit "Amen" verwandt und hat von daher mehr von der
Bedeutung "Trauen" als von "Glauben". Zweitens ist das
anschließende ki eine der wenigen im Hebräischen möglichen Verbindungsworte zwischen Haupt- und
Nebensatz und kann entsprechend vieles bedeuten. Es kann ebenso gut "weil" wie
"darum" oder "auch wenn" heißen. Man findet in den vielen
Übersetzungen des "Bibleserver" alle diese verschiedenen Möglichkeiten quer über alle europäischen Sprachen hinweg. Schließlich
ist das Wort aniti für "geplagt" oder "gebeugt"
so doppeldeutig, dass in vielen Sprachen die Übersetzungen für den ano-Charakter des Mose in 4. Mose 12,3 immer wieder zwischen
"geplagt" und "demütig" hin und her gehen.
Eindeutig ist hier nur, dass von einer demütigenden
Erfahrung die Rede ist und dass der Sprecher des Psalms sein Vertrauen
hervorhebt - auch wenn er gedemütigt wurde. Auch wenn? Man kann aus dem ki an dieser Stelle ja auch ein "weil" herauslesen. Das
Vertrauen wäre dann in der Erfahrung einer demütigenden, niederdrückenden Plage
entstanden. Es war möglicherweise vorher noch gar nicht da, es ist der
notvollen Erfahrung nicht als trotziges "dennoch" entgegengehalten
worden, es wurde erst in der Not geboren.
Mir gefällt die Übersetzung des deutschen Juden Martin Buber (Bild oben) von 1963:
Ich vertraue,
wenn ich reden muss:
„Ich da, ich bin sehr gebeugt!“
Nebenbei - Buber fängt das ani, das
"ich" sehr gut ein, welches dem aniti / gebeugt vorangestellt
ist, obwohl es in der Regel (wie im Lateinischen) dem Verb nur hinzugefügt
werden muss, wenn das "ich" besonders herausgestellt werden
soll.
Buber entscheidet sich bei he'emanti für das Vertrauen, nicht für das im Deutschen ja sehr vieldeutige Glauben, das Luther verwendet. In gleicher Weise wie Buber hat in neuerer Zeit Norbert Baumert, langjährigerer Professor für Neutestamentliche Theologie an der jesuitischen Universität St. Georgen in Frankfurt das griechische Wort pistis in den Stellen der Paulusbriefe, wo Luther "Glauben" wählt, mit "Trauen" übersetzt. Von dieser Übersetzung führen einige überraschend neue Linien zu einem neuen Verständnis der Paulusbriefe.
Wer vertraut oder traut hat sich tief in seinem Inneren für
einen Weg entschieden, den der oberflächliche Glaube ("ich glaube, dass morgen
schönes Wetter sein wird") nicht finden kann. Er hat sich dafür
entschieden, dem Netzwerk an Personen und Gegebenheiten um ihn herum,
gleichgültig ob irdisch oder himmlisch, zu vertrauen, sich in das Netz zu legen
und zu erwarten, dass seine Seile halten.
Ich habe dieses Vertrauen in den letzten Monaten bei
Menschen gesehen, die in Not waren, meist in der Not einer Krankheit, einer
eigenen oder der eines nahen Angehörigen. Ich habe ihr Vertrauen bewundert. Ich
habe es wohl auch auf natürliche Art zu erklären versucht - vieles an unseren
Wesensarten ist ja ein "evolutionärer Vorteil" und mag also in den
Zeiten entstanden sein, als wir unsere Räume noch mit dem Säbelzahntiger teilen
mussten, dem Lieblingstier der Darwinisten.
Ich denke: man sollte hier nicht allzu sehr nach Gründen suchen. Ich selbst möchte weiterhin das
"Es", auf das ich mich verlasse, Gott nennen, fühle mich aber jedem
Menschen verbunden, der es anders benennt und auf andere Weise anruft.
Allen, die dies lesen, wünsche ich an jedem Morgen der
nächsten 365 Tagen die gute Erfahrung, dass ihr Vertauen mit ihnen erwacht ist.
Habt Vertrauen!
* האמנתי כי אדבר אני עניתי מאד
*
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